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Schwerbehindertenrecht - Grad der Behinderung - Merkzeichen "G", "B", "H", "RF" und "T" - seelisches Leiden - Diabetes mellitus - Verwertung von in anderen Gerichtsverfahren eingeholte Gutachten


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 11. Senat Entscheidungsdatum 06.02.2013
Aktenzeichen L 11 SB 245/10 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 69 Abs 1 S 1 SGB 9, § 69 Abs 3 S 1 SGB 9, § 69 Abs 4 SGB 9, § 145 Abs 1 S 1 SGB 9, § 146 Abs 1 S 1 SGB 9, § 33b Abs 3 EStG, § 33 Abs 6 EStG

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Juli 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Feststellungen eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 80 sowie der gesundheitlichen Voraussetzungen für mehrere Merkzeichen.

Zugunsten der 1957 geborenen Klägerin war durch Bescheid des Beklagten vom 9. Juli 2003 seit Mai 2002 ein GdB von 50 wegen einer Hirnleistungsminderung und ängstlich-depressivem Syndrom (Einzel-GdB: 40), einer tablettenpflichtigen Zuckerkrankheit (Einzel-GdB: 20) und Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule und Muskelverspannung (Einzel-GdB: 20) anerkannt.

Am 31. Mai 2007 stellte die Klägerin bei dem Beklagten einen Antrag auf Feststellungen eines höheren GdB sowie der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen „G“ (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr), „B“ (Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson), „H“ (Hilflosigkeit) und „RF“ (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht). Sie äußerte des Weiteren den Wunsch, schon vor der Entscheidung des Versorgungsamts über das Merkzeichen „T“ den Sonderfahrdienst nutzen zu wollen.

Der Beklagte zog den Entlassungsbericht über eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme der Klägerin in der B-Klinik vom 17. Januar bis 14. März 2006 bei und holte ärztliche Befundberichte bei dem Facharzt für Orthopädie Dr. K vom 11. Juli 2007, bei der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. N vom 11. Juli 2007 sowie bei dem Facharzt für Innere Medizin K vom 28. August 2007 ein. Nach Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme bei dem Facharzt für Arbeitsmedizin und Gutachter Dr. K vom 20. November 2007 stellte der Beklagte mit Bescheid vom 4. März 2008 einen GdB von 70 wegen

-Beeinträchtigung der Gehirnfunktion; posttraumatische Belastungsstörung; ängstlich-depressives Syndrom (Einzel-GdB: 40),
-tablettenpflichtige Zuckerkrankheit bei Adipositas per magna mit Komplikationen (Einzel-GdB: 30),
-Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und muskuläre Verspannungen; Muskelreizerscheinungen der Wirbelsäule; Bandscheibenschäden (Einzel-GdB: 20),
-Funktionsbehinderung des Schultergelenkes beidseitig; Erkrankung des Armes beidseits (Einzel-GdB: 20),
-Herzklappenfehler; Bluthochdruck; Fettstoffwechselstörung (Einzel-GdB: 20)

fest. Die Feststellungen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen „G“, „B“, „H“, „RF“ und „T“ lehnte der Beklagte ab. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und ein ärztliches Attest des Internisten K vom 13. Mai 2008 vor. Nach Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme bei der Ärztin T vom 27. Juni 2008, die für das seelische Leiden einen Einzel-GdB von 50 als angemessen erachtete, gleichwohl aber von einem Gesamt-GdB von 70 ausging, wies der Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 23. September 2008 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 24. Oktober 2008 Klage erhoben. Unter anderem hat sie ärztliche Atteste ihres Internisten K vom 13. Mai 2008 und der Psychiaterin Dr. N vom 3. Juni 2008 zu den Akten gereicht. Das Sozialgericht hat aus der Gerichtsakte des Sozialgerichts Berlin, der eine Klage der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung zugrunde lag, Kopien gefertigt, diese zu den hiesigen Gerichtsakten genommen und den Beteiligten je zur Kenntnisnahme übermittelt. Bei den Unterlagen handelt es sich insbesondere um ein für das Rentenverfahren erstelltes psychiatrisches Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. A vom 22. Februar 2008, das dieser nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 7. Januar 2008 erstellt und in dem er diagnostiziert hat eine chronisch depressive Störung mit Angst und Somatisierung, eine Belastungslumbalgie, Cervikobrachialgien, Diabetes mellitus Typ II, arterieller Hypertonus, gemischte Lipidämie und Adipositas. Leichte Arbeiten mit der vollen üblichen Arbeitszeit könne die Klägerin verrichten. Besonderheiten für den Weg zur Arbeitsstelle seien nicht zu beachten.

Das Sozialgericht hat einen Arztbrief des H-Krankenhauses vom 11. November 2008 über eine stationäre Behandlung der Klägerin vom 4. bis 11. November 2008 sowie bei der Pflegekasse ein Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit gemäß SGB XI der Gutachterin F vom 27. April 2009 nach Begutachtung der Klägerin am 15. April 2009 angefordert. In letztgenanntem Gutachten wird ausgeführt, bei der Klägerin liege Pflegebedürftigkeit nach der Pflegestufe I vor. Der Zeitaufwand für die Grundpflege wurde mit 71 Minuten am Tag (45 Minuten Körperpflege, 6 Minuten Ernährung, 20 Minuten Mobilität), der Zeitaufwand für Hauswirtschaft mit 60 Minuten am Tag beziffert.

Der Beklagte hat zu den Gerichtsakten des Sozialgerichts eine nervenfachärztliche Stellungnahme der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. W vom 4. September 2009, eine augenfachärztliche Stellungnahme der Fachärztin für Augenheilkunde L vom 17. September 2009, eine fachinternistische Stellungnahme der Fachärztin für Innere Medizin Dr. G vom 29. September 2009 und eine fachchirurgische Stellungnahme der Fachärztin für Chirurgie und Gefäßchirurgie Dr. H vom 20. Oktober 2009 gereicht.

Das Sozialgericht hat einen Befundbericht bei der Fachärztin für Innere Medizin Dr. E vom 9. Dezember 2009 eingeholt.

Der Beklagte hat die Klägerin daraufhin durch seinen versorgungsärztlichen Dienst untersuchen lassen und ein ärztliches Gutachten des Arztes für Orthopädie Dr. V vom 19. Januar 2010 zu den Gerichtsakten gereicht. Dr. V hat weiterhin einen GdB von 70 als angemessen erachtet. Im Wesentlichen hat er die von dem Beklagten zur Bestimmung des Gesamt-GdB zugrunde gelegten Einzel-GdB bestätigt, allerdings unter anderem neben dem Schulterleiden noch ein Carpaltunnelsyndrom sowie die Gebrauchseinschränkung der Hand berücksichtigt, wobei sich für den Einzel-GdB von 20 insoweit keine Änderungen ergeben haben. Knorpelschäden am Kniegelenk und eine Funktionsstörung durch Fußfehlform hat er ebenso mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet wie ein Krampfaderleiden des Beines. Das Vorliegen gesundheitlicher Voraussetzungen für Merkzeichen hat er verneint.

Das Sozialgericht hat die auf Feststellungen eines GdB von mindestens 80 sowie der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen „G“, „B“, „H“, „RF“ und „T“ gerichtete Klage durch Urteil vom 27. Juli 2010 abgewiesen. Der GdB sei mit 70 wohlwollend hoch bemessen worden, namentlich sei der Einzel-GdB von 50 für das seelische Leiden äußerst wohlwollend. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung der begehrten Merkzeichen lägen nicht vor.

Gegen das ihr am 9. September 2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 6. Oktober 2010 Berufung eingelegt, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt.

Der Senat hat Befundberichte eingeholt bei Dr. E vom 10. Mai 2011, Dr. N vom 10. Mai 2011, der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. B vom 18. Mai 2011, Dr. K vom 6. Juli 2011 und dem Internisten K vom 7. Dezember 2011. Des Weiteren hat der Senat die Akte des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg angefordert; hierbei handelt es sich um das Berufungsverfahren zum Klageverfahren über die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente . Der Senat hat das in dem genannten Berufungsverfahren eingeholte psychiatrische Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. A vom 23. Dezember 2010 (ambulante Untersuchung der Klägerin am 22. Dezember 2010) und das ebenfalls in diesem Berufungsverfahren eingeholte psychiatrische Fachgutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und Fachärztin für psychotherapeutische Medizin, Psychoanalyse T vom 1. Juli 2011 (ambulante Untersuchungen der Klägerin am 25. und am 30. Mai 2011) kopiert, zu den Akten genommen und eine Kopie dem Beklagten übermittelt. Von einer Übersendung an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin hat der Senat insoweit abgesehen, da dieser die Klägerin auch im (Renten)Berufungsverfahren vertreten hat und ihm die Gutachten infolgedessen bekannt sind.

Der Gutachter Dr. A hat im Wesentlichen ausgeführt, dass sich im Verhältnis zu seiner ersten Begutachtung im Februar 2008 keine wesentlichen Änderungen ergeben hätten. Die Bewilligung der Pflegestufe I sei nicht nachvollziehbar. Die Gutachterin T hat bei Diagnosen einer chronischen Anpassungsstörung mit Angst und einer depressiv-hysterischen Persönlichkeitsstörung mit psychosomatischer Reaktionsbereitschaft und somatisierten Angstäquivalenten aus psychiatrischer Sicht keine Leistungsminderung erkennen können.

Der Senat hat schließlich ein medizinisches Gutachten bei dem praktischen Arzt M vom 5. November 2012 eingeholt, das dieser nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 17. Oktober 2012 erstellt hat. Nach dem Sachverständigen liegen bei der Klägerin folgende Behinderungen vor:

-Seelisches Leiden (Angst und Depression gemischt, Somatisierungsstörung, Entwicklung körperlicher Symptome aus psychischen Gründen) (Einzel-GdB: allenfalls 50),
-chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (Einzel-GdB: gerade eben noch 30),
-insulingeführter Diabetes mellitus (Einzel-GdB: maximal 30 ab Januar 2008, 20 bis Dezember 2007),
-Bluthochdruck (Einzel-GdB: 20),
-Krampfaderleiden (Einzel-GdB: 10).

Zur Ableitung des Gesamt-GdB sei anzumerken, dass nur mit Ausschöpfung aller Ermessensspielräume die beiden ersten Leidenskomplexe zu einer GdB-Komponente von 60 zusammenzufassen seien. Unabhängig davon, ob man die Zuckerkrankheit mit einem GdB von 20 oder 30 bewerte, erwachse hieraus eine weitere leichte Erhöhung auf den GdB von 70. Dabei sei nochmals gesagt, dass bei einer freien Einschätzung ohne die sehr hohen Vorbewertungen auch ein deutlich niedrigerer Gesamt-GdB in Frage käme: Die beiden ersten Leidenskomplexe könnten vom Medizinischen her auch zu einem GdB von 40 zusammengefasst werden, unter Berücksichtigung des Diabetes mellitus wäre dann ein Gesamt-GdB von 50 vertretbar. Das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die beantragten Merkzeichen hat der Sachverständige verneint.

Die Klägerin beantragt schriftlich,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Juli 2010 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 4. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2008 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei der Klägerin ab dem 31. Mai 2007 einen Grad der Behinderung von mindestens 80 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen „G“, „B“, „H“, „RF“ und „T“ festzustellen.

Der Beklagte beantragt schriftlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das Urteil für zutreffend und verweist auf die dem Senat übermittelten fachinternistischen Stellungnahmen von Dr. G vom 12. Dezember 2011 und vom 5. Januar 2012, die nervenfachärztlichen Stellungnahmen von Dr. W vom 16. Dezember 2011, vom 29. Dezember 2011 und vom 13. April 2012 sowie die fachchirurgischen Stellungnahmen von Dr. H vom 22. Dezember 2011 und vom 23. April 2012.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter entscheiden, weil die Beteiligten zu dieser Entscheidungsform ihr Einverständnis erklärt haben, § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 155 Abs. 4 und Abs. 3 SGG.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 4. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Weder hat sie seit Antragstellung am 31. Mai 2007 einen Anspruch auf Feststellung eines GdB von mehr als 70, noch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen „G“, „B“, „H“, „RF“ und „T“.

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Bei der Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, sind für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 (grundsätzlich) die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (vormals Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung) herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) in ihrer jeweils geltenden Fassung (hier maßgeblich Ausgaben 2005 und 2008 – nachfolgend nur AHP) zu beachten, die gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX für die Zeit ab dem 1. Januar 2009 durch die in der Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG - Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) - vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I Seite 2412) festgelegten „versorgungsärztlichen Grundsätze“ abgelöst worden sind, die inzwischen ihrerseits durch die Verordnungen vom 1. März 2010 (BGBl. I Seite 249), 14. Juli 2010 (BGBl. I Seite 928), vom 17. Dezember 2010 (BGBl. I Seite 2124), vom 28. Oktober 2011 (BGBl. I Seite 2153) und vom 11. Oktober 2012 (BGBl. I Seite 2122) Änderungen erfahren haben. Die AHP sind zwar kein Gesetz und sind auch nicht aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung erlassen worden. Es handelt sich jedoch bei ihnen um eine auf besonderer medizinischer Sachkunde beruhende Ausarbeitung im Sinne von antizipierten Sachverständigengutachten, die die möglichst gleichmäßige Handhabung der in ihnen niedergelegten Maßstäbe im gesamten Bundesgebiet zum Ziel hat. Die AHP engen das Ermessen der Verwaltung ein, führen zur Gleichbehandlung und sind deshalb auch geeignet, gerichtlichen Entscheidungen zugrunde gelegt zu werden. Gibt es solche anerkannten Bewertungsmaßstäbe, so ist grundsätzlich von diesen auszugehen (vgl. z. B. Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 18. September 2003 - B 9 SB 3/02 R -, bestätigt in BSG, Urteil vom 2. Dezember 2010 - B 9 SB 4/10 R – beide bei juris), weshalb sich auch der Senat für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 grundsätzlich auf die genannten AHP stützt. Für die Zeit ab dem 1. Januar 2009 ist demgegenüber für die Verwaltung und die Gerichte im Grundsatz die zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretene Anlage zu § 2 VersMedV maßgeblich, mit der die in den AHP niedergelegten Maßstäbe weitgehend nur mit redaktionellen Anpassungen in eine normative Form gegossen worden sind, ohne dass die bisherigen Maßstäbe inhaltliche Änderungen erfahren hätten.

Einzel-GdB sind entsprechend den genannten Maßstäben als Grad der Behinderung in Zehnergraden entsprechend den Maßstäben des § 30 Abs. 1 BVG zu bestimmen. Für die Bildung des Gesamt-GdB bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen sind nach § 69 Abs. 3 SGB IX die Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander zu ermitteln, wobei sich nach Teil A Nr. 3 a) der Anlage zu § 2 VersMedV (ebenso bereits Teil A Nr. 19 AHP, Seite 24 ff.) die Anwendung jeglicher Rechenmethode verbietet. Vielmehr ist zu prüfen, ob und inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen oder ob und inwieweit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden oder gegenseitig verstärken. Dabei ist in der Regel von einer Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden, wobei die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden dürfen. Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB-Grad von 10 bedingen, führen grundsätzlich nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung; auch bei leichten Funktionsstörungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 3 d) aa) – ee) der Anlage zu § 2 VersMedV; ebenso zuvor AHP Teil A Nr. 19 Abs. 1, 3 und 4, Seite 24 ff.).

Der GdB bei der Klägerin ist nicht höher als mit 70 zu bewerten. Dies folgt aus einer Gesamtschau der vorliegenden medizinischen Unterlagen und hier insbesondere einerseits aus dem vom Senat eingeholten Gutachten des Sachverständigen M, andererseits auch aus den im gerichtlichen Rentenverfahren eingeholten Gutachten von Dr. A vom 22. Februar 2008 und vom 23. Dezember 2010 und der Psychotherapeutin T vom 1. Juli 2011. Auch die drei letztgenannten Gutachten sind hier geeignete und damit in die Beweiswürdigung einzubeziehende Beweismittel. Denn nach dem durch das Erste Gesetz zur Modernisierung der Justiz (1. Justizmodernisierungsgesetz) vom 24. August 2004 (BGBl. I S. 2198) mit Wirkung zum 1. September 2004 eingefügten § 411a der Zivilprozessordnung, der gemäß § 118 Abs. 1 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anwendbar ist, kann die schriftliche Begutachtung durch die Verwertung eines gerichtlich oder staatsanwaltschaftlich eingeholten Sachverständigengutachtens aus einem anderen Verfahren ersetzt werden. Diese Vorschrift ermöglicht es, ein in einem anderen Verfahren eingeholtes Gutachten nicht nur als Urkundenbeweis, sondern als Sachverständigenbeweis zu benutzen (vgl. Urteil des Senats vom 28. Juli 2011 – L 11 SB 9/09 – juris, m. w. N.).

Für die Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin gilt hier Folgendes:

Im Vordergrund stehen bei der Klägerin deren psychische Leiden. Insoweit ist auf Teil B Nr. 3.7 der Anlage zu § 2 VersMedV und Teil A Nr. 26.3 AHP 2005 und 2008, Seite 48, zurückzugreifen. Danach sind

-leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem Einzel-GdB von 0 bis 20,
-stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) mit einem Einzel-GdB von 30 bis 40,
-schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem Einzel-GdB von 50 bis 70 und
-schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem Einzel-GdB von 80 bis 100

zu bewerten.

Zur Auslegung der Begriffe „mittelgradige“ und „schwere“ soziale Anpassungsschwierigkeiten können die vom ärztlichen Sachverständigenbeirat beim BMA am Beispiel des „schizophrenen Residualzustandes“ entwickelten Abgrenzungskriterien herangezogen werden (vgl. BSG, Urteil vom 23. April 2009 - B 9 VG 1/08 R – juris unter Bezugnahme auf die Beschlüsse des ärztlichen Sachverständigenbeirats vom 18./19. März 1998 und vom 8./9. November 2000). Danach werden

-leichte soziale Anpassungsschwierigkeiten angenommen, wenn z. B. Berufstätigkeit trotz Kontaktschwäche und/oder Vitalitätseinbuße auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch ohne wesentliche Beeinträchtigung möglich ist (wesentliche Beeinträchtigung nur in besonderen Berufen, z. B. Lehrer, Manager) und keine wesentliche Beeinträchtigung der familiären Situation oder bei Freundschaften, d. h. keine krankheitsbedingten wesentlichen Eheprobleme bestehen,
-mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten angenommen bei einer in den meisten Berufen sich auswirkenden psychischen Veränderung, die zwar eine weitere Tätigkeit grundsätzlich noch erlaubt, jedoch eine verminderte Einsatzfähigkeit bedingt, die auch eine berufliche Gefährdung einschließt; als weiteres Kriterium werden erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung genannt, aber noch keine Isolierung, noch kein sozialer Rückzug in einem Umfang, der z. B. eine vorher intakte Ehe stark gefährden könnte,
-schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten angenommen, wenn die weitere berufliche Tätigkeit sehr stark gefährdet oder ausgeschlossen ist; als weiteres Kriterium werden schwerwiegende Probleme in der Familie oder im Freundes- oder Bekanntenkreis bis zur Trennung von der Familie, vom Partner oder Bekanntenkreis benannt.

Dass es sich bei der von dem Beklagten vorgenommenen Bewertung des seelischen Leidens mit einem Einzel-GdB von 50 – bei Annahme schwerer Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten – um eine kaum nachzuvollziehende Maximalbewertung handelt, hat der Sachverständige M überzeugend dargelegt. Er hat die Klägerin als nicht relevant depressiv beschrieben, die Affekte seien adäquat, die emotionale Schwingungsfähigkeit sei nicht relevant eingeschränkt, der Antrieb sei letztlich nicht reduziert. Aktuell sei die Klägerin allenfalls leicht depressiv. Ein höhergradiges Vermeidensverhalten aufgrund der Angstsymptomatik sei nicht einfühlbar, vielmehr werde die Angstsymptomatik funktionalisiert und instrumentalisiert, um die regressive Grundhaltung beibehalten zu können. Bei ausgeprägter histrionischer Primärpersönlichkeit sei nicht eindeutig zu entscheiden, ob das Ausmaß einer Persönlichkeitsstörung erreicht werde. Das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung – bei durchaus vorliegenden traumatischen Erlebnissen in der Kindheit - hat der Sachverständige nachvollziehbar verneint. Er beschreibt ein intaktes Familienleben und einen bestehenden Freundeskreis der Klägerin. Eine von der Klägerin behauptete Einnahme von Antidepressiva hat der Sachverständige M anhand der Serumspiegel widerlegen können. Eine ambulante Psychotherapie findet aktuell nicht statt. Hierzu hat die Klägerin im Übrigen gegenüber dem im gerichtlichen Rentenverfahren bestellten Gutachter Dr. A erklärt, die nervenärztliche Behandlung bei Dr. N sei im Mai 2010 beendet worden; während der vier Behandlungsjahre habe es immer Streit gegeben, wobei Dr. N der Ansicht gewesen sei, die Klägerin sei gar nicht krank (Gutachten von Dr. A vom 23. Dezember 2010, Seite 4). Die Beurteilung des Sachverständigen M ist auch vor dem Hintergrund umso nachvollziehbarer, als seine Feststellungen von den im gerichtlichen Rentenverfahren bestellten Gutachtern im Wesentlichen bestätigt werden. Dr. A hat bereits in seinem Gutachten vom 22. Februar 2008 die depressive Symptomatik der Klägerin lediglich als eher leicht bis teilweise etwa mittelgradig ausgeprägt beschrieben (Seite 18 des Gutachtens). Die Klägerin führe den Haushalt gemeinsam mit dem Ehemann, sei in der Familie gut integriert und verreise in unregelmäßigen Abständen in ihr Heimatland. In seinem Gutachten vom 23. Dezember 2010 hat Dr. A ausgeführt, auf der Ebene der Beschwerden und Symptome habe sich seit der letzten Begutachtung nichts Wesentliches geändert. In psychopathologischer Sicht fänden sich keine bemerkenswerten Auffälligkeiten, sehe man einmal von einer sehr überzeugenden Präsentation von Leiden und Überdruss ab. Die Psychotherapeutin T hat keine wesentlichen Abweichungen im Verhältnis zu dem Gutachten von Dr. A festzustellen vermocht (Gutachten vom 1. Juli 2011, Seite 16). Bei dieser Sachlage wäre die Annahme allenfalls stärker behindernder Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit mit einem Einzel-GdB von 30 bis 40 wohl richtig gewesen. Ein höherer Einzel-GdB als der vom Beklagten zugrunde gelegte Wert von 50 ist jedenfalls unter keinen Umständen vertretbar.

Sowohl Dr. Aals auch Frau T haben im Übrigen überzeugend die etwa von Dr. N in ihrem Befundbericht für den Beklagten vom 11. Juli 2007 als Diagnose genannte beginnende Demenz vom Alzheimer-Typ verneint. In diesem Zusammenhang ist bereits anzumerken, dass Dr. N etwa in einem ärztlichen Attest für das Sozialgericht vom 3. Juni 2008 ihre Diagnose insoweit relativiert hat, als sie nur noch einen Verdacht auf eine Alzheimer-Demenz geäußert hat. Die in ihrem Attest vom 17. Februar 2009 mitgeteilte hochgradige kognitive Einschränkung ist von keinem Gutachter bestätigt worden. Dr. A hat in seinem Gutachten vom 22. Februar 2008 eine schwerwiegende Störung der Merkfähigkeit (Seite 16) und demgemäß auch eine Demenz (Seite 21) verneint. In seinem Gutachten vom 23. Dezember 2010 hat Dr. A die kognitiven Funktionen als ungestört erachtet (Seite 6). Die Psychotherapeutin T hat in ihrem Gutachten vom 1. Juli 2011 ausdrücklich erklärt, die von Dr. N diagnostizierte Demenz vom Alzheimer-Typ könne nicht bestätigt werden, da weder Konzentrations- noch Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen festzustellen gewesen seien (Seite 15). Dies wird schließlich auch durch den Sachverständigen M bestätigt, der eine ungestörte Konzentrations- und Merkfähigkeit festgestellt hat.

Die Bewertung einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren mit einem Einzel-GdB von gerade eben noch 30 durch den Sachverständigen M ist gleichfalls nachvollziehbar, wobei der Sachverständige zu Recht anmerkt, dass eine exakte Abgrenzung organischer und psychischer Beschwerden in diesem Zusammenhang kaum möglich ist. Legt man nun die rein organischen Beschwerden zugrunde, ergibt sich insbesondere bei Beachtung der vom Sachverständigen M wie auch der vom Versorgungsarzt Dr. V – dieser in seinem Gutachten vom 19. Januar 2010 - nach der Neutral-Null Methode erhobenen Messbefunde kein nennenswerter GdB.

Die Wirbelsäulenleiden der Klägerin wären nach Teil B Nr. 18.9 der Anlage zu § 2 VersMedV und Teil A Nr. 26.18 AHP, Seite 115 f., mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Der GdB bei angeborenen und erworbenen Wirbelsäulenschäden ergibt sich danach primär aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung, der Wirbelsäulenverformung und -instabilität sowie aus der Anzahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte. Der Begriff Instabilität beinhaltet die abnorme Beweglichkeit zweier Wirbel gegeneinander unter physiologischer Belastung und die daraus resultierenden Weichteilveränderungen und Schmerzen. Sogenannte Wirbelsäulensyndrome (wie Schulter-Arm-Syndrom, Lumbalsyndrom, Ischialgie, sowie andere Nerven- und Muskelreizerscheinungen) können bei Instabilität und bei Einengungen des Spinalkanals oder der Zwischenwirbellöcher auftreten. Zu bewerten sind Wirbelsäulenschäden wie folgt:

-Ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität 0,
-mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) 10,
-mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) 20,
-mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) 30,
-mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten 30 bis 40,
-mit besonders schweren Auswirkungen (z. B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst [z. B. Milwaukee-Korsett]; schwere Skoliose [ab ca. 70° nach Cobb]) 50 bis 70,
-bei schwerster Belastungsinsuffizienz bis zur Geh- und Stehunfähigkeit 80 bis 100.

Für die Halswirbelsäule sind nach den vom Sachverständigen M genannten Messergebnissen (Seitneigung rechts und links 40-0-60°; Drehung rechts und links 60-0-60°) wie auch nach den Ergebnissen von Dr. V, der für die Halswirbelsäule von freier Beweglichkeit ausgegangen ist, keine Funktionsbeeinträchtigungen festzustellen. Im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule beschreibt der Sachverständige unauffällige Werte nach Schober (10/13 cm) und Ott (30/32 cm). Die Werte für die Seitneigung wie auch die Torsion je nach rechts und links sind mit jeweils 30-0-30° ebenfalls unauffällig. Insgesamt geht der Sachverständige davon aus, dass die Muskulatur im Schulter-Nacken-Bereich mäßig verspannt und druckschmerzhaft sei; die Beweglichkeit der oberen Wirbelsäule sei um etwa ein Viertel eingeschränkt, wobei diese Bewegungen dann nicht schmerzhaft seien. Neurologische Defizite oder Nervenwurzelreizungen bestünden nicht. Im unteren Wirbelsäulenbereich beschreibt der Sachverständige die Muskulatur als leicht gereizt und ebenfalls schmerzhaft. Bis auf eine endgradig schmerzhafte Einschränkung der Beugefähigkeit sei die untere Wirbelsäule trotz des massiven Übergewichts frei beweglich. Auch hier würden keine Bewegungsschmerzen ausgelöst, es komme auch nicht zu Nervenwurzelreizungen. Dies berücksichtigend wäre von Wirbelsäulenbeschwerden mit keinen (Halswirbelsäule) und geringen (Brust-/Lendenwirbelsäule) funktionellen Auswirkungen auszugehen, die mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten wären. Nur unter Berücksichtigung der von der Klägerin angegebenen und den geringen funktionellen Auswirkungen nicht mehr entsprechenden Schmerzen gelangt man zu einem Einzel-GdB von 20. Denn nach Teil A Nr. 2 j) der Anlage zu § 2 VersMedV und Teil A Nr. 18 Abs. 8 AHP, Seite 23 f., schließen die in der GdB-Tabelle angegebenen Werte die üblicherweise vorhandenen Schmerzen mit ein und berücksichtigen auch erfahrungsgemäß besonders schmerzhafte Zustände. Ist nach Ort (AHP: Sitz) und Ausmaß der pathologischen Veränderungen eine über das übliche Maß hinausgehende Schmerzhaftigkeit nachgewiesen (AHP: anzunehmen), die eine (AHP: spezielle) ärztliche Behandlung erfordert, können höhere Werte angesetzt werden. Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe erachtet der Senat einen Einzel-GdB von 20 als gerade vertretbar.

Die Schultergelenkbeschwerden der Klägerin sind nach Teil B Nr. 18.13 der Anlage zu § 2 VersMedV und Teil A Nr. 26.18 AHP, Seite 119, eigentlich mit keinem Einzel-GdB zu bewerten. Denn danach sind Bewegungseinschränkungen des Schultergelenkes überhaupt nur bei einer Armhebung von nur bis zu 120° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit zu bewerten, wovon die Klägerin bei den vom Sachverständigen M mitgeteilten Messwerten (Arm seitwärts/körperwärts im Schultereckgelenk rechts 150-0-20°, links 160-0-20°; Arm vorwärts/rückwärts im Schultergelenk rechts und links je 150-0-50°) weit entfernt ist. Nichts anderes gilt auch für die Hand- und Fingergelenke, deren Untersuchungsbefund vom Sachverständigen als unauffällig beschrieben wird, so dass auch das in diesem Zusammenhang bestehende Carpaltunnelsyndrom keine eigenständige Bewertung bedingt, zumal dieses am 29. Juli 2010 offenbar mit Erfolg operiert worden ist und etwa die Internistin Dr. E in ihrem Befundbericht vom 10. Mai 2011 klinisch einen deutlich gebesserten Zustand bescheinigt hat. Wenn der Senat bei dieser Sachlage für den orthopädischen Komplex einschließlich der von der Klägerin geklagten Schmerzen mit dem Sachverständigen M und dem Versorgungsarzt Dr. V einen Einzel-GdB von 30 annimmt, ist nicht zu verkennen, dass es sich hierbei um die höchstdenkbare Maximalbewertung handelt. Dabei dürfte es bereits zu der vom Sachverständigen M befürchteten Doppelbewertung der Schmerzsymptomatik gekommen sein, was umso mehr gilt, als schon der sehr hoch bestimmte Einzel-GdB von 50 für das psychische Leiden wohl nur unter Berücksichtigung der im orthopädischen Komplex demnach nochmals berücksichtigten Schmerzsymptomatik knapp begründbar ist.

Für den bei der Klägerin vorliegenden Diabetes mellitus Typ II ist jedenfalls kein höherer Einzel-GdB als 30 festzustellen, was sich ebenfalls aus dem nachvollziehbaren Gutachten des Sachverständigen M ergibt, der eine zeitliche Differenzierung – bis Dezember 2007 Einzel-GdB 20, ab dann 30 – vornimmt.

Zur GdB-Bewertung des Diabetes mellitus hat das BSG, dessen Rechtsprechung der Senats im vorstehenden Zusammenhang in jeder Hinsicht folgt, mit Urteil vom 24. April 2008 (B 9/9a SB 10/06 R - juris) entschieden, dass die Bewertungsgrundsätze nach Teil A Nr. 26.15 AHP 1996 und 2004 (Seite 119 und Seite 99) nur mit gewissen Maßgaben dem höherrangigen Recht und dem Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen. Danach ist bei der GdB-Bewertung neben der Einstellungsqualität auch der Therapieaufwand zu berücksichtigen, soweit dieser sich auf die Teilhabe des behinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft nachteilig auswirkt. Als Rechtsgrundlagen für die Feststellung des GdB sind im vorliegenden Fall - zunächst allgemein (formal) betrachtet - für die Zeit vom 31. Mai 2007 bis zum 21. Juli 2010 die vorläufige Neufassung von Teil A Nr. 26.15 AHP gemäß Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 22. September 2008 (IV C 3-48064-3) an die zuständigen obersten Landesbehörden unter Beachtung der Grundsätze der Rechtsprechung des BSG und ab dem 22. Juli 2010 die Regelung in Teil B Nr. 15.1 der Anlage zu § 2 VersMedV in der Fassung vom 14. Juli 2010 (BGBl. I Seite 928) heranzuziehen.

Für den erstgenannten Zeitraum (31. Mai 2007 bis zum 21. Juli 2010) ist nach der Rechtsprechung des BSG zu berücksichtigen, dass die vorläufige Neufassung des Teil A Nr. 26.15 AHP unter Beachtung der im genannten Urteil vom 24. April 2008 dargelegten Grundsätze rückwirkend auf Sachverhalte anzuwenden ist, die vor deren Einführung durch das Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 22. September 2008 liegen (vgl. BSG, Urteil vom 11. Dezember 2008 - B 9/9a SB 4/07 R - juris). Nach der vorläufigen Neufassung des Teils A Nr. 26.15 AHP ist der GdB nach Maßgabe der folgenden Tabelle festzustellen:

Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus)

-mit Diät allein (ohne blutzuckerregulierende Medikamente) 0,
-mit Medikamenten eingestellt, die die Hypoglykämieneigung nicht erhöhen 10,
-mit Medikamenten eingestellt, die die Hypoglykämieneigung erhöhen 20,
-unter Insulintherapie, auch in Kombination mit anderen blutzuckersenkenden Medikamenten, je nach Stabilität der Stoffwechsellage (stabil oder mäßig schwankend) 30 bis 40,
-unter Insulintherapie instabile Stoffwechsellage einschließlich gelegentlicher schwerer Hypoglykämien 50.

Häufige, ausgeprägte oder schwere Hypoglykämien sind zusätzlich zu bewerten. Schwere Hypoglykämien sind Unterzuckerungen, die eine ärztliche Hilfe erfordern.

Die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene und im Wortlaut mit der vorläufigen Neufassung des Teils A Nr. 26.15 AHP identische Regelung in Teil B Nr. 15.1 der Anlage zu § 2 VersMedV in der Fassung vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I Seite 2412) ist indes nicht zur GdB-Bewertung heranzuziehen, da sie den gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX zwingend zu berücksichtigenden Therapieaufwand nicht erfasst und aus diesem Grund nichtig ist (vgl. BSG, Urteil vom 23. April 2009 - B 9 SB 3/08 R - juris). Die Feststellung des GdB hat bis zu einer im Einklang mit den rechtlichen Vorgaben aus § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX stehenden Neufassung der Bestimmungen über den Diabetes mellitus nach den Grundsätzen des Urteils des BSG vom 24. April 2008 (B 9/9a SB 10/06 R - juris) zu erfolgen (vgl. BSG, Urteil vom 23. April 2009 - B 9 SB 3/08 R - juris).

Teil B Nr. 15.1 der Anlage zu § 2 VersMedV ist in der Fassung der Zweiten Verordnung zur Änderung der VersMedV vom 14. Juli 2010 (BGBl. I Seite 928) am Tag nach ihrer Verkündung im Bundesgesetzblatt, also am 22. Juli 2010, in Kraft getreten. Es ist nach der Rechtsprechung des BSG rechtmäßig, ist mangels Übergangsvorschrift demnach ab diesem Tag anzuwenden (vgl. Urteil vom 2. Dezember 2010 - B 9 SB 3/09 R – juris) und hat folgenden Inhalt:

Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus)

-Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie regelhaft keine Hypoglykämie auslösen kann und die somit in der Lebensführung kaum beeinträchtigt sind, erleiden auch durch den Therapieaufwand keine Teilhabebeeinträchtigung, die die Feststellung eines GdS rechtfertigt. Der GdS beträgt 0.
-Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann und die durch Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden durch den Therapieaufwand eine signifikante Teilhabebeeinträchtigung. Der GdS beträgt 20.
-Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen müssen und durch weitere Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden je nach Ausmaß des Therapieaufwands und der Güte der Stoffwechseleinstellung eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung. Der GdS beträgt 30 bis 40.
-Die an Diabetes erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig variiert werden muss, und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden auf Grund dieses Therapieaufwands eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung. Die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen (beziehungsweise Insulingaben über die Insulinpumpe) müssen dokumentiert sein. Der GdS beträgt 50.

Außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen können jeweils höhere GdS-Werte bedingen.

Nach den - hier für die Zeit vom 31. Mai 2007 bis 21. Juli 2010 maßgeblichen - Grundsätzen des BSG (vgl. Urteil vom 24. April 2008 - B 9/9a SB 10/06 R - juris) ist bei der Bewertung des Einzel-GdB von Diabetes mellitus aber auch der Therapieaufwand zu berücksichtigen, soweit er sich auf die Teilhabe des behinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft nachteilig auswirkt. Der GdB wird relativ niedrig anzusetzen sein, wenn mit geringem Therapieaufwand eine ausgeglichene Stoffwechsellage erreicht wird. Mit (in beeinträchtigender Weise) wachsendem Therapieaufwand und/oder abnehmendem Therapieerfolg (instabilerer Stoffwechsellage) wird der GdB höher einzuschätzen sein. Dabei sind jeweils - im Vergleich zu anderen Behinderungen - die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft in Betracht zu ziehen (BSG, Urteil vom 24. April 2008 - B 9/9a SB 10/06 R - juris). Für die Zeit ab 22. Juli 2010 sieht Teil B Nr. 15.1 der Anlage zu § 2 VersMedV ebenfalls eine differenzierte Berücksichtigung des Therapieaufwandes bei Diabetes mellitus vor.

Der Begriff „Therapieaufwand“ ist im Sinne der Grundsätze der Rechtsprechung des BSG vom 24. April 2008 weit auszulegen (vgl. hierzu und zum Folgenden BSG, Urteil vom 2. Dezember 2010 - B 9 SB 3/09 R - juris). Die Auslegung orientiert sich an dem Wortsinn des Begriffs Therapie, der die Gesamtheit der Maßnahmen zur Behandlung einer Krankheit mit dem Ziel der Wiederherstellung der Gesundheit, der Linderung der Krankheitsbeschwerden und der Verhinderung von Rückfällen umfasst. Denn es geht im Schwerbehindertenrecht um die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, aufgrund derer der von Krankheit betroffene Mensch nicht mehr die Gesamtheit der ihm sozial zugeschriebenen Funktionen unbeeinträchtigt und ungefährdet wahrnehmen kann, auch wenn diese Auswirkungen an sich nur geringfügig sind. Sie können sich bei gewissen stummen Erkrankungen allein aus ärztlichen Handlungsanweisungen, zum Beispiel Diät, Ruhepausen, Schonung, verkürzte Arbeitsbelastung, Meidung bestimmter Außeneinflüsse (zum Beispiel Witterung, Zugluft, Nässe) oder Vorgaben zu bestimmten Körperhaltungen (zum Beispiel Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen usw.), ergeben. Eine eigenständige funktionelle Bedeutung des Therapieaufwands, zum Beispiel ständiger aufwändiger Verbandswechsel, ist insoweit nicht erforderlich.

Allerdings muss der Therapieaufwand zur Erzielung des Therapieerfolgs (stabilere Stoffwechsellage) medizinisch notwendig sein, um bei der GdB-Bewertung berücksichtigt zu werden. Eine ärztliche Verordnung kann als Nachweis für die medizinische Indikation dienen, ist aber nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines krankheitsbedingten Therapieaufwands. Erforderlich ist allerdings, dass die Therapie tatsächlich durchgeführt wird.

Zudem ist nur derjenige Therapieaufwand bei der GdB-Bewertung zu berücksichtigen, der sich nachteilig auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX auswirkt. Dies gilt entsprechend für die ab 22. Juli 2010 geltende Regelung in Teil B Nr. 15.1 der Anlage zu § 2 VersMedV.

Die mögliche Teilhabebeeinträchtigung durch medizinisch notwendigen Therapieaufwand beruht hierbei nicht auf gesundheitlichen Funktionsbeeinträchtigungen, die beim Diabetes mellitus aufgrund der Hypoglykämieneigung und der Instabilität der Stoffwechsellage vorliegen können und ebenfalls Grundlage der GdB-Bewertung sind, sondern auf therapiebedingten Einschränkungen in der Lebensführung oder bei der Gestaltung des Tagesablaufs. Insoweit kann zur Konkretisierung der Grundsätze der Rechtsprechung des BSG auch für die Zeit vor dem 22. Juli 2010 auf die neuen Bewertungsgrundsätze in Teil B Nr. 15.1 der Anlage zu § 2 VersMedV zurückgegriffen werden, nach denen die insoweit bei der GdB-Bewertung zu berücksichtigenden Teilhabestörungen unter dem Oberbegriff „Einschnitte in die Lebensführung“ zusammengefasst sind. Obgleich die Änderung der Anlage zu § 2 VersMedV formal keine Rückwirkung entfaltet und Gerichte und Verwaltung für den Zeitraum bis 21. Juli 2010 nicht bindet, ist ihr Inhalt als antizipiertes Sachverständigengutachten bedeutsam. Allgemein ist es zur Vermeidung sachfremder Erwägungen geboten, sich an allgemein gültigen Bewertungskriterien zu orientieren, wie sie in den AHP und der Anlage zu § 2 VersMedV aufgeführt sind. Nach der Begründung zur Verordnungsänderung (BR-Drs. 285/10 Seite 3 zu Nr. 2) zeigen sich Einschnitte in die Lebensführung zum Beispiel bei der Planung des Tagesablaufs, der Gestaltung der Freizeit, der Zubereitung der Mahlzeiten, der Berufsausübung und der Mobilität.

Die Intensität der Einschnitte in die Lebensführung und damit der nachteiligen Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ist nach der Rechtsprechung des BSG davon abhängig, ob der Therapieaufwand aus medizinischen Gründen nach Ort, Zeit oder Art und Weise festgelegt ist, mit einem Vernachlässigen der Maßnahmen gravierende gesundheitliche Folgen einhergehen können oder die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft in anderen Lebensbereichen wegen des zeitlichen Umfangs der Therapie erheblich beeinträchtigt wird. Je flexibler die Durchführung der notwendigen Therapie gehandhabt werden kann, desto geringer fällt die Intensität der Teilhabestörung aus. Dies gilt auch für den Fall, dass ein (gelegentliches) Aussetzen der Therapie keine gravierenden Auswirkungen auf den Gesundheitszustand des Betroffenen hat oder durch andere Behandlungsmethoden selbstbestimmt kompensiert werden kann.

Dabei hat das BSG in seinem Urteil vom 2. Dezember 2010 erläutert, dass dann, wenn sich der medizinisch notwendige Therapieaufwand seiner Art und Weise nach nicht als krankheitsspezifisch darstellt (zum Beispiel Blutzuckerwertmessungen, Insulininjektionen), sondern allgemein einer gesunden Lebensweise entspricht (zum Beispiel Ernährungsverhalten, körperliche Aktivität), grundsätzlich davon auszugehen ist, dass eine solche Lebensführung zumutbar in den Tagesablauf einbezogen und unter wertender Betrachtung nicht als nachteilige Auswirkung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX angesehen werden kann. Insoweit sind Menschen mit und ohne Behinderung in gleicher Weise dafür verantwortlich, durch eine gesunde Lebensweise den Eintritt von Krankheit und Behinderung zu vermeiden oder ihre Folgen zu überwinden oder zu verringern. Hält sich der medizinisch notwendige Therapieaufwand in dem Rahmen dessen, was auch Menschen ohne Behinderung allgemein als gesunde Lebensweise empfohlen wird, kann er mithin im Allgemeinen nicht bei der Bemessung des GdB (hier von Diabetes mellitus) berücksichtigt werden. Das BSG ist des Weiteren davon ausgegangen, dass sportliche Betätigung, soweit sie zur Behandlung einer Krankheit medizinisch notwendig ist, in der Regel keine nachteiligen Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX hat. Nur bei Hinzutreten besonders einschränkender Umstände kann im Einzelfall eine bei der Bemessung des GdB zu berücksichtigende Teilhabebeeinträchtigung angenommen werden, wenn die medizinisch notwendige sportliche Betätigung als Einschnitt in die Lebensführung die Gestaltung des Tagesablaufs in besonderem Maße prägt, weil sie zum Beispiel aus medizinischen Gründen nach Ort, Zeit oder Art und Weise festgelegt ist oder ihrem Umfang nach erheblich über das Maß einer auch Menschen ohne Behinderung empfohlenen gesunden Lebensweise hinausgeht.

Nach den Feststellungen des Sachverständigen M stellen sich der Verlauf und die Behandlung der Diabetes-Erkrankung wie folgt dar: Die Stoffwechsellage war bei von der Klägerin abgelehnter und damit nicht durchgeführter Insulintherapie bis Dezember 2007 schlecht. Die Ablehnung einer Insulintherapie wird übrigens bestätigt durch einen Arztbrief der S-Klinik vom 10. Oktober 2007 über eine stationäre Behandlung der Klägerin vom 12. Juli bis 15. August 2007; hier heißt es, die Klägerin wünsche derzeit keine Umstellung auf Insulin, da sie häufig ihre Medikamente vergesse. Ab Januar 2008 erfolgte eine Insulintherapie, was zu einer drastischen Verbesserung der Stoffwechsellage führte. Im November 2008 kam es zu einer Stoffwechselentgleisung, im Mai 2011 wurde eine schlechte Stoffwechsellage festgestellt, insgesamt ist die Stoffwechsellage auch aktuell sehr schlecht. Der Therapieaufwand gestaltet sich durchgehend als gering (was jedenfalls ein Mitgrund für die schlechte Stoffwechsellage sein dürfte). Die Klägerin führt die Insulintherapie nach festem Schema durch, ohne die Dosen selbständig anpassen zu müssen. Es wird kein Aufwand zur Erzielung einer besseren Stoffwechsellage – keine sportlichen Aktivitäten, keine Änderung des Lebensstils – betrieben. Angegeben worden sind von der Klägerin nur leichte Unterzuckerungen, die sie ohne Fremdhilfe selbst beherrschen kann. Nach der bis zum 21. Juli 2010 geltenden Rechtslage ist hier vor Beginn der Insulintherapie im Januar 2008 kein höherer Einzel-GdB als 20 festzustellen. Ab Januar 2008 ist vom Vorliegen einer Insulintherapie bei weitgehend schlechter Stoffwechsellage und sehr geringem Therapieaufwand mit einem Einzel-GdB von 30 auszugehen. Dieser GdB ist (knapp) auch nach der ab dem 22. Juli 2010 geltenden Rechtslage festzustellen. Bei weiter geringem Therapieaufwand und kaum vorhandenen Einschnitten in der Lebensführung ist ein höherer Einzel-GdB als 30 nicht festzustellen.

Der Bluthochdruck ist nach Teil B Nr. 9.3 der Anlage zu § 2 VersMedV und Teil A Nr. 26.9 AHP, Seite 75, als solcher mittelschwerer Form mit Organbeteiligung leichten Grades mit einem Einzel-GdB von 20 zutreffend bewertet. Berücksichtigt sind dabei die vom Facharzt für Augenheilkunde S in seinem ärztlichen Bericht vom 13. September 2012 mitgeteilten beidseitigen milden hypertensiven Veränderungen der Netzhaut. Der Sachverständige M selbst hat im Übrigen einen unauffälligen kardialen körperlichen Untersuchungsbefund erhoben bei leicht erhöhtem Ruhe-Blutdruck und normalem Ruhe-EKG.

Im Bereich der unteren Extremitäten ist lediglich ein Krampfaderleiden mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Dies folgt aus Teil B Nr. 9.2.3 der Anlage zu § 2 VersMedV und Teil A Nr. 26.9 AHP, Seite 74 f., wonach eine chronisch-venöse Insuffizienz (z. B. bei Krampfadern), postthrombotisches Syndrom ein- oder beidseitig mit geringem belastungsabhängigem Ödem, nicht ulzerösen Hautveränderungen, ohne wesentliche Stauungsbeschwerden mit einem GdB von 0 bis 10 zu bewerten ist. Anhaltspunkte für eine höher zu bewertende chronisch-venöse Insuffizienz mit erheblicher Ödembildung und häufig (mehrmals im Jahr) rezidivierenden Entzündungen sind vom Sachverständigen M nicht gefunden worden und hat auch der Senat nicht.

Weitere GdB-relevante Leiden bestehen bei der Klägerin nach dem Gutachten des Sachverständigen M nicht. Dies gilt insbesondere auch – mit Ausnahme des bereits bewerteten Krampfaderleidens - für den gesamten Bereich der unteren Extremitäten. Nach den vom Sachverständigen Müller mitgeteilten Befunden und Messergebnissen sind keine GdB-relevanten Beeinträchtigungen der Hüft-, Knie- und Sprunggelenke feststellbar. Keine höhere Bewertung des GdB erfordert hier auch die bei der Klägerin ohne Frage vorliegende Adipositas (bei einer Größe von 1,57 m hat Dr. E in ihrem Befundbericht für das Sozialgericht vom 9. Dezember 2009 ein Körpergewicht von 115 kg mitgeteilt; nach dem Sachverständigen M ist es zu einer ungewollten Gewichtsabnahme auf jetzt noch 94 kg gekommen). Die Adipositas allein bedingt nach Teil B Nr. 15.3 der Anlage zu § 2 VersMedV und Teil A Nr. 26.15 AHP, Seite 99, keinen GdB. Nur Folge- und Begleitschäden (insbesondere am kardiopulmonalen System oder am Stütz- und Bewegungsapparat) können die Annahme eines GdB begründen. Gleiches gilt für die besonderen funktionellen Auswirkungen einer Adipositas permagna. Die Folge- und Begleitschäden der Adipositas der Klägerin – insbesondere solche im Zusammenhang mit der Diabetes-Erkrankung und den Beeinträchtigungen des Stütz- und Bewegungsapparates - sind nach den obigen Ausführungen vollumfänglich berücksichtigt worden.

Von Vorstehendem ausgehend ergibt sich kein höherer Gesamt-GdB als 70. Der Einzel-GdB von 50 für seelische Leiden ist infolge der orthopädischen Leiden einschließlich der Schmerzsymptomatik um 10 zu erhöhen. Eine weitere Erhöhung um 10 erfolgt durch die Diabetes-Erkrankung und zwar unabhängig davon, ob dieses mit einem Einzel-GdB von 20 oder 30 zu bewerten ist. Der mit 20 zu bewertende Hypertonus führt allenfalls zu leichten Einschränkungen und wirkt sich nicht GdB-erhöhend aus. Gleiches gilt für das mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewertende Krampfaderleiden, das wegen der Geringfügigkeit der von ihm ausgehenden Funktionsbeeinträchtigungen ebenfalls außer Betracht bleiben muss. Insgesamt geht der Senat mit dem Sachverständigen M davon aus, dass hier in jeder Hinsicht eine Maximalbewertung zugunsten der Klägerin vorgenommen worden ist.

Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die begehrten Merkzeichen sind hier nicht festzustellen. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ liegen hier nicht vor.

Die AHP und die in der Anlage zu § 2 VersMedV festgelegten „versorgungsärztlichen Grundsätze“ beschreiben in Teil B Nr. 30 Abs. 3 bis 5 (Seite 137 ff.) und Teil D Nr. 1 d) – f) Regelfälle, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ als erfüllt anzusehen sind und die bei der Beurteilung einer dort nicht erwähnten Behinderung als Vergleichsmaßstab dienen können (vgl. Urteil des Senats vom 16. November 2011 - L 11 SB 67/09 - juris). Sie geben an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, bevor angenommen werden kann, dass ein behinderter Mensch infolge der Einschränkung des Gehvermögens „in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist“, und tragen damit dem Umstand Rechnung, dass das menschliche Gehvermögen keine statische Messgröße ist, sondern von verschiedenen Faktoren geprägt und variiert wird, zu denen neben den anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also Körperbau und etwaige Behinderungen, vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens (ökonomische Beanspruchung der Muskulatur, Gehtempo und Rhythmus) sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation, gehören. Von all diesen Faktoren filtern die AHP und die in der Anlage zu § 2 VersMedV getroffenen Bestimmungen all jene heraus, die nach dem Gesetz außer Betracht zu bleiben haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des behinderten Menschen im Straßenverkehr nicht infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung seines Gehvermögens, sondern möglicherweise aus anderen Gründen, erheblich beeinträchtigen. Ob die „versorgungsärztlichen Grundsätze“, soweit sie die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für bestimmte Merkzeichen – wie hier für das Merkzeichen „G“ – betreffen, auf einer ausreichenden Verordnungsermächtigung im Sinne von Artikel 80 Abs. 1 des Grundgesetzes beruhen, kann im vorliegenden Fall auf sich beruhen (vgl. Urteil des Senats vom 16. November 2011 – a. a. O.). Denn die in den „versorgungsärztlichen Grundsätzen“ geregelten Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „G“, die sich in jeder Hinsicht mit den insoweit in den AHP angeführten und für den Fall der Teilnichtigkeit der „versorgungsärztlichen Grundsätze“ zur Vermeidung von Rechtsnachteilen für die Betroffenen unter Beachtung der Rechtsprechung des BSG zunächst weiter heranzuziehenden Voraussetzungen decken, sind im Fall der Klägerin nicht erfüllt.

Nach Teil B Nr. 30 Abs. 3 AHP und Teil D Nr. 1 d) der Anlage zu § 2 VersMedV sind die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens in erster Linie dann als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z. B. bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- und Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40. Soweit innere Leiden zur Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr führen können, kommt es ebenfalls entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden und bei Lungenschäden mit einem Einzel-GdB von mindestens 50 anzunehmen. Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, wie z. B. bei einer chronischen Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, sind die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen. Dass hier keine sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 40 bedingen, ergibt sich aus obigen Ausführungen zum GdB der Klägerin. Entsprechendes gilt in Bezug auf die inneren Leiden.

Nach Teil B Nr. 30 Abs. 4 AHP und Teil D Nr. 1 e) der Anlage zu § 2 VersMedV ist bei hirnorganischen Anfällen die Beurteilung von der Art und Häufigkeit der Anfälle sowie von der Tageszeit des Auftretens abhängig. Im Allgemeinen ist auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit erst ab einer mittleren Anfallshäufigkeit mit einem GdB von wenigstens 70 zu schließen, wenn die Anfälle überwiegend am Tage auftreten. Analoges gilt beim Diabetes mellitus mit häufigen hypoglykämischen Schocks. Dass bei der Klägerin ein Anfallsleiden ebenso wenig vorliegt wie häufige hypoglykämische Schocks infolge der Diabetes-Erkrankung, ergibt sich ebenfalls aus den Ausführungen zum GdB.

Nach Teil B Nr. 30 Abs. 5 AHP und Teil D Nr. 1 f) der Anlage zu § 2 VersMedV sind Störungen der Orientierungsfähigkeit, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit führen, sind bei allen Sehbehinderungen mit einem GdB von wenigstens 70 und bei Sehbehinderungen, die einen GdB von 50 oder 60 bedingen, nur in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit beiderseits, geistige Behinderung) anzunehmen. Bei Hörbehinderungen ist die Annahme solcher Störungen nur bei Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit im Kindesalter (in der Regel bis zum 16. Lebensjahr) oder im Erwachsenenalter bei diesen Hörstörungen in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. Sehbehinderung, geistige Behinderung) gerechtfertigt. Bei geistig behinderten Menschen sind entsprechende Störungen der Orientierungsfähigkeit vorauszusetzen, wenn die behinderten Menschen sich im Straßenverkehr auf Wegen, die sie nicht täglich benutzen, nur schwer zurechtfinden können. Unter diesen Umständen ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit bei geistigen Behinderungen mit einem GdB von 100 immer und mit einem GdB von 80 oder 90 in den meisten Fällen zu bejahen. Bei einem GdB unter 80 kommt eine solche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit nur in besonders gelagerten Einzelfällen in Betracht. Auch diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Insbesondere handelt es sich bei der Klägerin im genannten Sinne nicht um einen behinderten Menschen, der sich im Straßenverkehr auf Wegen, die er nicht täglich benutzt, nur schwer zurechtfinden kann. Nach allen Gutachten liegt bei ihr keine geistige Behinderung mit einem GdB von mindestens 80 vor; ebenso ist hier kein besonders gelagerter Einzelfall gegeben, bei dem eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr auch bei einer geistigen Behinderung mit einem GdB unter 80 gegeben ist.

Soweit die Klägerin darüber hinaus an psychischen Störungen leidet und diese Störungen zu einem Nicht-Verlassen ihrer Wohnung führen sollten, rechtfertigt dies ihre Gleichstellung mit den in Teil B Nr. 30 Abs. 4 und Abs. 5 AHP und Teil D Nr. 1 e) und f) der Anlage zu § 2 VersMedV genannten Personengruppen nicht. Denn im Hinblick auf diesen Personenkreis, bei dem die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sein kann, ohne dass das Gehvermögen betroffen ist, enthält § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX eine abschließende Aufzählung, die durch die AHP und die Anlage zu § 2 VersMedV ausgefüllt werden. Demnach vermögen psychische Störungen nicht das Vorliegen einer erheblichen Gehbehinderung zu begründen, wenn diese sich – wie in der Regel und so auch hier – nicht auf das Gehvermögen selbst auswirken (vgl. Urteil des Senats vom 16. November 2011 – a. a. O.).

Aus den Ausführungen des Sachverständigen M wie auch den übrigen aktenkundigen medizinischen Befunden ergeben sich auch keine sonstigen – nicht bereits unter Gleichstellungsgesichtspunkten erörterten – besonderen Umstände, die dazu führen könnten, die medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ außerhalb der in Teil B Nr. 30 Abs. 3 bis 5 AHP und Teil D Nr. 1 d) bis f) der Anlage zu § 2 VersMedV beschriebenen Regelfälle zu bejahen.

Schließlich lässt sich das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ auch nicht aus dem Zusammenwirken der sich auf die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr auswirkenden Beeinträchtigungen der Klägerin herleiten (vgl. dazu BSG, Urteil vom 24. April 2008 – B 9/9a SB 7/06 R –, zitiert nach juris), weil die nach den vorstehenden Ausführungen insoweit zu berücksichtigenden Beeinträchtigungen nicht so gravierend sind, dass sie in der Gesamtschau den Regelbeispielen in Teil B Nr. 30 Abs. 3 bis 5 AHP und Teil D Nr. 1 d) bis f) der Anlage zu § 2 VersMedV gleichgestellt werden könnten.

Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „H“ liegen bei der Klägerin ebenfalls nicht vor. Grundlage für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „H“ sind § 69 Abs. 4 SGB IX in Verbindung mit § 33 b Abs. 3 Satz 3, Abs. 6 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und § 3 Abs. 1 Nr. 2 der Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV). Gemäß § 33 b Abs. 6 Satz 2 EStG in der seit dem 1. Januar 1995 geltenden Fassung ist eine Person hilflos, wenn sie infolge von Gesundheitsstörungen für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den in Satz 2 dieser Vorschrift genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist (§ 33 b Abs. 6 Satz 3 EStG). Diese Fassung des Begriffs der Hilflosigkeit geht auf Umschreibungen zurück, die von der Rechtsprechung im Schwerbehindertenrecht bezüglich der steuerlichen Vergünstigung und im Versorgungsrecht hinsichtlich der gleich lautenden Voraussetzungen für die Pflegezulage nach § 35 BVG entwickelt worden sind. Dabei hat sich der Gesetzgeber bewusst nicht an den Begriff der Pflegebedürftigkeit im Sinne der §§ 14, 15 des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) angelehnt (vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 2003 – B 9 SB 1/02 R –, SozR 4-3250 § 69 Nr. 1, und Urteil vom 24. November 2005 – B 9 SB 1/05 R –, SozR 4-3250 § 69 Nr. 3, jeweils m. w. N.).

Bei den gemäß § 33 b Abs. 6 EStG zu berücksichtigenden Verrichtungen handelt es sich um solche, die im Ablauf eines jeden Tages unmittelbar zur Wartung, Pflege und Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse des Betroffenen gehören sowie häufig und regelmäßig wiederkehren. Dazu zählen zunächst die auch von der Pflegeversicherung (vgl. § 14 Abs. 4 SGB XI) erfassten Bereiche der Körperpflege (Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren, Darm- und Blasenentleerung), Ernährung (mundgerechtes Zubereiten und Aufnahme der Nahrung) und Mobilität (Aufstehen, Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung). Diese Bereiche werden unter dem Begriff der so genannten Grundpflege zusammengefasst (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 1, § 15 Abs. 3 SGB XI; § 37 Abs. 1 Satz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch). Hinzu kommen jene Verrichtungen, die in den Bereichen der notwendigen körperlichen Bewegung, psychischen Erholung, geistigen Anregung und der Kommunikation (insbesondere Sehen, Hören, Sprechen, Fähigkeit zu Interaktionen) anfallen. Bei psychisch oder geistig Behinderten liegt Hilflosigkeit auch dann vor, wenn sie bei zahlreichen Verrichtungen des täglichen Lebens zwar keiner Handreichungen bedürfen, sie diese Verrichtungen aber infolge einer Antriebsschwäche ohne ständige Überwachung nicht vornehmen. Nicht vom Begriff der Hilflosigkeit umschlossen ist der Hilfebedarf bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen (zu Vorstehendem vgl. z. B. BSG, Urteil vom 12. Februar 2003 – B 9 SB 1/02 R –, Urteil vom 24. November 2005 – B 9 SB 1/05 R –, jeweils a. a. O., Urteil vom 2. Juli 1997 – 9 RV 19/95 –, SozR 3-3100 § 35 Nr. 6; AHP 1996, Nummer 21 Abs. 3, Seite 37).

Die tatbestandlich vorausgesetzte „Reihe von Verrichtungen“ kann regelmäßig erst dann angenommen werden, wenn es sich um mindestens drei Verrichtungen handelt, die einen Hilfebedarf in erheblichem Umfang erforderlich machen. Die Beurteilung der Erheblichkeit orientiert sich an dem Verhältnis der dem Beschädigten nur noch mit fremder Hilfe möglichen Verrichtungen zu denen, die er auch ohne fremde Hilfe bewältigen kann. In der Regel wird dabei neben der Zahl der Verrichtungen auf den wirtschaftlichen Wert der Hilfe und den zeitlichen Aufwand abzustellen sein, wobei Maßstab für die Erheblichkeit des Hilfebedarfs in erster Linie der tägliche Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen ist. Gemessen an diesem Maßstab ist nicht hilflos, wer nur in relativ geringem Umfange, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen ist. Daraus ergibt sich jedoch nicht schon, dass bei einem Überschreiten dieser Mindestgrenze in jedem Fall Hilflosigkeit zu bejahen ist. Typisierend ist vielmehr Hilflosigkeit grundsätzlich erst dann anzunehmen, wenn der tägliche Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen mindestens zwei Stunden erreicht, was dem Grundpflegeerfordernis für die Pflegestufe II der Pflegeversicherung entspricht. Um den individuellen Verhältnissen Rechnung tragen zu können, ist aber nicht allein auf den zeitlichen Betreuungsaufwand abzustellen; vielmehr sind auch die weiteren Umstände der Hilfeleistung, insbesondere der wirtschaftliche Wert der Leistung oder die körperliche und psychische Belastung der Pflegeperson, zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 14. Dezember 1994 – 3 RK 14/94 –, SozR 3-2500 § 53 Nr. 8, Urteil vom 12. Februar 2003 – B 9 SB 1/02 R –, Urteil vom 24. November 2005 – B 9 SB 1/05 R –, jeweils a. a. O.).

Hiernach hat die Klägerin bereits nach dem aktenkundigen Pflegegutachten der Gutachterin F vom 27. April 2009 keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „H“, weil der Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen im Bereich der Grundpflege danach nur 71 Minuten täglich beträgt und demnach nicht mindestens zwei Stunden erreicht; auch die Berücksichtigung der weiteren Umstände der Hilfeleistung rechtfertigt keine andere Einschätzung. Zudem ist in diesem Zusammenhang auch anzumerken, dass die Zuerkennung der Pflegestufe I von Dr. A in seinem Gutachten vom 23. Dezember 2010 als auch vom Sachverständigen M als nicht nachvollziehbar erachtet wird. Letztgenannter hat nachvollziehbar überhaupt keinen Pflegebedarf erkannt.

Auch die Voraussetzungen für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „B“ liegen hier nicht vor. Nach Nr. 32 AHP ist eine Berechtigung für eine ständige Begleitung und zur Mitnahme einer Begleitperson bei schwerbehinderten Menschen (bei denen die Voraussetzungen für die Merkzeichen „G“ oder „H“ oder – wie die Bezugnahme in Nr. 32 Abs. 1 Satz 1 AHP auf § 145 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX erweist, der wiederum auf § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB IX Bezug nimmt – „Gl“ <gehörlos; nunmehr ausdrücklich in Teil D Nr. 2 Buchstabe b der Anlage zu § 2 VersMedV genannt> vorliegen) gegeben, die infolge ihrer Behinderung zur Vermeidung von Gefahren für sich oder andere bei Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Dementsprechend ist zu beachten, ob bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig fremde Hilfe beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels notwendig ist oder bereit sein muss oder ob Hilfen zum Ausgleich von Orientierungsstörungen (z. B. bei Sehbehinderung, geistiger Behinderung) erforderlich sind (vgl. Nr. 32 Abs. 2 Satz 1 und 2 AHP). Die Berechtigung für eine ständige Begleitperson ist anzunehmen bei Querschnittsgelähmten, Ohnhändern, Blinden und den in Nr. 30 Abs. 4 und 5 AHP genannten Sehbehinderten, Hörbehinderten, geistig behinderten Menschen und Anfallskranken, bei denen die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr gerechtfertigt ist (vgl. Nr. 32 Abs. 3 AHP). Nach Nr. 30 Abs. 5 Satz 2 AHP ist die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr bei Hörbehinderten wiederum nur dann gerechtfertigt, wenn Störungen der Orientierungsfähigkeit zu bejahen sind, was nur bei Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit der Fall ist, und zwar auch nur für schwerbehinderte Menschen im Kindesalter (in der Regel bis zum 16. Lebensjahr) und für schwerbehinderte Menschen im Erwachsenenalter in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. bei Sehbehinderung oder geistiger Behinderung). Diese Bewertungsgrundsätze sind nunmehr im Teil D Nr. 2 b) und c) der Anlage zu § 2 VersMedV niedergelegt.

Grundvoraussetzung für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „B“ ist demnach das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen „G“, „H“ oder „Gl“. Dass hier die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „Gl“ nicht vorliegen, bedarf keiner näheren Erörterung. Aber auch die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen „G“ und „H“ liegen nach den obigen Ausführungen nicht vor. Auf die Verzahnung der Merkzeichen „G“ und „B“ hat bereits das BSG in seinem Urteil vom 11. November 1987 (9a RVs 6/86 – juris) hingewiesen. Ohne Zuerkennung des Merkzeichens „G“ - entsprechendes gilt für das Merkzeichen „H“ - kommt die Zuerkennung des Merkzeichens „B“ demnach nicht in Betracht (vgl. auch BSG, Urteile vom 13. Juli 1988 - 9/9a RVs 14/87 – und vom 6. September 1989 - 9 RVs 1/88 -, Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 28. Juli 2009 - L 15 SB 151/06 – alle bei juris).

Auch die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „RF“ liegen bei der Klägerin nicht vor. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 5 SchwbAwV ist im Ausweis auf der Rückseite das Merkzeichen „RF“ einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erfüllt.

Mit der Verweisung auf das Landesrecht sind für die Zeit bis zum 31. Dezember 2012 heranzuziehen die Vorschriften des am 1. April 2005 in Kraft getretenen § 6 Abs. 1 Satz 1 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags in der Fassung des Achten Staatsvertrags zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Achter Rundfunkänderungsstaatsvertrag) in Verbindung mit § 1 des Berliner Zustimmungsgesetzes (Gesetz zum Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrag) vom 27. Januar 2005 (GVBl. Seite 82), welches die bis dahin geltende Berliner Verordnung über die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht vom 2. Januar 1992 (GVBl. Seite 3) aufhob. Spätere Änderungen, zuletzt im Dreizehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag in Verbindung mit § 1 des Berliner Zustimmungsgesetzes vom 3. Februar 2010 (GVBl. Seite 39), haben die hier maßgeblichen Voraussetzungen unberührt gelassen. Zum 1. Januar 2013 gilt § 4 Abs. 2 Satz 1 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages in Verbindung mit § 1 des Berliner Zustimmungsgesetzes (Gesetz zum Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag) vom 20. Mai 2011 (GVBl. Seite 211), der allerdings für den darin genannten Personenkreis keine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, sondern nur eine Reduzierung des Rundfunkbeitrags auf ein Drittel vorsieht.

Der Senat lässt offen, ob er an seiner Rechtsauffassung, wonach die landesrechtlichen Regelungen über die Rundfundgebührenbefreiung aus gesundheitlichen Gründen anzuwenden sind, festhält (vgl. Urteil des Senats vom 30. April 2009 - L 11 SB 348/08 – juris – m. w. N. zum Meinungsstand). Auch in diesem Fall liegen deren Voraussetzungen hier jedenfalls nicht vor.

Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags in der Fassung des Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrags und der wortgleiche § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages - § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags und der wortgleiche § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 23 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages, der auf bestimmte Sehbehinderte und Hörgeschädigte zugeschnitten ist, kommt ersichtlich nicht in Betracht - werden auf Antrag von der Rundfunkgebührenpflicht schwerbehinderte Menschen befreit oder wird deren Beitrag auf ein Drittel reduziert, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG sind als öffentliche Veranstaltungen Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen, die länger als 30 Minuten dauern. Öffentliche Veranstaltungen sind damit nicht nur Ereignisse kultureller Art, sondern auch Sportveranstaltungen, Volksfeste, Messen, Märkte und Gottesdienste (vgl. nur BSG, Urteil vom 12. Februar 1997 - 9/9a RVs 2/96 - SozR 3-3780 § 4 Nr. 17). Die Unmöglichkeit der Teilnahme an solchen Veranstaltungen ist nur dann gegeben, wenn der Schwerbehinderte wegen seines Leidens ständig, das heißt allgemein und umfassend, vom Besuch ausgeschlossen ist, also allenfalls an einem nicht nennenswerten Teil der Gesamtheit solcher Veranstaltungen teilnehmen kann. Bei der vom BSG vertretenen Auslegung muss der Schwerbehinderte praktisch an das Haus gebunden sein, um seinen Ausschluss an öffentlichen Veranstaltungen begründen zu können. Es kommt nicht darauf an, ob jene Veranstaltungen, an denen er noch teilnehmen kann, seinen persönlichen Vorlieben, Bedürfnissen, Neigungen und Interessen entsprechen. Sonst müsste jeder nach einem anderen, in sein Belieben gestellten Maßstab von der Rundfunkgebührenpflicht befreit werden. Das wäre mit dem Gebührenrecht nicht vereinbar, denn die Gebührenpflicht selbst wird nicht bloß nach dem individuell unterschiedlichen Umfang der Sendungen, an denen die einzelnen Teilnehmer interessiert sind, bemessen, sondern nach dem gesamten Sendeprogramm. Mit dieser sehr engen Auslegung soll gewährleistet werden, dass der Nachteilsausgleich „RF“ nur Personengruppen zugute kommt, die den gesetzlich ausdrücklich genannten Schwerbehinderten (Blinden und Hörgeschädigten) und den aus wirtschaftlicher Bedrängnis sozial Benachteiligten vergleichbar sind.

Nach diesen Grundsätzen, von denen auch der Senat in seiner ständigen Rechtsprechung ausgeht, liegen die medizinischen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „RF“ hier bereits deshalb nicht vor, weil der GdB bei der Klägerin nach obigen Ausführungen nicht wenigstens 80 beträgt. Darüber hinaus ist die Klägerin aber auch nicht wegen ihres Leidens ständig, das heißt allgemein und umfassend, vom Besuch öffentlicher Veranstaltungen ausgeschlossen, was sich aus den Ausführungen des Sachverständigen M schlüssig ergibt.

Bei der Klägerin sind auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „T“ nicht erfüllt. Voraussetzung für das Merkzeichen „T“ ist nach § 1 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung über die Vorhaltung eines besonderen Fahrdienstes vom 31. Juli 2001 (GVBl. Seite 322), zuletzt geändert mit Verordnung vom 22. Juni 2005 (GVBl. Seite 342) (BerlFahrdienstVO), dass das Merkzeichen aG, ein mobilitätsbedingter GdB von mindestens 80 und Fähigkeitsstörungen beim Treppensteigen gegenüber dem Versorgungsamt nachgewiesen werden. Berechtigt nach Maßgabe des § 3 (befristete Berechtigung bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens) sind außerdem Personen, die erstmalig beim Versorgungsamt das Merkzeichen T beantragen und dem Antrag eine Bescheinigung beifügen, aus der hervorgeht, dass eine Krankenkasse oder ein anderer Leistungsträger aufgrund einer ärztlichen Verordnung die Kosten für einen Rollstuhl oder für einen Rollator übernommen hat (§ 1 Abs. 2 BerlFahrdienstVO). Keine dieser Voraussetzungen liegt hier vor. Weder sind bei der Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „aG“ anerkannt. Auch sind ein mobilitätsbedingter GdB von mindestens 80 und Fähigkeitsstörungen beim Treppensteigen gegenüber dem Versorgungsamt nicht nachgewiesen worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil ein Grund hierfür gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.