Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 10. Kammer | Entscheidungsdatum | 05.02.2015 | |
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Aktenzeichen | 10 Ta 73/15 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 1 GG, Art 2 GG, § 611 BGB |
1. Der Beschäftigungsanspruch im laufenden Arbeitsverhältnis kann wegen der verfassungsrechtlichen Implikationen ohne eine weitere Begründung grundsätzlich durchgeführt werden.
2. Eine Selbstwiderlegung der Dringlichkeit tritt im einstweiligen Verfügungsverfahren wegen Beschäftigung frühestens nach einem Monat ein.
I. Auf die sofortige Beschwerde der Verfügungsklägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Cottbus vom 17. Dezember 2014 - 4 Ga 18/14 - aufgehoben.
Die Verfügungsbeklagte wird verurteilt, die Verfügungsklägerin bis zum 30. April 2015 auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 23. Februar 1993 nebst Ergänzungsvertrag vom 29. August 2012 und Anlage zum Arbeitsvertrag vom 13. Dezember 2012 als Abteilungsleiterin Tierproduktion zu beschäftigen.
II. Die Kosten der sofortigen Beschwerde trägt die Beklagte.
III. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.957,00 EUR festgesetzt.
IV. Die Revision ist von Gesetzes wegen ausgeschlossen (§ 72 Abs. 4 ArbGG).
Die Verfügungsklägerin (im Folgenden: Klägerin) begehrt im Wege der einstweiligen Verfügung die vertragsgemäße Beschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist.
Die Klägerin ist 53 Jahre alt (….. 1961), verheiratet und seit dem 1. September 1992 bei der Verfügungsbeklagten (im Folgenden: Beklagte) zunächst als Tierpflegerin und seit dem 1. Juni 2011 zunächst vertretungsweise und seit dem 1. August 2012 dauerhaft als Abteilungsleiterin der Tierproduktion mit 1.957,00 EUR brutto monatlich in Vollzeit mit 40 Wochenstunden beschäftigt.
Die Klägerin war für ca. 200 Milchkühe mit Nachzuchten verantwortlich. Nach einer Stellenbeschreibung vom 13. Dezember 2012 gehört zu den Aufgaben der Klägerin
• die Arbeitsorganisation der Mitarbeiter und Vertretung bei Engpässen
• die Erfassung und Abrechnung der Arbeitsleistungen, Bestände und Verbräuche
• die Bestellung von Kleinmaterial, Betriebs- und Schmierstoffen, Desinfektionsmitteln usw.
• sowie beim Tierbestand
º Kontrolle der Tiergesundheit und des Reproduktionsgeschehens
º Datenerfassung und -auswertung
º Planung und Koordination von Zuchtmaßnahmen
º Organisation Hilfsarbeiten Tierarzt, Besamer, Klauenschneider u.a.
º Fütterung - Aktualisierung der Futterrationen, Bestellung und Abrechnung
º Melken
º Entmistung
Die Klägerin war seit dem 31. Juli 2014 infolge eines Arbeitsunfalls arbeitsunfähig erkrankt. Mit Ausnahme einer urlaubsbedingten Unterbrechung vom 1. September bis 15. September 2014, während derer die Erkrankung sich fortsetzte, dauerte die Arbeitsunfähigkeit bis zum 23. November 2014 einschließlich an.
In einer Generalversammlung der Beklagten am 5. August 2014, an der die Klägerin wegen ihrer Erkrankung nicht teilnahm, wurde ausweislich des Protokolls unter dem Punkt „aktuelle wirtschaftliche und finanzielle Lage des Betriebes“ darüber berichtet, dass als nächste Baumaßnahme ein neuer Milchviehstall geplant sei. Vorabsprachen wegen Preiskalkulationen für den Stallbau würden laufen. In dem Zusammenhang sei eine Betriebszweiganalyse Milchproduktion bei der LAB (Landwirtschaftliche Beratung der Agrarverbände Brandenburg GmbH) in Auftrag gegeben worden, um Einsparmöglichkeiten aufzuzeigen. Im Protokoll wurde sodann ausgeführt:
„Es bestehen noch Zweifel, ob die Mitarbeiter hinter dem Projekt stehen. Es gibt immer wieder Unzulänglichkeiten bei der täglichen Arbeit, die Milchleistung fällt stetig. Es wurde die Frage gestellt, ob in der Tierproduktion überhaupt ein Abteilungsleiter notwendig ist. In der Generalversammlung herrschte Einigkeit, dass Frau B. wegen Wegfalls des Arbeitsplatzes fristgerecht gekündigt werden soll.“
In der Betriebszweiganalyse der LAB vom 14. August 2014 anhand der Zahlen des Jahres 2013, der Beklagten zugegangen am 18. August 2014, sind am Ende folgende Beratungsempfehlungen aufgeführt:
• Senkung der Energie- und Treibstoffkosten (Prüfung durch Energiemessung, Energiesparmaßnahmen bzw. erneuerbare Energie)
• Senkung Tierarzt/Medikamente – Aufwand durch Verbesserung der Haltungsbedingungen
• Als größte mögliche Einsparposition wurden die Personalkosten ermittelt. Der Personalaufwand bei den Vergleichsbetrieben beträgt 5,92 ct/kg Milch. In der Agrargenossenschaft Drebkau eG sind 9,61 ct/kg angefallen und liegen mit 3,69 ct/kg über dem Standard. Entsprechend dem Arbeitskräftespiegel sind 12.968 Akh im Jahr verbraucht, das entspricht 64 Akh pro Kuh und Jahr. Als Vergleichswert sollen maximal 42 Akh/Kuh und Jahr anfallen. Beim gleichen Kuhbestand sind ca. 4.000 Akh weniger in Anspruch zu nehmen. Das bedeutet, dass 2 Arbeitskräfte abgebaut werden müssen. Dieser Abbau ist kurzfristig nur durch Änderung der Arbeitsorganisation möglich.
In einer Vorstandssitzung vom 25. August 2014 hat die Beklagte ausweislich des Protokolls dieser Sitzung unter Bezugnahme auf die Betriebszweiganalyse mit den dort beschriebenen Maßnahmen für eine effektivere Produktion, nämlich Senkung der Energiekosten, der Tierarztkosten und der Personalkosten sowie nach nochmaligem Abwägen der Vor- und Nachteile einstimmig den Wegfall der Stelle des Abteilungsleiters Tierproduktion beschlossen. Da ausreichend Melker und Fütterer in der MVA seien, werde die Klägerin fristgerecht gekündigt. Frau Sch. beauftrage einen Rechtsanwalt mit der Kündigung der Klägerin.
Mit Anwaltsschreiben vom 10. September 2014, der Klägerin zugegangen am 15. September 2014, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen zum Ablauf des 30. April 2015. Gegen diese Kündigung erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage. Nach der Güteverhandlung vom 14. November 2014 vor dem Arbeitsgericht Cottbus, in der trotz der allgemeinen Beschleunigungsvorschrift des § 9 Abs. 1 ArbGG und der besonderen Beschleunigungsvorschrift des § 61a ArbGG ein Kammertermin erst auf den 8. Juli 2015 festgesetzt wurde, teilte die Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 18. November 2014 mit, dass die Klägerin, die wohl ab dem 24. November 2014 wieder arbeitsfähig sei, ausdrücklich von ihren arbeitsvertraglichen Leistungspflichten freigestellt werde, unter Anrechnung auf den Resturlaubsanspruch 2014 und unter Fortzahlung der vertraglich vereinbarten Bezüge.
Mit Anwaltsschreiben vom 27. November 2014 begehrte die Klägerin ihre Beschäftigung, welche die Beklagte mit Anwaltsschreiben vom selben Tage umgehend ablehnte. Am 16. Dezember 2014 nahm die Klägerin wegen der Nicht-Beschäftigung gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch. Es sei keine Arbeit weggefallen, es werde per Stellenanzeige sogar ein Tierpfleger von der Beklagten gesucht. Der Beschäftigungsanspruch der Klägerin resultiere aus dem Arbeitsvertrag und sei zum Schutz des Persönlichkeitsrechts der Klägerin gemäß Art. 1 und Art 2 Abs. 1 GG auch geboten. Die Weiterbeschäftigung über das Ende der Kündigungsfrist hinaus werde gesondert in dem Verfahren der Kündigungsschutzklage verfolgt.
Mit Beschluss vom 17. Dezember 2014 hat das Arbeitsgericht den Antrag der Klägerin zurückgewiesen. Die Klägerin habe schon nicht die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit dargelegt. Dazu seien ein bestehender oder bevorstehender Notstand sowie deren sofortige Beseitigung erforderlich. Selbst wenn man den Beschäftigungsanspruch ohne eine solche Notlage annehmen würde, habe die Klägerin mit dem 16. Dezember 2014 zu lang abgewartet, bevor sie gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch genommen habe. Das gelte sowohl bezogen auf die am 18. November 2014 erklärte Freistellung wie auch bezogen auf den Zeitpunkt 27. November 2014. Denn die Klägerin habe auch dann noch 2 ½ Wochen zugewartet, bis sie gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch genommen habe. Es fehle der Klägerin auch an einem Verfügungsanspruch. Zwar bestehe grundsätzlich ein Anspruch auf Beschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist. Dieser Anspruch entfalle jedoch, wenn überwiegende schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen würden. Dieses sei hier anzunehmen, da der Arbeitsplatz der Klägerin bereits weggefallen sei. Die Leitungsaufgaben der Klägerin würden von den Vorstandsmitgliedern wahrgenommen, die übrigen Arbeiten von anderen Tierpflegern. Der Arbeitgeberin die Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung vor Ablauf der Kündigungsfrist der Klägerin zu untersagen, greife unzulässig in die unternehmerische Freiheit der Beklagten ein.
Gegen diesen den Klägerinvertretern am 18. Dezember 2014 zugestellten Beschluss legten diese am 30. Dezember 2014 sofortige Beschwerde ein. Zur Begründung führte die Klägervertreterin aus, dass es nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht auf eine Notlage oder einen konkret zu erwartenden Schaden ankomme. Der Beschäftigungsanspruch habe vielmehr nur dort zurückzutreten, wo der Arbeitgeber überwiegende entgegenstehende schutzwerte Interessen habe. Erst wenn solche vorgetragen seien, bedürfe es einer Abwägung der wechselseitigen Interessen. Die Angaben der Beklagten seien pauschal und allgemein und von der Klägerin bestritten.
Die Angelegenheit sei auch dringlich. Denn der Beschäftigungsanspruch der Klägerin werde durch Zeitablauf vereitelt. Eine besondere Dringlichkeit sei nicht erforderlich. Die Klägerin habe mit ihrer Antragstellung auch nicht zu lange zugewartet. In den 2 ½ Wochen seit Abschluss der außergerichtlichen Erörterungen sei unter anderem die Finanzierung des Verfahrens zu klären gewesen. Eine Nachlässigkeit der Klägerin könne jedenfalls nicht angenommen werden.
Mit Beschluss vom 5. Januar 2015 hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und darauf verwiesen, dass die Beschwerde keine neuen Tatsachen bzw. Argumente beinhalte.
Die Klägerin trägt vor, dass es einerseits nicht um den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch nach Ablauf der Kündigungsfrist, sondern um den Beschäftigungsanspruch im laufenden Arbeitsverhältnis gehe. Und andererseits habe die Beklagte im Protokoll der Generalversammlung vom 5. August 2014 verschiedene Punkte detailliert beschrieben. Bei der dort erwähnten Kündigung der Klägerin sei das Protokoll jedoch wenig aussagefähig und äußerst knapp gehalten. Auch das Ergebnis der Betriebszweiganalyse habe die Beklagte nicht umgesetzt. Weder sei ersichtlich, dass zwei Stellen abgebaut worden seien noch sei dort das kurz danach beschaffte Brunsterkennungssystem empfohlen worden. Dass die Beklagte stattdessen einen weiteren Mitarbeiter als Melker zur unbefristeten Einstellung gesucht habe, sei unbestritten.
Die Kündigung resultiere aus der persönlichen Abneigung der Vorstandsmitglieder der Beklagten gegenüber der Klägerin. Diese sei zurückzuführen auf eine Auseinandersetzung zwischen den Parteien in den Jahren 2012 und 2013. Die Klägerin habe sich erfolgreich gegen zwei Abmahnungen vom 24. September 2012 und 6. Juni 2013 zur Wehr gesetzt, in denen der Klägerin vorgeworfen worden sei, einen Wochenenddienst im September 2012 nicht wahrgenommen zu haben und im Mai 2013 an der Gerichtsverhandlung über die Entfernung der Abmahnung aus ihrer Personalakte teilgenommen zu haben.
Die Verfügungsklägerin und Beschwerdeführerin beantragt,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Cottbus vom 17. Dezember 2014 – 4 Ga 18/14 aufzuheben und die Verfügungsbeklagte zu verurteilen, die Verfügungsklägerin bis zum 30. April 2015 auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 23. Februar 1993 nebst Ergänzungsvertrag vom 29. August 2012 und Anlage zum Arbeitsvertrag vom 13. Dezember 2012 als Abteilungsleiterin Tierproduktion zu beschäftigen.
Die Verfügungsbeklagte und Beschwerdegegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Beklagte hat darauf verwiesen, dass es einer Interessenabwägung bedürfe, ob das Interesse der Klägerin an der Beschäftigung gegenüber den Interessen der Beklagten an der Nichtbeschäftigung überwiege. Grundsätzlich überwiege das Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung, bis durch eine erstinstanzliche Entscheidung die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt sei. Anderes gelte nur bei einer offensichtlichen Unwirksamkeit der Kündigung, die hier aber nicht angenommen werden könne. Bei einer Weiterbeschäftigung könnten die betriebsbedingten Kündigungsgründe an Bedeutung verlieren.
Der Wegfall des Arbeitsplatzes der Klägerin sowie die Umverteilung ihrer Aufgaben werde schon seit geraumer Zeit gelebt und funktioniere problemlos. Der Arbeitsplatz der Klägerin sei nur noch mit Aufgaben für 32,81 Stunden pro Woche ausgelastet gewesen. Ein wesentlicher Teil der Aufgaben der Klägerin, nämlich die Kontrolle der Tiergesundheit und des Reproduktionsgeschehens werde mittlerweile technisiert durchgeführt. Dazu sei Ende Oktober 2014 ein Heatime-Brunsterkennungssystem für mehr als 10.000,-- EUR beschafft worden. Damit würden 4-5 Stunden der Tätigkeit der Klägerin täglich entfallen. Denn nun nehme diese Aufgabe täglich nur noch ca. 15 Minuten in Anspruch. Die einzelnen weiteren Arbeitsaufgaben würden zum Teil seit Jahren von anderen Mitarbeitern und die Koordination von Zuchtmaßnahmen und Fütterung sowie die Aktualisierung der Futterrationen durch Dritte erledigt.
Auch ein Verfügungsgrund liege nicht vor, da die Klägerin dazu keine sie begünstigenden überwiegenden Interessen dargelegt habe.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Beschwerdeinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der Beschwerdebegründung der Verfügungsklägerin vom 30. Dezember 2014 und den Schriftsatz vom 3. Februar 2015 sowie der Beschwerdeerwiderung der Verfügungsbeklagten vom 23. Januar 2015 und das Sitzungsprotokoll vom 5. Februar 2015 Bezug genommen.
I.
Die nach § 78 Satz 1 ArbGG i. V. m. § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte sofortige Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie wurde innerhalb der Zweiwochenfrist nach § 78 Satz 1 ArbGG i. V. m. § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO eingelegt und genügt den Anforderungen des § 569 Abs. 2 ZPO.
II.
Die Beschwerde ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung des Beschlusses des Arbeitsgerichts vom 17. Dezember 2014 und zur Verurteilung der Beklagten zur Beschäftigung der Klägerin bis zum Ablauf der Kündigungsfrist. Im Einzelnen gilt Folgendes:
1.
Einstweilige Verfügungen im Sinne der §§ 935, 940 ZPO sollen nach Möglichkeit nicht zur - endgültigen - Befriedigung des Gläubigers führen. Denn im Vordergrund eines einstweiligen Verfügungsverfahrens steht zunächst immer nur eine vorläufige, eben „einstweilige“ richterliche Intervention in den Konflikt der Beteiligten. Die tatsächliche Anspruchsbefriedigung des Gläubigers ist als Konsequenz einer „einstweiligen“ Verfügung andererseits aber keineswegs ausgeschlossen. Anerkannt ist vielmehr auch, dass besondere Lebenssachverhalte eine Ausnahme von dem erwähnten Grundsatz „keine Vorwegnahme der Hauptsache“ gebieten können. Das gilt etwa dort, wo die Verwirklichung von (mutmaßlichen) Gläubigerrechten – namentlich wegen Zeitablaufs – ausschließlich durch ihre Befriedigung vor Erwirkung eines vollstreckbaren Titels im ordentlichen Verfahren erreichbar ist (vgl. LAG München, Urteil vom 10 Februar 1994 – 5 Sa 969/93) und daher die Verweigerung richterlicher Intervention ihrerseits „vollendete Tatsachen“ schaffen würde (vgl. LAG Berlin, Urteil vom 31. August 2000 – 10 Sa 1728/00). Im Interesse der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes nimmt die Rechtsordnung in solchen Problemlagen das Risiko einer materiell unrichtigen Entscheidung im Eilverfahren über den Bestand des erhobenen Anspruchs bewusst in Kauf, sofern nur eine Abwägung der Interessen der Parteien dies zulässt oder gar gebietet.
2.
Bei solchen „Abwägungen“ sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insbesondere Fragen des Grundrechtsschutzes einzubeziehen. In jedem Falle müssen sich die Gerichte „schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen“ und dies wiederum „ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht“. Eine Verletzung dieser grundrechtlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte „zu verhindern“ (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 sowie ausführlich ArbG Berlin, Urteil vom 25. Januar 2013 – 28 Ga 178/13).
2.1
Das Grundgesetz hat in seinen Art. 1 und 2 die Würde des Menschen und dessen Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit zu zentralen Werten unserer Verfassung erhoben. Das Leben des Arbeitnehmers wird zu einem ganz wesentlichen Teil durch das Arbeitsverhältnis bestimmt und geprägt. Sein Selbstwertgefühl sowie die Achtung und Wertschätzung, die er in seiner Familie, bei seinen Freunden und Kollegen und überhaupt in seinem Lebenskreis erfährt, werden entscheidend mitbestimmt von der Art, wie er seine Arbeit leistet. Die Arbeit in seinem Arbeitsverhältnis stellt für den Arbeitnehmer zugleich eine wesentliche Möglichkeit zur Entfaltung seiner geistigen und körperlichen Fähigkeiten und damit zur Entfaltung seiner Persönlichkeit dar. Wird dem Arbeitnehmer diese Möglichkeit der Persönlichkeitsentfaltung durch Arbeitsleistung im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses genommen, so berührt dies seine Würde als Mensch (BAG, Beschluss vom 27. Februar 1985 – GS 1/84).
2.2
Zwar lässt sich aus dem durch die Art. 1 und 2 GG garantierten Persönlichkeitsschutz nicht ohne weiteres und unmittelbar eine Pflicht des Arbeitgebers auf positive Förderung der Entfaltung der Persönlichkeit seines Arbeitnehmers durch Arbeitsleistung herleiten. Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang die „Treupflicht des Arbeitgebers“ aus dem Arbeitsverhältnis (BAG, Beschluss vom 27. Februar 1985 – GS 1/84 m.w.N.). Damit ist letztlich der in § 242 BGB normierte Grundsatz von Treu und Glauben angesprochen. Bei der Beantwortung der Frage nach dem, was Treu und Glauben jeweils gebieten, ist auch auf die in den Grundrechten des Grundgesetzes zum Ausdruck gekommene Wertentscheidung der Verfassung Bedacht zu nehmen. Die in den Grundrechtsnormen enthaltene objektive Wertordnung gilt als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts und wirkt deshalb auch auf das Privatrecht ein (vgl. grundlegend etwa BVerfG, Beschluss vom 14. Februar 1973 – 1 BvR 112/65). Damit gewinnt der verfassungsrechtliche Persönlichkeitsschutz für das Arbeitsverhältnis und die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten Bedeutung. Zugleich erhalten die auf den Persönlichkeitsschutz gründenden ideellen Interessen des Arbeitnehmers an seiner tatsächlichen Beschäftigung im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses gerade durch die Wertentscheidung der Verfassung ein weit stärkeres rechtliches Gewicht und einen wesentlich höheren Stellenwert, als dies beim Inkrafttreten des BGB der Fall war. Die besondere Interessenlage im Arbeitsverhältnis gebietet, dass die Arbeitsleistung nicht nur als ein Wirtschaftsgut, sondern auch als Ausdruck der Persönlichkeit des Arbeitnehmers verstanden wird. Die Nichtberücksichtigung dieser ideellen Interessen des Arbeitnehmers im Dienstvertragsrecht des BGB stellt sich auf dem Boden des Grundgesetzes und seiner in den Art. 1 und 2 getroffenen Wertentscheidung heute als eine Regelungslücke dar, die durch die grundsätzliche Anerkennung eines arbeitsvertragsrechtlichen Beschäftigungsanspruchs zu schließen ist (BAG, Beschluss vom 27. Februar 1985 – GS 1/84 m.w.N.). Dabei wiegt der Grundrechtsschutz im laufenden Arbeitsverhältnis deutlich höher als im gekündigten, gerichtlich angegriffenen und noch unentschiedenen Verfahren.
3.
Die in Ziffer 1 beschriebene Abwägung der wechselseitigen Interessen verlangt zunächst, dass sich das Gericht schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 2009 – 1 BvR 120/09 m.w.N.). Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern.
Das genügt zunächst auch, um der Klägerin den Vorrang vor etwaigen Gegenbelangen der vertragswidrig handelnden Beklagten einzuräumen (ArbG Berlin, Urteil vom 18. September 2009 – 28 Ga 15428/09). Im Hinblick auf den drohenden (endgültigen) Rechtsverlust bedarf es gesonderter Tatsachen zum Verfügungsgrund zunächst nicht (vgl. ArbG Berlin, Urteil vom 25. Januar 2013 – 28 Ga 178/13 m.w.N. in den dortigen Fußnoten 112 und 113).
3.1
Die von der Beklagten angeführten „Gegenbelange“ sind nicht ausreichend, um die grundgesetzliche Gewährleistung der Menschenwürde durch eine Nicht-Beschäftigung zu beeinträchtigen. So hat die Beklagte zunächst angeführt, dass sie die in der Anlage zum Arbeitsvertrag der Klägerin aufgeführten Tätigkeiten gar nicht vollständig auf die Klägerin übertragen habe. Dabei vermag es bis zum 30. April 2015 bleiben. Denn die Beklagte verliert - auch mit der tenorierten Beschäftigungspflicht - gegenüber der Klägerin nicht den Anspruch auf ihr Direktionsrecht nach § 106 GewO.
3.2
Die Beklagte hat die vertragliche Pflicht, der Klägerin die Aufgaben nach der Anlage zum Arbeitsvertrag zu übertragen. Mit welchem zeitlichen Anteil dabei welche Tätigkeiten ganz oder teilweise übertragen werden, entscheidet wiederum die Beklagte im Rahmen des § 106 GewO nach billigem Ermessen. Dazu gehört auch die Festlegung, ob die Klägerin die Brunsterkennung herkömmlich manuell oder wie jetzt im Betrieb der Beklagten praktiziert maschinell durchführen soll.
3.3
Soweit die Beklagte dargelegt hat, dass der Arbeitsplatz der Klägerin entbehrlich sei, wie die Praxis gezeigt habe und die Umstrukturierungen bereits vollzogen seien, ist dieses während des Laufs der Kündigungsfrist nicht besonders schützenswert. Denn grundsätzlich hat ein Arbeitgeber die Arbeit so zu planen, dass der Arbeitnehmer bis zum Ende des Vertragsverhältnisses einschließlich der Kündigungsfrist vertragsgemäß beschäftigt werden kann.
Anhaltspunkte, dass die vorweggenommene Umverteilung von Aufgaben nicht bzw, nur mit unverhältnismäßigem Aufwand wieder rückgängig gemacht werden könnte und damit ein Eingriff in die grundrechtlich abgesicherte Position der Klägerin gerechtfertigt werden könnte, hat die Beklagte nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich.
3.4
Soweit die Beklagte dargelegt hat, dass sie bereits nach dem Arbeitsunfall der Klägerin am 31.7.2014 die Arbeit hätte umverteilen müssen, ist das vermutlich richtig. Allerdings übersieht die Beklagte, dass es bei Erkrankung einer Arbeitnehmerin grundsätzlich nur der Organisation einer vorübergehenden Übertragung der Arbeitsaufgaben auf andere Beschäftigte bedarf, damit die Klägerin nach Rückkehr ihren bisherigen Arbeitsplatz wieder voll ausfüllen kann. Ein anderes Ergebnis hätte vermutlich auch das betriebliche Eingliederungsmanagement der Klägerin nach § 84 Abs. 2 SGB IX nicht erbracht, wenn dieses nach sechswöchiger Arbeitsunfähigkeit der Klägerin eingeleitet worden wäre.
4.
Der Verfügungsgrund der Klägerin ging auch nicht durch Zeitablauf unter. Wie das Arbeitsgericht im Ansatz zutreffend ausgeführt hat, ist es in der Rechtsprechung anerkannt, dass selbst eine zunächst bestehende Eilbedürftigkeit für ein einstweiliges Verfügungsverfahren durch prozessuales Verhalten der antragstellenden Partei entfallen kann, sogenannte „Selbstwiderlegung der Dringlichkeit“. Die Garantie eines effektiven - nicht nur formalen - Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 GG gebietet es jedoch, den Zugang zum Eilrechtsschutz nicht durch formelle Begrenzungen unverhältnismäßig einzuschränken. Denn Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern gibt dem Rechtsschutzsuchenden Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Oktober 2014 – 2 BvR 437/12 m.w.N.).
Eine späte Antragstellung ist im einstweiligen Verfügungsverfahren dann schädlich, wenn dem Gläubiger die Gefährdung seiner Rechtstellung bekannt war oder aus grober Fahrlässigkeit unbekannt blieb und er dennoch längere Zeit zuwartet, bis er einstweiligen Rechtsschutz in Anspruch nimmt. Wie lange der Antragsteller nach dem so ermittelten Zeitpunkt noch zuwarten darf, bestimmt sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalles. Regelmäßig wird ihm aber mindestens ein Monat zugebilligt, wobei diese Frist sich um Zeiträume, die eine Verzögerung rechtfertigen, verlängert (OLG Koblenz NJW-RR 2011, 624). Dabei braucht der Antragsteller kein Prozessrisiko einzugehen; er darf vor der Antragstellung jedenfalls alle nicht von vornherein sinnlos erscheinenden Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts und zur außergerichtlichen Konfliktlösung ergreifen.
Zeiträume von weniger als einem Monat zwischen Kenntnis des Ereignisses und Antragstellung werden soweit ersichtlich nicht vertreten (vgl. Prütting-Fischer ZPO, § 935 RN 4 mit zahlreichen Nachweisen; Beck'scher Online-Kommentar ZPO-Mayer § 935 RN 17 mit zahlreichen Nachweisen). Demgemäß war die am 16. Dezember 2014 beim Arbeitsgericht eingegangene Antragstellung weder bei einem Anknüpfungstermin 18. November 2014 noch bei einem Anknüpfungstermin am 27. November 2014 verspätet.
III.
Die Kostenentscheidung folgt § 64 Abs.6 ArbGG in Verbindung mit § 91 Abs. 1 ZPO. Die Verfügungsbeklagte hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung ist gemäß § 72 Abs. 4 ArbGG von Gesetzes wegen ausgeschlossen.