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Entscheidung 12 U 4/09


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 12. Zivilsenat Entscheidungsdatum 20.05.2010
Aktenzeichen 12 U 4/09 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 11. Dezember 2008 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam, Az.: 11 O 9/06, wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Streithelferin ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Streithelferin, die diese selbst trägt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt die Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie die Feststellung einer Ersatzpflicht der Beklagten für sämtliche bereits entstandenen und noch entstehenden materiellen sowie für zukünftige immaterielle Schäden - soweit diese nicht auf Dritte übergegangen sind oder übergehen - wegen einer seiner Ansicht nach fehlerhaften Behandlung einer bei ihm nach der Geburt festgestellten Choanalatresie (angeborener Verschluss beider Nasengänge) im Hause der Beklagten zu 1. durch die Beklagte zu 2.. Die Parteien streiten um das Vorliegen eines Behandlungsfehlers, insbesondere im Hinblick auf eine zu spät erfolgte Verlegung des Klägers in die Klinik der Streithelferin, das Fehlen einer Sicherung der Atemwege des Klägers mit einem Guedel-Tubus, das Unterlassen einer kontinuierlichen Überwachung der Atmung und Sauerstoffversorgung des Klägers sowie das Fehlen einer ärztliche Begleitung bei der Verlegung des Klägers in das Haus der Streithelferin. Weiterhin besteht Streit über die Bewertung der Tätigkeit der Beklagten zu 2. als grob fehlerhaft sowie über die Kausalität der vorgetragenen Behandlungsfehler für den Eintritt eines hypoxischen Gehirnschadens, den der Kläger nach seinem Vorbringen erlitten hat. Schließlich streiten die Parteien über die weiteren Auswirkungen einer fehlerhaften Behandlung hinsichtlich der vom Kläger behaupteten Entwicklungsverzögerungen sowie über die Höhe eines angemessenen Schmerzensgeldes. Wegen der Einzelheiten wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Mit am 11.12.2008 verkündeten Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dem Kläger sei der Nachweis nicht gelungen, dass seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf einen ärztlichen Fehler der Beklagten zurückzuführen seien. Einen infolge einer eventuellen Sauerstoffunterversorgung entstandenen hypoxischen Hirnschaden habe der Kläger nicht nachgewiesen. Ein kausaler Zusammenhang zwischen der fehlenden Sicherung der Atemwege bzw. der verzögerten Verlegung in die Klinik der Streithelferin mit der Entwicklungsverzögerung des Klägers sei nicht belegt. Insoweit sei zu beachten, dass bei dem Kläger eine Reihe von weiteren Risikofaktoren für eine Entwicklungsstörung vorlägen. Dem Kläger kämen Beweiserleichterungen nicht zugute. Die Versäumnisse der Beklagten zu 2. seien nach der überzeugenden Darstellung des gerichtlich beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. med. M… nicht als grob fehlerhaft einzustufen. Diese Einschätzung werde auch durch den Umstand gestützt, dass die Ärzte im Hause der Streithelferin nach der Verlegung ebenfalls nicht sofort einen Guedel-Tubus angelegt hätten. Entsprechend den Ausführungen des Sachverständigen sei davon auszugehen, dass der Zustand des Klägers in der Zeit seiner Behandlung durch die Beklagten nicht als so kritisch angesehen worden sei, dass sofort an alle Möglichkeiten habe gedacht werden müssen, diesen Zustand zu bessern. Insoweit sei der Aussage des Zeugen Dr. Mi… über die Verfassung des Klägers bei Aufnahme in der Klinik der Streithelferin nicht zu folgen, da diese sich in zahlreichen Punkten mit der Dokumentation nicht decke und der Zeuge nicht in der Lage gewesen sei, die Widersprüche aufzuklären. Wegen der weitergehenden Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils verwiesen.

Der Kläger hat gegen das ihm am 16.12.2008 zugestellte Urteil mit einem am 14.01.2009 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und das Rechtsmittel mit einem am 13.02.2009 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Der Kläger wiederholt und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag. Er beanstandet, bereits die Verdachtsdiagnose einer Choanalatresie sei erheblich verspätet gestellt worden. Fehlerhaft sei auch, dass nicht sofort der Versuch unternommen worden sei, seine Atmung durch Legen eines Guedel-Tubus zu sichern. Zugleich stelle dieses Unterlassen einen groben Behandlungsfehler dar, da ein entsprechendes Vorgehen sofort zu einer besseren, im günstigsten Fall sogar zu einer völlig optimalen Belüftung der Lungen führe und die Kenntnis von diesem Verfahren zum Facharztstandard gehöre. Dies ergebe sich auch aus den Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen. Der Sachverständige habe ausgeführt, ein grober Behandlungsfehlers sei im Verzicht auf einen Guedel-Tubus zu sehen, wenn der Zustand des Klägers bei Ankunft in der Kinderklinik sehr schlecht gewesen sei. Eine solche Situation habe hier vorgelegen. Die Sauerstoffsättigung habe bei ihm bei lediglich 56 % gelegen, was schwersten Sauerstoffmangel beweise. Die nunmehr vorgenommenen Relativierungen des Sachverständigen seien nicht nachzuvollziehen. Zudem sei für die Beurteilung eines Behandlungsfehlers als "grob" nicht auf dessen Auswirkungen abzustellen. Insoweit sei die Kausalität des Fehlers für den Schaden betroffen. Aus dem gleichen Grunde sei auch nicht darauf abzustellen, dass es auch - nach Auffassung des Sachverständigen - im Hause der Streithelferin Verzögerungen gegeben habe. Zudem treffe die Auffassung des Sachverständigen nicht zu, die fehlende Behandlung des entstandenen Sauerstoffmangels habe sich nicht ausgewirkt. Die vorgelegte Dokumentation stehe dem entgegen. Die bei seiner Ankunft im Hause der Streithelferin ermittelten Werte belegten einen bereits länger andauernden Sauerstoffmangel. Das Landgericht habe ferner ohne weitere Aufklärung nicht davon ausgehen dürfen, dass es auch in der Kinderklinik der Streithelferin zu Versäumnissen gekommen sei. Die Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen hierzu seien schon nicht Gegenstand des Beweisbeschlusses gewesen. Ferner sei der Beklagten zu 2. vorzuwerfen, dass sie nicht bereits um 14:35 Uhr unverzüglich eine sofortige Notfallverlegung in die Klinik der Streithelferin angeordnet habe. Zu den Folgen der Behandlung durch die Beklagten behauptet der Kläger, eine erhebliche grob- und feinmotorische sowie sprachbezogene Entwicklungsverzögerung liege weiterhin vor. Er sei sowohl im motorischen als auch im psychischen Bereich erheblich entwicklungsverzögert, was sich vor allem im Spielverhalten mit Gleichaltrigen zeige, das aufgrund der Behinderung kaum möglich sei. Oft könne er Situationen nicht richtig einschätzen, seine Reflexe seien nur schwach oder teilweise gar nicht ausgeprägt. Unstreitig ist deshalb eine Schwerbehinderung des Klägers vom Amt für Soziales und Versorgung in … anerkannt worden. Weiter trägt der Kläger vor, es sei davon auszugehen, dass ein Dauerschaden gegeben sei. Ihm sei eine normale Entwicklung und damit die normale Kindheit eines gesunden Kindes verwehrt und er werde sein ganzes Leben lang auf die wohlwollende Hilfe Dritter angewiesen bleiben. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Umfang der vorgetragenen Beeinträchtigungen wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 26.11.2009 (Bl. 433 ff GA) Bezug genommen.

Die Streithelferin ist ebenfalls der Auffassung, den Beklagten sei ein grober Behandlungsfehler vorzuwerfen. Der Zustand des Klägers bei seiner Ankunft in ihrer Klinik sei sehr schlecht gewesen, wie auch der erstinstanzlich vernommene Zeuge Dr. Mi… erklärt habe. Soweit der Zustand in der in ihrem Hause gefertigten Dokumentation nicht zutreffend wiedergegeben werde, beruhe dies darauf, dass wegen der Notfallsituation die Dokumentation erst nachträglich habe erstellt werden können.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 11.12.2008, Az.: 11 O 9/06, abzuändern und

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt werde, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, ihm den infolge der fehlerhaften ärztlichen Betreuung in der Vergangenheit entstandenen und zukünftig noch entstehenden materiellen Schaden sowie zukünftigen immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht aufgrund sachlicher und zeitlicher Kongruenz auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagten beziehen sich auf ihren erstinstanzlichen Vortrag nebst Beweisantritten und verteidigen das landgerichtliche Urteil. Sie sind der Auffassung, in dem Nichteinsetzen des Guedel-Tubus liege jedenfalls kein grober Behandlungsfehler. Zutreffend habe der Sachverständige insoweit die auch beim Setzen eines solchen Tubus bestehenden Risiken und das während der Behandlung durch die Beklagte zu 2. dokumentierte klinische Bild des Klägers berücksichtigt. Der Kläger habe zudem nicht bewiesen, dass ein Behandlungsfehler der Beklagten zu 2. mitursächlich für einen hypoxischen Hirnschaden geworden sei, vielmehr bestünden nach den Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen starke Hinweise auf das Vorliegen einer angeborenen Infektion. Es lägen keine Hinweise auf eine hypoxisch-ischämische Enzephalopathie vor, auch sei die behauptete Entwicklungsstörung nicht typisch für eine hypoxisch-ischämische Hirnschädigung.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. med. R… M… zur Erläuterung seines schriftlich erstatteten Gutachtens. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15.04.2010 (Bl. 495 ff d. A.) verwiesen.

II.

1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 511, 513, 517, 519, 520 ZPO. Die Berufungsbegründung genügt den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO. Der Kläger stützt sein Rechtsmittel unter anderem darauf, das Landgericht habe zu Unrecht einen groben Behandlungsfehler trotz Unterlassens der Verwendung eines Guedel-Tubus und der Verzögerung der Verlegung in die Klinik der Streithelferin verneint, obwohl hierdurch eine eklatante Unterschreitung des gebotenen ärztliches Standards vorgelegen habe. Das Landgericht habe dabei im Anschluss an die Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen zur Entlastung der Beklagten zu 2. auf Umstände abgestellt, die nicht hätten berücksichtigt werden dürfen, insbesondere habe es Fragen der Kausalität mit der Problematik des groben Behandlungsfehlers vermischt. Der Kläger zeigt damit einen Rechtsfehler auf, auf dem das Urteil beruhen kann, §§ 513, 546 ZPO.

2. In der Sache bleibt das Rechtsmittel ohne Erfolg.

Dem Kläger stehen gegen die Beklagten weder ein Anspruch auf Schmerzensgeld sowie auf Feststellung einer Ersatzpflicht für materielle und künftige immaterielle Schäden aus §§ 831 Abs. 1, 823 Abs. Abs. 2, 847 Abs. 1 BGB a. F., 229, 13 StGB noch ein Anspruch auf Feststellung einer Ersatzpflicht für materielle Schäden aus positiver Forderungsverletzung des zwischen der Mutter des Klägers und der Beklagten zu 1. geschlossenen Krankenhausvertrages vom 11.09.2001 zu, wobei auf das Geschehen die bis zum 31.12.2001 geltende Rechtslage anzuwenden ist, da sich die vom Kläger beanstandete Behandlung im September 2001 zugetragen hat. Die Behandlung des Klägers im Hause der Beklagten zu 1. war zwar fehlerhaft; eine Kausalität der Behandlungsfehler für einen Hirnschaden des Klägers ist jedoch nicht nachgewiesen, auch Beweiserleichterungen kommen dem Kläger insoweit nicht zugute.

a) Im Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Behandlung des Klägers im Hause der Beklagten zu 1. fehlerhaft gewesen ist. Nach den überzeugenden Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen Prof. Dr. med. R... M… entsprachen die von der Beklagten zu 2. ergriffenen Maßnahmen nach Diagnose einer beidseitigen Choanalatresie beim Kläger nicht dem in einem Krankenhaus mit der bei der Beklagten zu 1. vorhandenen Ausstattung zu verlangenden Facharztstandard (vgl. hierzu BGH VersR 1987, S. 686; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 6. Aufl., Teil B, Rn. 2 f).

Der Sachverständige hat nachvollziehbar ausgeführt, dass eine Choanalatresie eine Notfallsituation darstellt, die rasches und fachgerechtes Handeln gerade im Hinblick auf die Gefährdung des Kindes durch eine Sauerstoffunterversorgung erfordert. Der Sachverständige hat weiter dargetan, dass bestimmte Maßnahmen zu ergreifen sind, die er im Hinblick auf die Schwere des Krankheitsbildes als relativ einfach zu treffen bezeichnet hat, nämlich eine Sicherstellung der Atmung des Neugeborenen durch Einsatz eines Guedel-Tubus, sodann die unverzügliche Verlegung des Kindes in ein Zentrum, das für die Behandlung eines solchen Falles eingerichtet ist, und schließlich eine kontinuierliche Überwachung der Atmung und der Sauerstoffversorgung des Kindes. Die Angaben des Sachverständigen stehen insoweit im Wesentlichen in Übereinstimmung mit den Ausführungen des vom Kläger beauftragten Gutachters Prof. Dr. med. F… Sch… in seinem Gutachten vom 28.10.2003, der gleichfalls die sofortige Notfallverlegung nach Diagnose der Choanalatresie und das Legen eines Guedel-Tubus für erforderlich gehalten hat. Alle drei vom gerichtlich bestellten Sachverständigen aufgezeigten Maßnahmen sind von der Beklagten zu 2. nicht bzw. nicht im erforderlichen Umfang durchgeführt worden. Einen Guedel-Tubus hat die Beklagte zu 2. nicht eingesetzt, obwohl durch ein solches Röhrchen ein ungehinderter Luftstrom von den Lippen über die Zunge bis in den Rachenraum des Klägers sichergestellt worden wäre.

Auch eine unverzügliche Notfallverlegung des Klägers ist nicht erfolgt. Den Beklagten ist zum einen eine Verzögerung der Verlegung des Klägers in der Zeit von 15:00 Uhr bis 15:24 Uhr vorzuwerfen. Nach den Feststellungen des Sachverständigen, gegen die die Beklagten Einwendungen nicht erhoben haben, handelte es sich wegen der erheblichen Gefahr für das Kind bei der Verlegung des Klägers um eine Eilmaßnahme, die einen Transport unter Inanspruchnahme von Sonderrechten gerechtfertigt hätte. Auch hätte in dieser Situation die Verlegung eingeleitet werden müssen, bevor die Eltern über die Maßnahmen informiert wurden, zumal - wie der Sachverständige im Rahmen seiner Anhörung durch das Landgericht nachvollziehbar ausgeführt hat - angesichts der bestehenden Lebensgefahr für das Kind mit einer Verweigerung der Zustimmung seitens der Eltern nicht zu rechnen war. Um 15.00 Uhr waren die Untersuchungen des Klägers im Hause der Beklagten zu 1. mit der Diagnose einer Choanalatresie abgeschlossen, sodass bereits in diesem Zeitpunkt die notfallmäßige Verlegung des Klägers hätte eingeleitet werden müssen. Die Beklagte zu 2. hat hingegen erst um 15.24 einen Krankentransport angefordert und zuvor – so die Annahme des Sachverständigen – noch das Aufklärungsgespräch mit den Eltern des Klägers geführt. Auch in der Folge ist den Beklagten eine Verzögerung der Verlegung des Klägers in die Klinik der Streithelferin anzulasten, weil die Beklagte zu 2. nicht für die Durchführung der nach den Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen gebotenen notfallmäßigen Verlegung unter Nutzung von Sonderrechten Sorge getragen hat. Unerheblich für die Annahme eines Behandlungsfehlers ist es in diesem Zusammenhang, ob diese Unterlassung der Beklagten zu 2. zur Ankunft des Klägers auf der Station G 2 der Streithelferin um ca. 16:00 Uhr – wie von der Beklagten zu 2. dokumentiert – oder erst um 16:25 Uhr – wie in der Krankendokumentation der Streithelferin vermerkt – geführt hat.

Nicht vorzuwerfen ist der Beklagten zu 2. hingegen, dass sie die Verlegung des Klägers nicht bereits um 14:35 Uhr eingeleitet hat. Wie sich aus den von der Beklagten zu 2. gefertigten Behandlungsunterlagen ergibt, hat sie einen Verdacht auf eine Choanalatresie erst nach durchgeführter Pulsoxymeter-Überwachung in der Zeit von 14:45 Uhr bis 15:00 Uhr diagnostiziert. Es ist der Beklagten zu 2. auch nicht vorzuwerfen, dass sie diese Diagnose nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt gestellt hat. Aus der von der Beklagten zu 2. gefertigten Dokumentation ergibt sich, dass diese ca. um 14:35 Uhr nach einer Information durch die Hebamme den Kläger erneut untersucht hat, der sich nicht beruhigen ließ. In der Folge hat sie einen Absaugversuch und eine Sondierung beider Nasenlöcher vorgenommen, wobei ein fester Widerstand festgestellt wurde. Bei einer weiteren Absaugung wurde neben Schleim ein großer zäher Schleimpfropf entfernt. Da weiter eine Beruhigung des Klägers nicht eintrat, hat die Beklagte zu 2. eine Pulsoxymeterüberwachung veranlasst, die letztlich zur Diagnose eines Verdachts auf Choanalatresie geführt hat. Beanstandungen dieses Vorgehens durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen sind nicht erfolgt. Der Sachverständige Prof. Dr. med. M… hat im Rahmen seiner Anhörung durch das Landgericht vielmehr das relativ frühe Erkennen des Vorliegens einer Choanalatresie ausdrücklich positiv hervorgehoben. Der Senat folgt auch nicht der Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. med. Sch…, die Diagnose einer Choanalatresie habe bereits nach der Feststellung eines Widerstandes bei Sondierung der Nasenlöcher des Klägers getroffen werden müssen. Der vom Kläger beauftragt Sachverständige geht in seinem Gutachten auf die weiteren Maßnahmen der Beklagten zu 2. nicht ein und berücksichtigt insbesondere nicht, dass ein weiterer Absaugversuch zur Entfernung eines Schleimpfropfens führte, mithin die Möglichkeit einer nunmehr hergestellten Durchgängigkeit der Atemwege bestand und durch die Pulsoxymetrie weiter abgeklärt worden ist. Auch stellt der Sachverständige Prof. Dr. med. Sch… bei seiner Beurteilung nicht hinreichend in Rechnung, dass die dokumentierte Hautfärbung des Klägers nicht zwingend auf eine Sauerstoffunterversorgung hindeutete.

Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. med. M… ist den Beklagten weiterhin vorzuwerfen, dass eine kontinuierliche Überwachung der Atmung und Sauerstoffversorgung des Klägers nicht erfolgt ist, die Pulsoxymeterüberwachung von der Beklagten zu 2. nach 15 Minuten vielmehr wieder beendet worden ist, obwohl die Sauerstoffsättigung beim Kläger lediglich im unteren Normbereich gelegen hat.

Nicht nachgewiesen ist hingegen, dass der Kläger ohne ärztliche Begleitung zur Klinik der Streithelferin transportiert worden ist, wie der Privatgutachter Prof. Dr. med. F... Sch… beanstandet hat. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. med. M… ist vielmehr von einer Begleitung der Verlegung des Klägers durch die Beklagte zu 2. auszugehen. Zutreffend hat der Sachverständige auf einen entsprechenden Vermerk in den Krankenunterlagen der Streithelferin verwiesen, aus dem folgt, dass die Beklagte zu 2. am Transport des Klägers beteiligt war. Auch der vom Landgericht vernommene Zeuge Dr. P… Mi… hat angegeben, der Kläger sei ihm von einer Ärztin der Beklagten zu 1. übergeben worden.

b) Nicht bewiesen ist, dass die den Beklagten vorzuwerfenden Behandlungsfehler einen hypoxischen Hirnschaden beim Kläger sowie die vorgetragenen Entwicklungsverzögerungen bzw. –störungen verursacht haben.

Sowohl der gerichtlich bestellte Sachverständige Prof. Dr. med. M… als auch der vom Kläger beauftragte Sachverständige Prof. Dr. med. Sch… haben einen hypoxischen Hirnschaden nicht feststellen können, einen solchen vielmehr auf der Grundlage der sonstigen Erkenntnisse für eher unwahrscheinlich gehalten. Der Senat folgt diesen Beurteilungen. Beide Sachverständige verweisen darauf, dass die ersten MRT-Untersuchungen des Gehirns des Klägers vom 17.9. und 16.10.2001 unauffällig gewesen sind, was gegen den Eintritt einer Hypoxie spricht. Auch verweist der vom Kläger beauftrage Sachverständige darauf, dass typische Symptome einer hypoxisch-ischämischen Enzephalopathie, insbesondere Krämpfe, beim Kläger nicht dokumentiert sind. Die Feststellung „hypersynchrone Aktivität multifokaler Genese“ im Arztbrief der Streithelferin vom 12.11.2001 bezeichnet der Sachverständige Prof. Dr. med. Sch… dabei als eher ungewöhnlich nach einer gerade durchlebten Hypoxie. Weiterhin hat die MRT-Untersuchung vom 15.1.2004 nach den Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen keine schweren pathologischen Veränderungen ergeben, die zwingend auf eine Hypoxie deuten. Die festgestellte leichte Erweiterung der Seitenventrikel kann nach den Ausführungen des Sachverständigen vielmehr sowohl als Normvariante zu klassifizieren sein, als auch als angeborene Anlagestörung oder aber als Folge einer Hypoxie. Das Fehlen eines sehr ausgeprägten Befundes sowie das Nichtvorliegen anderweitiger Hinweise auf hypoxisch-ischämische Schäden verweist dabei nach der Darstellung des gerichtlich bestellten Sachverständigen auf das Vorliegen einer Normvariante. Auch die Entwicklungsverzögerungen bzw. –störungen des Klägers rechtfertigen nicht den Rückschluss auf das Vorliegen einer durch einen Behandlungsfehler der Beklagten verursachten Hypoxie. Der Sachverständige Prof. Dr. med. M… hat eine Reihe von anderen Gründen für die Beeinträchtigungen des Klägers sowie teilweise auch für einen Hirnschaden aufgeführt, nämlich eine fetale Entwicklungsstörung, das Vorliegen eines CHARGE-Syndroms, eine Hörstörung, eine Hirnschädigung aufgrund einer Inflammation (Entzündungsreaktion aufgrund einer schweren angeborenen Infektion) oder infolge der Behandlung des Klägers mit Dexamethason sowie ein Hirnschaden durch die beim Kläger aufgetretene ausgeprägte Hyperglykämie oder infolge von Hyperventilation, wobei es nach den Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen auch durch das Zusammenwirken von mehreren dieser Umstände zu den Beeinträchtigungen beim Kläger gekommen sein kann. Die Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen werden wiederum im Wesentlichen durch den Gutachter Prof. Dr. med. Sch… bestätigt, der in seinem Gutachten vom 28.10.2003 ebenfalls verschiedene Alternativursachen für die Schädigung des Klägers angegeben hat. Lediglich der vom Sachverständigen Prof. Dr. med. Sch… geäußerte Verdacht des Vorliegens einer angeborenen Fehlbildung des Rückenmarks (sog. „tethered cord“) ist dabei nach den Feststellungen des Sachverständige Prof. Dr. med. M… zwischenzeitlich ausgeräumt. Hingegen hat der gerichtlich bestellte Sachverständige in Bezug auf die alternativen Ursachen eines Hirnschadens überzeugend jeweils konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen der alternativ benannten Ursachen dargetan, sodass selbst im Falle des Nachweises einer Hirnschädigung des Klägers – gegebenenfalls durch Ausschluss der anderweitigen Ursachen (fetale Entwicklungsstörung, CHARGE-Syndrom, Hörstörung) – die Kausalität der den Beklagten anzulastenden Behandlungsfehler für die Beeinträchtigungen des Klägers nicht feststellbar wäre.

Eine anderweitige Beurteilung ist schließlich nicht durch die vom Kläger zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20.09.1998 zum Aktenzeichen VI ZR 15/98 (veröffentlicht etwa in VersR 1998, S. 1153) veranlasst. Nach dieser Entscheidung prägen die im Zusammenhang mit einer behaupteten hypoxisch-ischämischen Hirnschädigung auftretenden Verhaltensstörungen das konkrete Schadensbild mit, sind also nicht als Folgeschäden anzusehen. Eine Aussage für die vorliegend streitigen Kausalzusammenhänge zwischen Behandlungsfehler und behaupteter Hirnschädigung einerseits sowie zwischen Hirnschaden und Entwicklungsstörungen andererseits lässt sich aus diesen Feststellungen hingegen nicht ableiten.

c) Dem Kläger kommen Beweiserleichterungen im Hinblick auf den Nachweis der Kausalität von Behandlungsfehler und behauptetem Hirnschaden nicht zugute.

Zur Beweislastumkehr hinsichtlich der Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für den Primärschaden kommt es bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers. Ein grober Behandlungsfehler ist anzunehmen, wenn aus objektiver ärztlicher Sicht bei Anlegung des für einen Arzt geltenden Ausbildungs- und Wissensmaßstabs das Fehlverhalten nicht mehr verständlich und verantwortbar erscheint, weil ein solcher Fehler dem behandelnden Arzt aus objektiver Sicht schlechterdings nicht unterlaufen darf; dies ist der Fall, wenn auf eindeutige Befunde nicht nach den gefestigten Regeln der ärztlichen Kunst reagiert wird oder wenn grundlos Standardmethoden zur Bekämpfung möglicher unbekannter Risiken nicht angewandt werden und wenn besondere Umstände fehlen, die den Vorwurf des Behandlungsfehlers mildern können (BGH VersR 1994, S. 310; NJW 1992, S. 2962; VersR 1978, S. 1022; Geiß/Greiner, a. a. O., Teil B, Rn. 251 f). Auf subjektive, in der Person des behandelnden Arztes liegende Gründe kommt es nicht an, entscheidend ist allein, ob das ärztliche Verhalten eindeutig gegen gesicherte und bewährte medizinische Erkenntnisse und Erfahrungen verstößt (BGH, a. a. O.; Geiß/Greiner, a. a. O.). Da die Bewertung das gesamte Behandlungsgeschehen zu berücksichtigen hat, können auch mehrere, für sich genommen nicht grobe Einzelfehler in der erforderlichen Gesamtwürdigung einen groben Behandlungsfehler begründen (BGH VersR 2001, S. 1030; Geiß/Greiner, a. a. O. Rn. 253). Dabei ist die Beurteilung des Vorliegens eines groben Behandlungsfehlers eine Rechtsfrage, gleichwohl müssen die entsprechenden Feststellungen des Berufungsgerichtes in einer medizinischen Bewertung des Behandlungsgeschehens durch einen Sachverständigen eine hinreichende Stütze finden, da der Richter den berufsspezifischen Maßstab der objektiven Sorgfalt im Allgemeinen nur mit Hilfe eines medizinischen Sachverständigen ermitteln kann (BGH VersR 2008, S. 644; Geiß/Greiner, a. a. O., Rn. 255).

Der Senat folgt den Ausführungen des Prof. Dr. med. M…, der in seiner Anhörung in der Berufungsinstanz nochmals eindeutig und überzeugend ausgeführt hat, dass das den Beklagten vorzuwerfende Fehlverhalten aus ärztlicher Sicht – auch in Zusammenschau aller Mängel – noch nicht als grob unverständlich und unverantwortbar erscheint. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass das Vorgehen der Beklagten zu 2. zwar fehlerhaft gewesen ist, weil sie weder eine Sicherung der Atemwege des Klägers mit einem Guedel-Tubus vorgenommen hat noch eine kontinuierliche Überwachung der Sauerstoffversorgung des Klägers sichergestellt hat und auch die Verlegung des Klägers in die Klinik der Streithelferin nicht mit der gebotenen Eile betrieben hat. Der Sachverständige hat aber zugleich berücksichtigt, dass die Verwendung des Tubus wie auch die Überwachung der Sauerstoffversorgung letztlich erst zum Tragen kommt, wenn die „Schreiatmung“ des Säuglings versagt, er also nicht mehr atmet und eine Bradykardie einsetzt, sodass erst in diesem Moment ein Zwang zu einem Tätigwerden besteht. Weiter hat der Sachverständige dargestellt, dass auch ohne (maschinelle) Überwachung der Sauerstoffversorgung der Arzt bzw. das Pflegepersonal allein an einer Verfärbung des Kindes die Situation der Sauerstoffversorgung abschätzen können. Der Sachverständige hält es daher zwar für falsch aber nicht für grob unverständlich, dass die Beklagte zu 2. keine weitergehenden Maßnahmen ergriffen hat, denn die seitens der Beklagten zu 2. festgestellten Werte der Sauerstoffsättigung wie auch die dokumentierte Verfärbung des Klägers und das Fehlen einer erkennbaren beschleunigten oder gestörten Atmung wiesen nach den Feststellungen des Sachverständigen nicht auf einen pathologischen Zustand hin, sondern lagen im unteren Normbereich. Bei dieser Beurteilung hat der Sachverständige ausdrücklich auch berücksichtigt, dass die Beklagte zu 2. nicht ständig beim Kläger gewesen ist.

Diese Ausführungen des Sachverständigen unter Einbeziehung der konkreten Situation erscheinen dem Senat auch unter Berücksichtigung der gegenteiligen Ansicht des Sachverständigen Prof. Dr. med. Sch…, der sich allerdings nicht mit den Einzelheiten des vorliegenden Falles befasst hat, überzeugend. Der Sachverständige Prof. Dr. med. M… hat – anders als noch bei seiner erstinstanzlichen Anhörung – eine klare Trennung zwischen der zu bewertenden fehlerhaften Behandlung des Klägers einerseits und deren Folgen bzw. deren Kausalität für den eingetretenen Schaden vorgenommen. Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat nunmehr auch zutreffend auf die Sicht ex ante, also rückbezogen auf den Zeitpunkt der Vornahme bzw. Unterlassung der Handlung abgestellt. Angesichts der dargestellten Situation mit einer schon am äußeren Erscheinungsbild des Klägers erkennbaren Erforderlichkeit eines sofortigen Handelns bei Versagen der „Schreiatmung“, zu der es aber nach den Feststellungen des Sachverständigen auf der Grundlage der Dokumentation der Beklagten zu 2. nicht gekommen ist, ist es nicht grob unverständlich, dass die in diesem Moment allein der Absicherung eines späteren Zustandes bei Erschöpfung des Neugeborenen dienenden Maßnahmen unterblieben sind, auch wenn die Risiken und Belästigungen etwa der Einbringung eines Guedel-Tubus, die der Sachverständige Prof. Dr. med. M… in seiner Anhörung durch den Senat im einzelnen geschildert hat, in keinem Verhältnis zu der lebensgefährlichen Situation bei Versagen der „Schreiatmung“ stehen. Zu berücksichtigen ist dabei zudem, dass eine Veränderung der Situation bei Erschöpfung des Neugeborenen auch durch medizinische Laien – insbesondere die Mutter des Klägers – wahrgenommen worden wäre, sodass auch über diesem Wege mit einer umgehenden Information der Klinik zu rechnen war. Weiterhin wäre ein Versagen der „Schreiatmung“ auch akustisch wahrnehmbar gewesen.

Nicht abzustellen ist schließlich auf den Zustand des Klägers im Zeitpunkt seiner Aufnahme in die Klinik der Streithelferin. Schon aus diesem Grund war die Vernehmung des Dr. Sc… sowie die erneute Vernehmung des Dr. Mi… nicht veranlasst, wobei Dr. Sc… nach dem Vortrag der Streithelferin im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 19.04.2010 ohnehin erst nach Beginn der Intubationsversuche eingetroffen ist. Der Kläger befand sich auf dem Transport zur Klinik der Streithelferin in Begleitung der Beklagten zu 2.. Damit war die Überwachung der Hautfarbe des Klägers sowie des Funktionierens der „Schreiatmung“ sichergestellt und der Verzicht auf weitergehende Sicherungsmaßnahmen (Tubus, Sauerstoffüberwachung) des sich in einem Inkubator mit Sauerstoffvorlage befindlichen Klägers wiederum nicht völlig unverständlich. Zugleich bestehen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass sich der Zustand des Klägers bereits vor seinem Eintreffen in der Klinik der Streithelferin derart verschlechtert hat, dass das Unterlassen der gebotenen Maßnahmen nunmehr als grob unverständlich anzusehen wäre. Der bei Ankunft des Klägers festgestellte Sauerstoffsättigungswert beim Kläger von 56 % lässt sich nach den Feststellungen des gerichtlich beauftragten Sachverständigen vielmehr mit dem abrupten Abbruch der Sauerstoffvorlage durch das Herausnehmen des Klägers aus dem Inkubator erklären. Nicht ausgeschlossen werden kann auch, dass die nach Behauptung des Klägers und der Streithelferin entgegen der vorhandenen Dokumentation vorgenommene Intubation als Reaktion auf den festgestellten Sauerstoffsättigungswert und eine entsprechende Verfärbung des Klägers erfolgt sind. Entgegen der Ansicht der Streithelferin im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 19.04.2010 sind die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. med. M… auch nicht widersprüchlich. Zwar hat der Sachverständige in seinem Gutachten vom 06.01.2008 wie auch im Rahmen seiner Anhörung durch das Landgericht zunächst angegeben, ein schwerer Fehler sei im Verzicht auf den Einsatz eines Guedel-Tubus zu sehen, wenn der Zustand des Klägers bei dessen Ankunft im Klinikum der Streithelferin sehr schlecht gewesen und eine dringende sofortige Maßnahme für jedermann erkennbar erforderlich gewesen ist. Bei dieser Bewertung hat der Sachverständige jedoch nicht berücksichtigt, dass die Beurteilung der Schwere des Behandlungsfehlers aus der Sicht ex ante zu erfolgen hat. Nicht zu beanstanden ist, dass der Sachverständige nach der Korrektur seiner Sichtweise im Anschluss an den Hinweis des Senats seine Beurteilung in diesem Punkt mit entsprechender Begründung nicht mehr aufrecht erhalten hat. Unerheblich für den vorliegenden Rechtsstreit war es schließlich, wie sich der Zustand des Klägers in der Klinik der Streithelferin weiterentwickelt hat.

Nicht veranlasst war die Einholung eines Obergutachtens. Ein neues Gutachten nach § 412 ZPO kann eingeholt werden, wenn das erste Gutachten mangelhaft ist oder von falschen tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, der Sachverständige nicht über die nötige Sachkunde verfügt, sich die Anschlusstatsachen durch neuen Sachvortrag ändern oder ein anderer Sachverständiger über überlegene Forschungsmittel oder Erfahrung verfügt (Greger in Zöller, ZPO, Kommentar, 28. Aufl. § 412, Rn. 1). Ein solcher Fall ist nicht gegeben. Aus den vorgenannten Gründen ist das Gutachten des Prof. Dr. med. M… nicht widersprüchlich bzw. überzeugend. Auch Zweifel an der Sachkunde des gerichtlich bestellten Sachverständigen oder Anhaltspunkte für die überlegene Sachkunde eines anderen Sachverständigen bestehen nicht.

3. Die nicht nachgelassenen Schriftsätze der Streithelferin vom 19.04. und 17.05.2010, des Klägers vom 29.04.2010 und der Beklagten vom 04.05.2010 geben keinen Anlass die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen, § 156 ZPO.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 Sätze 1 und 2 ZPO.

Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 60.000,00 € festgesetzt, § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG (Schmerzensgeldantrag: 50.000,00 €; Feststellungsantrag: 10.000,00 €).

Wert der Beschwer für den Kläger: 60.000,00 €.