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Entscheidung 24 Qs 147/10


Metadaten

Gericht LG Cottbus 2. Strafkammer Entscheidungsdatum 22.12.2010
Aktenzeichen 24 Qs 147/10 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Beschwerde vom 27. Oktober 2010 wird der Beschluss des Amtsgerichts Cottbus vom 8. Oktober 2010, 74 Cs 171/09, aufgehoben und dem Beschwerdeführer Rechtsanwalt ……., Cottbus, zum Verteidiger bestellt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die durch das Rechtsmittel aufgewendeten notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer stammt aus dem ehemaligen ….. Mandats-Treuhandgebiet im ….. ……, in dem die Amtssprache nicht - wie in den übrigen Landesteilen - Französisch, sondern Englisch ist. Der Beschwerdeführer studiert an der ……..

Das Amtsgericht Cottbus erließ auf Antrag der Staatsanwaltschaft Cottbus gegen den Beschwerdeführer am 1. Februar 2009 einen Strafbefehl. Es wurde wegen Erschleichens von Leistungen eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 20 € festgesetzt. Der Beschwerdeführer soll am 3. Juli 2008 mit der Regionalbahn von …… nach ……. ohne gültigen Fahrschein gefahren sein. Der Strafbefehl wurde dem Beschwerdeführer in französischer Übersetzung am 18. März 2009 zugestellt. Sein Einspruch, mit dem er geltend machte, ein gültiges Semesterticket besessen zu haben, wurde als verspätet verworfen. Die Verwerfung des Einspruchs wurde im Beschwerdeverfahren bestätigt, wobei ihm auch der Kammerbeschluss in französischer Sprache mitgeteilt wurde. Ein in englischer Sprache abgefasster Ratenzahlungsantrag wurde beim Landgericht zunächst ausdrücklich nicht zur Kenntnis genommen, dann aber durch den Rechtspfleger der Staatsanwaltschaft eine Ratenzahlung bewilligt. Auf den durch den Verteidiger des Beschwerdeführers eingereichten Wiedereinsetzungsantrag wurde dem Beschwerdeführer schließlich Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist gewährt. Zwischenzeitlich wurde eine Hauptverhandlung anberaumt.

Die durch den Beschwerdeführer und auch die Staatsanwaltschaft (Bl. 83R d.A.) beantragte Bestellung des Wahlverteidigers zum Pflichtverteidiger lehnte das Amtsgericht Cottbus ab. Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer sich bei Hinzuziehung eines Dolmetschers nicht selbst verteidigen könne, bestünden nicht.

Gegen diese – nunmehr in die englische Sprache übersetzte – Entscheidung richtet sich die Beschwerde vom 27. Oktober 2010. Allein aus der Historie des Verfahrens ergebe sich, dass der Beschwerdeführer sich selbst nicht angemessen verteidigen könne. Aus Sicht des Verteidigers ist bei Beschuldigten, die nicht über hinreichende deutsche Sprachkenntnisse verfügen, die Beiordnung im Übrigen zwingend.

II.

Die Beschwerde gegen die Ablehnung der Pflichtverteidigerbestellung ist statthaft und zulässig. Es handelt es sich hier und auch sonst bei der Beschlussfassung zur Pflichtverteidigerbestellung um keine einer Urteilsfällung vorausgehende Entscheidung im Sinne des § 305 Satz 1 StPO (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. A., § 141, Rn. 10 mwN).

Sie ist in der Sache auch begründet.

Dem Beschuldigten ist gemäß § 140 Abs. 2, 3. Alt. StPO ein Verteidiger zu bestellen, wenn ersichtlich ist, dass er sich nicht selbst verteidigen kann. Anlass zur Prüfung der Frage, ob der Beschuldigte fähig ist, sich ohne den Beistand eines Verteidigers ausreichend selbst zu verteidigen, besteht insbesondere dann, wenn er sprachbedingte Verständigungsschwierigkeiten hat oder aus einem anderen Kulturkreis stammt und mit dem deutschen Rechtssystem nur unzureichend vertraut ist Zwar ist dem Amtsgericht darin zuzustimmen, dass die Sprachunkundigkeit des Beschuldigten der Annahme einer ausreichenden eigenen Verteidigungsfähigkeit nicht ausnahmslos entgegen steht. Einer Pflichtverteidigerbestellung bedarf es dann nicht, wenn die mit den sprachbedingten Verständigungsschwierigkeiten einher gehenden Einschränkungen durch den Einsatz von Übersetzungshilfen, insbesondere durch die (unentgeltliche) Hinzuziehung eines Dolmetschers, angemessen ausgeglichen werden können.

Allerdings wird eine Pflichtverteidigerbestellung regelmäßig in den Fällen als geboten angesehen, in denen der Anspruch des sprachunkundigen Angeklagten auf rechtzeitige Bekanntgabe der Anklageschrift unter Beifügung einer Übersetzung in einer ihm verständlichen Sprache verletzt worden ist.

Dem Angeschuldigten ist gem. § 201 StPO i.V. mit Art. 6 III a MRK der Anklagevorwurf mit einer Übersetzung in einer ihm verständlichen Sprache mitzuteilen. Dem trägt auch die Maßgabe der Nr. 181 RiStBV Rechnung, wonach einem der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtigen Ausländer Ladungen, Haftbefehle, Strafbefehle, Anklageschriften und sonstige gerichtliche Sachentscheidungen mit einer Übersetzung in eine ihm verständliche Sprache bekanntzugeben sind. Die Mitteilung der Anklageschrift oder – wie hier – des Strafbefehls in einer ihm verständlichen Sprache sichert den Anspruch des sprachunkundigen Beschuldigten auf Gewährung rechtlichen Gehörs im Zwischenverfahren und gewährleistet, dass er frühzeitig von dem Anklagevorwurf der Staatsanwaltschaft Kenntnis erhält und er seine Verteidigung auf den konkreten Tatvorwurf und die Beweislage einrichten kann. Da die vollständige und frühzeitige Information über den Anklagevorwurf der Herstellung von „Waffengleichheit“ zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Angeschuldigten dient und damit für ein rechtsstaatliches und faires Strafverfahren essentiell ist, bleibt sie auch in sachlich oder rechtlich einfach gelagerten Fällen unerlässlich. Unterbleibt die gebotene Mitteilung des Anklagevorwurfs in einer dem Angeschuldigten verständlichen Sprache, so kann dieser - schwere - Verfahrensfehler im weiteren Verfahren insbesondere durch die Beiordnung eines Pflichtverteidigers ausgeglichen werden (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. A., § 140, Rz. 30a).. Die mündliche Übersetzung der Anklageschrift in der Hauptverhandlung genügt hierfür regelmäßig nicht (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27.06.2005 - 1 Ss 184/04, BeckRS 2005, 11757).

Der Strafbefehl ist dem Beschwerdeführer hier zwar in einer französischen Übersetzung zugestellt worden. Jedoch hat der Beschwerdeführer in der Beschwerdeschrift nachvollziehbar dargelegt, dass er aus dem …… ..…. stammt, in dem – historisch bedingt – Englisch als Amtssprache verwendet wird. Es ist mithin mangels anderweitiger Anhaltspunkte davon auszugehen, dass Französisch keine dem Beschwerdeführer verständliche Sprache darstellt. Das wird bestätigt durch den in Englisch verfassten Ratenzahlungsantrag des Beschwerdeführers. Eine Übersetzung des Strafbefehls in das Englische oder in eine andere dem Beschwerdeführer verständliche, im …… …….. gesprochene Sprache ist dem Beschwerdeführer nach Aktenlage bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht bekanntgegeben worden. Es ist, trotzdem seit der Strafanzeige bekannt war, dass es sich um einen …… Staatsangehörigen handelt, nie geprüft oder festgehalten worden, in welcher Sprache mit dem Beschwerdeführer kommuniziert werden kann.

Das Recht auf ein faires Verfahren gebietet es daher, im hier zu entscheidenden Einzelfall den Verfahrensfehler durch die Bestellung eines Pflichtverteidigers auszugleichen. Die Beteiligung eines Dolmetschers in der Hauptverhandlung genügt dazu nicht.

Mangels eines anderen Kostenschuldners trägt die Staatskasse die Kosten des - insoweit selbstständigen - Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers.