Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 6. Senat | Entscheidungsdatum | 23.08.2013 | |
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Aktenzeichen | OVG 6 L 56.13 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 123 Abs 1 S 1 VwGO, § 40 GKG, § 52 Abs 1 GKG, § 52 Abs 2 GKG, § 52 Abs 5 S 1 Nr 1 GKG, § 52 Abs 5 S 2 GKG, Art 12 Abs 1 GG |
1. Der Streitwert in beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitigkeiten in Eilverfahren richtet sich nach § 52 Abs. 5 Satz 2 GKG (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung).
2. Er beträgt regelmäßig das 3,25 fache des sich aus § 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 GKG ergebenden Betrages.
Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Berlin vom 27. Juni 2013 wird der Streitwert für den ersten Rechtszug auf 24.025,30 Euro festgesetzt. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Streitwertfestsetzung in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 27. Juni 2013 wird zurückgewiesen.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
I.
Der Antragsteller wandte sich im Wege des Eilrechtsschutzes gegen die Besetzung von mehreren der Besoldungsgruppe A 16 zugeordneten Beförderungsstellen mit den Beigeladenen. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag im Wesentlichen entsprochen und der Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung untersagt, die fraglichen Stellen vorläufig zu besetzen. Zugleich hat es den Streitwert auf 21.355,82 Euro festgesetzt. Dabei hat es § 52 Abs. 5 Satz 2 GKG zugrundegelegt und ist vom 3,25 fachen des Endgrundgehalts der Besoldungsgruppe A 16 ausgegangen. Gegen diese Streitwertfestsetzung hat die Antragsgegnerin Beschwerde mit der Begründung eingelegt, der Streitwert sei bei beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitigkeiten in Eilverfahren nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats auf der Grundlage des § 52 Abs. 2 GKG mit 5.000 Euro zu bemessen.
II.
1. Die gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes - GKG - zulässige Streitwertbeschwerde ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Streitwert zu Recht auf Grundlage des § 52 Abs. 5 Satz 2 GKG festgesetzt. Der Senat hält an seiner früheren, von der Antragsgegnerin in Bezug genommenen Rechtsprechung nicht mehr fest.
a) § 52 Abs. 5 GKG ist Spezialvorschrift für die Festsetzung des Streitwertes in beamtenrechtlichen Streitigkeiten. Sie ist auch bei beamtenrechtlichen Konkurren-tenstreitigkeiten in Eilrechtsschutzverfahren nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO anwendbar. § 52 Abs. 5 Satz 1 GKG regelt die Festsetzung des Streitwertes in Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen. Nach Satz 2 ist Streitwert die Hälfte des sich nach Satz 1 ergebenden Betrages, wenn das Verfahren die Verleihung eines anderen Amtes oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand betrifft. Ein beamtenrechtliches Konkurrentenstreitverfahren nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO „betrifft“ die Verleihung eines anderen Amtes, nämlich des Beförderungsamtes bzw. der Versetzung auf einen Beförderungsdienstposten mit dem Ziel der späteren Beförderung, zwar nicht unmittelbar. Denn im Falle erfolgreicher Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes wird dem Rechtsmittelführer nicht das andere Amt verliehen oder der Beförderungsdienstposten übertragen; sondern es wird lediglich verhindert, dass einem der Konkurrenten des Rechtsmittelführers das fragliche Amt bzw. der fragliche Dienstposten übertragen wird. Gleichwohl geht es in derartigen Streitigkeiten in der Sache um die Besetzung eines Beförderungsamtes bzw. -dienstpostens. In diesem Sinne „betrifft“ ein solches Verfahren jedenfalls mittelbar die Verleihung eines anderen Amtes im Sinne des § 52 Abs. 5 Satz 2 GKG. Die Frage, ob ein Verfahren die Verleihung eines anderen Amtes „betrifft“, lässt sich nach dem Wortlaut der Vorschrift sowohl eng im Sinne eines ausschließlich unmittelbaren als auch weit im Sinne eines auch mittelbaren Betreffens deuten. Nach Auffassung des Senats sprechen allerdings die überzeugenderen Gründe für die weite Auslegungsvariante (ebenfalls für eine Anwendung des § 52 Abs. 5 Satz 2 GKG: BVerwG, zuletzt Beschluss vom 20. Juni 2013 - 2 VR 1.13 -, Rn. 58 EA; OVG Bremen, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 2 B 19/10 -, Rn. 43 bei juris; OVG Greifswald, Beschluss vom 24. Mai 2012 - 2 M 15/12 -, Rn. 13 bei juris; OVG Hamburg, Beschluss vom 14. September 2012 - 5 Bs 176/12 -, NordÖR 2013, S. 21 ff., Rn. 39 bei juris; VGH Kassel, Beschluss vom 9. Januar 2012 - 1 B 1932/11 -, NVwZ-RR 2012, S. 376, Rn. 7 bei juris; OVG Koblenz, Beschluss vom 5. November 2012 - 2 B 10778/12 -, NVwZ-RR 2013, S. 25 f., Rn. 39 bei juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 16. Mai 2013 - 5 ME 92/13 -, Rn. 27 f. bei juris; OVG Magdeburg, Beschluss vom 18. Januar 2011 - 1 M 158/10 -, Rn. 26 bei juris; OVG Münster, Beschluss vom 19. März 2012 - 6 E 1406/11 -, IÖD 2012, S. 98, Rn. 3 bei juris; OVG Saarlouis, Beschluss vom 21. Juni 2013 - 1 B 311/13 -, IÖD 2013, S. 180, Rn. 4 ff. bei juris; OVG Schleswig, Beschluss vom 13. Juni 2006 - 3 O 11/06 -, NVwZ-RR 2006, S. 653, Rn. 3 bei juris; OVG Weimar, Beschluss vom 23. Oktober 2012 - 2 EO 132/12 -, IÖD 2013, S. 26 ff., Rn. 43 bei juris; dagegen für eine Anwendung des § 52 Abs. 2 GKG: OVG Bautzen, Beschluss vom 5. Juni 2009 - 2 B 282/09 -, ZBR 2010, S. 278 ff., Rn. 32 bei juris; VGH Mannheim, Beschluss vom 23. April 2013 - 4 S 439/13 -, Rn. 4 bei juris; VGH München, Beschluss vom 16. April 2013 - 6 C 13.284 -, Kommunalpraxis BY 2013, S. 275, Rn. 4 bei juris). Sie wird der Systematik des § 52 GKG besser gerecht und trägt zudem den verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Streitwertfestsetzung Rechnung.
Nach § 52 Abs. 1 GKG ist der Streitwert grundsätzlich nach der sich aus dem Antrag des Klägers bzw. Antragstellers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist nach § 52 Abs. 2 GKG ein Streitwert von 5.000 Euro anzunehmen. Auf diesen sog. Auffangwert darf mithin nur abgestellt werden, wenn die Bedeutung der Sache nicht beziffert werden kann. Kommt eine betragsmäßige Berechnung nicht in Betracht, ist eine Schätzung vorzunehmen; nur wenn es hierfür keine Anhaltspunkte gibt, ist auf den Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG zurückzugreifen (so ausdrücklich: VerfGH Bln., Beschluss vom 23. Januar 2013 - 37/11 -, Rn. 26 bei juris m.w.N.). Dieses Regel-Ausnahmeverhältnis führt dazu, dass ein Rückgriff auf die Auffangregelung in § 52 Abs. 2 GKG erst dann in Betracht kommt, wenn alle anderen Möglichkeiten zur Bestimmung des Streitwerts ausgeschöpft wurden, wenn also für ein bezifferbares Interesse des Klägers/Antragstellers keinerlei Anhaltspunkte bestehen. Schon dies lässt die hier vertretene weite Auslegungsvariante des § 52 Abs. 5 Satz 2 GKG vorzugswürdig erscheinen.
Hinzu kommt, dass die Festsetzung des Streitwerts in beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitigkeiten anhand des § 52 Abs. 5 Satz 2 GKG der individuellen Bedeutung des jeweiligen Rechtsstreits für den Antragsteller besser Rechnung trägt, indem der Streitwert je nach Art des Beförderungsamtes, um dessen Vergabe gestritten wird, variiert. Diese soweit wie möglich der individuellen Bedeutung eines Verfahrens gerecht werdende Auslegung des § 52 GKG entspricht den verfassungsrechtlichen Bindungen des Kostenrechts. Die Regelungen des Gerichtskostengesetzes über die Festsetzung des Streitwertes und deren Anwendung haben nämlich insofern eine verfassungsrechtliche Dimension, als sie die Grundlage für die Festsetzung der anwaltlichen Gebühren bilden. Sie unterfallen damit den Bindungen der in Artikel 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Freiheit der Berufsausübung, die untrennbar mit der Freiheit verbunden ist, eine angemessene Vergütung zu fordern. Ebenso wie gesetzliche Vergütungsregelungen sind auch gerichtliche Entscheidungen, die auf Vergütungsregelungen beruhen, am Maßstab des Artikels 12 Abs. 1 GG zu messen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. August 2011 - 1 BvR 2473/10, 1 BvR 2474/10 -, AnwBl. 2011, S. 867 f., Rn. 15 bei juris m.w.N.; VerfGH Bln., a.a.O., Rn. 20 bei juris). Dementsprechend können Rechtsanwälte beanspruchen, dass die Festsetzung des Streitwerts, auf dessen Grundlage sie ihre Gebühren abzurechnen haben, an den Umständen des jeweiligen Einzelfalles ausgerichtet wird.
b) Der sich danach dem Grunde nach gemäß § 52 Abs. 5 Satz 2 GKG bemessende Streitwert ist allerdings zu halbieren. Denn die Bedeutung der Sache ist für den Beförderungsbewerber mit der Hälfte des sich aus § 52 Abs. 5 Satz 2 GKG ergebenden Betrages interessengerecht bewertet. Dies gilt im Hinblick darauf, dass in Hauptsacheverfahren in beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitigkeiten in aller Regel Klageziel nicht die unmittelbare Beförderung des Bewerbers ist, sondern lediglich die Verpflichtung des Dienstherrn zu einer neuen Entscheidung über die Bewerbung um ein Beförderungsamt. Es entspricht allgemeiner Praxis, den Streitwert hinsichtlich einer Klage auf Neubescheidung eines Antrags auf der Grundlage einer erneuten Ermessensausübung auf die Hälfte des Wertes der entsprechenden Verpflichtungsklage festzusetzen (OVG Saarlouis, a.a.O., Rn. 4 bei juris m.w.N.). Dieser Umstand ist auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren durch die Halbierung des Streitwertes nach § 52 Abs. 5 Satz 2 GKG zu berücksichtigen (im Ergebnis ebenso: OVG Bremen, a.a.O.; OVG Greifswald, a.a.O.; OVG Hamburg, a.a.O.; OVG Magdeburg, a.a.O.; OVG Saarlouis, a.a.O.; OVG Weimar, a.a.O.).
c) Eine weitere Reduzierung des Streitwerts im Hinblick darauf, dass es sich vorliegend um ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren handelt, kommt nach Auffassung des Senats nicht in Betracht, weil davon auszugehen ist, dass dem nicht ausgewählten Bewerber in aller Regel nur das Verfahren der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO zur Verfügung steht, um effektiven Rechtsschutz zu erlangen (BVerwG, bereits Beschluss vom 8. November 2007 - 2 VR 4/07 -, Rn. 4 bei juris, und OVG Lüneburg, a.a.O., beide Gerichte allerdings bei Anwendung des vollen Wertes nach § 52 Abs. 5 Satz 2 GKG; a.A.: OVG Münster, a.a.O., und OVG Schleswig, a.a.O.). Faktisch wird daher im einstweiligen Rechtsschutzverfahren das Hauptsacheverfahren regelmäßig vorweggenommen.
d) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe war der Streitwert auf den im Tenor genannten Betrag von 24.025,30 Euro festzusetzen. Dabei ist - im Einklang mit dem Verwaltungsgericht - vom Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 16 auszugehen, das sich im maßgeblichen Zeitpunkt des Antragseingangs beim Verwaltungsgericht am 17. April 2013 (vgl. § 40 GKG) auf 6.571,02 Euro belief. Das Verwaltungsgericht hat allerdings die nach § 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 GKG zu berücksichtigende ruhegehaltfähige Zulage nach Nr. 7 Abs. 1 der Anlage I des Bundesbesoldungsgesetzes außer Acht gelassen, wonach Beamte und Soldaten bei obersten Bundesbehörden sowie bei obersten Gerichtshöfen des Bundes eine Zulage nach Anlage IX des Besoldungsgesetzes erhalten. Sie beträgt 12,5 Prozent des Endgrundgehalts. Zu dem Endgrundgehalt war daher ein Betrag von 821,38 Euro hinzuzurechnen. Die Summe beider Beträge (7.392,40 Euro) war mit 3,25 zu multiplizieren.
Der Festsetzung des Streitwerts auf einen höheren als den vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag steht nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin eine Verringerung des Streitwerts beantragt hat. Im Rahmen der Entscheidung über eine Streitwertbeschwerde gilt der Grundsatz der reformatio in peius nicht (vgl. VGH München, Beschluss vom 20. März 2013 - 9 C 13.325 -, Rn. 7 bei juris m.w.N.; OVG Bautzen, Beschluss vom 23. Juli 2009 - 5 E 79.09 -, Rn. 12 bei juris); das Rechtsmittelgericht ist selbst bei einer unzulässigen Beschwerde nicht gehindert, den Streitwert gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG von Amts wegen abzuändern (vgl. VGH Mannheim, a.a.O., Rn. 3 bei juris).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 68 Abs. 3 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).