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Entscheidung (1) 53 Ss 97/13 (57/13)


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Strafsenat Entscheidungsdatum 14.10.2013
Aktenzeichen (1) 53 Ss 97/13 (57/13) ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 6. kleinen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 14. Februar 2013 (26 Ns 153/11) mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Potsdam zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Rathenow hatte den Angeklagten am 17. März 2010 wegen Verstoßes gegen die Aufenthaltsbeschränkung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 2,00 € verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht mit der angefochtenen Entscheidung das amtsgerichtliche Urteil abgeändert, gegen den Angeklagten wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 2,00 € ausgesprochen und das Urteil auf §§ 61 Abs. 1, 95 Abs. 1 Nr. 7 des Aufenthaltsgesetzes gestützt. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat sich der Angeklagte, ein ehemaliger Asylbewerber aus Kamerun, dessen Asylantrag bestandskräftig abgelehnt worden war, dessen Abschiebung ausgesetzt ist und der geduldet wird, entgegen seiner mit der Aussetzung der Abschiebung einhergehenden Aufenthaltsbeschränkung auf das Land Brandenburg im Mai 2009 regelmäßig in Berlin aufgehalten, um dort unter dem Namen ..., geboren am ... in ..., für die Firma ... zu arbeiten.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit Verteidigerschriftsatz vom 20. Februar 2013, der am gleichen Tag eingegangen ist, Revision eingelegt. Das Urteil ist dem Verteidiger am 15. März 2013 förmlich zugestellt worden. Das Rechtsmittel hat der Angeklagte mit Verteidigerschriftsatz, der am 14. April 2013 bei der Poststelle des Gerichts eingegangen ist, begründet. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat unter dem 4. Juni 2013 Stellung genommen. Sie beantragt Verwerfung des Rechtsmittels, da die Verfahrensrügen versagten und die Überprüfung des Urteils keine durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben habe.

II.

1. Die gemäß § 333 StPO statthafte Revision ist form- und fristgerecht gemäß §§ 341 Abs. 1, 344 und 345 StPO bei Gericht angebracht worden.

2. Das Rechtsmittel hat mit der Verfahrensrüge Erfolg.

Die zulässig erhobene Verfahrensrüge ist begründet, weil bei dem angefochtenen Urteil ein Richter mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch zu Unrecht verworfen worden ist (§ 338 Ziff. 3 StPO). Der Angeklagte rügt zu Recht die Zurückweisung zweier Befangenheitsgesuche als unzulässig und damit einen Verstoß gegen den prozessualen Grundsatz, dass nur der zuständige Richter zur Entscheidung berufen ist.

a) Am zweiten Hauptverhandlungstag, dem 5. Februar 2013, sollten zunächst die Zeugin U. und nach ihr der Zeuge W. vernommen werden. Während der Vernehmung der Zeugin U. beantragte der Verteidiger „eine Unterbrechung der Hauptverhandlung, um einen unaufschiebbaren Antrag zu stellen“.

Daraufhin teilte ihm die Vorsitzende entsprechend dem Hauptverhandlungsprotokoll mit, „dass er den unaufschiebbaren Antrag, den er jetzt stellen möchte, später stellen kann und dass dieser wegen der jetzt erfolgenden Zeugenvernehmungen nicht als verspätet zurückgewiesen wird“.

Die Vernehmung der Zeugin U. wurde beendet. Nach ihr wurde der Zeuge W. vernommen.

Nach einer Unterbrechung der Hauptverhandlung von 11:27 Uhr bis 12:00 Uhr stellte der Verteidiger einen Befangenheitsantrag gegen die Vorsitzende, der sich unter anderem auf die Art und Weise der Vernehmung der Zeugin U. bezog. Der Verteidiger formulierte diesen Teil seines Befangenheitsantrages wie folgt: „Auch in der heutigen Zeugenvernehmung der Zeugin U. zielten die Fragen des Gerichts allein darauf, den Angeklagten mit dem Vorwurf der Schwarzarbeit zu belasten und zu versuchen weitere vermeintliche Residenzpflichtverstöße zu schaffen, indem nachzuweisen versucht wird, dass der Angeklagte dauerhaft in Berlin der Schwarzarbeit nachgegangen sei. Auch dadurch wird deutlich, dass das Gericht sachfremde Erwägungen verfolgt, da die hier angeklagte Tat nicht Gegenstand der Zeugenbefragung war.“

Am dritten Hauptverhandlungstag, dem 12. Februar 2013, verwarf die Kammer unter Mitwirkung der abgelehnten Vorsitzenden den Antrag des Angeklagten vom 5. Februar 2013 auf Ablehnung der Vorsitzenden wegen Besorgnis der Befangenheit als unzulässig. Unter anderem führte die Kammer Folgendes aus:

„Die Ablehnung war als unzulässig zu verwerfen, da die Ablehnung nach § 26 a Abs. 1 Nr. 1 StPO verspätet ist. … Soweit die Befragung der Zeugin U. gerügt wird, ist auch insoweit die Ablehnung verspätet. Denn nach dieser Zeugin wurde der Zeuge W. gehört. Eine Ablehnung wegen Befangenheit direkt nach der Vernehmung der Zeugin U. erfolgte nicht.

Soweit der Verteidiger vor Vernehmung der Zeugin U. einen unaufschiebbaren Antrag ankündigte, wurde mitgeteilt, dass der vor Vernehmung der Zeugin U. gestellte Antrag nicht als verspätet zurückgewiesen werde, nachdem die Zeugenvernehmungen erfolgt sind. Dabei handelte es sich um den vor Vernehmung der Zeugin U. angekündigten unaufschiebbaren Antrag. Dieser konnte sich damit nicht auf die Vernehmung der Zeugin U. beziehen.“

Diese auf formale Erwägungen gestützte Verwerfung des Befangenheitsgesuches unter Mitwirkung der abgelehnten Vorsitzenden erweist sich als rechtsfehlerhaft. Die Vorsitzende verstieß nämlich damit gegen ihre eigene Zusicherung, dass der Antrag „wegen der jetzt erfolgenden Zeugenvernehmungen“ nicht als verspätet zurückgewiesen werde. Ihr richterliches Handeln erweist sich als fehlerhaft, denn sie hätte sich nicht zur Richterin in eigener Sache machen dürfen, sondern hätte die Entscheidung dem Vorsitzenden der zuständigen Vertreterkammer überlassen müssen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Befangenheitsantrag vom Verteidiger bereits vor Beginn des zweiten Hauptverhandlungstages vorgefertigt worden war und handschriftlich betreffend die Vernehmung der Zeugin U. ergänzt wurde, da es sich um einen einheitlichen, jedoch auf mehrere Sachverhalte gestützten Antrag handelte. Die Vorsitzende war durch ihre Zusicherung gegenüber dem Angeklagten, er könne den Ablehnungsantrag nach den Zeugenvernehmungen stellen, gebunden. Die inhaltlichen Ausführungen im Befangenheitsantrag konnten sich auf diese Bindung nicht auswirken. Auch auf die inhaltliche Qualität des Befangenheitsgesuchs kam es nicht an, wenn auch nach dem Gesuch Anhaltspunkte für eine Befangenheit der Vorsitzenden eher fern lagen. Die inhaltliche Prüfung eines zulässigen Befangenheitsgesuchs obliegt ausschließlich dem zuständigen Spruchkörper. Indem die abgelehnte Vorsitzende diesem die Entscheidung entzogen hat, hat sie gegen den Verfassungsgrundsatz verstoßen, dass ausschließlich der gesetzliche Richter zur Entscheidung berufen ist (vgl. die dazu übereinstimmende und einheitliche höchstrichterliche Rechtsprechung seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Juni 2005, II BvR 625/01, abgedruckt in: NJW 2005, 3410 ff.; der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hält - nach dem 5. Strafsenat, BGHSt 50/216 vom 10. August 2005 - fest, dass die „offensichtlich unhaltbare“ Verwerfung eines Ablehnungsgesuchs aus formalen Gründen - wie hier - dann den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO erfüllt, wenn der „durch § 26 a StPO abgesteckte Rahmen“ willkürlich überschritten und damit die Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG missachtet wird. Entsprechendes führt auch der 4. Strafsenat des BGH in seiner Entscheidung vom 10. April 2008 aus, 4 Str 443/07, zitiert nach juris; vgl. auch OLG München, 4. Strafsenat, 4 St/RR 182/06, Beschluss vom 22. November 2006, zitiert nach juris, wonach die Verwerfung eines Ablehnungsgesuchs als unzulässig nach § 26 a Abs. 1 Nr. 1 StPO - wie hier -, wenn sie auf einer groben Fehlanwendung des Gesetzesrechts beruht, zu einem Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG führen könne; eine willkürliche Verwerfung führe demgemäß als Verfassungsverstoß zur Urteilsaufhebung ohne Prüfung der Begründetheit des Ablehnungsgesuchs).

So liegt der Fall hier.

b) Am vierten Hauptverhandlungstag, dem 14. Februar 2013, stellte der Verteidiger für den Angeklagten einen weiteren Befangenheitsantrag. Er lehnte die Vorsitzende unter anderem mit folgender Begründung ab: Sie habe ihm trotz ihrer Zusage am vorangegangenen Verhandlungstag eine Unterbrechungspause in der Hauptverhandlung verweigert. Er habe am vorangegangenen Hauptverhandlungstag mitgeteilt, dass er einen Termin beim Landessozialgericht wahrzunehmen habe, wofür ihm die Vorsitzende eine Unterbrechung zugesagt habe. Mit der Ablehnung der Unterbrechung trotz vorheriger Abstimmung sei beim Angeklagten der Eindruck der Befangenheit entstanden, da die Vorsitzende versucht habe, seinem Verteidiger eine Verhandlung beim Landessozialgericht unmöglich zu machen.

Auch diesen Antrag verwarf die Kammer am selben Hauptverhandlungstag als unzulässig, da eine Besorgnis der Befangenheit der Vorsitzenden nicht bestehe. Zur Begründung führt die Kammer unter anderem folgendes aus:

„Soweit eine Unterbrechung am 12. Februar 2013 zunächst abgelehnt wurde, war nicht bekannt, dass der Verteidiger wiederum einen Termin hat. Die Verhandlung wurde dann auch antragsgemäß unterbrochen. Eine Befangenheitsrüge hätte bis zum Beginn der Fortsetzungsverhandlung gestellt werden müssen, um nicht verspätet zu sein. Soweit die Verhandlung heute nicht um 10:00 Uhr unterbrochen wurde, beruht dies darauf, dass die für 10:00 Uhr angesetzte Verhandlung unvorhergesehener Weise nicht stattfand. Dass der Verteidiger dann einen Termin am Landessozialgericht hatte, war nicht erinnerlich. Insoweit wurde versehentlich angenommen, insoweit fand eine Verwechslung mit dem Termin der Dolmetscherin statt, dass der Verteidiger diesen Termin verlegen wolle. Die Sitzung wurde dann jedoch auf Antrag des Verteidigers zur Teilnahme an seinem Termin beim Landessozialgericht unterbrochen.“

Auch hier erweist sich die Verwerfung gemäß § 26 a Abs. 1 StPO als rechtsfehlerhaft.

Auch hier ist der Revisionsgrund des § 338 Ziff. 3 StPO gegeben, denn die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ist dem zuständigen Spruchkörper entzogen und das Ablehnungsgesuch daher mit Unrecht verworfen worden. Nach dem Gesetz ist die Entscheidung über Ablehnungsgesuche grundsätzlich einem anderen Richter als dem abgelehnten übertragen (§ 27 StPO); die Beteiligung des abgelehnten Richters an der Entscheidung soll nach dem Willen des Gesetzgebers der echten Formalentscheidung oder dem Missbrauch des Ablehnungsrechts vorbehalten bleiben (vgl. BGH 4 StR 443/07, zitiert nach juris). Bei der Annahme der völligen Ungeeignetheit eines Gesuchs ist jedoch äußerste Zurückhaltung geboten, um eine Begründetheitsprüfung im Gewande einer Zulässigkeitsprüfung zu verhindern (vgl. BVerfG, NStZ-RR 2007/276). § 26 a StPO ermöglicht keine Zurückweisung wegen offensichtlicher Unbegründetheit (siehe auch BGH 4 StR 443/07, s. o.). Hier zeigt bereits die Formulierung des Verwerfungsbeschlusses („war nicht erinnerlich“), dass die abgelehnte Vorsitzende mit der Kammer eine inhaltliche Prüfung des Befangenheitsgesuchs vorgenommen hat. Sie hat sich mit ihrem eigenen Verhalten auseinandergesetzt und dieses bewertet, was über eine formale Prüfung weit hinausgeht. Dieses Vorgehen war mit der Verwerfung des Befangenheitsgesuchs als unzulässig nicht vereinbar (vgl. auch KG, 4. Strafsenat, 1 Ss 139/07 vom 21. November 2007, zitiert nach juris).

2. Dagegen hält der Senat daran fest, dass weder eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht noch die Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs geboten war. Die gesetzliche Regelung des § 61 Abs. 1 i. V. m. § 95 Abs. 1 Nr. 7 des Aufenthaltsgesetzes verstößt weder gegen das Grundgesetz noch ist sie mit Gemeinschaftsrecht unvereinbar. Der Senat verweist insoweit auf seine Entscheidung vom 22. Dezember 2010 (1 Ss 99/10).

a) Entgegen dem Vorbringen des Angeklagten ist die gesetzliche Regelung, auf deren Grundlage der Angeklagte verurteilt worden ist, mit Art. 11, 2 und 3 GG vereinbar.

§§ 61 Abs. 1, 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG stellt den wiederholten Verstoß eines (abgelehnten) Asylbewerbers, der der administrativen Aufenthaltsbeschränkung unterliegt, unter Strafe. Damit ist die Freizügigkeit dieses Personenkreises aufgrund Gesetzes eingeschränkt. Ein Verstoß gegen Art. 11 GG ist jedoch nicht ersichtlich, denn Berechtigte des Freizügigkeitsrechts sind ausschließlich Deutsche im Sinn des Art. 116 GG (vgl. Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Kommentar, 6. Aufl. 2010, Rdnr. 43 zu Art. 11 GG mit zahlreichen Nachweisen aus Literatur und Rechtsprechung). Personen, die weder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen noch zur Gruppe der sogenannten „Volksdeutschen“ gehören, können sich auf Art. 11 GG nicht berufen. Art. 11 GG als Deutschengrundrecht ist historisch und funktional mit dem Status der Staatsangehörigkeit eng verknüpft (vgl. Sächsisches OVG, 3. Senat, 3 D 79/08, Beschluss vom 22. Juni 2009, zitiert nach juris). Dass Ausländer keine Träger des Freizügigkeitsgrundrechts sind, hat die Rechtsprechung immer wieder entschieden (vgl. BVerfGE 76, 1, 47; BVerwGE 56, 254, 258; BVerwG, Entscheidung vom 15. Januar 2013, 1 C 7/12, zitiert nach juris).

Ausländische natürliche Personen genießen den Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG (Gusy, a. a. O., Rdnr. 45 zu Art. 11 GG mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung). Dieser begründet allerdings einen geringeren Grundrechtsschutz, als ihn Art. 11 für Deutsche bietet. Ein Eingriff in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit, das sowohl für Ausländer als auch für Deutsche gilt, ist nur aufgrund Gesetzes möglich (Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG). Die Regelung der Einreise und der Freizügigkeit von Ausländern findet sich im Aufenthaltsgesetz vom 25. Februar 2008 (BGBl. I, S. 162). An der Verfassungsmäßigkeit dieser Einschränkung des Grundrechts aus Art. 2 GG hat der Senat keine Veranlassung zu zweifeln (vgl. auch z. B. BVerwGE 49, 36, 43; 56, 254 gegen einzelne kritische Stimmen, vor allem aus dem Bereich der Lehre).

Die gesetzliche Regelung der §§ 61 Abs. 1, 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, denn der allgemeine Gleichheitsgrundsatz gebietet es, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Eine Norm des einfachen Rechts verletzt den Gleichheitsgrundsatz nur dann, wenn sie eine Gruppe von Normadressaten anders behandelt als eine andere Gruppe, ohne dass zwischen beiden Gruppen signifikante Unterschiede solchen Gewichts bestehen, dass eine unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt wäre (BVerfGE 131, 239 - 267, zitiert nach juris).

Der Adressatenkreis der §§ 61 Abs. 1, 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG umfasst ausreisepflichtige Ausländer, die, im Gegensatz zu deutschen Staatsangehörigen, keine Freizügigkeit genießen. Das Aufenthaltsgesetz sieht Begrenzung und Steuerung ihres Zuzugs vor (§ 1 Abs. 1 AufenthG). Deutsche Staatsangehörige unterliegen dagegen solchen Einschränkungen nicht, da sie Träger des Grundrechts der Freizügigkeit sind, so dass eine Ungleichbehandlung von Ausländern von Gesetzes wegen gerechtfertigt ist.

b) Eine Aussetzung des Verfahrens unter Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ist nicht veranlasst, da §§ 61 Abs. 1, 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG nicht gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen.

Als letztinstanzliches Gericht müsste der Senat gemäß Art. 267 AEUV die Sache dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorlegen, wenn eine aufgeworfene Frage des Gemeinschaftsrechts entscheidungserheblich wäre oder es sich um eine Frage handelte, die unzweifelhaft vom Europäischen Gerichtshof zu beantworten wäre oder bereits beantwortet wurde.

Eine solche entscheidungserhebliche Frage zur Auslegung von Unionsrecht stellt sich hier jedoch nicht, da die Strafnorm des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG i. V. m. § 61 Abs. 1 AufenthG nicht gegen geltendes Gemeinschaftsrecht verstößt.

Der europäische Gesetzgeber hat am 27. Januar 2003 die „Richtlinie zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedsstaaten“ (2003/9/EG) erlassen, die Mindeststandards für die Behandlung von Asylbewerbern festsetzt. Erst nach Klageerhebung der Kommission Ende 2006 (EuGH Kommission/ Deutschland Rs. C-496/06) hat der deutsche Gesetzgeber mit einem „Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union“ vom 19. August 2007 die „Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 …“ in das deutsche Recht inkorporiert. Dabei sieht die Richtlinie keine strafrechtlichen Sanktionen für das Verlassen des von der Behörde bestimmten Aufenthaltsortes für Ausländer vor. So schreibt sie vor, dass Mitgliedsstaaten Asylbewerbern, „die im Rahmen der Aufnahmebedingungen gewährten Vorteile … einschränken oder entziehen können“. Nur bei groben Verstößen gegen die Vorschriften der Unterbringungszentren und bei grober vorsätzlicher Gewalt räumt die Richtlinie den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit der Festlegung von „Sanktionen“ ein. Im Fall des Übertretens des Aufenthaltsgebotes wird ausschließlich von der Entziehung von Vorteilen gesprochen.

Jedoch verstößt die Bestrafung von Ausländern für eine Übertretung des Aufenthaltsgebotes, wie sie § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG in seiner derzeitigen Fassung vorsieht, nicht gegen die Richtlinie, da sie nicht einschlägig ist. § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG sieht nämlich strafrechtliche Sanktionen nur für solche Ausländer vor, die nicht über einen Aufenthaltstitel verfügen, sondern nach § 60 a AufenthG aus tatsächlichen Gründen - wie der Angeklagte - geduldet sind. Dagegen definiert die Richtlinie 2003/9/EG in ihrem Art. 3 ihren Schutzbereich so, dass nur Asylbewerber geschützt werden. Art. 1 der Richtlinie enthält eine Legaldefinition des „Asylbewerbers“. Er erfasst Asylsuchende nur solange, als über ihren Antrag noch nicht entschieden worden ist. Aus dem Umkehrschluss dieser Bestimmung ergibt sich, dass die Richtlinie solchen Ausländern keinen Schutz gewährt, deren Antrag rechtskräftig abgelehnt worden ist (vgl. EuGH Cimade+GISTI, Rdnr. 53).

Für eine analoge Anwendung der Richtlinie 2003/9/EG auf gemäß § 60 a AufenthG geduldete Ausländer ist kein Raum.

Zwar soll bei der Festlegung des menschenwürdigen Existenzminimums in Ausgestaltung der Richtlinie 2003/9/EG nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenziert werden (vgl. BVerfG vom 18. Juli 2012, 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11), da der tatsächliche Lebensbedarf eines Menschen nicht zwingend von seinem Aufenthaltsstatus abhängt. Eine Gleichbehandlung von Asylbewerbern und geduldeten Ausländern, deren Asylantrag bestandskräftig abgelehnt worden ist und die zur Ausreise verpflichtet sind (wie dem Angeklagten), ist betreffend das strafbewehrte Verbot des Verstoßes gegen die Aufenthaltsbeschränkung jedoch nicht im Sinne der Richtlinie 2003/9/EG geboten, da insofern ein sachlicher Grund zur Differenzierung zwischen Asylbewerbern und geduldeten Ausländern besteht. Die partielle Gleichbehandlung von Asylbewerbern und geduldeten Ausländern durch die Rechtsprechung betreffend ihren Lebensbedarf rechtfertigt jedenfalls keine Gleichstellung im Sinne der Richtlinie 2003/9/EG.

III.

Da die Revision mit der Verfahrensrüge erfolgreich ist, kommt es auf die darüber hinaus erhobenen Verfahrensrügen und die Sachrüge nicht mehr an.