Gericht | OLG Brandenburg 4. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 10.06.2015 | |
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Aktenzeichen | 13 UF 18/15 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Eine grobe, korrekturbedürftige Unbilligkeit (§ 27 VersAusglG) kommt in Frage, wenn einer der Ehepartner private Vorsorgeverträge durch Erklärungen gegenüber dem Versorgungsträger dem Versorgungsausgleich entzieht, ohne dass dafür ein sachlicher, auch unter Berücksichtigung der Interessen des anderen billigenswerter Beweggrund zu erkennen ist, und wenn dadurch das Ausgleichsergebnis, das ohne die Erklärung erreicht würde, erheblich verschoben wird.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Zossen vom 2. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten ihres Rechtsmittels.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.200 Euro festgesetzt.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Nichtberücksichtigung eines vom Antragsgegner gekündigten Rentenversicherungsvertrages im Versorgungsausgleich.
I.
Im seit November 2013 rechtshängigen Verfahren zur Scheidung der Ehe der 1956 geborenen Antragstellerin und des 1961 geborenen Antragsgegners haben die Versorgungsträger Auskunft über die bestehenden Anwartschaften der Eheleute erteilt:
Bei der Deutschen Rentenversicherung … bestanden Anrechte der Antragstellerin mit Ausgleichswerten von 0,3644 Entgeltpunkten und 5,8645 Entgeltpunkten (Ost); dem entsprachen korrespondierende Kapitalwerte von 2.346,52 Euro und 32.093,12 Euro. Aus der Beamtenversorgung eines Landes bestand für die Antragstellerin ein Anrecht mit einem Ausgleichswert von 882,93 Euro monatlicher Versorgung; dem entsprach ein korrespondierender Kapitalwert von 202.045,14 Euro.
Für den Antragsgegner bestanden bei der Deutschen Rentenversicherung B… Anrechte mit Ausgleichswerten von 0,0026 Entgeltpunkten und 14,6619 Entgeltpunkten (Ost); dem entsprachen korrespondierende Kapitalwerte von 16,74 Euro und 80.236,35 Euro.
Der Antragsgegner hatte zudem eine sogenannte Riester-Rente bei einem privaten Lebensversicherer unterhalten. Er hatte diesen Vertrag im September 2013 gekündigt, um die Kosten des bevorstehenden Scheidungsverfahrens bestreiten zu können. Vermögen oder Rücklagen, auf die er dazu hätte zugreifen können, hatte der Antragsgegner nicht bilden können. Der Lebensversicherer zahlte aus dem zum 1. Januar 2014 beendeten Vertrag 6.156,16 Euro an den Antragsgegner. Weitere 1.672,97 Euro mussten als durch die Vertragsbeendigung verfallene Altersvorsorgezulagen und Steuerermäßigungen einbehalten werden.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht die Ehe der Antragstellerin und des Antragsgegners geschieden und den Ausgleich der Anrechte gemäß den Auskünften der Versorgungsträger angeordnet.
Mit ihrer Beschwerde beanstandet die Antragstellerin, dass das Anrecht des Antragsgegners aus der privaten Rentenversicherung nicht ausgeglichen worden sei. Zudem sei nicht begreiflich, dass der Antragsgegner in so hohem Maße an ihrer Altersversorgung teilhaben solle. Er habe vollschichtig gearbeitet. Witterungsbedingte Winterkündigungen könnten sich nicht so gravierend ausgewirkt haben. Die Kindererziehungszeiten und die Doppelbelastung mit Kindererziehung und Erwerbsarbeit müssten zu Gunsten der Antragstellerin berücksichtigt werden.
Wegen des weiteren Vortrages der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze und auf die Anlagen verwiesen.
Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung (§ 68 III 2 FamFG). Die Beteiligten haben ihre Tatsachenbehauptungen und Rechtsansichten ausführlich schriftlich dargelegt. Es ist nicht ersichtlich, zu welchem weiteren Erkenntnisfortschritt eine mündliche Verhandlung führen könnte.
II.
Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Das Anrecht des Antragsgegners bei dem privaten Lebensversicherer ist im Versorgungsausgleich nicht auszugleichen.
Zu den auszugleichenden Anrechten (§ 2 I VersAusglG) gehören nur die Versorgungsanwartschaften, die zur Zeit der Entscheidung über den Versorgungsausgleich noch bestehen. Auch Anrechte, die zum Ende der Ehezeit (§ 3 I VersAusglG) noch bestanden, aber danach, nämlich bis zur letzten tatrichterlichen Entscheidung, weggefallen oder so umgewandelt worden sind, dass sie nicht mehr als auszugleichende Anwartschaften in Betracht kommen, können nicht in den Versorgungsausgleich einbezogen werden, sondern sie sind einer Berücksichtigung im Zugewinnausgleich vorbehalten (BGH, NJW 2015, 1599, Abs. 10; NJW-RR 2012, 769, Abs. 10, beide m. Nachw. d. st. Rspr.).
Die Kündigung und Beendigung des Rentenversicherungsvertrages hat der Antragsgegner durch die Kündigungsbestätigung und die Auszahlungsmitteilung des Versicherers (Anlagen zum Schriftsatz des Antragsgegner vom 24. März 2015, Bl. 71, 73) ausreichend nachgewiesen. Die Antragstellerin stellt die Beendigung des Vertrages zudem nicht in Frage, sondern hält sie dem Antragsgegner als unredlich entgegen.
2. Der Versorgungsausgleich ist nicht zu beschränken. Seine vollständige Durchführung nach den allgemeinen Regeln ist nicht grob unbillig (§ 27 VersAusglG).
a) Die Härteklausel, nach der der Versorgungsausgleich ganz oder teilweise ausgeschlossen werden kann, dient nur dem Ausgleich grober Unbilligkeit (§ 27, 1 VersAusglG). Eine Korrektur von Berechnungsergebnissen, die als ungerecht oder sonst wie unangebracht empfunden werden können, ist auf diesem Wege nicht zu erreichen. Vielmehr müsste die gebotene abwägende Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles (§ 27, 2 VersAusglG) zu der Bewertung führen, äußerste Grenzen seien überschritten. Die Abweichung von der Halbteilung ist nur gerechtfertigt, um unerträgliche, sittenwidrige Ergebnisse zu vermeiden. Die dabei anzulegenden Maßstäbe sind weitaus strenger als bei der Anwendung des § 242 BGB (vgl. Palandt-Brudermüller, BGB, 74. Aufl. 2015, § 27 VersAusglG Rdnr. 5, 11; Erman-Norpoth, BGB, 14. Aufl. 2014, § 27 VersAusglG Rdnr. 2, 4 f.; Kemper, VersAusgl in der Praxis, 2011, Rdnr. VIII 177 ff.).
b) Diese Grenzen sind hier nicht überschritten.
aa) Die Kündigung des Rentenversicherungsvertrages hat das Ausgleichsergebnis nicht grob unbillig zu Lasten der Antragstellerin verschoben.
(1) Eine grobe, korrekturbedürftige Unbilligkeit kommt in Frage, wenn einer der Ehepartner private Vorsorgeverträge durch Erklärungen gegenüber dem Versorgungsträger dem Versorgungsausgleich entzieht, ohne dass dafür ein sachlicher, auch unter Berücksichtigung der Interessen des anderen billigenswerter Beweggrund zu erkennen ist, und wenn dadurch das Ausgleichsergebnis, das ohne die Erklärung erreicht würde, erheblich verschoben wird. Nur wenn beide Voraussetzungen gegeben sind – die illoyale Entziehung und ein dadurch bewirkter erheblicher Eingriff –, ist unerträgliche Sittenwidrigkeit erreicht, die einen bloßen Verstoß gegen Treu und Glauben übertrifft.
Damit weicht der Senat nicht in entscheidungserheblicher Weise von den Maßstäben ab, die bislang für die Korrektur des Ausgleichs wegen illoyaler Entziehung eines an sich auszugleichenden Anrechts gebildet worden sind.
Das Oberlandesgericht Nürnberg hat ein versorgungs- und familienfeindliches Verhalten des Ehepartners angenommen, bei dem kein anderes nachvollziehbares Motiv als die Entziehung eines Anrechts zu erkennen war. Den Wert des fraglichen Anrechts hat es bei der Bildung des Entscheidungsmaßstabs nicht besonders erwähnt. Aber der korrespondierende Kapitalwert des Ausgleichswertes des entzogenen Anrechts betrug mehr als fünf Prozent des korrespondierenden Kapitalwerts des Ausgleichswertes des Anrechts, das der von der Entziehung betroffene Ehepartner zu Gunsten des sich illoyal verhaltenden Ehepartners auszugleichen hatte (OLG Nürnberg, NJW-RR 2011, 1375). Einen Eingriff in dieser Größenordnung würde auch der Senat für erheblich halten.
Das gilt erst recht bei einem Verhältnis des entzogenen Anrechts mit einem Ausgleichswert von ungefähr einem Achtel des Ausgleichswertes des Anrechts, das der von der Entziehung betroffene Ehepartner zu Gunsten des anderen auszugleichen hat (OLG Stuttgart, BeckRS 2012, 24683).
Der 1. Familiensenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts hat es nach einer Entziehung zweier Anrechte nicht für maßgeblich gehalten, ob es sich um geringfügige Anrechte handele. Maßgeblich sei, dass die entzogene Versorgung nicht mehr bei der Ermessensentscheidung nach § 18 VersAusglG berücksichtigt werden könne (BbgOLG, NJW 2011, 539). Auch diese Erwägung steht zu der Anforderung nicht im Widerspruch, das entzogene Anrecht müsse ein gewisses Gewicht im Verhältnis zu den auszugleichenden Anrechten aufweisen. Andernfalls könnte es auch bei der Ermessensausübung über den Ausgleich geringwertiger Anrechte keine entscheidungserhebliche Rolle spielen.
Der 2. Familiensenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts hat in der – im Ergebnis bejahenden – Erörterung der groben Unbilligkeit der Entziehung eines Anrechts aus dem Versorgungsausgleich ausdrücklich darauf verwiesen, es handele sich um eine nicht nur geringfügige Versicherung, die in der Gesamtbetrachtung der auszugleichenden Anrechte einiges Gewicht erlange (BbgOLG, NZFam 2014, 220, 222). Das entspricht der hier vertretenen Auffassung.
In weiteren entschiedenen Fällen der Entziehung eines Anrechts aus dem Versorgungsausgleich ist bereits eine Schädigungsabsicht verneint worden (OLG Schleswig, NJW 2015, 1317, Abs. 22 ff.; OLG Naumburg, NJW-RR 2009, 870, 871).
Schließlich entsteht kein Widerspruch zur Entscheidung der Fallkonstellation, in der es der Bundesgerichtshof für grob unbillig gehalten hat, dass ein Ehepartner durch eine versicherungsvertragliche Gestaltungserklärung ein Anrecht dem Versorgungsausgleich entzieht, es aber in der umgewandelten Form weiter zu eigener Altersvorsorge verwendet, nun allerdings, ohne den anderen Ehepartner daran teilhaben zu lassen (BGH, NJW 2015, 1599, Abs. 10). Zum einen bedurfte das außerordentliche Gewicht des Eingriffs in das Ausgleichsgefüge im dort entschiedenen Fall keiner besonderen Erwähnung: Das entzogene Anrecht hatte einen höheren Ausgleichswert als das im Versorgungsausgleich verbliebene Anrecht des entziehenden Ehegatten und erreichte fast den Ausgleichswert des einzigen Anrechts des anderen Ehegatten. Zum anderen geht es im hier zu entscheidenden Fall nicht um das Erreichen eines eventuell unredlichen Vorteils in der Altersvorsorge, denn der Antragsgegner hat das Anrecht aus seiner Rentenversicherung nicht zur einseitigen Verbesserung allein seiner Altersvorsorge verwendet, sondern durch die Kündigung den Vorsorgezweck vollständig, für beide Ehepartner beseitigt.
(2) Die Hälfte des nach Kündigung des Rentenversicherungsvertrages des Antragsgegners vom Versicherer berechneten Wertes der Versicherung (3.915 Euro) entspricht einem Anteil von nicht einmal zwei Prozent der Ausgleichswerte, die die Antragstellerin dem Antragsgegner auszugleichen hat. Der Anteil am Ausgleichssaldo (156.232 Euro zu Lasten der Antragstellerin) beträgt weniger als drei Prozent. Die Entziehung hat den der Antragstellerin äußerst ungünstigen Ausgleichssaldo mithin nur sehr geringfügig weiter zu ihren Lasten verschoben. Die Grenze zur groben Unbilligkeit wird dadurch nicht überschritten.
(3) Es kann danach dahinstehen, ob es als ein sachlicher Grund für die Kündigung der privaten Rentenversicherung hingenommen werden kann, dass der Antragsgegner den Kapitalbetrag benötigte, um die Kosten des anstehenden Scheidungsverfahrens bewältigen zu können, die er aus anderen Mitteln nicht aufbringen konnte. Die Antragstellerin hat diesen Vortrag des Antragsgegners unwidersprochen gelassen. Eine auf den Versorgungsausgleich gerichtete Schädigungsabsicht lässt sich dieser Einlassung zwar nicht entnehmen. Allerdings hat der Antragsgegner auch keine erkennbare Rücksicht auf die Interessen der Antragstellerin genommen. Er selbst hat die ihm allein bevorstehenden Verfahrenskosten zu Lasten eines Vermögensgegenstandes bestritten, der bei der Scheidung unter den Eheleuten aufzuteilen gewesen wäre. Der Grundsatz, jeder solle für die ihn treffenden Kosten der Scheidung allein aufkommen (§ 150 I FamFG), könnte dem Antragsgegner die Obliegenheit zuweisen, den Einsatz von auszugleichenden Vermögensgegenständen für die Scheidungskosten nicht einseitig zu betreiben, während die Antragstellerin darauf verwiesen bleibt, die sie treffenden Kosten aus ihrem Einkommen aufzubringen. Ob die erhebliche Einkommensdifferenz zwischen vormaligen Eheleuten zu einer anderen Beurteilung führen könnte, kann ebenfalls unerörtert bleiben.
bb) Die weiteren von der Antragstellerin angeführten Gründe reichen bei weitem nicht aus, um die grobe Unbilligkeit des Versorgungsausgleichs anzunehmen. Der ihr ungünstige Ausgleichssaldo beruht nach den Auskünften der gesetzlichen Rentenversicherungsanstalten und der Anstellungskörperschaft der Antragstellerin darauf, dass sie weitaus mehr Arbeitsentgelt erzielt hat als der Antragsgegner. Die während der Ehe praktizierte Aufteilung der Familien- und Erwerbsarbeit unter den Eheleuten kann auch dann nicht im System des Versorgungsausgleichs korrigiert werden, wenn sie der Antragstellerin jetzt, nach dem Scheitern der Ehe, als unangemessen oder ungerecht vorkommt.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Wertfestsetzung auf den §§ 55 II, 50 I 1 FamGKG.
Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§ 70 II FamFG), besteht nicht. Dass die Einheitlichkeit der Rechtsprechung nicht in Frage gestellt wird, ist bei der näheren Erörterung des Tatbestandes des § 27 VersAusglG dargelegt worden.