Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 1. Senat | Entscheidungsdatum | 24.08.2012 | |
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Aktenzeichen | OVG 1 S 44.12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 56 AEUV, § 80 Abs 5 VwGO, § 146 Abs 4 VwGO, § 4 Abs 1 GlüStVtr BE, § 4 Abs 4 GlüStVtr BE, § 9 Abs 1 S 3 Nr 3 GlüStVtr BE, § 4 Abs 4 GlüÄndStVtr BE 1, § 4 Abs 5 GlüÄndStVtr BE 1 |
Auf der Grundlage des zum 1. Juli 2012 im Land Berlin in Kraft gesetzten geänderten Glücksspielstaatsvertrages kann eine nach bisheriger Rechtslage erlassene umfassende Untersagungsverfügung gegenüber einem Konzessionsbewerber für die Veranstaltung von Sportwetten nicht mehr aufrechterhalten werden.
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 21. Februar 2012 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 25.000 EUR festgesetzt.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Zwar mag auf der Grundlage der Rechtslage bei Erlass der in der Hauptsache angefochtenen sofort vollziehbaren Untersagungsverfügung vom 24. August 2011 viel für deren Rechtmäßigkeit im Sinne der Beschwerdebegründung gesprochen haben, weil das über das Internet verbreitete Sportwett- und Glücksspielangebot der Antragstellerin gegen das materielle Verbot der Veranstaltung von öffentlichen Glücksspielen im Internet gemäß § 4 Abs. 4 GlüStV 2008 verstieß (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011 – 8 C 5.10 – BVerwGE 140, 1) und es entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts im Ordnungsrecht Sache des Handlungspflichtigen ist, eine von ihm eröffnete Gefahrenquelle wieder zu verschließen, ohne dass es insoweit auf Überlegungen zu dem dafür erforderlichen Aufwand ankäme (vgl. Senatsbeschluss vom 16. März 2009 – OVG 1 S 224.08 – juris). Dass der Antragsgegner insoweit ermessensfehlerhaft nicht berücksichtigt hätte, dass seine Macht zur Begrenzung des Interneteinflusses nicht weiter als die Macht des maltesischen Lizenzgebers der Antragstellerin reicht, verfehlt die Problematik schon deshalb, weil es die Antragstellerin ist, die die regionalen Einschränkungen ihrer Betätigung zu beachten hat. Insofern durfte der Antragsgegner zugrunde legen, dass der Antragstellerin das seit Januar 2008 in der gesamten Bundesrepublik Deutschland einheitlich geltende Verbot der Veranstaltung im Internet bekannt sein musste, so dass sie über einen langen Zeitraum vor Erlass der streitbefangenen Verfügung Gelegenheit hatte, Vorkehrungen dafür zu treffen, dass ihr in Deutschland illegales Angebot dort nicht verbreitet werden kann. Unmögliches wurde ihr damit nicht abverlangt, da sie nötigenfalls ihr Internetangebot auch völlig hätte einstellen können. Zweifelhaft erscheint indessen, wenn der Antragsgegner schon in der Begründung des angefochtenen Bescheides zum Ausdruck bringt, seine Ordnungsverfügung unabhängig vom Eingreifen materieller Verbote auf den Verstoß gegen den in § 4 Abs. 1 GlüStV enthaltenen allgemeinen Erlaubnisvorbehalt, die Strafbarkeit unerlaubter öffentlicher Glücksspiele nach § 284 StGB und irgendwelche mit der Veranstaltung unerlaubter Glücksspiele verbundene Gefahren stützen zu können. Der Erlaubnisvorbehalt rechtfertigt eine vollständige Untersagung nur bei Fehlen der Erlaubnisfähigkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011 – 8 C 2.10 – juris Rn. 55). Der Erlaubnisvorbehalt und die Strafvorschrift greifen nämlich nur, soweit sie der Durchsetzung von Beschränkungen des öffentlichen Glücksspiels dienen, die ihrerseits sowohl nach ihrem materiellen Gehalt als auch nach der tatsächlichen Anwendung mit höherrangigem Recht, insbesondere den europarechtlich garantierten Grundfreiheiten, vereinbar sind. Sie greifen insbesondere dann nicht, wenn sich einzelne Reglementierungen des öffentlichen Glücksspiels nicht als systematische und kohärente Beschränkungen einer grenzüberschreitenden Betätigung innerhalb der europäischen Union im Interesse legitimer Allgemeinwohlziele erweisen (vgl. EuGH, Urteile vom 6. März 2007 – Rs. C- 338/04 u.a. – Placanica u.a., juris Rn. 53, 65 ff. sowie vom 6. November 2003 – Rs. C-243/01 – Gambelli, juris Rn. 57, 67 ff.).
Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts erweist sich aber aufgrund geänderter Rechtslage in der Sache als richtig. Die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Untersagungsverfügung beurteilt sich nach dem Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung, denn es handelt sich insoweit um einen lediglich durch das Vorliegen einer behördlichen Genehmigung auflösend bedingten Dauerverwaltungsakt (vgl. zu den Auswirkungen: BVerwG, Beschluss vom 5. Januar 2012 – 8 B 62.11 – Rn. 13 m.w.N.). Insoweit unterliegt die Rechtmäßigkeit nunmehr ernstlichen Zweifeln. Denn mit der vorliegenden Begründung hätte der Antragsgegner entgegen seiner im Beschwerdeverfahren nach entsprechender Anhörung dargelegten Auffassung die streitgegenständliche Verfügung nach Inkrafttreten des Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrages zum 1. Juli 2012 (vgl. Bekanntmachung vom 10. Juli 2012, GVBl. S. 249) nicht mehr erlassen dürfen. Denn die Neuregelung sieht zwar in § 4 Abs. 4 weiterhin ein Internetverbot vor, weicht dieses aber zugunsten von Lotterien und Sportwetten nach Maßgabe des § 4 Abs. 5 auf. Es kann danach auch nicht mehr von einem bundeseinheitlich geltenden Verbot gesprochen werden; vielmehr stellt sich die Rechtslage innerhalb Deutschlands regional unterschiedlich dar. In Schleswig-Holstein wird derzeit auf der Grundlage einer eigenständigen landesgesetzlichen Regelung ein Vertrieb über das Internet zugelassen; in Nordrhein-Westfalen, das den Änderungsstaatsvertrag noch nicht in Kraft gesetzt hat, gilt die bisherige Rechtslage landesrechtlich fort. Im Übrigen – etwa im Land Berlin - ist ein Vertrieb von Sportwetten über das Internet materiell nicht mehr generell verboten und für konzessionierte Veranstalter grundsätzlich erlaubnisfähig. Es steht auch zu erwarten, dass sich Großanbieter, zu denen die Antragstellerin zählt, nicht ohne Chancen auf einen Zuschlag an dem Konzessionsvergabeverfahren beteiligen werden; jedenfalls hat die Antragstellerin diese Absicht im Beschwerdeverfahren bekundet und es erscheint keineswegs sicher, dass ihr – wie der Antragsgegner angedeutet hat - ihr früheres verbotswidriges Verhalten im Rahmen einer auf die Zukunft gerichteten Zuverlässigkeitsprognose entgegengehalten werden kann. Der Antragsgegner kann sich jetzt nicht mehr auf ein allgemeines Verbot der Veranstaltung im Internet berufen, das – wie ausgeführt - Voraussetzung dafür ist, dass der Erlaubnisvorbehalt und die Strafvorschrift des § 284 StGB der Betätigung entgegenstehen. Vielmehr lässt sich eine vollständige Untersagung im Hinblick auf ein künftig unter bestimmten Umständen erlaubnisfähiges Verhalten nicht mehr rechtfertigen; um dem Übermaßverbot zu genügen, muss sich eine Ordnungsverfügung gegenüber der Antragstellerin bis zur Vergabeentscheidung über die Konzessionen an den Maßgaben für die Öffnung des Internets für Sportwetten orientieren. Es wäre nicht angemessen und im Übrigen auch eine unverhältnismäßige Beschränkung der europäischen Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV), der in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässigen Antragstellerin im Land Berlin eine gewerbliche Betätigung zu untersagen, die sie nach Erteilung der Konzession hier ausüben dürfte. Es ist auch unter dem Gesichtspunkt einer Durchsetzung des Rechts, insbesondere des Erlaubnisvorbehalts oder eines Schutzes des Verfahrens zur Konzessionsvergabe, keine andere Sichtweise geboten. Insoweit kann offenbleiben, ob anderes für die Veranstaltung von Sportwetten im Internet durch Anbieter zu gelten hat, die sich nicht am Konzessionsvergabeverfahren beteiligen. Die Verbotslage lässt sich gegenüber nicht konzessionierten Anbietern auch noch nach Abschluss der Konzessionsvergabe mit den im geltenden Recht vorgesehenen Instrumenten durchsetzen, wenn sich das Konzessionsverfahren selbst als mit höherrangigem Recht vereinbar erweisen sollte, was zu prüfen das vorliegende vorläufige Rechtsschutzverfahren noch keinen Anlass gibt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG, wobei es der Senat – schon in Ermangelung hinreichend konkreter Anhaltspunkte für eine andere Wertbemessung – entsprechend seiner bisherigen Praxis bei dem hälftigen Betrag des in der Untersagungsverfügung angedrohten Zwangsgeldes belassen hat.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).