Gericht | SG Neuruppin 26. Kammer | Entscheidungsdatum | 22.08.2011 | |
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Aktenzeichen | S 26 AS 1032/11 ER | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vom 29. Mai 2011 wird abgelehnt.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Beteiligten streiten im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens um die Gewährung von Leistungen nach den Bestimmungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II), wobei im Wesentlichen umstritten ist, ob der Antragsgegner verpflichtet ist, für den Zeitraum vom 19. November 2010 bis zum 31. Dezember 2010 für die Antragstellerin Kranken-, Pflege- und Rentenversicherungsbeiträge abzuführen (dazu unter 2.); ferner begehrt die Antragstellerin Einsicht in die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners (dazu unter 3.).
Der bei dem Sozialgericht Neuruppin am 29. Mai 2011 eingegangene Antrag, mit dem die Antragstellerin (sinngemäß) beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, für die Antragstellerin vorläufig die Kranken-, Pflege- und Rentenversicherungsbeiträge für den Zeitraum vom 19. November 2010 bis zum 31. Dezember 2010 abzuführen,
hat keinen Erfolg.
1. Die Kammer hatte keinen Anlass, das Rubrum von Amts wegen zu berichtigen und um den Ehemann der Antragstellerin zu erweitern. Zwar ist das Begehren der Beteiligten im sozialgerichtlichen Verfahren mit Blick auf den Meistbegünstigungsgrundsatz so auszulegen, dass deren Rechte im größtmöglichen Umfang zur Geltung kommen können (vgl. hierzu etwa Bundessozialgericht, Urteil vom 06. April 2011 – B 4 AS 3/10 R; Urteil vom 22. März 2010 – B 4 AS 62/09 R; Urteil vom 02. Juli 2009 – B 14 AS 75/08 R sowie Urteil vom 07. November 2006 – B 7b AS 8/06 R, jeweils zitiert nach www.sozialgerichtsbarkeit.de). Dies findet jedoch jedenfalls in der Dispositionsbefugnis der Antragsteller ihre Grenzen, mithin am ausdrücklich von ihnen geäußerten Willen oder dann, wenn aus anderen Umständen deutlich wird, welches (lediglich begrenzte) Begehren von ihnen verfolgt wird. Dies gilt selbst dann, wenn eine solche Begrenzung auf einer unzutreffenden Rechtsauffassung beruht (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 06. April 2011 – B 4 AS 3/10 R, zitiert nach www.sozialgerichtsbarkeit.de). Der Kammer ist im Hinblick auf die zahlreichen weiteren Verfahren der Antragstellerin und ihres Ehemannes bekannt, dass diese regelmäßig deutlich und trennscharf abgrenzen, wer Antragsteller sein soll und dies durch eine entsprechend ausgestaltete Antrags- bzw. Klageerhebung klar zum Ausdruck bringen. Daran müssen sie sich – auch und gerade im Hinblick auf den im SGB II – Recht geltenden Grundsatz der Individualansprüche (vgl. hierzu grundlegend Bundessozialgericht, Urteil vom 07. November 2006 – B 7b AS 8/06 R sowie Urteil vom 18. Juni 2008 – B 14 AS 55/07 R, jeweils zitiert nach www.sozialgerichtsbarkeit.de) – festhalten lassen, so dass für eine Erweiterung des Aktivrubrums kein Anlass besteht (vgl. hierzu auch den die Antragstellerin und ihren Ehemann als Antragsteller betreffenden Beschluss der Kammer vom heutigen Tage zum Aktenzeichen S 26 AS 1046/11 ER).
Der danach allein von der Antragstellerin erhobene und gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf den Erlass einer Regelungsanordnung gerichtete Antrag ist zulässig, jedoch nicht begründet.
2. a) Nach der genannten Vorschrift des § 86b Abs. 2 S. 2 SGG ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Anordnungsanspruch, d. h. die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist, sowie der Anordnungsgrund, d. h. die Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen Regelung, sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG, § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)). Diese Voraussetzungen sind indes nicht erfüllt. Die Antragstellerin hat bereits das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nicht glaubhaft gemacht, so dass offen bleiben kann, in welchem Umfang ihr überhaupt ein Anordnungsanspruch zur Seite stünde. Die Antragstellerin hat nämlich insbesondere nicht dargetan, dass bei Nichtabführung der Sozialversicherungsbeiträge für den Zeitraum vom 19. November 2010 bis zum 31. Dezember 2010 eine schier unerträgliche existenzielle Notlage eintritt oder fortwirkt, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu rechtfertigen vermag (sog. Anordnungsgrund). Die Antragstellerin hat in dem von ihr angestrengten einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht ausreichend dargelegt und hinreichend glaubhaft gemacht, welche ihre Existenz bedrohenden Folgen eintreten würden, wenn – vorerst bis zur Klärung des Begehrens im Hauptsacheverfahren – die Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt würden. Für das Eintreten einer derartigen Notlage ist auch im Übrigen nichts ersichtlich. Soweit die Antragstellerin hierzu vorträgt, dass sie durch die Deutsche Rentenversicherung Berlin-Brandenburg zu einer Untersuchung eingeladen worden sei und dass daher auch zeitgleich die Höhe des Rentenanspruches festgestellt werde, für den jeder einzelne Beitragsmonat entscheidend sei, kann dahingestellt bleiben, ob es tatsächlich zeitgleich zu einer Neuberechnung kommt, wofür die Kammer mangels ausreichendem und substantiiertem Vortrag indes keine Anhaltspunkte hat. Unabhängig davon – darauf hat der Antragsgegner bereits zu Recht hingewiesen – rechtfertigt der vergleichsweise kurze Zeitraum vom 19. November 2011 bis zum 31. Dezember 2010 und die damit verbundene allenfalls marginale Auswirkung auf einen Rentenanspruch unter keinem Gesichtspunkt den Erlass einer einstweiligen Anordnung, weil insoweit für die Gefahr des Eintritts einer existenziellen Notlage oder deren Fortwirken nichts ersichtlich ist.
b) Für den begehrten Leistungszeitraum vor dem 29. Mai 2011 (Eingang des Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz bei Gericht) liegt schließlich schon deshalb kein Anordnungsgrund vor, weil erst durch den Eingang des Antrages auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes die existenzielle Notlage dokumentiert wird; vorläufige Leistungen können indes regelmäßig - und mangels entgegenstehender Anhaltspunkte auch hier - jedoch nicht für die Vergangenheit gewährt werden. Insoweit fehlt es regelmäßig - und auch hier - an einer spezifischen, dem vorliegenden Verfahren innewohnenden Dringlichkeit, deretwegen es zur Vermeidung schwerer und unzumutbarer Nachteile, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre, einer einstweiligen Regelung bedarf. Dass der Antragstellerin hier ausnahmsweise schwere und unzumutbare Nachteile drohten, wenn ihrem Begehren nicht sofort entsprochen wird, ist ihrem Vorbringen - wie bereits dargelegt - nicht zu entnehmen.
c) Schließlich wird die Antragstellerin wiederholt darauf hingewiesen, dass eine einstweilige Anordnung nicht dazu dient, zu Lasten anderer Beteiligter der Hauptsacheverfahren eine schnellere Entscheidung zu erlangen. Sie ist vielmehr nur dann zu treffen, wenn ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005, Breithaupt 2005, S. 803 ff.). Dies ist - wie ausgeführt - hier jedoch nicht der Fall. Die Beantwortung der von der Antragstellerin aufgeworfenen Frage, ob auch in dem von ihr benannten Zeitraum Leistungen nach den Bestimmungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) zu gewähren und dementsprechend die mit der Pflicht zur Beitragsabführung durch den Antragsgegner einhergehende Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Kranken-, der Gesetzlichen Pflege- und der Gesetzlichen Rentenversicherung bestanden hat (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) i. V. m. §§ 243, 246 i. V. m. §§ 251 Abs. 4 , 252 Abs. 1 S. 2 SGB V; § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 2a des Elften Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Pflegeversicherung – (SGB XI) i. V. m. § 55 Abs. 1 SGB XI i. V. m. § 59 Abs. 1 S. 1 SGB XI i. V. m. § 252 Abs. 1 S. 2 SGB V sowie § 3 S. 1 Nr. 3a des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) i. V. m. §§ 166 Abs. 1 Nr. 2a, 170 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI, 173 S. 2 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung), muss daher der Entscheidung des Antragsgegners im Widerspruchsverfahren bzw. einer gerichtlichen Hauptsacheentscheidung vorbehalten bleiben, dessen Abwarten der Antragstellerin mangels Glaubhaftmachung einer existenziellen Notlage zuzumuten ist.
3. a) Soweit die Antragstellerin – nunmehr im gerichtlichen Verfahren nach Maßgabe der Regelung des § 120 SGG – nach wie vor Einsicht in die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners verlangt, kann offen bleiben, ob der Antragsgegner diesem Begehren bislang nicht sogar bereits vollständig entsprochen hat, was von der Antragstellerin indes in Abrede gestellt wird. Jedenfalls ist für die erneute Gewährung von Akteneinsicht im Rahmen dieses einstweiligen Rechtsschutzverfahrens schon deshalb kein Raum, weil insbesondere die nach Maßgabe der §§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG, 920 Abs. 2 ZPO erforderliche Glaubhaftmachung der Tatsachen, aufgrund derer das Gericht prüft, ob der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Anordnungsanspruch und der erforderliche Anordnungsgrund zu bejahen sind, in der Sphäre der Antragstellerin liegt und hierfür eine Einsichtnahme in die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners jedenfalls kurzfristig nicht noch einmal erforderlich ist, zumal der Antragstellerin die maßgeblichen verwaltungsbehördlichen Entscheidungen des Antragsgegners ohnehin bekannt sind. Darüber hinaus ist dem Vorbringen der Antragstellerin auch überdies nicht zu entnehmen, aus welchem dringenden – unaufschiebbaren – Grund sie für die Wahrung ihrer Interessen im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren erneut kurzfristig Akteneinsicht in die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners benötigt. Die Kammer kann sich im Übrigen auch des Eindrucks nicht erwehren, dass die Antragstellerin mit dem Begehren auf Gewährung erneuter Akteneinsicht nicht in erster Linie die Gewinnung von (neuen) Informationen zur Wahrung ihrer Rechte im Auge hat, sondern dass dieses Begehren im Wesentlichen aus Selbstzweckgesichtspunkten verfolgt wird. Sollte dies tatsächlich zutreffend sein, wäre hierfür im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens erst Recht kein Raum.
b) Nur ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass sie im Rahmen der zahlreichen die Antragstellerin und ihren Ehemann betreffenden anhängigen Hauptsacheverfahren nach Maßgabe des § 120 SGG demnächst darüber befinden wird, ob und in welchem Umfang der Antragstellerin (erneut) Einsicht in die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners zu gewähren ist.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 und Abs. 4 SGG; sie entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache, in der die Antragstellerin vollumfänglich unterlag.
5. Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben.