Gericht | ArbG Frankfurt (Oder) 6. Kammer | Entscheidungsdatum | 17.04.2013 | |
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Aktenzeichen | 6 Ca 1754/12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 1 AÜG, § 5 AÜG |
Die Klage wird abgewiesen.
Die Parteien streiten um den Bestand eines Arbeitsverhältnisses.
Die Klägerin stand ausweislich des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 04.04.2011 seit dem 05.04.2011 zu der Fa. T in einem Arbeitsverhältnis als Sortiererin/technische Mitarbeiterin im Rahmen einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden zu einer Bruttostundenvergütung in Höhe von 8,24 Euro mit Arbeitsort in F. Das Arbeitsverhältnis endete auf Grund ordentlicher betriebsbedingter Kündigung mit Ablauf des 31.12.2012.
Während des gesamten Bestandes des Arbeitsverhältnisses war die Klägerin an die Beklagte verliehen, die in F. eine Müllsortieranlage betreibt. Alleinige Gesellschafterin der Fa. T. ist die V.-Beteiligungs-Verwaltungs GmbH mit Sitz in H., der nach dem Organigramm des V.-Konzerns u. a. auch die Beklagte nachgeordnet ist.
Die Klägerin war auf der Grundlage unterschiedlicher Arbeitsverträge zu unterschiedlichen Firmen immer an derselben Müllsortieranlage in F. als gewerbliche Arbeitnehmerin tätig, zunächst vom 07.11.1996 bis zum 30.09.1997 und erneut vom 02.12.1998 bis zum 31.12.2001 auf Grund eines Arbeitsvertrages zu der Fa. R.-GmbH und vom 01.01.2002 bis zum 31.01.2007 auf Grund eines Arbeitsverhältnisses durch erfolgten Betriebsübergang mit der Fa. K. Ab dem 02.07.2007 erfolgte ihr Einsatz auf der Grundlage verschiedener Arbeitsverträge zu den Zeitarbeitsfirmen B.-GmbH, G.-GmbH und zuletzt der Fa. T..
Die Klägerin meint, das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (nachfolgend: AÜG) fingiere den Bestand eines Arbeitsverhältnisses, da ihre ausschließliche Überlassung an die Beklagte einen institutionellen Rechtsmissbrauch darstelle. Ihr jahrelanger Einsatz an der Müllsortieranlage in F. sei letztlich auf einem Dauerarbeitsplatz erfolgt und dadurch nicht nur vorübergehend gewesen.
Die Klägerin beantragt:
Es wird festgestellt, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht - und zwar seit dem 05.04.2011, spätestens seit dem 01.12.2011, als Sortiererin/Anlagenfahrerin in der Sortieranlage in F. bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden zu einer Bruttostundenvergütung in Höhe von 8,24 Euro.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint, die Voraussetzungen für das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses in Folge der Arbeitnehmerüberlassung durch die Fa. T. lägen nicht vor. Die Fa. T sei nach dem Bescheid der Bundesagentur für Arbeit – Regionaldirektion R, vom 26.09.2011 bereits seit März 2011 im Besitz einer unbefristeten Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung. Von den durchschnittlich von ihr ca. 1.200 beschäftigten Arbeitnehmern in der Region Ost seien nur 6 bis 8 Leiharbeitnehmer von der Fa. T. entliehen und weitere Leiharbeitnehmer von nicht konzernangehörigen, regionalen Zeitarbeitsfirmen. Keiner der Leiharbeitnehmer werde ihrer Rechtsauffassung nach auf einem Dauerarbeitsplatz eingesetzt, sondern unterstütze in Zeiten erhöhten Arbeitsanfalls lediglich die Arbeit der Stammarbeitnehmer.
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin vermag die Kammer nicht zu dem Schluss zu gelangen, dass ein Arbeitsverhältnis der Parteien begründet worden ist – und zwar weder mit Wirkung zum 05.04.2011 noch hilfsweise mit Wirkung zum 01.12.2011 oder einem späteren Zeitpunkt.
1.
Zwischen den Parteien ist kein Arbeitsverhältnis auf Grund gesetzlicher Fiktion durch unmittelbare Anwendung der §§ 10 Abs. 1 Satz 1, 9 Nr. 1 AÜG zustande gekommen.
a)
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG gilt ein Arbeitsverhältnis zwischen einem Entleiher und einem Leiharbeitnehmer als zustande gekommen, wenn der Vertrag zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam ist. Unwirksam nach § 9 Nr. 1 AÜG sind Verträge zwischen Verleihern und Entleihern sowie zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern, wenn der Verleiher nicht die nach § 1 AÜG zur Arbeitnehmerüberlassung erforderliche Erlaubnis hat.
b)
Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben, nachdem durch Bescheid der Bundesagentur für Arbeit – Regionaldirektion R. – vom 26.09.2011 nachgewiesen ist, dass die Fa. T. die erforderliche behördliche Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages mit der Klägerin (04.04.2011) und der nachfolgenden Überlassung an die Beklagte für den gesamten Zeitraum der Entleihe (05.04.2011 bis zum 31.12.2012) gemäß § 1 AÜG besaß.
aa)
Die in § 1 AÜG geregelte Erlaubnispflicht stellt regelungstechnisch ein gesetzliches Verbot mit Erlaubnisvorbehalt dar.
bb)
Zum 01.12.2011 ist § 1 AÜG n. F. durch Einfügen des Abs. 1 Satz 2 in Kraft getreten, nach dem die Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher nur noch „vorübergehend“ erfolgt. Hierdurch wollte der Gesetzgeber die Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.11.2008 über Leiharbeit (nachfolgend: Leiharbeitsrichtlinie) umsetzen. Art. 2 der Leiharbeitsrichtlinie schreibt als Ziel fest, für den Schutz der Leiharbeitnehmer zu sorgen und die Qualität der Leiharbeit zu verbessern. Art. 3 der Leiharbeitsrichtlinie stellt im Rahmen der dortigen Begriffsbestimmungen durchgängig auf die „vorübergehende“ Überlassung der Leiharbeitnehmer an den Entleiher ab und sieht in Art. 5 Abs. 5 vor, dass die Mitgliedsstaaten die erforderlichen Maßnahmen gemäß ihren nationalen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten ergreifen, um insbesondere aufeinanderfolgende Arbeitnehmerüberlassungen, mit denen die Bestimmungen der Richtlinie umgangen werden sollen, zu verhindern. Hieraus ergibt sich zur Überzeugung der Kammer, dass jedenfalls eine Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher dann nicht mehr der in der Leiharbeitsrichtlinie geforderten „vorübergehenden“ Überlassung entspricht, wenn hierdurch ein Dauerbeschäftigungsbedarf abgedeckt wird; insoweit ist der Begriff der „vorübergehenden“ Arbeitnehmerüberlassung arbeitsplatz- und nicht arbeitnehmerbezogen zu verstehen (str., diese Frage ist noch nicht rechtskräftig entschieden, wie hier: LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.12.2012 – 4 TaBV 1163/12 – Juris, Rechtsbeschwerde beim BAG eingelegt unter dem Aktenzeichen 7 ABR 8/13, m. w. ausführlichen Nachweisen zum Streitstand).
cc)
Mit dem Willen des Gesetzgebers, durch Einfügen des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG mit Wirkung zum 01.12.2011 die Leiharbeitsrichtlinie umzusetzen, für die die Umsetzungsfrist gemäß Art. 11 der Leiharbeitsrichtlinie am 05.12.2011 ablief, ist zur Überzeugung des erkennenden Gerichts hinreichend klargestellt, dass der aus der Leiharbeitsrichtlinie wörtlich übernommene Begriff „vorübergehend“ in § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG mit dem Begriff „vorübergehend“ in der Leiharbeitsrichtlinie identisch ist. Einer richtlinienkonformen Auslegung bedarf es insoweit nicht. Die Besetzung eines Dauerarbeitsplatzes und die Deckung eines dauerhaften Beschäftigungsbedarfs mittels eines Leiharbeitnehmers ist damit seit dem 01.12.2011 nicht mehr nur „vorübergehend“ und dadurch nicht mehr erlaubnisfähig i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG ist (str., wie hier: LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.12.2012 – 4 TaBV 1163/12 – a. a. O., m. w. N.; LAG Berlin-Brandenburg, Teilurteil vom 09.01.2013 – 15 Sa 1635/12 – Juris, nicht rechtskräftig, Revision beim BAG anhängig unter dem Aktenzeichen 9 AZR 268/13).
Dies führt vorliegend allerdings nicht dazu, dass sich die der Fa. T. noch nach altem Recht erteilte behördliche Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung durch Inkrafttreten der Änderung des § 1 AÜG mit Wirkung zum 01.12.2011 ohne ein Handeln der Erlaubnisbehörde automatisch auf eine nur „vorübergehende“ Arbeitnehmerüberlassung beschränkt. Die Fa. T. ist ab diesem Zeitpunkt nicht so zu behandeln, als sei sie nicht mehr im Besitz der behördlichen Erlaubnis, wenn der Einsatz der Klägerin bei der Beklagten der Deckung eines Dauerbeschäftigungsbedarfs diente (für eine automatische Beschränkung der behördlichen Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung durch Änderung des § 1 AÜG zum 01.12.2011 in seiner Hilfsbegründung: LAG Berlin-Brandenburg, Teilurteil vom 09.01.2013 – 15 Sa 1635/12 – a. a. O. ). Eine unmittelbare Anwendung der §§ 10 Abs. 1 Satz 1, 9 Nr. 1 AÜG mit der Rechtsfolge der gesetzlichen Fiktion eines Arbeitsverhältnisses scheitert an dem gesetzgeberischen Willen, die einmal erteilte behördliche Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung durch eine erfolgte Rechtsänderung ohne ein Handeln der Behörde beschränken zu wollen. Dies ergibt sich unmittelbar aus § 5 Abs. 1 Nr. 4 AÜG, dessen Wortlaut auch durch die letzte Neufassung des AÜG unverändert geblieben ist. Nach dieser Vorschrift „kann“ die Erlaubnis mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, wenn die Erlaubnisbehörde auf Grund einer geänderten Rechtslage berechtigt wäre, die Erlaubnis zu versagen. Diese Regelungstechnik entspricht den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts, wie sie auch in § 49 VwVfG zum Ausdruck kommt. Auch hier kann ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt nur unter bestimmten Voraussetzungen mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, so u. a. dann, wenn die Behörde auf Grund einer geänderten Rechtsvorschrift berechtigt wäre, den Verwaltungsakt – in der bestehenden Form - nicht zu erlassen (§ 49 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG). Damit geht das Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes – wie auch das der Länder – von dem Grundsatz aus, dass der Bestand eines rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt nicht durch spätere Änderungen der bei seinem Erlass maßgebenden Rechtslage berührt wird, sondern allenfalls (unter bestimmten weiteren Voraussetzungen und mit einer möglichen Entschädigungsfolge) widerrufen werden kann (so z. B. zu einer Bebauungsgenehmigung, die ebenfalls als Verbot mit Erlaubnisvorbehalt zu qualifizieren ist: BVerwG, Urteil vom 03.02.1984 – 4 C 39/82 – BVerwGE 69, 1 ff.). Das vorliegend auf Grund der Sonderregelung in § 5 Abs. 1 Nr. 4 AÜG anzuwendende Bundesrecht (in Abweichung von § 49 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG) trägt diesem Grundsatz Rechnung, auch im Hinblick auf eine mögliche Entschädigungsfolge (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 4 Abs. 2 AÜG). Die § 49 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG als Spezialregelung vorgehende Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AÜG setzt damit für den Wegfall der behördlichen Erlaubnis ein behördliches Handeln voraus, nämlich den Widerruf der erteilten Erlaubnis. Ein derartiger Verwaltungsakt liegt zum Nachteil der Fa. T. nicht vor. Auch ist nicht ersichtlich, dass § 5 Abs. 1 Nr. 4 AÜG mit seinem geforderten behördlichen Handeln gegen die Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie verstößt und diese Vorschrift deshalb nach Ablauf der Umsetzungsfrist (05.12.2011) unangewendet bleiben muss (vgl. zu dieser Rechtsfolge der Nichtanwendung nationalen Rechts bei einem Verstoß gegen eine europäische Richtlinie: EuGH, Urteil vom 19.01.2010 – C – 555/07 – Kücükdeveci - Juris, m. w. N.). Die Leiharbeitsrichtlinie kann durch Änderung des § 1 AÜG („vorübergehend“) mit Wirkung zum 01.12.2011 auch dann hinreichend umgesetzt werden, wenn die dadurch nach dem Verständnis der Kammer eingetretene Änderung der Rechtslage (nicht erlaubnisfähiges Verbot der Besetzung eines Dauerarbeitsplatzes mit einem Leiharbeitnehmer) über § 5 Abs. 1 Nr. 4 AÜG durch Anpassung der nach altem Recht erteilten behördlichen Erlaubnis erfolgt, also als weiteren Umsetzungsakt ein nationales Handeln der Erlaubnisbehörde erfordert. Soweit § 5 Abs. 1 AÜG der Behörde in diesem Zusammenhang Ermessen („kann“) einräumt, reduziert sich dieses Ermessen durch das Verbot der Besetzung von Dauerarbeitsplätzen mit Leiharbeitnehmern auf Null und wird dadurch zu einem gebundenen Verwaltungshandeln („muss“). Dass über § 5 AÜG der Erlass eines gebundenen Verwaltungsaktes notwendig wird, beschränkt als „Maßnahme gemäß den nationalen Rechtsvorschriften“ i. S. v. Art. 5 Abs. 5 der Leiharbeitsrichtlinie weder deren Schutzzweck noch führt dies zu einer (rechtlich unbeachtlichen) übergebührlichen Belastung der für die Arbeitserlaubnis zuständigen Behörden. Durch die Ermessensreduktion auf Null werden keine im Einzelfall erforderlichen Gesichtspunkte zu überprüfen sein. Im Übrigen kennt das deutsche Recht, z. B. im Anwendungsbereich des SGB II, die Änderung der Anpassung der Bescheide an die sich ständig verändernden Lebens- und Rechtsverhältnisse durch die üblichen Instrumentarien des Verwaltungsverfahrensrechts (Rücknahme und Widerruf von Verwaltungsakten gemäß §§ 48 ff. VwVfG). Dass der Widerruf nach § 5 Abs. 4 AÜG nur innerhalb eines Jahres erfolgen darf, nach dem die Behörde von den Tatsachen Kenntnis erlangt hat, die den Widerruf der Erlaubnis rechtfertigen, steht dem gefundenen Ergebnis ebenfalls nicht entgegen. Die Jahresfrist in § 5 Abs. 4 AÜG ist regelungstechnisch identisch mit § 48 Abs. 4 VwVfG, auf den § 49 VwVfG für den zukünftigen Widerruf eines begünstigenden Verwaltungsaktes verweist. Diese Jahresfrist beginnt erst zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die für die Rücknahmeentscheidung außerdem erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind (so zu § 48 Abs. 4 VwVfG: BVerwG, 2. Senat, Beschluss vom 28.01.2013 – 2 B 62/12 – Juris, m. w. N.). Daher kommt es nicht darauf an, ob die die Rücknahme rechtfertigenden Umstände bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des begünstigenden Verwaltungsaktes bekannt gewesen sind. Auch wenn der Erlass des begünstigenden Verwaltungsaktes darauf beruht, dass die Behörde den ihr vollständig bekannten Sachverhalt rechtfehlerhaft gewürdigt oder das anzuwendende Recht verkannt hat, beginnt die Jahresfrist erst mit der Kenntnis des Rechtsfehlers zu laufen (so zu § 48 Abs. 4 VwVfG: BVerwG, Beschluss vom 28.01.2013 – 2 B 62/12, a. a. O., m. w. N.; BVerwG, Urteil vom 28.06.2012 – BVerwG 2 C 13.11- NVwZ-RR 2012, 933; BVerwG, Großer Senat, Beschluss vom 19.12.1984 – GrSen 1/84 und 2/84 – BVerwGE 70, 356 ff.). Für die hier zur Entscheidung anstehende Problematik ist dies der Zeitpunkt der rechtskräftigen Klärung der Rechtsfrage, welcher Sinngehalt dem Begriff „vorübergehend“ in § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG n. F. und der Leiharbeitsrichtlinie zukommt.
2.
Das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses der Parteien kann des Weiteren nicht mit einer unmittelbaren Anwendung des § 1 Abs. 2 AÜG begründet werden. Nach dieser Vorschrift, die auch nach der Änderung des § 1 AÜG mit Wirkung zum 01.12.2011 unverändert geblieben ist, wird vermutet, dass der Überlassende Arbeitsvermittlung betreibt, wenn Arbeitnehmer Dritten zur Arbeitsleistung überlassen werden und der Überlassende nicht die üblichen Arbeitgeberpflichten oder das Arbeitgeberrisiko (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 – 3 AÜG) übernimmt.
Selbst wenn die Fa. T. die üblichen Arbeitgeberpflichten und -risiken nicht übernommen haben sollte, wofür derzeit keine hinreichenden Anhaltspunkte bestehen, ergibt sich hieraus noch nicht als Rechtsfolge das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses der Parteien.
a)
Ausgehend von der alten Rechtslage war nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. hierzu die Nachweise in BAG, Urteil vom 28.06.2000 – 7 AZR 100/99 - Juris) § 13 AÜG eine § 10 Abs. 1 AÜG ergänzende Regelung, durch die bei einer als unerlaubte Arbeitsvermittlung anzusehenden Überlassung nach §§ 1 Abs. 2, 3 Abs. 1 Nr. 6 AÜG kraft Gesetzes ein Arbeitsverhältnis mit dem Beschäftigungsunternehmen begründet wurde.
b)
Nach ersatzloser Streichung der §§ 13, 3 Abs. 1 Nr. 6 AÜG mit Wirkung zum 01.04.1997 gibt es keine entsprechende gesetzliche Grundlage für das Entstehen eines Arbeitsverhältnisses mehr. Die Entstehung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher kann allein mit § 1 Abs. 2 AÜG nicht begründet werden (so auch BAG, Urteil vom 28.06.2000 – 7 AZR 100/99 – a. a. O.). Denn § 1 Abs. 2 AÜG ist keine gesetzliche Grundlage zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses. Die Freiheit, ein Arbeitsverhältnis einzugehen oder dies zu unterlassen, ist Ausdruck der durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Vertragsfreiheit. In diese wird eingegriffen, wenn ohne die zu einem Vertragsschluss erforderlichen beiderseitigen übereinstimmenden Willenserklärung (§§ 145 ff. BGB) oder gar gegen den Willen einer oder auch beider Parteien kraft Gesetzes ein Arbeitsverhältnis begründet werden soll. Die Entscheidung des Gesetzgebers zu einem solchen Eingriff muss daher im Gesetz hinreichend deutlich zum Ausdruck kommen. Diesem Erfordernis genügt die Regelung in § 1 Abs. 2 AÜG nicht. Nach ihrem Wortlaut ist die in ihr vorgesehene Rechtsfolge gerade nicht die Begründung eines Arbeitsverhältnisses, sondern lediglich die Vermutung, dass der Überlassende Arbeitsvermittlung betreibt. Eine gesetzliche Regelung, nach der in den Fällen vermuteter Arbeitsvermittlung auch ohne Vertrag zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer kraft Gesetzes ein Arbeitsverhältnis entsteht, gibt es nicht (vgl. zu dieser Problematik: BAG, Urteil vom 28.06.2000 – 7 AZR 100/99 – a. a. O., m. w. N.; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.10.2012 – 7 Sa 1182/12 – Juris, m. w. N., nicht rechtskräftig, Revision beim BAG eingelegt unter dem Aktenzeichen 10 AZR 111/13). Sie lässt sich auch nicht im Lichte einer richtlinienkonformen Auslegung des § 1 Abs. 2 AÜG aus der Leiharbeitsrichtlinie herleiten, da dem Schutzzweck durch Einfügen des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG („vorübergehend“) Genüge getan ist.
3.
Die Entstehung eines Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher lässt sich in den Fällen der nicht nur vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung bei Besetzung eines Dauerarbeitsplatzes und Deckung eines Dauerbeschäftigungsbedarfs mit einem Leiharbeitnehmer auch nicht mit einer analogen Anwendung der §§ 10 Abs. 1, 9 Nr. 1 AÜG bzw. in den Fällen der nach § 1 Abs. 2 AÜG vermuteten Arbeitsvermittlung nicht mit einer entsprechenden Anwendung des § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG begründen.
a)
Die analoge Anwendung einer gesetzlichen Vorschrift setzt zunächst eine Regelungslücke, d. h. eine „planwidrige Unvollständigkeit“ des Gesetzes, voraus (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auflage, S. 373, zitiert nach: BAG, Urteil vom 28.06.2000 – 7 AZR 100/99 – a. a. O.).
b)
Eine solche liegt nicht vor.
(aa)
Eine planwidrige Regelungslücke lässt sich für den Fall der nicht nur vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung und der Vermutung der Arbeitsvermittlung deshalb nicht feststellen, da der Gesetzgeber § 1 AÜG und die folgenden Normen seit der Entscheidung des BAG vom 28.06.2000 (7 AZR 100/99) mehrfach geändert hat, ohne in Bezug auf die vermutete Arbeitsvermittlung (§ 1 Abs. 2 AÜG) Sanktionen oder Rechtsfolgen einzuführen, die zu der Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher führen. Im Hinblick auf die ihm bekannte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht, mit der eine solche Sanktion verneint wurde, ist davon auszugehen, dass sich der Gesetzgeber bei der letzten Änderung des AÜG mit Wirkung zum 01.12.2011 bewusst gegen eine entsprechende Sanktion entschieden hat.
(bb)
Zudem ist die Situation des Leiharbeitnehmers in den Fällen des § 1 Abs. 2 AÜG nicht vergleichbar mit der des unerlaubt überlassenen Arbeitnehmers, für den § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG das Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher fingiert. Die Bestimmung des § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG ist erforderlich, weil bei Fehlen der nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG erforderlichen Erlaubnis der Vertrag des Leiharbeitnehmers mit dem Verleiher nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam ist. Damit der Leiharbeitnehmer in diesem Fall überhaupt in einem Arbeitsverhältnis steht, fingiert § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG ein solches zum Entleiher. In den Fällen der vermuteten Arbeitsvermittlung nach § 1 Abs. 2 AÜG dagegen ist das Arbeitsverhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Verleiher gerade nicht unwirksam, weshalb es eines weiterreichenden Schutzes des Leiharbeitnehmers nicht bedarf (BAG, Urteil vom 28.06.2000 – 7 AZR 100/99 – a. a. O.; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.10.2012 – 7 Sa 1182/12 – a. a. O.). Dass die Leiharbeitsrichtlinie einen derartigen weiterreichenden Schutz erforderte, ist nicht ersichtlich.
4.
Letztlich kann auch nach § 242 BGB (Grundsatz von Treu und Glauben) der Bestand eines Arbeitsverhältnis der Parteien nicht mit der Begründung bejaht werden, die Arbeitnehmerüberlassung durch die Fa. T. sei – bei einem Einsatz der Klägerin auf einem Dauerarbeitsplatz der Beklagten - nicht nur vorübergehend erfolgt.
a)
Es kann im Ergebnis für die Entscheidung des Rechtsstreits dahinstehen, ob aus § 242 BGB überhaupt eine derartige Rechtsfolge hergeleitet werden kann (bejahend: LAG Berlin-Brandenburg, Teilurteil vom 09.01.2013 – 15 Sa 1635/12 – a. a. O., m. w. N.).
b)
Denn jedenfalls würde dies nach dem Grundsatz von Treu und Glauben, der als Gebot der Redlichkeit die allgemeine Schranke der Rechtsausübung und der subjektiven Rechte wie auch Rechtsinstitute und Normen beinhaltet, voraussetzen, dass Anhaltspunkte für einen Rechtsmissbrauch vorliegen.
(aa)
Ein Rechtsmissbrauch liegt dann vor, wenn ein Vertragspartner eine an sich rechtlich mögliche Gestaltung in einer mit Treu und Glauben unvereinbaren Weise ausschließlich dazu verwendet, sich zum Nachteil des anderen Vertragspartners Vorteile zu verschaffen, die nach dem Zweck der Norm und des Rechtsinstituts nicht vorgesehen sind („institutioneller Rechtsmissbrauch“, vgl. zu dieser Problematik: LAG Berlin-Brandenburg, Teilurteil vom 09.01.2013 – 15 Sa 1635/12 – a. a. O.) oder wenn ein sog. Strohmanngeschäft vorliegt, nach dem der Verleiher lediglich als Scheinverleiher auftritt, weil das Einsatzunternehmen ausschließlicher Empfänger der Arbeitsleistung ist und sich des Verleihers als Strohmann bedient, um geltende Gesetze umgehen zu können (vgl. zu dieser Problematik: Schüren, AÜG, 4. Auflage 2010, § 1 Rnrn. 369 ff.; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.10.2012 – 7 Sa 1182/12 – a. a. O.).
(bb)
Anhaltspunkte dafür, dass hier ein Rechtsmissbrauch vorliegen könnte, sind nicht ersichtlich. Die Kammer vermag keine Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass der Einsatz der Klägerin als Leiharbeitnehmerin über die konzerneigene Zeitarbeitsfirma T. als rechtsmissbräuchlich bzw. als unzulässiges Umgehungsgeschäft oder Strohmanngeschäft i. S. v. § 242 BGB qualifiziert werden könnte.
(1)
Bei Abschluss des Vertrages zwischen der Fa. T. mit der Beklagten und der erfolgten Entleihe der Klägerin mit Wirkung ab dem 05.04.2011 bestand für die Arbeitnehmerüberlassung keine zeitliche oder inhaltliche Begrenzung dergestalt, dass ein Dauerbeschäftigungsbedarf nicht durch Leiharbeitnehmer abgedeckt werden durfte. Der Überlassung auf unbestimmte Dauer stand nach der Aufhebung der Höchstüberlassungsgrenze in § 3 Abs. 1 Nr. 6 AÜG a. F. mit Wirkung zum 01.04.1997 zunächst kein Verbot entgegen (vgl. hierzu: BAG, Beschluss vom 25.01.2005 – 1 ABR 61/03 – BAGE 113, 218 ff.; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.10.2012 – 7 Sa 1182/12 – a. a. O., m. w. N.). Auch wenn dies durch Einfügen des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG („vorübergehend“) mit Wirkung zum 01.12.2011 in Umsetzung der Leiharbeitsrichtlinie nunmehr anders zu beurteilen sein dürfte (s. o.) und die Fa. T. konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung betrieben und die Klägerin ausschließlich an die Beklagte entliehen hat, muss in Ermangelung der Feststellbarkeit gegenteiliger Anhaltspunkte nach dem bisherigen Sachvortrag davon ausgegangen werden, dass die Fa. T. als Verleiherin im eigenen Namen, für eigene Rechnung und im eigenen wirtschaftlichen Interesse tätig geworden ist. Damit hat sie die üblichen Arbeitgeberpflichten und das Arbeitgeberrisiko übernommen. Dass sie nicht werbend am Markt tätig gewesen wäre und ausschließlich Arbeitnehmer an konzerneigene V.-Unternehmen überlassen hätte, wie die Klägerin dies behauptet, ist nicht feststellbar. Selbst wenn dem so wäre, erlaubte dieser Umstand allein noch nicht die Annahme, der Fa. T. sei es als eigenständige Gesellschaft gleichgültig, welche Gewinne und Verluste entstünden, auch wenn letztere möglicherweise – was nicht vorgetragen wurde – durch Gewinn- und Verlustübernahmen innerhalb des Konzerns abgemildert würden.
(2)
Ob ein von der Rechtsordnung nicht gebilligtes Umgehungsgeschäft i. S. v. § 242 BGB vorliegt, lässt sich zur Überzeugung der Kammer nur nach der bei Abschluss des Vertrages gültigen Rechtslage beurteilen. Ein Umgehungsgeschäft setzt die Umgehung von Rechtsnormen voraus, die zum Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäftes schon Geltung beanspruchten – ansonsten könnten sie nicht umgangen werden. Zum damaligen Zeitpunkt (05.04.2011) lag selbst dann, wenn die konzerneigene Zeitarbeitsfirma T. ihre Arbeitnehmer ausschließlich an dem V.-Konzern angehörige Unternehmen verliehen haben sollte, kein unzulässiges Umgehungsgeschäft vor. Denn Umgehungsgeschäfte, für die typisch ist, dass die alternative Gestaltung ernstlich gewollt ist, um die unerwünschten Rechtsfolgen zu vermeiden und das erwünschte wirtschaftliche Ziel dennoch zu erreichen, sind nicht per se unzulässig, sondern nur dann, wenn sie gegen den Sinn und Zweck bestimmter Normen bzw. die allgemeine Rechtsschranke des Grundsatzes von Treu und Glauben verstoßen. Ein solcher Verstoß lässt sich aber nur am Maßstab der bei Abschluss des Vertrages gültigen Rechtslage beurteilen (so auch LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.10.2012 – 7 Sa 1182/12 – Juris, a. a. O., m. w. N.).