Der Kläger wendet sich gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 22. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 2007, mit dem der Beklagte seine Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – ( SGB II) für den Zeitraum vom 2. Oktober 2006 bis 31. Dezember 2006 ganz aufgehoben und die Erstattung von Leistungen in Höhe von 3.891,03 € gefordert hat.
Der 1968 geborene Kläger gab in seinem unter dem 2. Oktober 2006 gestellten Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf dem Zusatzblatt 2.1. „Einkommenserklärung“ der Antragsformulare auf die Frage nach Einkommen („z.B. Steuererstattung“) an, dass er eine Steuerrückerstattung in Höhe von ca. 3000,- € erwarte. Mit dem dem Kläger am 30. Oktober 2006 zugegangenen Bescheid vom 27. Oktober 2006 setzte das Finanzamt F (FA) die Einkommensteuer und den Solidaritätszuschlag des Klägers für das Jahr 2004 fest und überwies dem Kläger ein „Restguthaben“ in Höhe von 5.298,62 € (einschließlich Zinsen). Dieser Betrag wurde nach dem Kontoauszug vom 2. November 2006 dem Konto des Klägers bei der BS am 31. Oktober 2006 gutgeschrieben.
Mit Bescheid vom 1. November 2006 bewilligte der Beklagte dem Kläger für den Zeitraum vom 2. Oktober 2006 bis 31. Oktober 2006 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 1.286,93 € und für den Zeitraum vom 1. November 2006 bis 31. Dezember 2006 in Höhe von monatlich 1.302,05 €. Ferner wurde dem Kläger ein Zuschuss zu den Beiträgen für die Rentenversicherung (V) in Höhe von monatlich 78,- € bewilligt. Mit einem nach Angaben des Klägers am 10. November 2006 abgeschickten und beim Beklagten am 13. November 2006 eingegangenen Schreiben übersandte der Kläger den Bescheid des FA vom 27. Oktober 2006 sowie den Kontoauszug vom 2. November 2006. Mit Schreiben vom 17. Januar 2007 erkundigte sich der Kläger u.a. nach dem Eingang des von ihm übersandten Bescheides des FA und bat um eine kurze Eingangsbestätigung, wobei er darauf hinwies, dass sich die Steuererstattung im Rahmen seines „Freibetrages befunden haben sollte“.
Mit Bescheid vom 22. Januar 2007 hob der Beklagte seine Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 2. Oktober 2006 bis 31. Dezember 2006 unter Bezugnahme auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) auf und forderte die Erstattung der Leistungen in Höhe von 3.891,03 €. Der Kläger habe wissen müssen, dass der ihm zuerkannte Anspruch zum Ruhen gekommen oder ganz weggefallen sei. Mit Schreiben vom 30. Januar 2007 legte der Kläger Widerspruch unter Hinweis auf die Entscheidung des Sozialgerichts Leipzig vom 16. August 2005 – S 9 405/05 – ein. Danach handele es sich bei Steuererstattungen nicht um Einkommen, sondern um Vermögen. Mit Bescheid vom 9. Februar 2007 bewilligte der Beklagte dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis 30. April 2007 Leistungen in Höhe von 1.294,03 € monatlich.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24. September 2007 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 22. Januar 2007 zurück und führte aus: Der Kläger habe im streitbefangenen Zeitraum keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II gehabt. Ab dem 2. Oktober 2006 habe wegen der dem Kläger zugeflossenen Steuererstattung eine Änderung in den Verhältnissen vorgelegen. Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X solle ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, wenn nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden sei. Erbrachte Leistungen seien nach § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten.
Im Klageverfahren hat der Kläger vorgetragen, die Steuererstattung habe der Wiederherstellung einer früheren Vermögenslage gedient. Er habe die erwartete Erstattung im Arbeitslosengeld II-Antrag ordnungsgemäß angegeben - ohne dass dies zu einem Bewilligungsvorbehalt geführt habe -und den Zahlungseingang unaufgefordert gemeldet. Die Verzinsung der Steuererstattung spreche für deren Einstufung als Vermögen.
Das Sozialgericht Berlin hat mit Urteil vom 27. Mai 2009 den Bescheid des Beklagten vom 22. Januar 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 24. September 2007 aufgehoben. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei begründet. Der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Als Rechtsgrundlage für die Aufhebungsentscheidung komme nur § 45 SGB X in Betracht. Der Zufluss der Steuererstattung sei am 31. Oktober 2006 und damit vor Erlass der Aufhebungsentscheidung erfolgt. § 48 SGB X sei mangels einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nach Erlass des Bewilligungsbescheides vom 1. November 2006 nicht anwendbar. Eine Aufhebungsentscheidung könne zwar grundsätzlich auch noch nachträglich auf eine andere Rechtsgrundlage gestützt werden, sofern der Verwaltungsakt dadurch nicht in seinem Regelungsumfang oder seinem Wesensgehalt verändert oder die Rechtsverteidigung des Betroffenen nicht in nicht zulässiger Weise beeinträchtigt oder erschwert werde. Die Tatbestandvoraussetzungen des insoweit in Betracht kommenden § 45 Abs. 1 SGB X lägen auch vor. Entgegen der Auffassung des Klägers sei eine Einkommenserstattung als berücksichtigungsfähiges Einkommen und nicht als Vermögen zu qualifizieren. Da die nach § 45 Abs. 1 SGB X erforderliche Ermessensentscheidung fehle, sei jedoch eine Auswechslung der Rechtsgrundlagen nicht möglich. Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II iVm § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch –Arbeitsförderung – (SGB III) sei lediglich in den – hier nicht gegebenen - Fällen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X eine gebundene Entscheidung statthaft. Insbesondere beruhe der aufzuhebende Verwaltungsakt nicht auf Angaben, die der Kläger vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtig oder unvollständig bemacht habe. Angesichts der Tatsache, dass die Gutschrift der Steuererstattung erst am 31. Oktober 2006 erfolgt sei, könne dem Kläger nicht grobe Fahrlässigkeit dahingehend vorgeworfen werden, dass er bis zum Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes am 1. November 2006 den Beklagten nicht von der Erstattung in Kenntnis gesetzt habe, zumal er wohl erst mit dem Kontoauszug vom 2. November 22006 Kenntnis von der Gutschrift erhalten habe. Dem Kläger könne auch nicht nachgewiesen werden, dass er die Rechtswidrigkeit der Bewilligung gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe. Der Kläger habe glaubwürdig dargetan, dass er davon ausgegangen sei, dass die Steuererstattung als Vermögen zu qualifizieren sei. Nicht zuletzt da die Frage der Klassifizierung einer Einkommenssteuererstattung bis zu der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. September 2008 - B 4 AS 29/07 R – zumindest im Bereich des SGB II umstritten und höchstrichterlich nicht geklärt gewesen sei, könne nicht davon ausgegangen werden, dass dem Kläger die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides vom 1. November 2006 hätte „ins Auge springen“ müssen.
Mit der Berufung wendet sich der Beklagte gegen dieses Urteil und trägt vor: Nach seinem eindeutigen Wortlaut sei § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X auch dann anzuwenden, wenn nach Antragstellung Einkommen oder Vermögen erzielt worden sei, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Selbst wenn in Einklang mit der Auffassung des SG unterstellt werde, dass auf § 45 SGB X abzustellen sei, sei der angegriffene Bescheid rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nrn. 2 und 3 SGB X lägen nämlich vor. Steuererstattungen seien bereits vor Einführung des SGB II als Einkommen zu qualifizieren gewesen. Lediglich die vom Kläger zitierte Entscheidung sei von der Rechtssprechung zum Bundessozialhilfegesetz abgewichen. Die Entscheidung des BSG vom 30.September 2008 sei nicht überraschend gekommen. Es könne überdies bei vom BSG noch nicht entschiedenen Fragen nicht genügen, sich auf einzelne „abwegige“ Entscheidungen eines Sozialgerichts zu berufen. Dass der über juristisches Wissen verfügende Kläger gewusst habe, dass die Steuerrückerstattung als Einkommen zu qualifizieren sei, zeige bereits der Umstand, dass er die erwartete Erstattung bei Antragstellung selbst als Einkommen und nicht im „Zusatzblatt 3“ zur Feststellung des zu berücksichtigenden Vermögens angegeben habe. Zudem sei der Bescheid des FA nicht unverzüglich vorgelegt worden. Die Steuerrückerstattung hätte im Bewilligungsbescheid vom 1. November 2006 berücksichtigt werden können, wenn der Kläger den Bescheid unverzüglich nach Zugang vorgelegt hätte.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Mai 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt vor: Mangels damals bestehendem Problembewusstsein habe er die erwartete Steuererstattung an der Stelle angegeben, an der danach ausdrücklich gefragt worden sei. Das „Urteil“ des Sozialgerichts Leipzig habe er vor dem Eintreffen des Aufhebungsbescheids gar nicht gekannt. Er sei von einer „Freigrenze“ bis ca. 5.000,- € ausgegangen. Aus den vom Beklagten und vom Sozialgericht Berlin angeführten Urteilen ergebe sich im Hinblick auf die erfolgte Verzinsung seiner Erstattungsforderung im Umkehrschluss, dass seine Steuererstattung „unzweifelhaft“ als Vermögen zu qualifizieren sei.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die zum Verfahren eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die den Kläger betreffenden Leistungsakten des Beklagten und die Gerichtsakten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.