Gericht | FG Berlin-Brandenburg 4. Senat | Entscheidungsdatum | 29.03.2012 | |
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Aktenzeichen | 4 K 4012/11 PKH | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 32 Abs 1 Nr 1 EStG, § 62 Abs 1 Nr 1 EStG, § 63 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG, § 64 Abs 1 EStG, § 64 Abs 2 S 1 EStG, § 142 FGO, EGV 883/2004, EGV 987/2009 |
Dem Antragsteller wird für die erste Instanz Prozesskostenhilfe aus einem Streitwert von 1.000,- € bewilligt.
I.
Der Antragsteller ist der Vater des am ….05.2005 geborenen B., der bei seiner Mutter J. in Polen wohnt. Die Kindesmutter und der Antragsteller sind und waren nicht verheiratet. Neben B. hat der Antragsteller noch zwei ältere Kinder, die aus einer zwischenzeitlich geschiedenen Ehe stammen.
Nach seinem Umzug von C. nach D. übersandte der Antragsteller der Familienkasse D. Nord der Bundesagentur für Arbeit (im folgenden: Familienkasse) einen von dieser angeforderten Fragebogen zur Prüfung des Anspruchs auf Kindergeld. In dem beigefügten Anschreiben vom ...03.2009 gab er an, es sei ihm weder bekannt, wie das Erwerbsleben der Mutter von B. in Polen aussehe, noch, ob sie irgendwelche Leistungen beziehe. Dementsprechend waren die diesbezüglichen Fragen in dem Fragebogen gestrichen und mit dem Vermerk "ist mir nicht bekannt" versehen. Er selber sei seit November 2008 unselbständig erwerbstätig; laut der beigefügten Arbeitgeber-Bescheinigung handelte es sich um eine versicherungspflichtige Tätigkeit.
Auf Anforderung der Familienkasse aus März 2009 übersandten die polnischen Behörden mit Anschreiben vom ...06.2009 die Bescheinigungen E 401 und E 411. In dem Anschreiben wurde ausgeführt, die Kindesmutter sei zweimal mit der Bitte um Zusendung der zur Bestätigung der Formulare notwendigen Unterlagen angeschrieben worden. Aufgrund fehlender Antwort könne das Formular E 411 nicht bestätigt werden. Die Bescheinigung des für Familienleistungen zuständigen Trägers des Wohnortes der Familienangehörigen (E 411) war dementsprechend nicht ausgefüllt. In der Familienstandsbescheinigung (E 401) wurde angegeben, die Kindesmutter übe eine Erwerbstätigkeit aus ("Ja").
Auf einen Teil-Aufhebungsbescheid vom ...08.2009 zur Anrechnung der vorrangigen polnischen Familienleistungen wegen Erwerbstätigkeit der in Polen wohnenden Kindesmutter führte der Antragsteller in seinem Einspruch vom ...08.2009 aus, der Kindesmutter stünden in Polen keine Familienleistungen zu. Die Kindesmutter habe in einer Gerichtsverhandlung im Jahr 2009 in Polen angegeben, sie verfüge über ein monatliches Einkommen in Höhe von 1.000,- PLN. Da er Barunterhalt an B. in Höhe von 350,- PLN leiste, betrage das Pro-Kopf-Einkommen 675,- PLN, so dass die in Polen geltende Einkommensgrenze von 504,- PLN überschritten werde.
Anfang November 2009 gingen bei der Familienkasse auf deren erneute Anforderung aus Juni 2009 wiederum die Bescheinigungen E 401 und E 411 mit einem Anschreiben vom 22.10.2009 ein. Das Anschreiben war wörtlich identisch mit dem vom ...06.2009. Auch die Bescheinigung E 411 war erneut nicht ausgefüllt. Abweichend von der vormaligen Bescheinigung wurde in der Familienstandsbescheinigung (E 401) erklärt, die Kindesmutter übe eine Erwerbstätigkeit nicht aus ("Nein").
Mit Schreiben vom ...01.2010 forderte die Familienkasse den Antragsteller auf, den polnischen Ablehnungsbescheid zu übersenden, weil die Kindesmutter nicht reagiert habe. Der Antragsteller erwiderte mit Schreiben vom ...02.2010, er sei zur Vorlage nicht in der Lage, weil er nicht berechtigt sei, einen Antrag auf polnische Familienleistungen zu stellen. Gegenüber der Kindesmutter habe er keinen Rechtsanspruch darauf, dass diese Familienleistungen beantrage oder einen eventuellen Ablehnungsbescheid herausgebe.
Durch Einspruchsentscheidung vom ...05.2010 wies die Familienkasse den Einspruch gegen den Teil-Aufhebungsbescheid vom ...08.2009 unter Berufung auf die Erwerbstätigkeit sowohl des Antragstellers in Deutschland als auch der Kindesmutter in Polen sowie deren vorrangigen Anspruch aufgrund der Haushaltsaufnahme der Kinder in Polen zurück; der Antragsteller habe nicht nachgewiesen, dass die Kindesmutter in Polen keinen Anspruch auf die entsprechenden Leistungen habe. In seiner dagegen erhobenen Klage vom 28.05.2010 – 11 K 11155/10 – berief sich der Antragsteller auf seine Einspruchsbegründung sowie darauf, er könne über die Verhältnisse der Kindesmutter in Polen weder Auskünfte noch Unterlagen beschaffen. Da laut einem internen Schreiben der Familienkasse eine Veränderung der Verhältnisse im Sinne von § 70 Abs. 2 EStG nicht vorgelegen habe und eine Änderung wegen materieller Fehler gemäß § 70 Abs. 3 EStG nur für die Zukunft möglich sei, erging ein Abhilfebescheid, der zur Erledigung des Klageverfahrens führte.
In einem Fragebogen zur Prüfung des Anspruchs auf Kindergeld gab der Antragsteller am ...09.2010 bezogen auf alle Verhältnisse der Kindesmutter in Polen an, diese seien ihm "nicht bekannt". Er selber sei weder selbständig noch unselbständig tätig und beziehe seit Mai 2009 wegen Arbeitslosigkeit Geldleistungen vom JobCenter.
Mit dem hier angegriffenen Bescheid vom ...12.2010 hob die Familienkasse gegenüber dem Antragsteller die Festsetzung des Kindergeldes für B. gemäß § 70 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ab Januar 2011 auf. Zur Begründung wurde auf § 64 Abs. 1 EStG verwiesen, wonach für jedes Kind nur einer Person Kindergeld gezahlt werde. Nach den vorliegenden Unterlagen wohne das Kind nicht im Haushalt des Antragstellers, sondern bei der Kindesmutter in Polen. Hingewiesen wurde darauf, die Kindesmutter könne Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz beantragen.
Den hiergegen erhobenen Einspruch vom ...12.2010 begründete der Antragsteller damit, die Familienkasse habe die europäische Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (im folgenden: VO) weder erwähnt noch berücksichtigt. Der Verordnung könne er nicht entnehmen, dass in seinem Falle das Kindergeld für B. ausschließlich an die Kindesmutter in Polen ausgezahlt werden dürfe. Der Hinweis auf einen Kindergeldanspruch der Kindesmutter nach dem Bundeskindergeldgesetz sei falsch. Im Übrigen betrage der Unterhalt für B. laut dem Urteil des zuständigen Familiengerichtes in Polen monatlich 350,- PLN, umgerechnet ca. 90,- €. Die Auszahlung des Kindergeldes von 190,- € an die Kindesmutter führe bei dieser zu einer Zweckentfremdung der Leistung, während er keine finanzielle Entlastung bei der Realisierung und Pflege seines Kontaktes mit B. erhalten würde, der ihm monatliche Kosten des Umgangs in Höhe von ca. 200,- € verursache.
Durch Einspruchsentscheidung vom ...01.2011 wies die Familienkasse den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, nach Art. 68 VO in Verbindung mit Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) Nr. 987/2009 (im folgenden: Durchführungsverordnung – DVO -) und auf Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) sei die persönliche Anspruchskonkurrenz zwischen Mutter und Vater nach den deutschen Rechtsvorschriften zu lösen. Nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG stehe der Kindergeldanspruch mithin der Kindesmutter zu, die das Kind in ihren Haushalt aufgenommen habe. Nach § 70 Abs. 3 EStG könne die letzte Festsetzung durch Aufhebung beseitigt werden; ein Ermessensspielraum stehe der Familienkasse nicht zu.
Am ...01.2011 hat der Antragsteller Klage erhoben, die hier unter dem Aktenzeichen 4 K 4012/11 geführt wird und über die der Senat noch nicht entschieden hat. Ergänzend führt er aus, die Familienkasse übersehe völlig, dass Art. 68 VO nicht anwendbar sei, weil keine Ansprüche auf deutsches und polnisches Kindergeld zusammentreffen würden. Er leiste gemäß der Entscheidung des Familiengerichts in G. monatlichen Unterhalt in Höhe umgerechnet ca. 90,- € an B. und er besuche ihn regelmäßig einmal im Monat in G. und telefoniere mit ihm. Deshalb entstünden ihm monatliche Kosten von ca. 200,- €.
Die Familienkasse hat erwidert,
sowohl die Kindesmutter als auch der Antragsteller seien erwerbstätig, Erstere in Polen, Letzterer im Inland. In Polen bestehe jedoch kein Anspruch auf Familienleistungen, weil die Einkünfte über der Pro-Kopf-Pauschale von 504,- PLN liegen würden, so dass grundsätzlich deutsches Kindergeld in voller Höhe zu zahlen sei. Nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG sei jedoch die Kindesmutter wegen der Aufnahme des Kindes in ihren Haushalt vorrangig berechtigt. Deren Anspruch richte sich jedoch nach dem Bundeskindergeldgesetz.
Der Antragsteller hat zeitgleich mit seiner Klage die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt. Im Rahmen seiner Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 13.02.2011 hat er angegeben, Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit und zusätzlich Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (ALG II) zu beziehen.
Der Antragsteller beantragt,
ihm für das Verfahren 4 K 4012/11 Prozesskostenhilfe zu gewähren.
II.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe hat Erfolg.
Nach § 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in Verbindung mit § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht tragen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Rechtsverfolgung verspricht hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn bei summarischer Prüfung für seinen Eintritt eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers auf Grund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Hier lassen sich hinreichende Erfolgsaussichten für das Klageverfahren aufgrund der Angaben des Antragstellers zum Sachverhalt und der vorhandenen Unterlagen bejahen.
Bei summarischer Prüfung hat die Familienkasse gegenüber dem Antragsteller die Festsetzung des Kindergeldes für den Sohn B. ab Januar 2011 zu Unrecht aufgehoben. Denn bei summarischer Prüfung auf Grundlage der Kindergeldakten und der Ausführungen im gerichtlichen Verfahren sowie der hier eingereichten Unterlagen hat der Antragsteller einen Anspruch auf Kindergeld für den Sohn B..
Der Ansicht der Familienkasse, dem Antragsteller stehe ein Kindergeldanspruch nicht zu, weil die Kindesmutter einen vorrangigen Anspruch habe, kann der Senat nicht folgen.
Der Antragsteller erfüllt die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 in Verbindung mit § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG für einen Anspruch auf Kindergeld für den Sohn B., weil dieser als leiblicher Sohn des Antragstellers mit einem Wohnsitz in Polen, einem EU-Mitgliedstaat, nach den deutschen Rechtsvorschriften ein berücksichtigungsfähiges Kind ist.
Deutschland ist auch zur Leistung von Kindergeld für das Kind B. verpflichtet.
Gemäß Art. 11 Abs. 1 VO unterliegen Personen, für die die VO gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach Art. 11 Abs. 3 VO, nach dessen Buchstabe a) eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats unterliegt. Unterfällt die Person nicht unter Buchstabe a) - und nicht unter die Buchstaben c) bis d) – unterliegt sie den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaates. Der Antragsteller unterliegt so oder so den deutschen Rechtsvorschriften.
Art. 67 Satz 1 VO bestimmt, dass eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats hat, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden. Damit ist unter anderem geregelt, dass Familienleistungen auch für Familienangehörige zu zahlen sind, die in anderen Mitgliedstaaten leben (Ausschluss von Wohnsitzklauseln). Für den Anspruch auf steuerrechtliches Kindergeld für B. kommt dieser Regelung keine eigenständige Bedeutung zu, weil bereits nach innerstaatlichem Recht für diesen ein Kindergeldanspruch besteht, §§ 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 Satz 3 EStG (s.o.).
Eine vorrangige Verpflichtung eines anderen Mitgliedstaates – hier: Polen - zur Erbringung von Familienleistungen besteht – bei summarischer Prüfung - für B. nicht.
Art. 68 VO sieht bei Zusammentreffen von Ansprüchen in mehreren Mitgliedsstaaten Prioritätsregeln vor, die unabhängig von den Anspruchsvoraussetzungen der nationalen Rechtsvorschriften eine eigene, europarechtliche Regelung darstellen. Danach ergibt sich eine Rangfolge der Ansprüche danach, ob sie durch Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit, den Bezug einer Rente oder durch den Wohnort ausgelöst werden. An erster Stelle sind die Ansprüche in dem Mitgliedstaat zu erfüllen, dessen Rechtsvorschriften ein Elternteil aufgrund seiner Erwerbstätigkeit unterliegt, an zweiter Stelle die Ansprüche in dem Mitgliedstaat, nach dessen Rechtsvorschriften ein Elternteil eine Rente bezieht, und an dritter Stelle die Ansprüche in dem Mitgliedstaat, in dem ein Elternteil oder beide Eltern wohnen, wenn sie weder dort noch in einem anderen Mitgliedstaat erwerbstätig sind und auch keine Rente beziehen (vgl. Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Teil D. I., Art. 68 VO Rn. 5). Bei dem Zusammentreffen von Ansprüchen für denselben Familienangehörigen werden diejenigen im nachrangig zuständigen Mitgliedstaat bis zur Höhe der im vorrangig zuständigen Mitgliedstaat bestehenden Ansprüche ausgesetzt, Art. 68 Abs. 2 Satz 2 VO. Die Prioritätsregeln gelten aber nur dann, wenn in mehreren Mitgliedstaaten Ansprüche für dasselbe Familienmitglied bestehen. Deren Anwendung für ein Familienmitglied, für das in einem ebenfalls verpflichteten Mitgliedstaat aufgrund nationaler Rechtsvorschriften (z. B. Alters- oder Einkommensgrenzen) keine Familienleistungen zustehen, ist generell ausgeschlossen (Helmke/Bauer, a.a.O., Teil D. I., Art. 68 VO Rn. 28, 36).
Im Streitfall kommen – konkurrierende - Ansprüche der Kindesmutter in Polen Betracht, weil diese nach Art. 11 Abs. 3 VO den polnischen Rechtsvorschriften unterliegt. Bei summarischer Prüfung erfüllt diese jedoch nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Familienleistungen nach polnischem Recht, so dass eine Anwendung der Prioritätsregeln nach Art. 68 Abs. 1 VO auf den Anspruch auf Familienleistungen für das Kind B. ausgeschlossen ist.
Zwar haben die polnischen Behörden die ihnen übersandten Bescheinigungen E 411 unter Hinweis auf die fehlende Mitwirkung der Kindesmutter nicht ausgefüllt zurückgesandt, so dass auf diesem Wege eine Bestätigung über eine beruflichen Tätigkeit sowie über einen Anspruch der Kindesmutter auf polnische Familienleistungen nicht hat eingeholt werden können. Soweit daneben in den beiden übersandten Familienstandsbescheinigung E 401 vom 15.06.2009 und 22.10.2009 angegeben worden ist, die Kindesmutter übe eine Erwerbstätigkeit aus bzw. nicht aus, genügt dies für die Frage der Erwerbstätigkeit deshalb nicht, weil die Bescheinigung E 411 aufgrund der fehlenden Mitwirkung gerade nicht hat ausgefüllt werden können und im Übrigen nicht klar ist, wer die Angaben im Formular E 401 gemacht hat und ob die spätere Angabe auf einer Veränderung der tatsächlichen Umstände der Kindesmutter beruht oder eine Korrektur darstellt. Auch wird grundsätzlich davon auszugehen sein, dass den Antragsteller wegen des aufzuklärenden Auslandssachverhaltes eine erhöhte Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) trifft (vgl. Finanzgericht [FG] Düsseldorf, Urteil vom 16.04.2010 – 3 K 1401/09 Kg -, Entscheidungen der Finanzgerichte [EFG] 2010, 1140; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2008 – 2 K 110/07 -, EFG 2008, 1467; Wendl, in Herrmann/Heuer/Rau-pach, EStG/KStG, § 65 Rn. 6). Dieser kann sich der Antragsteller nicht unter Berufung darauf, die Verhältnisse der Kindesmutter seien ihm nicht bekannt, mit Erfolg entledigen, zumal er selbst erklärt hat, den Sohn B. regelmäßig einmal im Monat in G. zu besuchen.
Aufgrund der im vorliegenden Verfahren vorzunehmenden, nur summarischen Prüfung zur Frage des voraussichtlichen Erfolges der Klage ist jedoch auf Grundlage des Akteninhaltes und der vorliegenden Unterlagen davon auszugehen, dass die Kindesmutter keinen Anspruch auf polnische Familienleistungen hat.
Nach dem "Ustawa z dnia 28.11.2003 r. o świadczeniach rodzinnych", dem polnischen Gesetz vom 28.11.2003 über Familienleistungen (im folgenden: FamLstgG-PL) wird Kindergeld an einen Elternteil gezahlt, soweit das Familieneinkommen pro Familienmitglied höchstens 504,- PLN beträgt, Art. 4 Abs. 2 Nr. 1, Art. 5 Abs. 1 FamLstgG-PL. Als Familieneinkommen gilt das durchschnittliche monatliche Einkommen der Familienmitglieder im Kalenderjahr, das dem Beihilfezeitraum vorangeht, Art. 3 Abs. 2 FamLstgG-PL. Als Beihilfezeitraum gilt dabei der Zeitraum vom 01. September bis zum 31. August des nachfolgenden Kalenderjahres, für den der Anspruch auf Familienleistungen festgelegt wird, Art. 3 Abs. 10 FamLstgG-PL. Nach Art. 3 Abs. 16 FamLstgG-PL zählen zur Familie nicht nur Ehegatten, sondern auch Eltern der Kinder. Von diesen Regelungen ausgehend steht der Kindesmutter für den Zeitraum ab Januar 2011 in Polen ein Kindergeldanspruch nicht zu, weil das monatliche Familieneinkommen den Betrag von 504,- PLN pro Familienmitglied übersteigt. Dieses ergibt sich unmittelbar aus dem Einspruch des Antragstellers vom ...08.2009, mit dem er selbst angegeben hat, das Familieneinkommen der Kindesmutter übersteige die Einkommensgrenze, so dass ihr in Polen keine Familienleistungen zustünden. Belegt wird dies überdies durch seine Angaben, die Kindesmutter habe im Jahr 2009 in einer Gerichtsverhandlung erklärt, über ein monatliches Einkommen in Höhe von 1.000,- PLN zu verfügen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller, der nach eigenen Angaben durch Urteil des zuständigen Familiengerichtes in Polen zu Unterhaltszahlungen in Höhe von monatlich 350,- PLN verpflichtet worden ist und diese auch zahle, als Elternteil von B. mit zu den Familienangehörigen zu zählen ist. Ausgehend damit von drei Köpfen stellt ein Betrag von (504 x 3 =) 1.512,- PLN die maßgebliche Einkommensgrenze dar, die folglich überschritten ist, wenn der Antragsteller ein durchschnittliches monatliches Einkommen von mehr als umgerechnet 512,- PLN im Kalenderjahr 2009, mithin ein Jahreseinkommen von mehr als umgerechnet 6.144,- PLN erzielt hat. Dies entspricht nach dem Euro-Referenzkurs der EZB für das Jahr 2009 (1,- € = 4,3276 PLN) 1.419,72 €. Unter Zugrundelegung der Angaben des Antragstellers, er sei seit November 2008 unselbständig erwerbstätig gewesen und habe seit Mai 2009 wegen Arbeitslosigkeit Geldleistungen vom JobCenter bezogen, hat er jedenfalls die ersten vier Monate des maßgeblichen Kalenderjahres 2009 gearbeitet, wobei ein monatliches Einkommen von 354,93 € (x 4 = 1.419,72 €) ausreicht, die Einkommensgrenze für das polnische Kindergeld zu erreichen. Aufgrund der bescheinigten Versicherungspflichtigkeit der Tätigkeit geht der Senat von einem höheren Einkommen, im Ergebnis also von einer Überschreitung des maßgeblichen Pro-Kopf-Einkommens in Polen aus.
Ist danach - voraussichtlich - Deutschland zur Erbringung von Familienleistungen für B. verpflichtet, so steht dieser Anspruch im Streitfall auch dem Antragsteller zu. Soweit die Familienkasse sich demgegenüber auf § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG beruft und den Kindergeldanspruch der Kindesmutter zuweist, weil das Kind B. in deren Haushalt aufgenommen sei, folgt dem der Senat nicht.
Die Familienkasse stützt sich sinngemäß auf die Durchführungsanweisung zum über- und zwischenstaatlichen Recht der Bundesagentur für Arbeit – Familienkasse Direktion vom Januar 2010 (DA-üzV), die wiederum auf die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes verweist (EuGH, Urteil vom 10.10.1996, Rechtssache C-245/94 - Hoever/Zachow; Urteil vom 07.06.2005, Rechtssache C-543/03 - Dodl/Oberhollenzer und Urteil vom 07.07.2005, Rechtssache C-153/03 - Weide). Danach ergebe sich auf Grundlage der VO (EWG) Nr. 1408/71 in Verbindung mit der VO (EWG) Nr. 574/72 – der Vorgänger-Regelung der hier maßgeblichen VO und der DVO -, dass das Kindergeld auch dann an den gemäß §§ 64 EStG, 3 BKGG kindergeldberechtigten Elternteil zu zahlen sei, wenn dieser selbst nicht den deutschen Rechtsvorschriften unterliege (DA-üzV, DA 214.7 und DA 214.2 Abs. 3).
Nach Auffassung des Senates tangiert die zitierte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes nicht einen Sachverhalt, wie den des Streitfalles.
Der Rechtssache Hoever/Zachow (C-245/94) hat zugrunde gelegen, dass dem Ehegatten eines Arbeitnehmers eine Leistung verweigert worden wäre, die er hätte beanspruchen können, wenn er in dem die Leistung erbringenden Staat geblieben wäre. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass dies den europäischen Koordinierungsregelungen zuwider laufen würde, und hat die Regelungen dahingehend ausgelegt, in diesem Fall stünden dem anderen Familienangehörigen die Leistungen zu. Gegenstand der Entscheidung war mithin, bei der Familie oder den Familienangehörigen den Verlust einer Familienleistung lediglich aufgrund der Inanspruchnahme des Rechtes auf Freizügigkeit zu verhindern. Auf den vorliegenden Fall ist diese Entscheidung nicht übertragbar. Denn hier besteht nach dem inländischen Recht gerade ein konkreter Kindergeldanspruch. Weder gilt es bei einem solchen Sachverhalt, den Verlust von Familienleistungen zu unterbinden noch ist das Recht auf Freizügigkeit berührt.
Ein analoge Aussage ergibt sich aus der Rechtssache Slanina (EuGH, C-363/08), wonach vor dem Hintergrund der Inanspruchnahme des Rechtes auf Freizügigkeit und der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen nur durch einen der beiden Elternteile ein ursprünglich bestehender Anspruch auf Familienleistungen trotz Weggangs in einen anderen Mitgliedstaat bestehen bleibe. Auswirkungen für den Streitfall ergeben sich ausgehend von den vorstehenden Ausführungen ebenfalls nicht. Insbesondere ist weder das Recht auf Freizügigkeit betroffen noch steht ein Verlust bisher zustehender Familienleistungen in Rede.
Die Rechtssache Dodl/Oberhollenzer (C-543/03) betrifft demgegenüber eine Fallgestaltung, in der es auf die Anwendung der Antikumulierungs-Regeln und deren Auslegung ankommt, um den zuständigen Mitgliedstaat festzulegen. Im Rahmen der Anwendung dieser Antikumulierungs-Regeln hat der Europäische Gerichtshof dabei eine Familienbetrachtung für den Fall vorgenommen, dass ein Elternteil bestimmte nationale Anspruchsvoraussetzungen nicht erfülle, diese aber von dem anderen erfüllt werden. Dazu hat er ausgeführt, es genüge, dass der Anspruch auf die Leistungen in dem Wohnmitgliedstaat für einen Elternteil - den Elternteil, der einer Beschäftigung in dem anderen Mitgliedstaat nachgehe - erworben werde (s. EuGH, C-543/03, Rn. 62.). Vorausgesetzt wird danach, dass eine Kumulierung der Ansprüche nach den Rechtsvorschriften des Wohnstaats mit den Ansprüchen nach den Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaats eintreten kann, Familienleistungen mithin nach den Rechtsvorschriften beider Mitgliedstaaten geschuldet werden. Ausdrücklich klargestellt hat der Europäische Gerichtshof demgegenüber an dieser Stelle, dass dann, wenn die nach den internen Rechtsvorschriften des einen Staates aufgestellten Anspruchsvoraussetzungen eine Leistung versagen – hier: bei Überschreiten einer festgelegten Einkommensgrenze –, ein Rückgriff auf die Antikumulierungs-Regeln nicht in Betracht kommt (s. EuGH, C-543/03, Rn. 63.). Auf den Streitfall ist diese Rechtssache mithin nicht anwendbar. Denn es geht hier gerade nicht um einen Anwendungsfall der Antikumulierungs-Regeln, für den eine Familienbetrachtung in Betracht zu ziehen wäre, sondern um einen Sachverhalt, bei dem aufgrund nationaler Rechtsvorschriften – wegen Überschreitung der Einkommensgrenze - in dem einen Mitgliedstaat – Polen - keine Familienleistungen zustehen.
Die Rechtssache Weide (C-153/03) betrifft eine der Rechtssache Dodl/Oberhollenzer entsprechende Fallgestaltung insofern als die Anwendung der Antikumulierungs-Regeln in Frage stand, so dass sich für den Streitfall gegenüber dem zuvor Gesagten nichts Abweichendes ergibt.
Die Auffassung der Familienkasse wird insbesondere auch nicht durch Art. 60 Abs. 1 Satz 2 DVO gestützt. Danach ist der Anwendung von Art. 67 und 68 VO, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen ist, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen (sog. Familienbetrachtung). Diese Regelung soll (die Fälle der hier nicht anwendbaren Antikumulierungs-Regeln des Art. 68 VO unberücksichtigt gelassen, bei denen es um die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates geht) auf Grundlage der zuvor zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes gewährleisten, dass durch die Betrachtung der Verhältnisse jeweils nur eines – des maßgeblichen - Elternteils ein Anspruch auf die betreffende Familienleistung für ein Kind nicht ganz ausgeschlossen oder einem nach nationalem Recht vorrangigen Elternteil der Anspruch nicht genommen wird (vgl. dazu Helmke/Bauer, a.a.O., Teil D. I., Art. 67 VO Rn. 8). In Ansehung des "Rechtes" zur Erhebung des Leistungsanspruches soll daher die "Situation" der gesamten Familie in einer Weise berücksichtigt werden, als würden alle Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen. Dies ist dahingehend zu verstehen, dass in der Person des Elternteils, aus dem der nationale Anspruch abgeleitet wird, die Verhältnisse auch der übrigen Familienangehörigen - in der genannten Weise - berücksichtigt werden, so dass nicht allein die Erstreckung des Sachverhaltes auf mehrere Mitgliedstaaten zu einem vollständigen Verlust der Familienleistung für das Kind oder allein die Inanspruchnahme des Rechts auf Freizügigkeit zu einem entsprechenden Verlust in der Person der betreffenden Elternteils führt (vgl. Rechtssache Slanina). Als Voraussetzung wird mithin nach den Rechtsvorschriften des infrage kommenden Mitgliedstaates in der Person ein "Recht" zur Erhebung des Leistungsanspruches in Rede stehen müssen, das gemäß Art. 60 Abs. 1 Satz 2 DVO im Wege der Familienbetrachtung um fehlende Anspruchsvoraussetzungen ergänzt oder korrigiert wird. Die Regelung begründet jedoch nicht in einer anderen Person, die den Rechtsvorschriften desselben Mitgliedstaat weder unterliegt noch dort wohnt noch durch Wegzug diese Voraussetzungen verloren hat, erstmals einen Anspruch. Eine generelle Erweiterung des Kreises der Anspruchsberechtigten auf Personen, die weder unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen noch diese Voraussetzungen in Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit erst verloren haben, entspricht nach Auffassung des Senates nicht dem Sinn und Zweck der VO, erst Recht nicht dem der Verfahrensvorschrift des Art. 60 DVO. Denn es handelt sich um Koordinierungsregelung, die innerhalb der Gemeinschaft eine Gleichbehandlung sicherstellen, eine Kumulierung von Ansprüchen verhindern und die Wahrung erworbener Ansprüche gewährleisten sollen. Gegen eine Erweiterung des Kreises der Anspruchsberechtigten spricht auch Art. 60 Abs. 1 Satz 3 DVO, wonach ein Antrag des anderen Elternteils auf Familienleistungen erst dann zu berücksichtigen ist, wenn die "Person, die berechtigt ist, Anspruch auf die Leistung zu erheben", dieses Recht – das Antragsrecht – nicht wahrnimmt (zu demselben Ergebnis kommen: FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14.12.2011 – 2 K 2085/10 -, zitiert nach Juris; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23.03.2011 – 2 K 2248/10 -, EFG 2011, 1321; Niedersächsisches FG, Urteil vom 15.12.2011 – 3 K 155/11 -, zitiert nach Juris; s.a.: FG München, Gerichtsbescheid vom 21.11.2011 – 5 K 2527/10 -, zitiert nach Juris; FG München, Urteil vom 27.10.2011 – 5 K 1075/11 -, EFG 2012, 253; FG München, Urteil vom 27.10.2011 – 5 K 3245/10 -, EFG 2012, 256; Reuß, EFG 2011, 1326; a.A.: FG Bremen, Urteil vom 10.11.2011 - 3 K 26/11 (1) –, EFG 2012, 143).
Daraus folgt, dass die Klage des Antragstellers hinreichende Aussicht auf Erfolg aufweist.
Nach der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse verfügt der Antragsteller nicht über Vermögen. Sein monatlich zur Verfügung stehendes Einkommen liegt auch unter der Grenze, ab der Ratenzahlungen festzusetzen sind. Dies folgt unter anderem auch daraus, dass über das Vermögen des Antragstellers ein Verbraucher-Insolvenzverfahren eröffnet gewesen ist und die Wohlverhaltensphase nach Abschluss desselben noch bis November 2013 läuft.