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Ehrenamtlicher Richter; Entbindung vom Ehrenamt; nicht rechtskräftige Verurteilung im Strafverfahren; vorläufige Untersagung der Führung der Amtsgeschäfte


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 4. Senat Entscheidungsdatum 13.08.2012
Aktenzeichen OVG 4 E 11.12 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 21 Abs 1 Nr 1 VwGO, § 21 Abs 1 Nr 2 VwGO, § 24 Abs 1 Nr 1 VwGO, § 24 Abs 3 VwGO, § 35 DRiG

Tenor

Die Anträge der Präsidentin des Verwaltungsgerichts Berlin vom 6. August 2012 werden abgelehnt.

Gründe

Die Präsidentin des Verwaltungsgerichts Berlin hat unter Hinweis darauf, dass der ehrenamtliche Richter durch - nicht rechtskräftiges - Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 4... wegen Untreue in 29 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt wurde, beantragt, den ehrenamtlichen Richter gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 21 Abs. 1 Nr. 1 VwGO von seinem Amt zu entbinden, hilfsweise, ihm die Führung der Amtsgeschäfte vorläufig zu untersagen.

Der Entbindungsantrag ist unbegründet. Gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist ein ehrenamtlicher Richter von seinem Amt zu entbinden, wenn er nach §§ 20 bis 22 VwGO nicht berufen werden konnte oder nicht mehr berufen werden kann. Der im Hinblick auf eine strafgerichtliche Verurteilung, die nicht den Verlust der Amtsfähigkeit zur Folge hat (vgl. § 45 StGB), allein in Betracht kommende Ausschlussgrund des § 21 Abs. 1 Nr. 1 2. Alternative VwGO liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift sind Personen von dem Amt eines ehrenamtlichen Richters ausgeschlossen, die wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt worden sind. Nach einhelliger Auffassung muss die Verurteilung rechtkräftig sein (vgl. Funke-Kaiser, in: Bader u.a., VwGO, 5. Auflage 2011, § 21 Rn. 3; Garloff, in: Posser/Wolff, VwGO, 2008, § 21 Rn. 2; Geiger, in: Eyermann, VwGO, 13. Auflage 2010, § 21 Rn. 2; Redeker, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, 15. Auflage 2010, § 21 Rn. 1; Stelkens/Panzer, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO [Stand 2011], § 21 Rn. 4; Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Auflage 2010, § 21 Rn. 4). Eine Amtsenthebung bereits im Falle der Anklage sieht das Gesetz in § 21 Abs. 1 Nr. 2 VwGO nur für den Fall vor, dass die Tat den Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter zur Folge haben kann, verbunden mit der Möglichkeit, die Entscheidung aufzuheben, wenn der Angeschuldigte rechtskräftig außer Verfolgung gesetzt oder freigesprochen worden ist (vgl. § 24 Abs. 5 VwGO). Wäre der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass bereits die nicht rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe als Ausschlussgrund genügte, hätte die Normierung einer entsprechenden Rehabilitierungsmöglichkeit nahe gelegen (vgl. Funke-Kaiser, a.a.O.; Ziekow, a.a.O.). Die Verurteilung des ehrenamtlichen Richters erfüllt die gesetzlichen Voraussetzungen für die Entbindung nicht, da sie nicht rechtskräftig ist, nachdem er gegen das erstinstanzliche Strafurteil Berufung eingelegt hat.

Auch der Hilfsantrag, dem ehrenamtlichen Richter die Führung der Amtsgeschäfte vorläufig zu untersagen, muss ohne Erfolg bleiben. Er scheitert schon daran, dass es - anders als etwa im Arbeitsgerichtsgesetz (vgl. dort § 21 Abs. 5 Satz 5) - in der Verwaltungsgerichtsordnung an einer gesetzlichen Grundlage für vorläufige Maßnahmen fehlt. Eine entsprechende Anwendung der für Berufsrichter geltenden Regelung des § 35 DRiG auf das nur einstufige Entbindungsverfahren nach § 24 Abs. 3 VwGO erscheint ausgeschlossen (vgl. Funke-Kaiser, a.a.O. § 24 Rn. 14; Garloff, a.a.O. § 24 Rn. 9; Stelkens/Panzer, a.a.O. § 24 Rn. 14; Geiger, a.a.O. § 24 Rn. 11; Ziekow, a.a.O. § 24 Rn. 17; a.A. Kopp/Schenke, VwGO, 17. Auflage 2011, § 24 Rn. 5; Redeker, a.a.O., § 24 Rn. 4). Jedenfalls fehlte es hier an den Voraussetzungen der Norm, die eine vorläufige Untersagung der Führung der Dienstgeschäfte in einem auf Beendigung des Dienstverhältnisses gerichteten Verfahren für den Zeitraum bis zur abschließenden rechtskräftigen Entscheidung ermöglicht. Eine vorläufige Regelung käme dementsprechend hier nur in Betracht, wenn im Entbindungsverfahren noch keine Entscheidung getroffen werden könnte (vgl. BSG, Beschluss vom 18. August 1992 - 1 S 8/92 -, juris Rn. 7). Dieses Verfahren ist hier nach Ablehnung des Hauptantrags jedoch nicht mehr offen, sondern bereits mit einer Sachentscheidung endgültig abgeschlossen.

Den Erlass einer vorläufigen Maßnahme mit Blick auf die Möglichkeit, dass das anhängige Strafverfahren eine den Ausschlussgrund des § 21 Abs. 1 Nr. 1 VwGO erfüllende Verurteilung zur Folge haben kann, lässt das Gesetz nicht zu. Eine solche Handhabung stünde im Widerspruch zum Regelungskonzept der VwGO, die eine Amtsenthebung schon bei Erhebung der Anklage nur dann zulässt, wenn der Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter droht, nicht aber dann, wenn allein die Verhängung einer erheblichen Freiheitsstrafe in Betracht kommt (vgl. § 21 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 VwGO).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 24 Abs. 3 Satz 3 VwGO).