Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Entscheidung

Entscheidung 1 (F) Sa 6/16


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 28.07.2016
Aktenzeichen 1 (F) Sa 6/16 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Zuständig ist das Amtsgericht – Familiengericht – Brandenburg an der Havel.

Gründe

1.

Die Antragsteller haben bei dem Amtsgericht Oranienburg, eingegangen am 13. November 2014, die Festsetzung von Kindesunterhalt gegen ihre Mutter im vereinfachten Verfahren beantragt. Die Antragsgegnerin hat dagegen Einwendungen erhoben, welche die Rechtspflegerin für zulässig erachtet hat. Auf den am 22. März 2016 gestellten Antrag der Antragsteller auf Durchführung des streitigen Verfahrens hat die Rechtspflegerin des Amtsgerichts Oranienburg das Verfahren an den zuständigen Richter abgegeben. Dieser hat die Beteiligten auf Bedenken gegen die örtliche Zuständigkeit und auf die Zuständigkeitsregelung des § 28 AUG n.F. hingewiesen. Auf den sodann durch die Antragsteller mit Schriftsatz vom 17. Mai 2016 gestellten Verweisungsantrag hat sich das Amtsgericht Oranienburg mit Beschluss vom 15. Juni 2016 für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren entsprechend dem Antrag der Antragsteller an das Amtsgericht Brandenburg an der Havel verwiesen.

Das Amtsgericht Brandenburg an der Havel hat sich sodann mit – den Beteiligten übermitteltem – Vermerk vom 28. Juni 2016 unter Ablehnung der Übernahme für örtlich unzuständig erklärt und die Akten dem Amtsgericht Oranienburg zurückgereicht. Es hat ausgeführt, die Antragsteller hätten ihr Wahlrecht hinsichtlich eines gemäß § 232 Abs. 3 Nr. 3 FamFG bestehenden (weiteren) Gerichtsstands bei dem Amtsgericht Oranienburg ausgeübt; der Verweisungsbeschluss sei wegen Missachtung der Rechtslage willkürlich und damit nicht bindend. Das Amtsgericht Oranienburg hat mit Beschluss vom 8. Juli 2016 die Auffassung vertreten, ein Wahlrecht habe nicht bestanden und sei hilfsweise nicht wirksam ausgeübt worden; der Verweisungsbeschluss sei jedenfalls bindend. Es hat um Bestimmung des zuständigen Gerichts nachgesucht und die Akten entsprechend § 36 Abs. 1 Ziffer 6 ZPO dem Brandenburgischen Oberlandesgericht vorgelegt.

2.

Das Brandenburgische Oberlandesgericht ist zur Entscheidung berufen (§ 36 Abs. 1 ZPO in Verb. mit §§ 113 Abs. 1; 121 Nr. 1 FamFG).

Der Antrag auf Bestimmung der Zuständigkeit ist zulässig. Die Entscheidung im Rahmen eines negativen Kompetenzkonfliktes nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO setzt voraus, dass sich die am Streit beteiligten Gerichte wirksam und rechtskräftig für unzuständig erklärt haben. Das Merkmal rechtskräftig setzt die wirksame Mitteilung der entsprechenden Entscheidungen an die Beteiligten voraus (BGH, vgl. nur: NJW-RR 1997, 1161; Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. A., § 36 Rdnr. 25 m.w.N.). Hier haben sowohl das Amtsgericht Oranienburg als auch das Amtsgericht Brandenburg an der Havel ihre Entscheidungen den Beteiligten zugeleitet.

3.

Die Zuständigkeit eines der beteiligten Gerichte ergibt sich bereits aus § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO. Es liegt ein bindender Verweisungsbeschluss vor. Die Bindungswirkung kann aufgrund der klaren gesetzlichen Regelung nur ausnahmsweise infolge der Verletzung höherrangigen (Verfassungs-)Rechts entfallen, namentlich bei ungenügender Gewährung rechtlichen Gehörs oder bei objektiv willkürlicher Entziehung des gesetzlichen Richters, wobei die Willkürschwelle im Interesse einer baldigen Klärung der Zuständigkeit und der Vermeidung von Rück- bzw. Weiterverweisungen hoch anzusetzen ist. Insbesondere einfache Rechtsfehler rechtfertigen die Annahme von Willkür grundsätzlich nicht. Erst wenn grobe Rechtsfehler vorliegen, somit gleichsam die gesetzliche Grundlage für die Entscheidung fehlt, ist die Schwelle überschritten (ständige höchst- und obergerichtliche Rspr; vgl. nur: BGH, B. vom 17.05.2011, X ARZ 109/11; Brandenburgisches Oberlandesgericht, 1. Zivilsenat, B. vom 14.06.2016, 1 (Z) Sa 14/16; Senat; B. vom 19.05.2019, 9 AR 1/10; jeweils m.w.N. und zitiert nach juris; Zöller/Greger, ZPO, 31. A., § 281 Rz. 17 m.w.N.).

Das Übersehen von die eigene Zuständigkeit begründenden Vorschriften kann willkürlich sein, wenn diese offenkundig vorliegen und zum alltäglichen „Handwerkszeug“ des Gerichts gehören (etwa: allgemeiner Gerichtsstand des Aufenthalts in Familiensachen und dessen Fortbestand bei Umzug während des Verfahrens gemäß § 2 Abs. 2 FamFG; ständige Senatsrechtsprechung; z.B. B. vom 01. 10.2015, 1 (F) Sa 4/15; B. vom 23.07.2014, 1 (F) Sa 8/14; unveröffentlicht). Im vorliegenden Fall stellt sich die Sachlage allein schon deshalb abweichend dar, weil die Beurteilung der Zuständigkeit in Fällen mit Auslandsberührung aufgrund der unübersichtlichen Gesetzeslage (auch im Hinblick auf die während des anhängigen Verfahrens erfolgte Änderung von § 28 AUG), durchaus schwierig ist und nicht zu den alltäglichen Geschäften des Amtsgerichts Oranienburg gehört. Schon aus diesem Grund kommt dem Verweisungsbeschluss Bindungswirkung zu.

4.

Darüber hinaus ist der Verweisungsbeschluss auch inhaltlich zutreffend. Das Amtsgericht Brandenburg an der Havel ist gemäß Art. 3 a), b) EuUntVO in Verb. mit § 28 Abs. 1 S. 1 AUG für die Entscheidung zuständig. Eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Oranienburg besteht nicht. Zwar handelt es sich bei dem Gerichtsstand nach § 28 AUG in der seit dem 26. November 2015 geltenden Fassung nicht (mehr) um einen ausschließlichen Gerichtsstand. Da ein anderer (allgemeiner oder besonderer) Gerichtsstand aber nicht besteht, stand den Antragstellern auch kein Wahlrecht (gemäß § 35 ZPO in Verb. mit § 113 Abs. 1 FamFG) zu, das sie hätten ausüben können. Insbesondere greift § 232 Abs. 3 Nr. 3 FamFG vorliegend nicht ein. Hierbei handelt es sich (wie bereits früher bei § 23a ZPO a.F.) um einen Auffanggerichtsstand, der nur dann zum Tragen kommt, wenn der Antragsgegner im Inland keinen Gerichtsstand hat. Damit ist das Fehlen eines jeglichen Gerichtsstands, sei es ein allgemeiner oder besonderer gemeint. Nur in diesem Fall eröffnet § 232 Abs. 3 Nr. 3 FamFG eine inländische örtliche Zuständigkeit, um dem als schwächer angesehenen Unterhaltsgläubiger eine Geltendmachung seiner Ansprüche im Inland zu ermöglichen. Die Regelung der örtlichen Zuständigkeit, die Art. 3 EuUntVO enthält, geht dieser Auffangnorm schon deshalb vor, weil es sich um unmittelbar geltendes EU-Gemeinschaftsrecht handelt (Johannsen/Henrich/Maier, Familienrecht, 6. A., § 232 FamFG Rz. 18; Prütting/Helms/Bömelburg, FamFG, 3. A., § 232 Rz. 24 und Prütting/Helms/Hau, a.a.O., Anhang 3 zu § 110 Rz. 44; Bork/Jacoby/Schwab/Kodal, FamFG, 2. A., §232 Rz. 14; Zöller/Lorenz, ZPO, 31. A., § 232 FamFG, Rz. 13; MüKo/Lipp, FamFG, 2. A., Art. 3 EuUntVO Rz. 5 ff; OLG Frankfurt, B. vom 11.01.2012, 1 UFH 43/11 – noch zu § 28 AUG a.F.)

Nur in dem Fall, dass trotz der Änderung des § 28 AUG [mit der Folge, dass – entsprechend Art. 4 und 5 EuUntVO – Gerichtsstandsvereinbarungen nunmehr zulässig und die Zuständigkeitsbegründung durch rügelose Einlassung ermöglicht wird (da es sich nicht mehr um einen ausschließlichen Gerichtsstand handelt)] die Vereinbarkeit der Zuständigkeitskonzentration in § 28 Abs. 1 AUG für europarechtswidrig zu erachten wäre, wäre gemäß Art. 3 b) EuUntVO das Amtsgericht Oranienburg als für den gewöhnlichen Aufenthalt der Antragsteller (allein) zuständig. Auch nach der Entscheidung des EuGH vom 18. Dezember 2014 (C-400/13 und C-408/13) und der Änderung von § 28 Abs. 1 AUG wird wohl weiterhin vertreten, dass die Konzentrationsregelung „EU-widrig“ oder „fragwürdig“ sei. Der Senat geht jedoch davon aus, dass die Regelung zur Verwirklichung des Ziels einer ordnungsgemäßen Rechtspflege beiträgt und die Interessen der Unterhaltsberechtigten schützt, weil sie eine effektive Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen begünstigt. Zwar wird in vielen Fällen der Antragsteller seine Ansprüche nicht bei einem Wohnort-nahen Amtsgericht verfolgen können; dem steht jedoch der Vorteil entgegen, dass das zu befassende Gericht über erheblich mehr Erfahrung im Umgang mit Unterhaltsansprüchen bei Auslandsberührung verfügt. Diese Sachkunde führt zu einer schnelleren und sichereren Bewältigung der Verfahren. Erfahrungsgemäß ist die Bearbeitung von Unterhaltsfällen mit Auslandsberührung für damit nur selten befasste Amtsgerichte von nicht unerheblicher Schwierigkeit, was auch dazu führt, dass der Zeitaufwand für die Bearbeitung unverhältnismäßig groß ist. Dies führt – zum Nachteil des Unterhaltsgläubigers – zu einer nicht selten sehr erheblichen Verlängerung des Verfahrens. Ungewohnte rechtliche Fragestellungen in der Bearbeitung führen wiederum zu einer gesteigerten Notwendigkeit der Durchführung von Beschwerdeverfahren. Demgegenüber ist für die Prüfung der Höhe eines Unterhaltsanspruchs die Wohnortnähe des entscheidenden Amtsgerichts von untergeordneter Bedeutung. Soweit das streitige Verfahren durchzuführen ist, handelt es sich durchweg um Familienstreitsachen, für die Rechtsanwaltszwang herrscht. Bei Vertretung durch einen Rechtsanwalt kommt der Tatsache, dass Verhandlungstermine nicht wohnortnah durchgeführt werden, keine allzu große Bedeutung zu. Die Bearbeitung der Sache erfolgt im Wesentlichen durch vorbereitende Schriftsätze. Die Anreise zu einem (ggf. auch mehreren) Terminen gehört für den Rechtsanwalt zum alltäglichen Geschäft. Die Anhörung der Beteiligten wird überwiegend allenfalls einmal erforderlich sein. Eine Reise zum Amtsgericht am Sitz des Oberlandesgerichts stellt kein nennenswertes Erschwernis in der Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen dar. Die größere Sachkunde des zuständigen Gerichts wiegt diese Unannehmlichkeiten mehr als auf.

5.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da im Verfahren nach § 36 ZPO vor dem Oberlandesgericht Gerichtskosten nicht entstehen und die anwaltlichen Kosten zum Rechtszug der Hauptsache gehören (OLG Dresden RPfleger 2006, 44; OLG München MDR 2007, 1153/1154; OLG Braunschweig a.a.O.).