Gericht | FG Berlin-Brandenburg 9. Senat | Entscheidungsdatum | 28.02.2013 | |
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Aktenzeichen | 9 K 9216/09 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob bei der Einkommensbesteuerung des Klägers für das Jahr 2008 im Jahr 2009 vom Beklagten auf offene Kirchensteuer 2008 umgebuchte Zinsabschläge von Kreditinstituten betr. das Jahr 2008 steuermindernd als Sonderausgaben i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 4 Einkommensteuergesetz -EStG- zu berücksichtigen sind.
Der 1934 geborene ledige Kläger erzielte im Streitjahr 2008 negative Einkünfte aus seiner selbständigen Tätigkeit als Steuerberater in Höhe von 530,00 EUR, Einnahmen aus Kapitalvermögen in Höhe von 56 942,00 EUR (Einkünfte: 54 968 EUR) und aus dem Bezug von zwei Leibrenten in Höhe von brutto insgesamt 17 438,00 EUR nach Abzug der steuerfreien Anteile sowie des Werbungskosten-Pauschbetrags in Höhe von 102 EUR sog. sonstige Einkünfte i. S. von § 22 EStG in Höhe von 7 532,00 EUR.
Der Beklagte folgte den Angaben in der Einkommensteuererklärung des Klägers für das Streitjahr 2008 und setzte die Einkommensteuer 2008 mit Bescheid vom 30. April 2009 auf 14 410,00 EUR (Solidaritätszuschlag: 792,55 EUR) fest. In seiner Einkommensteuererklärung hatte der Kläger u. a. „gezahlte Kirchensteuer“ in Höhe von 1 143,00 EUR als Sonderausgabe steuermindernd geltend gemacht. Mit der Einkommensteuerfestsetzung ging auch eine Festsetzung von ev. Kirchensteuer in Höhe von 1 342,62 EUR einher.
Im Abrechnungsteil des o. g. Bescheids vom 30. April 2009 rechnete der Beklagte auf die festgesetzte Einkommensteuer folgende Beträge an:
Kapitalertragsteuer | 1 847,00 EUR | |
Zinsabschlag | 14 841,00 EUR |
Auf den festgesetzten Solidaritätszuschlag in Höhe von 792,55 EUR rechnete der Beklagte Kapitalertragsteuer in Höhe von 917,56 EUR an.
Es ergab sich ein Guthaben für den Kläger in Höhe von 2 278,00 EUR Einkommensteuer zuzüglich 125,01 EUR Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer. Einen Teil des Guthabens betr. Einkommensteuer 2008 verrechnete der Beklagte im selben Bescheid sodann mit der festgesetzten ev. Kirchensteuer und überwies das restliche Guthaben betr. Einkommensteuer 2008 sowie Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer 2008 in Höhe von insgesamt 1 060,39 EUR auf ein vom Kläger in seiner Steuererklärung benanntes Konto.
Gegen den Bescheid vom 30. April 2009 legte der Kläger fristgerecht Einspruch ein und begründete diesen mit dem Begehren, die vom Beklagten festgesetzte ev. Kirchensteuer 2008 als zusätzliche Kirchensteuerzahlung des Jahres 2008 i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG steuermindernd bei der Einkommensteuerveranlagung 2008 zu berücksichtigen. Angesichts der jedes Jahr anfallenden hohen Zinsabschläge, die die Kreditinstitute im Hinblick auf seine, des Klägers, Einkünfte aus Kapitalvermögen vornehmen würde, habe er in der streitgegenständlichen Höhe bereits im Jahr 2008 die notwendige Kirchensteuerzahlung für den VZ 2008 tatsächlich erbracht. Mit dem Einbehalt der Zinsabschläge durch die Kreditinstitute sei die im Jahr 2008 bereits entstandene ev. Kirchensteuer 2008 bei ihm i. S. von § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG „abgeflossen“.
Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 28. Juli 2009 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass eine „Zahlung“ der streitgegenständlichen Kirchensteuer i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG erst im Zeitpunkt der Verrechnungserklärung des Beklagten, also erst am 30. April 2009, erfolgt sei. Deshalb könne der streitgegenständliche Betrag erst im Rahmen einer Einkommensteuerveranlagung für den VZ 2009 als Sonderausgabe i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG steuermindernd berücksichtigt werden.
Im Rahmen seiner hiergegen gerichteten Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass im vorliegenden Fall eine Gesetzeslücke gegeben sei, die durch Auslegung zu seinen Gunsten zu schließen sei. Eine Berücksichtigung des streitgegenständlichen Betrags im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 2009 sei nicht möglich, weil seine Kapitaleinkünfte ab VZ 2009 dem Abgeltungsverfahren unterliegen würden und die bei ihm festzusetzende Einkommensteuer daher ohnehin 0,00 EUR betrage. Es sei aber nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen, gezahlte Kirchensteuer 2008 nicht als Sonderausgabe zu berücksichtigen. Zudem habe der Beklagte in Erwartung eines verrechenbaren Einkommensteuerguthabens keine Kirchensteuervorauszahlungen festgesetzt. Andernfalls hätte er die streitige Kirchensteuer bereits 2008 zahlen müssen.
Nach einer schriftlichen Aufforderung des Senatsvorsitzenden vom 13. August 2009, der Kläger möge dem FG mitteilen, ob er beim Beklagten einen Antrag auf abweichende Einkommensteuerfestsetzung 2008 aus Billigkeitsgründen i. S. von § 163 Abgabenordnung -AO- gestellt habe, da der Kläger diese Bestimmung zur Begründung seiner Klage anführte, reichte der Kläger am 21. November 2009 einen solchen Antrag schriftlich beim Beklagten ein, der vom diesem mit Schreiben vom 9. Dezember 2009 mangels Vorliegens einer sachlichen Unbilligkeit der Einkommensteuerfestsetzung i. S. von § 163 AO abschlägig beschieden wurde. Hiergegen legte der Kläger fristgerecht Einspruch ein. Der Beklagte brachte das Einspruchsverfahren bis zum Abschluss des hiesigen Klageverfahrens gemäß § 363 Abs. 1 AO zum Ruhen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Einkommensteuer 2008 unter Änderung des Einkommensteuerbescheids vom 30. April 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. Juli 2009 dahin gehend festzusetzen, dass ein Betrag in Höhe von 1 342,62 EUR als zusätzliche Kirchensteuerzahlung i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG 2008 steuermindernd berücksichtigt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist zunächst auf seine Ausführungen in der angefochtenen Einspruchsentscheidung. Ergänzend bezieht er sich auf das Urteil des Bundesfinanzhofes -BFH- vom 5. Februar 1960 VI 204/59 U, Bundessteuerblatt -BStBl- III 1960,140, wonach auf Kirchensteuer umgebuchte Einkommensteuerbeträge erst im Jahr der Umbuchung als Sonderausgaben steuermindernd zu berücksichtigen seien.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -FGO-).
Dem erkennenden Senat hat bei seiner Entscheidung ein Band Einkommensteuerakten betr. den Kläger (StNr.: …) vorgelegen, auf dessen Inhalt wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie des Beteiligtenvorbringens Bezug genommen wird.
Die Klage ist unbegründet. Der Einkommensteuerbescheid 2008 vom 30. April 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. Juli 2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Der Kläger hat die streitgegenständliche Zahlung von ev. Kirchensteuer erst im Jahr 2009 erbracht. Zu Recht ist der Beklagte bei der Einkommensteuerfestsetzung 2008 davon ausgegangen, dass gezahlte Kirchensteuern erst in dem Jahr als Sonderausgaben i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG berücksichtigt werden können, in dem sie von dem Steuerpflichtigen tatsächlich gezahlt worden sind (§ 11 Abs. 2 EStG). Gezahlt sind Kirchensteuern nach Ansicht des BFH, der sich der erkennende Senat anschließt, in dem Kalenderjahr, in dem der Steuerpflichtige bei der Finanzkasse Einzahlungen auf diese Steuern leistet, oder in dem Jahr, in dem beispielsweise der Arbeitgeber vom Arbeitslohn des Arbeitnehmers entsprechende Kirchensteuerbeträge einbehält. Bucht die Finanzkasse überzahlte Steuern anderer Art, z. B. Überzahlungen bei der Einkommensteuer, auf fällige Kirchensteuer um, so gilt die Kirchensteuer erst als in dem Jahr gezahlt, in dem die Finanzkasse diese Umbuchung vornimmt (vgl. BFH in BStBl III 1960, 140 sowie Söhn, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 10 Rz. G 35; Kulosa, in: Herrmann/Heuer/Raupauch, EStG/KStG, § 10 Rz. 208). Dies geschah im vorliegenden Fall erst am 30. April 2009.
Eine hiervon abweichende zeitliche Zuordnung ist auch nicht deshalb geboten, weil der Kläger mit Einführung der Abgeltungssteuer ab dem Veranlagungszeitraum 2009 vermutlich keine Einkommensteuer mehr entrichten muss, weil seine sonstigen Einkünfte und seine Einkünfte als Steuerberater auch künftig wohl sehr gering sein werden und beschränkte Sonderausgaben weiter anfallen. Die auf seine Kapitaleinkünfte entfallende Steuer wird gesondert erhoben (§§ 32 d, 51 a EStG).
Wenngleich die im Jahr 2009 durch Umbuchung geleistete Kirchensteuernachzahlung für 2008 aufgrund der Abgeltungssteuer danach zu keiner Steuerminderung mehr führt, ist die gesetzliche Neuregelung verfassungsgemäß. Es ist nämlich von Gesetzes wegen nicht prinzipiell ausgeschlossen, dass sich die streitgegenständliche Kirchensteuerzahlung steuermindernd im VZ 2009 auswirkt, sondern nur aufgrund der freien Entscheidung des Klägers, seine Kapitaleinkünfte ausschließlich der Abgeltungssteuer zu unterwerfen. Statt dessen hätte er auch eine Einbeziehung der Kapitaleinkünfte in die Einkommensteuerveranlagung 2009 wählen können (vgl. § 32 d Abs. 6 EStG). In diesem Fall wäre ebenfalls der besondere Einkommensteuersatz für ansonsten der Abgeltungssteuer unterliegende Kapitaleinkünfte für diesen Teil seiner steuerpflichtigen Einkünfte anwendbar gewesen (= 25 v. H. vgl. § 32 d Abs. 1 EStG 2009).
Das Grundgesetz verlangt nicht, dass alle im EStG benannten und im Einzelfall vorliegenden Steuerermäßigungsmöglichkeiten bei jedem Steuerpflichtigen in der für ihn günstigsten Weise zur Anwendung kommen müssen. Dieser Grundsatz gilt somit auch, wenn - wie hier - ab dem Veranlagungszeitraum 2009 wegen der Einführung der Abgeltungssteuer für Einkünfte aus Kapitalvermögen (§§ 43 ff. EStG 2009) keine den Grundfreibetrag übersteigenden, zu veranlagenden positiven Einkünfte erzielt werden. Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass sich vergleichbare Rechtsfolgen bei Anwendung des § 10 d EStG (Verlustabzug) ergeben können (s. auch Beschluss des BFH vom 9. April 2010 IX B 191/09, BFH/NV 2010, 1270).
Bei dem vom Kläger schriftsätzlich erwähnten Begehren, die Einkommensteuer 2008 zumindest gemäß § 163 Satz 1 AO aus Billigkeitsgründen vom Gesetz abweichend festzusetzen, handelt es sich um ein von der eigentlichen Steuerfestsetzung losgelöstes, selbständiges Verwaltungsverfahren (vgl. dazu § 163 Satz 3 AO), bezüglich dessen der Kläger wegen des Ruhens des Einspruchsverfahrens gemäß § 363 Abs. 1 AO zutreffenderweise bislang keine Klage beim FG erhoben hat, sodass der erkennende Senat über einen Antrag nach § 163 AO momentan nicht entscheiden kann. Ob eine solche Klage - nach Beendigung des Ruhens des Einspruchsverfahrens und Erlass einer Einspruchsentscheidung durch den Beklagten - wegen sachlicher Unbilligkeit erfolgversprechend wäre, ist nach den obigen Ausführungen nicht naheliegend.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.