Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 2. Senat | Entscheidungsdatum | 23.06.2011 | |
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Aktenzeichen | OVG 2 N 110.10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art. 32 Visakodex, § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 124 Abs 3 VwGO, § 124a Abs 4 S 4 VwGO |
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das ihr am 8. Oktober 2010 und der Beklagten am 6. Oktober 2010 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin wird abgelehnt.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt die Klägerin.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.000 EUR festgesetzt.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Die Zulassung der Berufung kommt nicht wegen der geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) in Betracht. Die Klägerin zeigt mit ihrem Vorbringen, das hier allein zu prüfen ist, keine gewichtigen Gesichtspunkte auf, die für den Erfolg einer Berufung sprechen. Die von ihr genannten Gründe rechtfertigen nicht den Schluss, sie könne die Erteilung des begehrten Besuchsvisums beanspruchen.
Ohne Erfolg bleibt der Vorwurf, das Verwaltungsgericht habe den Sachverhalt zur familiären Verwurzelung der Klägerin im Heimatland sowie zu den wirtschaftlichen Verhältnissen verkannt. In diesem Zusammenhang kommt es bei der Prüfung der Frage, ob bei der Klägerin das Risiko der rechtswidrigen Einwanderung besteht und ob sie beabsichtigt, vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des beantragten Visums das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten zu verlassen (Art. 21 Abs. 1 Visakodex - VK -), entgegen der Ansicht der Klägerin nicht darauf an, ob die Beklagte Angaben der Klägerin bestreitet oder nicht, da es sich hierbei um tatbestandliche Voraussetzungen für die Visumserteilung handelt, die in vollem Umfang der gerichtlichen Überprüfung unterliegen. Auf das Vorbringen der Klägerin zur Erklärung der vom Verwaltungsgericht aufgezeigten Widersprüche in ihrem erstinstanzlichen Vortrag kommt es nicht an, weil das Verwaltungsgericht hierauf bzgl. der familiären Verwurzelung nicht entscheidungserheblich abgestellt hat (vgl. UA Seite 5 unten) und es sich hinsichtlich der wirtschaftlichen Verhältnisse lediglich um einen von zwei selbständig tragenden Begründungsteilen handelt (vgl. UA S. 6 unten), wovon die Klägerin die erste Begründung - wie noch ausgeführt wird - nicht mit zulassungsrelevanten Einwänden angreift. Ebenso kann offen bleiben, ob die Emigration zweier Kinder der Klägerin ins westliche Ausland Rückschlüsse auf das Verhalten der Klägerin selbst zulässt und die Annahme starker Auswanderungstendenzen in der Familie rechtfertigt. Denn das Verwaltungsgericht hat maßgeblich darauf abgestellt, dass jedenfalls die von der Klägerin geltend gemachten engen Beziehungen zu ihrer in Pakistan lebenden Familie und ihre Einbindung in das soziale Umfeld vor Ort für sich gesehen keine Gewähr bieten würden, dass die immerhin 62 Jahre alte verwitwete Klägerin ihre erwachsenen Familienangehörigen in Pakistan zurücklasse, um sich in der Bundesrepublik Deutschland in die Obhut ihrer hier lebenden Kinder zu begeben und ihre in Pakistan weiterhin bestehenden familiären und sozialen Kontakte durch Schriftwechsel oder Telefonverkehr aufrechtzuerhalten. Es hat weiter darauf hingewiesen, dass nicht ersichtlich sei, warum die familiären Bindungen an die hier lebenden Kinder geringer sein sollten als an die in Pakistan verbliebenen, zumal die Behauptung, die verwitwete Klägerin fungiere als Familienoberhaupt angesichts des Umstandes, dass in Pakistan die Personensorge und Existenzsicherung in gesellschaftlich tradierter Weise allein bei den Söhnen liege, der Substanz entbehre. Zu diesen tragenden Erwägungen der angefochtenen Entscheidung verhält sich der Zulassungsantrag nicht. Der schlichte Hinweis, es sei lebensfremd anzunehmen, eine Kleinfamilie könne - für eine über 60-jährige Dame - das soziale Netzwerk einer Familie in einer dörflichen Gemeinschaft ersetzen, bietet nicht die gebotene substantiierte Auseinandersetzung mit der Argumentation des Verwaltungsgerichts. Das gleiche gilt für das Angebot, Beweis zur familiären und wirtschaftlichen Situation der Klägerin durch Vernehmung ihrer Kinder R. W. und B. B. als Zeugen zu erheben. Auch hierin liegt kein die Richtigkeit der Ausführungen des Verwaltungsgerichts infrage stellendes Vorbringen, welches ernstliche Zweifel begründen könnte. Insoweit tritt die Klägerin weder der Feststellung des Verwaltungsgerichts entgegen, sie habe die von ihr behaupteten Eigentumsverhältnisse an Wohnhäusern und Grundstücken im Wert von einigen 10.000 € sowie Bargeld und Spareinlagen auf der Bank in gleicher Höhe nicht nachgewiesen, noch legt sie im Zulassungsverfahren entsprechende Belege vor. Ein Zulassungsantrag darf sich jedoch nicht darauf beschränken, lediglich den Anstoß zu einer Beweisaufnahme durch das Oberverwaltungsgericht zu geben, die dann möglicherweise zu einem anderen Ergebnis führt, sondern muss die - behauptete - Unrichtigkeit der von der ersten Instanz getroffenen Feststellungen substantiiert darlegen (vgl. VGH Baden-Württ., Beschluss vom 30. Juli 1997 - 8 S 1548/97 -, NVwZ-RR 1998, 336).
2. Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
Die Klägerin hat die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht den Anforderungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargetan. Danach sind in dem Antrag die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Wird die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend gemacht, so ist hierfür erforderlich, dass eine bisher weder höchstrichterlich noch obergerichtlich beantwortete konkrete und zugleich entscheidungserhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen und erläutert wird, warum sie über den Einzelfall hinaus bedeutsam ist und im Interesse der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung der Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf (st. Rspr. des Senats). Dem wird die Antragsbegründung nicht gerecht.
Soweit die Klägerin den Satz zur Überprüfung stellt: „Wenn zwei Kinder hier leben, fehlt der Rückkehrwille, gleich wie viele Argumente ansonsten für den Rückkehrwillen sprechen mögen“ (Pkt. 1.1 der Zulassungsbegründung), begehrt sie ersichtlich die Klärung ihres Einzelfalles. Darüber hinaus fehlt es nicht nur an der Formulierung einer konkreten Frage, der Zulassungsantrag enthält auch keine Ausführungen dazu, weshalb im Sinne der oben genannten Kriterien eine Klärung erforderlich wäre. Gleiches gilt für die aufgeworfene Frage, welchen Stellenwert die Kaution habe (Pkt. 1.4 der Zulassungsbegründung). Die von der Klägerin hierzu gegebene Begründung („die gestellte Kaution sei geflissentlich übergangen worden - wenn sie jedoch keinen Beweiswert habe, wozu gebe es wie dann?“) zeigt, dass sie sich der Sache nach gegen die an der Höhe des Betrages der konkret hinterlegten Kaution orientierte und damit einzelfallbezogene Bewertung durch das Verwaltungsgericht (UA S. 7) wendet, d.h. die Klärung ihres Falles begehrt. Angesichts dessen lässt sich der darzulegende Klärungsbedarf nicht mit der die Ausführungen zu diesem Zulassungsgrund abschließenden pauschalen Behauptung darlegen, die äußerst restriktive Interpretation des Visakodex habe weitreichende und über den Einzelfall hinausgehende Folgen für die weiteren mustergültigen Antragsteller mit mehr als einem Familienmitglied in Deutschland.
Für die von der Klägerin weiter aufgeworfene Frage, „ob von der grundsätzlichen Erlaubnis einer Visumserteilung abgewichen werden kann, wenn Besuchsmöglichkeiten im Ausland bestehen, oder ob dies nicht vielmehr von vornherein völlig unerheblich ist, damit die Beklagte ihrer aus dem Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtscharta folgenden Pflicht zum Schutze der Familie genügt“ (Pkt. 1.2 der Zulassungsbegründung), ist schon die Entscheidungserheblichkeit nicht dargetan, weil das Verwaltungsgericht von einem solchem Fall der Abweichung bei der Klägerin nicht ausgegangen ist. Nach der von der Klägerin mit zulassungsrechtlich relevanten Einwendungen nicht angegriffenen Feststellung des Verwaltungsgerichts bestehen begründete Zweifel an der Rückkehrbereitschaft der Klägerin, so dass die Auslandsvertretung der Beklagten bereits aus diesem Grund zwingend das Visum nach Art. 32 Abs. 1 VK verweigern muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Januar 2011 - 1 C 1.10 -, juris), ohne dass es auf etwaige weitere Umstände entscheidungserheblich ankäme. Aus dem gleichen Grund fehlt der von der Klägerin darüber hinaus für klärungsbedürftig erachteten Frage, welchen Regeln das Zusammenspiel von gesetzlichen Vermutungen und freier Beweiswürdigung zu folgen habe (Pkt. 1.5 der Zulassungsbegründung), die notwendige Entscheidungserheblichkeit, und zwar unabhängig davon, ob der Visakodex überhaupt gesetzliche Vermutungen enthält. Denn wie bereits aufgezeigt, rechtfertigen bereits die festgestellten Zweifel an der Rückkehrbereitschaft der Klägerin die Visumsversagung.
Darüber hinaus macht die Klägerin im Rahmen des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung geltend, „die näheren Umstände, die zu einer Umkehrung des gesetzlichen Regel-Ausnahme-Verhältnisses führen könnten (oder eben nicht), bedürften höchstrichterlicher Klärung“ (Pkt. 1.3 der Zulassungsbegründung). Unabhängig davon, ob dem Visakodex überhaupt ein gesetzliches Regel-Ausnahme-Verhältnis zu entnehmen ist, und ob - wie die Klägerin meint - das Verwaltungsgericht ein solches bei seiner ablehnenden Entscheidung umgekehrt hat, scheitert die Annahme des Zulassungsgrundes bereits nach der von der Klägerin gewählten Formulierung an der erforderlichen Klärungsfähigkeit, da die nach ihrer Ansicht maßgeblichen näheren Umstände stets einzelfallbezogen sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).