Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 28. Senat | Entscheidungsdatum | 27.01.2011 | |
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Aktenzeichen | L 28 B 2198/08 AS NZB | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 06. Oktober 2008 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
I.
Die Klägerin begehrt im Wege der Beschwerde die Zulassung ihrer Berufung gegen einen Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin, mit dem dieses ihre Klage gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid abgewiesen hat.
Die 1966 geborene Klägerin ist die Mutter der 1988 geborenen M K und des im August 1993 geborenen C K. Letzterer war im Rahmen einer Jugendhilfemaßnahme nach dem Achten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VIII) ab Juni 2004 in einer lernpsychotherapeutischen Einrichtung in B untergebracht. An den Wochenenden sowie während der Schließzeiten der Einrichtung in den Ferien hielt er sich im Haushalt seiner Mutter auf. Für die Zeiten seines Aufenthalts bei ihr erhielt die Klägerin Verpflegungsgeld in Höhe von 4,86 € pro Tag überwiesen. Ferner wurde ihr für ihren Sohn das Kindergeld zunächst weiterhin ausgezahlt.
Ab dem 01. Januar 2005 gewährte der Beklagte in Unkenntnis der Unterbringung des Sohnes der Klägerin dieser und ihren Kindern (ergänzende) Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II). Dabei berücksichtigte er für die Zeit ab dem 01. Mai 2005 für C neben Sozialgeld in Höhe von 207,00 € für die Kosten der Unterkunft 166,12 € und stellte diesem Bedarf Einkommen in Höhe von 154,00 € gegenüber. Für die Vormonate hatte er im Hinblick auf den Bezug von Arbeitslosengeld I der Klägerin für deren Sohn wohl etwas geringere Leistungen bewilligt (z.B. für Januar 2005 für die Kosten der Unterkunft 111,78 €). Nachdem der Beklagte sodann Anfang Juli 2005 von Cs Unterbringung erfahren hatte, hob er mit an die Klägerin gerichtetem Bescheid vom 09. August 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2005 die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01. Januar bis zum 31. Juli 2005 für ihren Sohn C teilweise auf und forderte die Erstattung von 665,00 €.
Am 26. September 2005 hat die Klägerin beim Sozialgericht Berlin Klage erhoben und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Mit Schreiben vom 05. März 2007 hat das Gericht die Beteiligten zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört. Nachdem die Bevollmächtigten um Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vor Abgabe einer Stellungnahme zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid gebeten hatten, hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 01. August 2007 die Gewährung von Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt W geführt (Beschluss des Senats vom 29. Oktober 2007 – L 28 B 1676/07 AS PKH-).
Im September 2008 haben die Bevollmächtigten der Klägerin nach dem Sachstand angefragt. Daraufhin hat das Sozialgericht Berlin, das bis zuletzt davon ausgegangen ist, es handele sich allein um eine Klage der Klägerin, die Klage mit Gerichtsbescheid vom 06. Oktober 2008 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen gemäß § 136 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf den angefochtenen Bescheid Bezug genommen und ergänzend auf die Ausführungen des Beklagten sowie ein Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. Dezember 2007 (S 65 AS 10805/05) verwiesen, mit dem dieses die Klage des Sohnes der Klägerin auf Bewilligung von Sozialgeld für die Zeit ab dem 01. September 2005 abgewiesen hatte.
Gegen diesen am 13. Oktober 2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 13. November 2008 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Zugleich hat sie für dieses Verfahren die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin D beantragt. Zur Begründung hat sie geltend gemacht, es liege ein Verfahrensmangel vor, da ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt sei. Es sei keine ordnungsgemäße Anhörung nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG erfolgt. Zwar sei in der Regel die Anhörung nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG nur einmal erforderlich. Eine nochmalige Anhörung werde jedoch nötig, wenn sich die Prozesssituation wesentlich geändert habe. Dies sei hier der Fall gewesen, weil zum Zeitpunkt der ursprünglichen Anhörung der Beschluss des Landessozialgerichts vom 29. Oktober 2007 noch nicht vorgelegen habe. Mit diesem habe sich das Sozialgericht im Übrigen mit keinem Wort auseinandergesetzt. Ferner sei durch anwaltlichen Schriftsatz vom 17. September 2008, mit dem um Anberaumung eines Termins gebeten worden sei, deutlich gemacht worden, dass ein Einverständnis zum Erlass eines Gerichtsbescheides nicht weiter vorliege. Auch sei eine erneute Anhörung durch Zeitablauf erforderlich geworden. Schließlich stelle die Entscheidung eine Überraschungsentscheidung dar, sodass zugleich das rechtliche Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes verletzt sei.
II.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem angefochtenen Gerichtsbescheid kann unter keinem Aspekt Erfolg haben. Unabhängig davon, ob dies rechtlich derzeit noch zulässig wäre, hat der Senat vor diesem Hintergrund keinen Anlass, eine Einbeziehung des Sohnes der Klägerin in das Verfahren zu prüfen.
Dem Senat erscheint bereits zweifelhaft, ob die – im Widerspruch zur Rechtsmittelbelehrung in dem angefochtenen Gerichtsbescheid – eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde überhaupt statthaft ist und nicht vielmehr nach § 202 SGG i.V.m. § 572 Abs. 2 Satz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) als unzulässig zu verwerfen wäre. Denn eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung in einem erstinstanzlichen Gerichtsbescheid ist nach §§ 105, 145 SGG nur dann statthaft, wenn nicht schon kraft Gesetzes die Berufung in der Sache statthaft ist. Ob die im Grundsatz nach §§ 105 Abs. 2 Satz 1, 143 SGG statthafte Berufung hier ausnahmsweise nach § 144 Abs. 1 S. 1 SGG in der seit dem 01. April 2008 geltenden und damit maßgeblichen Fassung der Zulassung bedurfte, ist unter Berücksichtigung des klägerischen Begehrens fraglich. Zwar hat der Beklagte eine Erstattungsforderung nur in Höhe von 665,00 € geltend gemacht. Der Wert der primär angefochtenen Leistungsaufhebung für den Sohn der Klägerin dürfte diesen Betrag jedoch deutlich übersteigen. Denn der Beklagte hatte für diesen für die Zeit ab dem 01. Mai 2005 neben Sozialgeld in Höhe von 207,00 € abzgl. Kindergeld in Höhe von 154,00 € für die Kosten der Unterkunft und Heizung 166,12 € angesetzt, ihm mithin monatlich 219,12 € gewährt. Die Leistungshöhe war zu Beginn des Leistungsbezuges zwar geringer (wohl 111,78 € für Januar 2005, dann steigend), hätte aber allein im Hinblick auf die für Januar sowie Mai bis Juli 2005 gewährten Leistungen zum Überschreiten des maßgebenden Beschwerdewertes von 750,00 € geführt.
Selbst wenn der Senat jedoch zugunsten der Klägerin unterstellt, dass auch die Leistungsaufhebung nur in einer Höhe von nicht mehr als 750,00 € angefochten werden soll, kann die Klägerin mit ihrem Rechtsmittel keinen Erfolg haben. Wäre die Berufung tatsächlich nicht kraft Gesetzes statthaft, stünde der Klägerin die Wahl zu, entweder nach § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG mündliche Verhandlung zu beantragen, oder nach §§ 105 Abs. 2 Satz 1, 145 SGG Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen. Die Nichtzulassungsbeschwerde, für die sie sich entschieden hat, wäre dann statthaft und im Übrigen form- und fristgerecht eingelegt. Sie wäre jedoch, wenn nicht schon mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, so jedenfalls nicht begründet. Denn entgegen der Auffassung der Klägerin liegen Zulassungsgründe nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 SGG nicht vor.
Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1) oder das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2). Dass dies der Fall wäre, wird von der Klägerin nicht geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich.
Soweit die Klägerin hingegen meint, das Urteil beruhe auf einem wesentlichen Verfahrensmangel, sodass die Berufung nach § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG zuzulassen sei, vermag der Senat ihr nicht zu folgen. Mit ihrer Rüge, dass ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt sei, kann die Klägerin nicht durchdringen.
Der grundrechtliche Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) ist im Sozialgerichtsgesetz insbesondere in den §§ 62 und 128 Abs. 2 SGG ausgeformt, findet Ausdruck aber auch in § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG. Während § 62 SGG allgemein bestimmt, dass den Beteiligten vor jeder Entscheidung rechtliches Gehör zu gewähren ist, und § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG die vorherige Anhörung vor einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid fordert, dürfen nach § 128 Abs. 2 SGG Entscheidungen des Sozialgerichts nur solche Tatsachen zu Grunde gelegt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Dass gegen eine dieser Bestimmungen verstoßen wurde, erscheint bereits zweifelhaft. Insbesondere erschließt sich dem Senat nicht, wie es sich um eine Überraschungsentscheidung handeln soll, wenn das Gericht zur Begründung seiner Entscheidung auf den Widerspruchsbescheid Bezug nimmt. Letztlich bedarf all dies jedoch keiner eingehenden Erörterung. Denn hat das Sozialgericht in Fällen, in denen die Berufung nicht kraft Gesetzes zugelassen ist, durch Gerichtsbescheid entschieden, kann mit der Nichtzulassungsbeschwerde eine Verletzung des rechtlichen Gehörs als Verfahrensmangel nicht erfolgreich geltend gemacht werden.
Ein Verfahrensmangel kann in der Berufungs- oder Revisionsinstanz nur dann zur Zulassung des Rechtsmittels führen, wenn es sich um einen Mangel handelt, der nicht auf andere Weise hätte behoben werden können (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl., § 160 Rn. 16c und § 145 Rn. 3c; BSG, Beschluss vom 13.04.2000 – B 7 AL 222/99 B – juris, Rn. 10 für Urteilsberichtigung; BSG, Beschluss vom 16.07.2004 – B 2 U 41/04 B – juris Rn. 4 für Urteilsergänzung; BVerwG, Beschluss vom 17.07.2003 – 7 B 62/03 – juris, Rn. 12 ff für Möglichkeit, mündliche Verhandlung zu beantragen). Mit der Rüge, in der Vorinstanz sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden, kann ein Verfahrensbeteiligter daher nur dann durchdringen, wenn er selbst alle ihm verfahrensrechtlich eröffneten und zumutbaren Möglichkeiten ausgenutzt hat, sich schon in dieser Instanz rechtliches Gehör zu verschaffen. Hat er hingegen eine ihm hierfür offen stehende Möglichkeit ungenutzt gelassen, ist er nicht in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
So aber liegt der Fall hier. Da das Sozialgericht Berlin in einem Fall, in dem der Wert des Beschwerdegegenstandes als nicht erreicht angesehen wird, durch Gerichtsbescheid entschieden hatte, stand der Klägerin nach § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG die Möglichkeit offen, mündliche Verhandlung zu beantragen. Hätte sie dies getan, hätte der Gerichtsbescheid als nicht ergangen gegolten (§ 105 Abs. 3 2. Halbsatz SGG). Die Klägerin hätte mithin den aus ihrer Sicht mangels ausreichender vorheriger Anhörung nicht zulässigen Gerichtsbescheid aus der Welt schaffen und in der dann erforderlich werdenden mündlichen Verhandlung ihre Rechtsauffassung darlegen können. Sie hatte damit eine verfahrensrechtliche Möglichkeit, sich schon in der Vorinstanz rechtliches Gehör zu verschaffen, die sie nicht genutzt hat. Ein Anlass, dies nunmehr im Rahmen eines zweitinstanzlichen Verfahrens auszugleichen, besteht nicht. Dass § 105 Abs. 2 SGG ein Wahlrecht vorsieht, ob mündliche Verhandlung beantragt oder Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt wird, kann den Beteiligten nicht von der auch sonst bestehenden Obliegenheit, alle Möglichkeiten zu nutzen, sich schon in der Vorinstanz rechtliches Gehör zu verschaffen, befreien (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17.07.2003 – 7 B 62/03 – juris, Rn. 12 ff).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Prozesskostenhilfe war für das Beschwerdeverfahren nicht zu bewilligen, da dieses aus obigen Gründen keine hinreichende Erfolgsaussicht hatte (§ 73a SGG i.V.m. § 114 ff. ZPO).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG). Nach § 105 i.V.m. § 145 Abs. 4 Satz 4 SGG wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Landessozialgericht rechtskräftig.