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Grad der Behinderung; Diabetes mellitus; Einstellungsqualität; Therapieaufwand


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 11. Senat Entscheidungsdatum 10.06.2010
Aktenzeichen L 11 SB 125/09 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 69 Abs 1 SGB 9

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 12. Februar 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) von 50 ab dem 17. März 2004.

Die 1946 geborene Klägerin ist von Beruf Lehrerin und an einer allgemeinen Förderschule für Lernbehinderte mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 26 Stunden tätig.

Am 17. März 2004 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten unter Hinweis darauf, dass sie an einem Diabetes mellitus, einer Hyperlipoproteinämie, an Bluthochdruck sowie einem Lendenwirbelsäulensyndrom leide, für sie einen GdB festzustellen. Der Beklagte zog den Entlassungsbericht der Reha-Klinik B in Bad D der (ehemaligen) Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 12. März 2004 über eine im Zeitraum vom 29. Januar bis zum 4. März 2004 durchgeführte Rehabilitationsbehandlung bei und holte ärztliche Auskünfte der Fachärztin für Innere Medizin Prof. Dr. S vom 9. Juni 2004 sowie der praktischen Ärztin R vom 11. Oktober 2004 ein. Der daraufhin veranlassten gutachtlichen Stellungnahme des Facharztes für Allgemeinmedizin M vom 27. November 2004 folgend stellte der Beklagte mit Bescheid vom 30. Dezember 2004 einen Gesamt-GdB von 40ab dem 17. März 2004 (Antragstellung) aufgrund folgender Behinderungen fest:

Diabetes mellitus (Einzel-GdB 40)
Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Einzel-GdB 10)
Bluthochdruck (Einzel-GdB 10).

Der bestehenden Fettstoffwechselstörung, der Schilddrüsenvergrößerung sowie der festgestellten Allergie komme keine Relevanz bei der Bildung des Gesamt-GdB zu. Gleichzeitig stellte der Beklagte fest, dass eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit („d. E.“) nicht gegeben sei. Den gegen den Bescheid erhobenen Widerspruch wies der Beklagte nach Einholung erneuter ärztlicher Auskünfte der Internistin Prof. Dr. S vom 27. April 2005 und der praktischen Ärztin R vom 24. September 2005 sowie von versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. S vom 20. Oktober 2005 und der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. F vom 13. Dezember 2005 mit Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2006 zurück.

Die Klägerin hat am 21. Februar 2006 Klage vor dem Sozialgericht Neuruppin erhoben, mit der sie die Feststellung eines Gesamt-GdB von wenigstens 50 begehrt hat.

Das Sozialgericht hat einen Befundbericht der Internistin Prof. Dr. S vom 26. September 2006 und des Arztes für Augenheilkunde Dr. Dr. B vom 17. Oktober 2006 eingeholt. Der Beklagte hat versorgungsärztliche Stellungnahmen des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. G vom 2. August 2006 und des Versorgungsarztes Dr. J vom 13. November 2006 zu den Gerichtsakten gereicht.

Sodann hat das Sozialgericht den Chirurgen und Sozialmediziner Dr. B mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Dieser gelangt nach ambulanter Untersuchung der Klägerin in seinem Gutachten vom 13. April 2007 zu der Einschätzung, dass folgende Funktionsbeeinträchtigungen gegeben seien:

Diabetes mellitus (Einzel-GdB 40)
Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule (Einzel-GdB 10)
Bluthochdruck (Einzel-GdB 10).

Der Diabetes mellitus sei unter Ausschöpfung des maximalen Ermessenspielraumes bewertet worden. Nach Untersuchung der Klägerin und Auswertung des MRT-Untersuchungsbefundes der Ärztin für Radiologie Sch vom 27. Februar 2007 sowie der Röntgenbefunde der Fachärzte für Orthopädie/Chirotherapie Dipl.-med. R/Dipl.-med. K vom 7. Februar 2007 seien im Hals- und Brustwirbelsäulenabschnitt keine funktionellen Auswirkungen und im Bereich der Lendenwirbelsäule infolge Bandscheibenvorfalls (L 5/S 1) nur geringe funktionelle Auswirkungen aufgrund einer geringfügigen Fehlhaltung und aufgrund von geringfügigen Verschleißerscheinungen festzustellen. Der Gesamt-GdB betrage seit März 2004 durchgängig 40.

Nachdem die Klägerin eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes geltend gemacht hatte, hat das Sozialgericht einen Befundbericht des Facharztes für Orthopädie Dipl.-med. K vom 27. November 2007 eingeholt. Hierzu hat der Beklagte eine versorgungsärztliche Stellungnahme der Versorgungsärztin Dr. W vom 28. Januar 2008 zu den Gerichtsakten gereicht.

Sodann hat das Sozialgericht den Facharzt für Orthopädie Dr. M mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Dieser gelangt nach ambulanter Untersuchung der Klägerin in seinem Gutachten vom 4. März 2008 nebst ergänzender Stellungnahme vom 12. Juni 2008 zu der Einschätzung, dass bei der Klägerin folgende Funktionsbehinderungen vorlägen:

Diabetes mellitus (Einzel-GdB 40)
Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Einzel-GdB 30)
Bluthochdruck (Einzel-GdB 10).

Die Fettstoffwechselstörung, die Schilddrüsenvergrößerung sowie die überdies bestehende Allergie bedingten keinen GdB. Aufgrund des chronischen Zervikal-Syndroms mit Ausstrahlung in die Arme, des chronischen Lumbal-Syndroms mit Ausstrahlung in die Beine, der Bandscheibenabnutzung sowie des Bandscheibenvorfalls L5/S1 seien degenerative Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten gegeben. Die genannten Funktionsbeeinträchtigungen bestünden nach Aussage der Klägerin seit Jahren. Eine Veränderung seit dem Antragsmonat (März 2004) sei nicht gegeben. Der GdB sei insgesamt mit 50 zu bemessen.

Der Beklagte hat versorgungsärztliche Stellungnahmen der Versorgungsärztin Dr. W vom 22. April 2008 und vom 20. Januar 2009 sowie der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. F vom 20. August 2008 zu den Gerichtsakten gereicht.

Mit Urteil vom 12. Februar 2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von wenigstens 50. Die Kammer folge dem Gutachter Dr. B, der zutreffend von einem GdB von 40 ausgegangen sei. Dem Gutachter Dr. M könne demgegenüber nicht gefolgt werden. Angesichts dessen, dass er weitgehend dieselben Untersuchungsbefunde erhoben habe wie der Gutachter Dr. B, diese Untersuchungsbefunde jedoch Funktionsbeeinträchtigungen nur in einem Wirbelsäulenabschnitt erkennen ließen, sei das Wirbelsäulenleiden nicht mit 30, sondern (weiterhin) nur mit 10 zu bemessen.

Gegen das ihr am 19. März 2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16. April 2009 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt, die sie zuletzt auf die Feststellung eines GdB von 50 beschränkt hat.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass mit Dr. M das Wirbelsäulenleiden mit 30 zu bemessen sei, da schwere Funktionsbeeinträchtigungen in allen Wirbelsäulenabschnitten gegeben seien. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen des Orthopäden Dipl.-med. K in seiner Stellungnahme vom 27. April 2009. Die Feststellung eines Gesamt-GdB von 50 sei jedenfalls jetzt gerechtfertigt, weil sie am 29. Januar 2010 einen Hirnstamminfarkt erlitten habe, der Folge ihres Diabetes mellitus und ihres Bluthochdruckleidens sei. Hierzu überreicht sie eine Epikrise der O Kliniken GmbH vom 10. Februar 2010 über ihren dortigen stationären Aufenthalt vom 29. Januar bis zum 4. Februar 2010 sowie den Reha-Entlassungsbericht der B Klink B vom 24. März 2010, in der sie vom 10. Februar bis zum 24. März 2010 stationär behandelt worden war.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 12. Februar 2009 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 30. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2006 zu verpflichten, für die Klägerin ab dem 17. März 2004 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er überreicht eine Stellungnahme der Versorgungsärztin Dr. H vom 7. Juni 2010, nach der der erlittene Hirnstamminfarkt als vorübergehende Gesundheitsstörung einzustufen sei und deshalb nicht zu einem höheren GdB führen könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung, mit der die Klägerin für die Zeit ab dem 17. März 2004 (Antragstellung) inzwischen nur noch die Feststellung eines GdB von 50 begehrt, ist zulässig, jedoch unbegründet. Das nur noch eingeschränkt zur Überprüfung gestellte Urteil des Sozialgerichts ist zutreffend.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Denn der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die von ihr begehrte Feststellung.

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch (SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Bei der Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, sind für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 (grundsätzlich) die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (vormals Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung) herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) in ihrer jeweils geltenden Fassung (hier maßgeblich Ausgaben 2004, 2005 und 2008 – AHP 2004, 2005 und 2008) zu beachten, die gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX für die Zeit ab dem 1. Januar 2009 durch die in der Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG - Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) - vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I, Seite 2412) festgelegten „versorgungsärztlichen Grundsätze“ abgelöst worden sind. Die AHP sind zwar kein Gesetz und sind auch nicht aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung erlassen worden. Es handelt sich jedoch bei ihnen um eine auf besonderer medizinischer Sachkunde beruhende Ausarbeitung im Sinne von antizipierten Sachverständigengutachten, die die möglichst gleichmäßige Handhabung der in ihnen niedergelegten Maßstäbe im gesamten Bundesgebiet zum Ziel hat. Die AHP engen das Ermessen der Verwaltung ein, führen zur Gleichbehandlung und sind deshalb auch geeignet, gerichtlichen Entscheidungen zugrunde gelegt zu werden. Gibt es solche anerkannten Bewertungsmaßstäbe, so ist grundsätzlich von diesen auszugehen (vgl. z. B. Bundessozialgericht – BSG –, BSGE 91, 205), weshalb sich auch der Senat für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 grundsätzlich auf die genannten AHP stützt. Für die Zeit ab dem 1. Januar 2009 ist demgegenüber für die Verwaltung und die Gerichte die zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretene Anlage zu § 2 VersMedV maßgeblich, mit der die in den AHP niedergelegten Maßstäbe mit lediglich redaktionellen Anpassungen in eine normative Form gegossen worden sind, ohne dass die bisherigen Maßstäbe inhaltliche Änderungen erfahren hätten.

Einzel-GdB sind entsprechend diesen Maßstäben als Grad der Behinderung in Zehnergraden entsprechend den Maßstäben des § 30 Abs. 1 BVG zu bestimmen. Für die Bildung des Gesamt-GdB bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen sind nach § 69 Abs. 3 SGB IX die Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander zu ermitteln, wobei sich nach Teil A Nr. 3 a) der Anlage zu § 2 VersMedV (Seite 10; ebenso bereits Teil A Nr. 19 AHP 2004, 2005 und 2008, Seite 24 ff.) die Anwendung jeglicher Rechenmethode verbietet. Vielmehr ist zu prüfen, ob und inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen oder ob und inwieweit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden oder gegenseitig verstärken. Dabei ist in der Regel von einer Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden, wobei die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden dürfen. Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB-Grad von 10 bedingen, führen grundsätzlich nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung; auch bei leichten Funktionsstörungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 3 d) aa) – ee) der Anlage zu § 2 VersMedV, Seite 10; ebenso zuvor AHP 2004, 2005 und 2008 Teil A Nr. 19 Abs. 1, 3 und 4, Seite 24 ff.).

Hiervon ausgehend hat die Klägerin keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50 ab dem 17. März 2004. Denn den bei ihr bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen wird mit dem von dem Beklagten festgestellten Gesamt-GdB von 40 seit dem 17. März 2004 durchgehend angemessen Rechnung getragen.

Der Beklagte hat die bei der Klägerin von dem Diabetes mellitus als dem führenden Leiden ausgehenden Beeinträchtigungen zu Recht mit einem Einzel-GdB von 40bewertet.

Abweichend von den vorstehenden Grundsätzen legt der Senat bei der Beurteilung der von einem Diabetes mellitus ausgehenden Funktionsbeeinträchtigungen für Zeiträume bis zum 31. Dezember 2008 allerdings nicht die AHP in ihrer jeweiligen Fassung zugrunde, sondern geht insoweit von der Tabelle aus, deren Anwendung der Ärztliche Sachverständigenbeirat „Versorgungsmedizin“ beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) den zuständigen obersten Landesbehörden bis zu einer endgültigen Klärung der Frage der GdB-Bewertung bei Diabetes mellitus empfohlen hat (siehe Rundschreiben des BMAS vom 22. September 2008 – IV C 3 - 48064 - 3). Diese Tabelle ist entwickelt worden, nachdem das Bundessozialgericht – BSG – mit seinem Urteil vom 24. April 2008 - B 9/9a SB 10/06 -, zitiert nach juris, entschieden hatte, dass die Nr. 26.15 der AHP 1996 und 2004 (und damit auch die Nr. 26.15 der AHP 2005 und 2008) nur mit gewissen Maßgaben dem höherrangigen Recht und dem Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht. Sie ersetzt die entsprechende Nummer in den AHP (vgl. BSG, Urteil vom 11. Dezember 2008 – B 9/9a SB 4/07 R –, zitiert nach juris) und sieht für die GdB-Bewertung folgende Einteilung vor:

Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus)

mit Diät allein (ohne blutzuckerregulierende Medikamente)

 0

mit Medikamenten eingestellt, die die Hypoglykämieneigung nicht erhöhen

10

mit Medikamenten eingestellt, die die Hypoglykämieneigung erhöhen

20

unter Insulintherapie, auch in Kombination mit anderen blutzuckersenkenden Medikamenten, je nach Stabilität der Stoffwechsellage (stabil oder mäßig schwankend)

30-40

unter Insulintherapie instabile Stoffwechsellage einschließlich gelegentlicher schwerer Hypoglykämien

50

Häufige, ausgeprägte oder schwere Hypoglykämien sind zusätzlich zu bewerten.

Schwere Hypoglykämien sind Unterzuckerungen, die eine ärztliche Hilfe erfordern.

Mangels endgültiger Klärung der GdB-Bewertung bei Diabetes mellitus ist diese (vorläufige) Tabelle als Teil B Nr. 15.1 in die seit dem 1. Januar 2009 maßgebliche Anlage zu § 2 VersMedV (siehe dort Seite 73 f.) übernommen worden und findet deshalb auch für Zeiten ab dem 1. Januar 2009 weiterhin Anwendung (vgl. BSG, Urteil vom 23. April 2009 – B 9 SB 3/08 R –, zitiert nach juris).

Wie das BSG zu den in der Tabelle geregelten Vorgaben entschieden hat, können sie jedoch nicht abschließende Grundlage für die Beurteilung des GdB bei Diabetes mellitus sein (BSG a.a.O). Denn sie erfassen zwar mit dem Begriff der Einstellbarkeit die für die GdB-Beurteilung wesentliche Frage, ob bei den betroffenen behinderten Menschen eine stabile oder instabile Stoffwechsellage besteht, nicht jedoch den aufgrund von § 69 Abs. 1 Satz 4 (vormals Satz 3) SGB IX darüber hinaus zwingend zu berücksichtigenden medizinisch notwendigen Therapieaufwand, der erforderlich ist, um eine bestimmte Einstellungsqualität zu erreichen. Dieser Therapieaufwand kann je nach Umfang dazu führen, dass der anhand der Einstellungsqualität des Diabetes mellitus beurteilte GdB auf den zunächst höheren Zehnergrad festzustellen ist, was nicht nur für die Zeiten bis zum 31. Dezember 2008 gilt, in denen die AHP in der Fassung der Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats „Versorgungsmedizin“ beim BMAS heranzuziehen sind, sondern auch für die Zeiten ab dem 1. Januar 2009 zu beachten ist, für die die Regelungen der Anlage zu § 2 VersMedV Anwendung finden. Dass diese Regelungen in Form einer Rechtsverordnung erlassen worden sind und damit Verwaltung und Gerichte grundsätzlich binden, steht der ergänzenden Berücksichtigung des jeweiligen Therapieaufwands nicht entgegen. Denn wie das BSG weiter entschieden hat (BSG a.a.O.), verstößt Teil B Nr. 15. 1 der Anlage zu § 2 VersMedV (vgl. Seite 73 f.) gegen § 69 Abs. 1 Satz 4 (vormals Satz 3) SGB IX, soweit der Therapieaufwand danach nicht zu berücksichtigen ist, und bindet die Rechtsanwender nicht. Dieser Rechtsprechung des BSG schließt sich der Senat in jeder Hinsicht an.

Sie zugrunde gelegt ist für den vorliegenden Fall davon auszugehen, dass die von dem bei der Klägerin bestehenden Diabetes mellitus ausgehenden Funktionsbeeinträchtigungen seit dem 17. März 2004 durchgängig mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten sind. Denn wie sich den zahlreichen Arztbriefen und Auskünften ihrer behandelnden Ärztinnen Prof. Dr. S und R entnehmen lässt, die die Sachverständigen Dr. B und Dr. M übereinstimmend zur Grundlage ihrer diesbezüglichen Ausführungen gemacht haben, ist die Zuckerkrankheit der Klägerin in Kombination mit anderen blutzuckersenkenden Medikamenten mit Insulin zu behandeln,

wobei die Stoffwechsellage als allenfalls mäßig schwankend zu bezeichnen ist. Gelegentliche schwere Hypoglykämien sind nicht belegt. Diesen Therapieerfolg erreicht die Klägerin mit einem Therapieaufwand, dessen Umfang nicht so beträchtlich ist, als dass er dazu führen könnte, den sich aus der oben wiedergegebenen (vorläufigen) Tabelle bzw. Teil B Nr. 15. 1 der Anlage zu § 2 VersMedV ergebenden GdB von maximal 40 im Sinne der Rechtsprechung des BSG um 10 zu erhöhen. Die Klägerin muss zwar mehrfach am Tag und gelegentlich auch in der Nacht die Blutzuckerwerte kontrollieren und sich ebenfalls mehrfach am Tag Insulin spritzen. Ferner ist sie gehalten, eine bestimmte Diät einzuhalten und in bestimmten zeitlichen Abständen zu essen, was die behandelnde Internistin Prof. Dr. S für die erreichte Stoffwechsellage für von zentraler Bedeutung erachtet hat. Im Vergleich zu anderen Behinderungen sind die hiermit verbundenen Beeinträchtigungen jedoch noch nicht als GdB-relevant zu bezeichnen, weil sie jeweils nur zu kurzen Unterbrechungen des üblichen Tagesablaufs führen und sich als weitgehend planbar erweisen.

Hinsichtlich des bei der Klägerin bestehenden Bluthochdruckleidens geht der Senat davon aus, dass die hieraus resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen nach Teil A Nr. 26.9 AHP 2004, 2005 und 2008, Seite 75 f., bzw. Teil B Nr. 9.3 der Anlage zu § 2 VersMedV (Seite 51) seit dem 17. März 2004 als lediglich gering anzusehen und deshalb durchgängig mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten sind. Diese Bewertung entspricht der insoweit übereinstimmenden Einschätzung der Sachverständigen Dr. B und Dr. M in ihren Gutachten vom 13. April 2007 und 4. März 2008, gegen deren Richtigkeit durchgreifende Bedenken nicht bestehen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin sind auch die von ihrem Wirbelsäulenleiden ausgehenden Funktionsbeeinträchtigungen nur mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Nach Teil A Nr. 26.18 der AHP 2004, 2005 und 2008, Seite 116 f., sowie Teil B Nr. 18.9 der Anlage zu § 2 VersMedV, Seite 90, sind Wirbelsäulenschäden u. a. mit folgendem GdB zu bewerten:

Wirbelsäulenschäden

mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome)

10

mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome)

20

mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome)

30

mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten

30-40.

Hiervon ausgehend folgt der Senat der Einschätzung des Sachverständigen Dr. B, dass bei der Klägerin allenfalls geringe funktionelle Auswirkungen der Schädigung der Wirbelsäule vorhanden sind, die einen GdB von 10 bedingen. Dr. B hat insoweit nachvollziehbar und überzeugend anhand der von ihm durchgeführten Beweglichkeitsprüfung dargelegt, dass eine wesentliche Einschränkung der Beweglichkeit in keinem Wirbelsäulenabschnitt gegeben sei und lediglich eine geringfügige Fehlhaltung und geringfügige Verschleißerscheinungen bestünden. Soweit im Gegensatz hierzu der Sachverständige Dr. M von mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten ausgeht, die einen GdB von 30 bedingen würden, vermag sich der Senat dieser Einschätzung nicht anzuschließen. Denn das Vorliegen einer derart schwerwiegenden Wirbelsäulenschädigung wird durch die von ihm erhobenen Untersuchungsbefunde nicht belegt. Vielmehr gelangt der Sachverständige Dr. M aufgrund der von ihm durchgeführten Beweglichkeitsprüfung der Wirbelsäule der Klägerin zu Untersuchungsergebnissen, die mit den Feststellungen, wie sich durch den Sachverständigen Dr. B getroffen worden sind, nahezu identisch sind. Vor diesem Hintergrund kann der Einschätzung des Sachverständigen Dr. M nicht gefolgt werden, der auch in seiner ergänzenden Stellungnahme keine nachvollziehbare Begründung für die von ihm vorgenommene Bewertung bestehender Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule gegeben hat. Funktionelle Auswirkungen der Schädigung der Wirbelsäule, die einen höheren GdB als 10 bedingen, lassen sich schließlich auch nicht der Stellungnahme des die Klägerin behandelnden Orthopäden Dipl.-med. K vom 27. April 2009 entnehmen, mit der allenfalls das Bestehen degenerativer Wirbelsäulenerkrankungen, nicht jedoch das Ausmaß ihrer funktionellen Auswirkungen belegt wird. Dafür, dass das Wirbelsäulenleiden im vorliegenden Fall allenfalls geringe Funktionsbeeinträchtigungen zur Folge hat, spricht schließlich auch, dass die Klägerin weiterhin als Sportlehrerin tätig ist.

Für den von der Klägerin am 29. Januar 2010 erlittenen Hirnstamminfarkt ist ein Einzel-GdB nicht anzusetzen. Denn abgesehen davon, dass anders als in dem Entlassungsbrief der O Kliniken GmbH vom 10. Februar 2010 in dem Reha-Entlassungsbericht der Br Klinik vom 24. März 2010 insoweit sogar nur von einer Verdachtsdiagnose die Rede ist, lässt sich hieraus zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats noch keine mehr als 6 Monate dauernde Gesundheitsstörung ableiten, die jedoch für die Feststellung eines GdB erforderlich wäre, vgl. § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX i. V. m. § 30 Abs. 1 Satz 3 BVG sowie Teil A Nr. 2 f) der Anlage zu § 2 VersMedV, Seite 9. Vielmehr ist dem Reha-Entlassungsbericht zu entnehmen, dass derzeit eine allenfalls vorübergehende und damit GdB-irrelvante Gesundheitsstörung gegeben ist. Denn die Klägerin wurde ausweislich dieses Berichtes nur mit geringgradigen Funktionsbehinderungen in der Rehabilitationsklinik aufgenommen und ohne Funktionsbehinderungen aus ihr wieder entlassen. Ob sich aus dem akuten Ereignis vom 29. Januar 2010 eine dauerhafte Gesundheitsstörung im Sinne einer Hirnschädigung nach Maßgabe von Teil B Nr. 3.1 der Anlage zu § 2 VersMedV, Seite 20, entwickeln wird, bleibt abzuwarten.

Weitere GdB-relevante Funktionsbeeinträchtigungen lassen sich zur Überzeugung des Senats den vorhandenen medizinischen Unterlagen nicht entnehmen, so dass der Gesamt-GdB letztlich allein mit Blick auf den Diabetes mellitus auf 40 festzustellen ist. Die jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewertenden Wirbelsäulen- bzw. Bluthochdruckleiden wirken sich wegen ihrer Geringfügigkeit auf die Höhe des Gesamt-GdB nicht aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits in der Sache selbst.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil ein Grund hierfür gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.