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Einkommensteuer 2013


Metadaten

Gericht FG Berlin-Brandenburg 4. Senat Entscheidungsdatum 14.07.2015
Aktenzeichen 4 K 4233/14 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern auferlegt.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte die Übertragung des vollen Kinderfreibetrages auf die Kläger zu Recht abgelehnt hat.

Die Kläger sind Ehegatten, die im Streitjahr (2013) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Die Klägerin ist die leibliche Kindesmutter der am 09.09.1996 geborenen C…, für die sie im Streitjahr Barunterhalt leistete. Die ledige Tochter lebte im Streitjahr im Haushalt des sorgeberechtigten Kindesvaters D… und war dort auch polizeilich angemeldet (Bl. 87 ESt-Akte). Der Kindesvater bezog für sich und die Tochter C… Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II).

Mit ihrer für das Streitjahr abgegebenen gemeinsamen Einkommensteuererklärung beantragten die Kläger für C… den Abzug des vollen Kinderfreibetrages (2.184 €) und des vollen Freibetrags für den Betreuungs-, und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf (1.320 €) und führten zur Begründung aus, dass die Klägerin ihrer Barunterhaltsverpflichtung gegenüber ihrer Tochter in vollem Umfang nachkäme, während der Kindesvater in Ermangelung ausreichenden eigenen Vermögens bzw. eigener Einkünfte leistungsunfähig sei, sodass ein Anspruch auf die Übertragung nach Maßgabe des mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2012 durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 (Bundesgesetzblatt -BGBl- I 2131) eingeführten § 32 Abs. 6 Satz 6 Alt. 2 des Einkommensteuergesetzes -EStG- gegeben sei (siehe Bl. 88 ESt-Akte).

Mit Einkommensteuerbescheid für 2013 vom 07.08.2014 lehnte der Beklagte die beantragte Übertragung der vorerwähnten Freibeträge ab. Der hiergegen (fristgerecht) eingelegte Einspruch blieb ebenso erfolglos. Mit Einspruchsentscheidung vom 22.09.2014 - auf die der beschließende Senat ergänzend Bezug nimmt (Bl. 12 f in 4 K 4233/14) - wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück und führte zur Begründung aus, dass die beantragte Übertragung daran scheitere, dass der Kindesvater seiner Verpflichtung zum Unterhalt nachgekommen sei, weil er C… in seinen Haushalt aufgenommen und dadurch Betreuungsunterhalt geleistet habe, der gemäß § 1606 Abs. 3 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB- dem von der Klägerin geleisteten Barunterhalt gleichwertig gegenüberstehe. Dass der Kindesvater keine steuerpflichtigen Einkünfte erzielt oder verwertbares Vermögen besessen habe, sei unbeachtlich und könne die beantragte Übertragung nicht rechtfertigen. Hieran ändere auch die durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 (a.a.O.) eingeführte Neufassung des § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG nichts, mit der der Gesetzgeber habe erreichen wollen, dass der Elternteil, der gezwungenermaßen allein für den Kindesunterhalt aufkomme, auch die volle steuerliche Entlastung erhalte solle. Eine solche Konstellation läge im Streitfall aber nicht vor, weil der Kindesvater durch die tatsächliche Versorgung zum Unterhalt von C… im Streitjahr mit beigetragen habe.

Hiergegen haben die Kläger am 22.10.2014 Klage erhoben, mit der sie daran festhalten, dass der Beklagte den Antrag auf Übertragung der o.g. Freibeträge unter Verkennung der Gesetzeslage zu Unrecht abgelehnt habe.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

den Einkommensteuerbescheid für 2013 vom 07.08.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.09.2014 mit der Maßgabe zu ändern, dass der Beklagte weitere Freibeträge für die am 09.09.1996 geborene Tochter C… in Höhe von 3.504 € in Ansatz bringt;

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage zurückzuweisen.

Er hält daran fest, dass eine Übertragung der Freibeträge ausscheidet, weil der Kindesvater seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber C… vollumfänglich durch deren Betreuung nachgekommen und dessen fehlende Leistungsfähigkeit zur Zahlung von Barunterhalt unbeachtlich sei.

Dem Senat haben bei seiner Entscheidung neben je einem Band -Bd.- Streitakten zum Hauptsacheverfahren 4 K 4233/14 sowie zum Eilverfahren 4 4234/14 ein Bd. Einkommensteuerakten des Beklagten zur Steuernummer … vorgelegen, auf deren Inhalt ergänzend Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Bescheid sowie die dazu ergangene Einspruchsentscheidung sind rechtmäßig und verletzen nicht die Rechte der Kläger (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-).

Der Beklagte ist der Übertragung der vollen Freibeträge i. S. des § 32 Abs. 6 Sätze 6 und 8 in der für das Streitjahr gültigen Fassung des EStG auf die Kläger zu Recht nicht gefolgt.

Nach § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG wird bei der Veranlagung für jedes zu berücksichtigende Kind des Steuerpflichtigen ein Freibetrag von 2.184 € für das sächliche Existenzminimum des Kindes (Kinderfreibetrag) sowie ein Freibetrag von 1.320 € für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf (Betreuungsfreibetrag) des Kindes vom Einkommen abgezogen. Abweichend davon wird bei einem unbeschränkt steuerpflichtigen Elternpaar, bei dem die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 EStG nicht vorliegen, auf Antrag eines Elternteils der dem anderen zustehende Kinderfreibetrag auf ihn übertragen, wenn er, jedoch nicht der andere Elternteil, seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind für das Kalenderjahr im Wesentlichen nachkommt oder der andere Elternteil mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist. Die Übertragung des Betreuungsfreibetrages setzt nach § 32 Abs. 6 Sätze 8 und 9 EStG voraus, dass das Kind minderjährig und nur in der Wohnung eines Elternteils gemeldet ist und dass dieser Elternteil die Übertragung beantragt sowie ferner, dass die Eltern den Tatbestand der Ehegattenbesteuerung nicht erfüllen (vgl. Loschelder in Schmidt, EStG, 33. Aufl. 2014, § 32 Tz. 92 mit weiteren Nachweisen -m. w. N.- zur finanzgerichtlichen Rechtsprechung).

Die Voraussetzungen für die Übertragung des Kinder- bzw. Betreuungsfreibetrages sind im Streitfall nicht erfüllt.

Die von den Klägern beantragte Übertragung des Kinderfreibetrages scheitert - wie der Beklagte zutreffend ausführt - an dem Umstand, dass der nach § 1601 BGB unterhaltsverpflichtete Kindesvater von C… im Streitjahr sogenannten Betreuungsunterhalt leistete, sodass es an der für die Übertragung zwingend erforderlichen Verletzung einer Unterhaltspflicht durch den „anderen Elternteil“ i. S. des § 32 Abs. 6 Satz 6 1. Alt. EStG n. F. mangelt. Dass der Kindesvater sich im Streitjahr seiner Verpflichtung zur tatsächlichen Versorgung der im Streitjahr noch minderjährigen C… (z. B. Nahrung, Kleidung, Wohnung, Pflege bei Krankheit usw.) entzogen hatte oder sonst hierzu nicht in der Lage war, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Betreuungs- und Barunterhalt sind aber rechtlich gleichwertig (§ 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB), mit der Folge, dass der den Betreuungsunterhalt leistende Elternteil - hier der Kindesvater - von der Barunterhaltspflicht im Regelfall befreit ist (Staudinger/Helmut Engler [2000] BGB § 1606, Tz. 18 und 20 m. w. N. zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes -BGH-), während der andere barunterhaltspflichtige Elternteil - hier die Klägerin - die zur Versorgung des Kindes erforderlichen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen hat (BGH-Urteil vom 28.02.2007 XII ZR 161/04, Neue Juristische Wochenschrift -NJW- 2007, 1882).

Entgegen der Auffassung der Kläger folgt ein Anspruch auf Übertragung auch nicht aus der Vorschrift des § 32 Abs. 6 Satz 6 2. Alt. n. F. EStG.

Nach dieser Gesetzesalternative besteht zwar auch dann ein eigenständiger Anspruch, wenn der andere Elternteil aufgrund fehlender Leistungsfähigkeit nicht zum Unterhalt verpflichtet ist. Ein solcher Fall ist im Streitfall indes nicht gegeben. Auf das Merkmal der fehlenden Leistungsfähigkeit des Kindesvaters (§ 1603 Abs. 1 BGB) kommt es vorliegend nicht an. Dieses Merkmal erlangt nur Bedeutung für die Fälle des Bar- bzw. an dessen Stelle geleisteten Naturalunterhalts (vgl. § 1612 Abs. 1 Satz 2 BGB), welcher nach seinem Inhalt auf die Entrichtung einer Geldrente (§ 1612 Abs. 1 Satz 1 BGB) gerichtet ist. Hingegen handelt es sich bei dem Betreuungsunterhalt im Sinne des § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB um hiervon streng zu trennende Naturalleistungen, die der Sorgeberechtigte aufgrund des elterlichen Sorgerechts (§ 1626 Abs. 1 Satz 1 BGB) gegenüber dem unterhaltsberechtigten minderjährigen Kind (§ 1601 BGB) als Dienstleistung schuldet und der durch den persönlichen Lebensbedarf des Kindes ergänzt wird (Staudinger/Helmut Engler [2000] BGB § 1606 Tz. 16).

Das Verständnis der durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 (a.a.O.) eingeführten Neuregelung wird maßgeblich von der bis einschließlich 2011 geltenden Altregelung des § 32 Abs. 6 EStG bestimmt. Nach der Altregelung scheiterte eine Übertragung des Freibetrages für das sächliche Existenzminimum eines zu berücksichtigenden Kindes namentlich dann, wenn zwar der eine Elternteil seiner Unterhaltspflicht im Wesentlichen nachkam, der andere, das Kind nicht betreuende Elternteil mangels Leistungsfähigkeit keinen Unterhalt schuldete und daher seine Unterhaltspflicht nicht verletzt hatte (Hinweis auf die Rechtsprechung des BFH zur Altregelung: z. B. Beschluss vom 08.12.2009 III B 227/08, BFH/NV 2010, 639 m. w. N. zur BFH-Rechtsprechung). Dieser Missstand sollte nach dem für das Verständnis der Norm maßgebenden gesetzgeberischen Willen durch die Neuregelung für die Fälle beseitigt werden, in denen der eine Elternteil, in dessen Haushalt das unterhaltsberechtigte Kind lebt, gezwungenermaßen allein für den Kindesunterhalt aufkam, weil der andere Elternteil zur Leistung des Barunterhalts finanziell außerstande war. Aus Sicht des Gesetzgebers sollte der den Unterhalt leistende Elternteil die Übertragung des Kinderfreibetrages beanspruchen und auf diese Weise in den Genuss der alleinigen steuerlichen Entlastung kommen (so ausdrücklich: Drucksache des Deutschen Bundestages 17/6146 zu Nummer 18 [§ 32]). Eine solche Fallkonstellation ist im Streitfall jedoch nicht gegeben, weil der Kindesvater von C… - im Gegensatz zu den durch die Neuregelung erfassten Fällen leistungsunfähiger Elternteile - seiner Betreuungsunterhaltsverpflichtung im Streitjahr - zwischen den Beteiligten unstrittig - nachgekommen war. Es fehlt deshalb an dem vom Gesetzgeber erkennbar verfolgten Motiv, dass lediglich ein Elternteil mit dem Unterhalt des Kindes belastet wird, während der andere das Kind nicht betreuende Elternteil aufgrund fehlender Leistungsfähigkeit von seiner Unterhaltsverpflichtung befreit ist. Vorliegend ist eine Übertragung des Kinderfreibetrages mithin ausgeschlossen (vgl. auch Loschelder in Schmidt, EStG, 32. Aufl.2013, § 32 Tz. 88; Jachmann in Kirchhoff, Söhn, Mellinghoff, EStG, § 32 Rdnr. D 23 jeweils m. w. N.).

Der Einwand der Kläger, es sei unbillig, ihnen die steuerliche Entlastungswirkung durch Zubilligung des vollen Kinderfreibetrages vorzuenthalten, obgleich sich der Kinderfreibetrag allein bei ihnen und nicht auch bei dem Kindesvater steuerlich auswirke und nur sie zum Barunterhalt von C… beigetragen hätten, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Eine andere als die hier vertretene Gesetzesinterpretation aus verfassungsrechtlichen Erwägungen ist nicht geboten. Abgesehen davon, dass auch der andere Elternteil regelmäßig durch die Betreuung wirtschaftlich belastet und eine Minderung von dessen Leistungsfähigkeit gegeben sein dürfte, ist es vom weitreichenden Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gedeckt, auch bei Konstellationen der vorliegenden Art nach dem Halbteilungsgrundsatz zu verfahren (siehe hierzu BFH-Urteil vom 25.07.1997 VI R 107/96, BFHE 184, 60, BStBl II 1998, 329).

Eine Übertragung des Betreuungsfreibetrages nach § 32 Abs. 6 Satz 8 EStG in der ab dem Veranlagungszeitraum 2012 geltenden Fassung scheitert bereits daran, dass die Tochter der Klägerin nicht in deren Wohnung gemeldet war. Davon abgesehen wäre ferner erforderlich, dass der Kindesvater die Tochter im Streitjahr nur unerheblich betreut hatte (siehe § 32 Abs. 6 Satz 9 EStG n. F.), woran es ebenso mangelt.

Der Senat hat die Revision gem. § 115 Abs. 2 FGO zugelassen, weil bislang zu der durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 eingeführten Neufassung des § 32 Abs. 6 Satz 6 Alt. 2 EStG noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung dazu existiert, ob eine Übertragung des Kinderfreibetrages auf den Barunterhalt leistenden Elternteil auch für den Fall in Betracht kommt, dass der andere das Kind betreuende Elternteil zur Leistung von Barunterhalt außerstande ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.