Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 16. Senat | Entscheidungsdatum | 27.11.2013 | |
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Aktenzeichen | L 16 R 459/12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 115 Abs 1 SGB 6, § 99 Abs 2 SGB 6, § 46 Abs 2 SGB 6, § 27 Abs 5 SGB 10 |
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 19. April 2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Urteil:
Streitig ist, ob dem Kläger bereits vor dem 1. Februar 2010 Zahlungsansprüche aus einem Recht auf große Witwerrente (WR) zustanden.
Der 1966 geborene Kläger ist rumänischer Staatsangehöriger und war seit dem 28. Oktober 1993 mit der 1947 geborenen und 1996 verstorbenen Frau C D verheiratet. Mit am 18. Juni 1996 bei der Beklagten eingegangenem Antrag beantragte der Kläger eine „kleine oder große Witwerrente“ aus der Versicherung seiner verstorbenen Ehefrau.
Mit Rentenbescheid vom 29. August 1996 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 1. Juni 1996 kleine WR. Sie führte in dem Bescheid aus, dass kein Anspruch auf große WR bestehe, weil der Kläger das 45. Lebensjahr noch nicht vollendet habe, nicht berufsunfähig sei, kein Kind erziehe, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet habe, und nicht für ein Kind sorge, das wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung nicht selbst für seinen Unterhalt aufkommen könne.
Mit Schreiben vom 10. Februar 2011 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er habe ab dem 1. Mai 2011 Anspruch auf große WR, da er im April 2011 das 45. Lebensjahr vollenden würde. Daraufhin beantragte der Kläger mit bei der Beklagten am 17. Februar 2011 eingegangenem Vordruck eine große WR, und zwar ausdrücklich für den Zeitraum vor Vollendung des 45. Lebensjahres, weil er ein minderjähriges Kind erziehe. Er gab an, er sei Vater des 2005 geborenen Sohnes D und bat um rückwirkende Prüfung seines Rentenanspruchs. Mit Bescheid vom 15. März 2011 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 1. Mai 2011 große WR.
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, er habe die Bewilligung großer WR rückwirkend zum Zeitpunkt der Geburt seines Sohnes am 14. April 2005 beantragt. Gleichzeitig legte er eine Anmeldebescheinigung vor, wonach sein Sohn mit dessen leiblicher Mutter am 1. Dezember 2008 in die Estraße, B, eingezogen war, sowie eine weitere Meldebescheinigung vom 1. Oktober 2009, die die Meldung des Klägers unter ebendieser Adresse seit 15. Dezember 2008 bescheinigt. Mit Bescheid vom 18. Mai 2011 bewilligte die Beklagte dem Kläger daraufhin große WR bereits ab 1. Februar 2010. Mit seinem weiteren Widerspruch machte der Kläger eine rückwirkende Leistungsbewilligung für vier Jahre unter Hinweis auf § 45 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) geltend. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. August 2011 zurück, da nach § 99 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) die Rente nicht für mehr als zwölf Kalendermonate vor dem Monat der Antragstellung geleistet werde. Für davor liegende Kalendermonate bestehe ein materiell-rechtlicher Leistungsausschluss.
Durch Gerichtsbescheid vom 19. April 2012 hat das Sozialgericht (SG) Berlin die auf Gewährung großer WR „für vier Jahre rückwirkend“ gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Verjährungsregel des § 45 SGB I führe nicht zu einem früheren Leistungsbeginn, da der Anspruch des Klägers auf Gewährung großer WR erst mit Antragstellung am 17. Februar 2011 entstanden sei. Es könne auch nicht auf den Zeitpunkt der erstmaligen WR-Antragstellung im Jahre 1996 abgestellt werden, da dieser Antrag durch die Bewilligung der kleinen WR verbraucht worden sei. Ein früherer Antrag könne auch nicht im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs fingiert werden, denn eine Pflichtverletzung der Beklagten sei nicht zu erkennen. Es bestünde insbesondere keine Verpflichtung der Beklagten, pauschal auf alle Rentenarten hinzuweisen, ohne dass Anhaltspunkte dafür erkennbar seien, dass der Leistungsberechtigte die Voraussetzungen dieser Renten erfülle oder diese Renten in Anspruch nehmen wolle. Anlass für die frühere Antragstellung wäre die Geburt des Sohnes des Klägers im Jahr 2005 gewesen. Die Beklagte habe hiervon jedoch erst im Februar 2011 erfahren. Letztlich scheide die Verletzung einer Beratungs- oder Auskunftspflicht der Beklagten gemäß § 14 und § 15 SGB I bereits deshalb aus, weil ein entsprechendes Auskunfts- oder Beratungsersuchen des Klägers für die Zeit vor Antragstellung im Februar 2011 nicht feststellbar sei.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und verweist auf sein erstinstanzliches Vorbringen.
Aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich der Antrag,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 19. April 2012 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 18. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. August 2011 zu verurteilen, ihm große Witwerrente bereits ab 1. Februar 2007 zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die angefochtene Entscheidung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Die Berufung ist nicht begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keine monatlichen Einzelzahlungsansprüche aus seinem Recht auf große WR für die Zeit vor dem 1. Februar 2010. Dem steht § 99 Abs. 2 Satz 3 SGB VI entgegen, wonach Hinterbliebenenrente nicht für mehr als zwölf Kalendermonate vor dem Rentenantragsmonat geleistet wird.
Der Senat nimmt auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Gerichtsbescheids gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug und sieht insoweit von weiteren Ausführungen ab. Ergänzend ist darauf zu verweisen, dass ein Anspruch auf große WR für Zeiten vor dem 1. Januar 2009 bereits deshalb ausscheidet, weil der Kläger mit seinem leiblichen Sohn erst seit Dezember 2008 in häuslicher Gemeinschaft lebt. Der Anspruch auf große WR setzt jedoch gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI ua voraus, dass der Witwer ein eigenes Kind erzieht. Erforderlich ist das auf Dauer angelegte Zusammenleben in einer gemeinsamen Wohnung und die Versorgung des Kindes, verbunden mit der Zuwendung von Fürsorge in Form von regelmäßiger Beaufsichtigung, Pflege und Erziehung wie in einer Familie. Ein solches Zusammenleben ist den Akten jedoch frühestens ab 15. Dezember 2008 zu entnehmen.
Auch für den Zeitraum vom 1. Januar 2009 bis zum 31. Januar 2010 besteht indes kein Anspruch auf monatliche Zahlungen aus dem mWv 1. Januar 2009 entstandenen Stammrecht auf große WR. Eine Zahlung aus dem Stammrecht auf Rente setzt regelmäßig die Stellung eines entsprechenden Antrages voraus (§ 115 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Gemäß der Ausnahmeregelung in § 115 Abs. 3 Satz 2 SGB VI erfolgt die Umwandlung von Amts wegen im Falle des Bezuges einer kleinen WR bis zur Vollendung des 45. Lebensjahres gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI. Der Kläger begehrt hier jedoch die Zahlung großer WR wegen der Erziehung eines eigenen Kindes (vgl § 46 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI), so dass es eines Antrages bedurfte, den der Kläger erst am 17. Februar 2011 gestellt hat. Ausgehend hiervon hat die Beklagte den Rentenbeginn zutreffend auf den 1. Februar 2010 festgesetzt. Dies folgt aus § 115 Abs. 1 Satz 1 SGB VI iVm § 99 Abs. 2 Satz 3 SGB VI, wonach eine Hinterbliebenenrente nicht für mehr als zwölf Monate vor dem Monat, in dem die Rente beantragt wird, zu leisten ist. Nicht abgestellt werden kann auf den ersten Rentenantrag vom 18. Juni 1996; denn jener Antrag war mit Erlass des Bescheides vom 29. August 1996 verbraucht.
Der Kläger kann auch nicht fiktiv so gestellt werden, als hätte er sein Gestaltungsrecht bereits im Dezember 2008 ausgeübt und Rentenzahlung beantragt. Der Kläger kann einen früheren Rentenbeginn nicht aufgrund der Regelungen zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) beanspruchen. Zwar kommt eine Wiedereinsetzung auch bei Versäumung einer Frist des materiellen Sozialrechts in Frage, eine Wiedereinsetzung ist gemäß § 27 Abs. 5 SGB X jedoch unzulässig, wenn sich aus einer Rechtsvorschrift ergibt, dass sie ausgeschlossen ist. Dies kann sich auch durch Auslegung der Norm ergeben.
Es braucht vorliegend nicht entschieden werden, ob der Gesetzgeber in § 99 Abs. 2 Satz 3 SGB VI eine äußerste Grenze für die rückwirkende Gewährung von Hinterbliebenenrenten bestimmt hat und eine Wiedereinsetzung bei Versäumung dieser Frist gemäß § 27 Abs. 5 SGB X von vornherein unzulässig ist. Denn der Kläger war jedenfalls nicht im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB X ohne Verschulden gehindert, diese Frist einzuhalten, dh den Antrag auf große WR binnen eines Jahres nach der Geburt seines Sohnes bzw nach der Herstellung des häuslichen Zusammenlebens zu stellen. Dies folgt schon daraus, dass der Kläger von der Beklagten auf die Voraussetzungen einer Hinterbliebenenrente im Falle der Erziehung eines Kindes unter 18 Jahren bereits im Antragsformular und auch im Bescheid vom 26. August 1996 hingewiesen worden war. Diese Hinweise hätte er zum Anlass nehmen müssen, bei der Beklagten nach der Geburt seines Sohnes deren Beratung in Anspruch zu nehmen.
Auch die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs liegen nicht vor. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte einen Beratungs- oder Auskunftsanspruch des Klägers aus §§ 14 und 15 SGB I nicht oder schlecht erfüllt haben könnte. Ein Beratungsbegehren des Klägers ist weder erkennbar noch vorgetragen. Auch ist nicht ersichtlich, dass ein konkreter Anlass zur Beratung ohne Beratungsbegehren vorgelegen haben könnte, ebenso wenig dafür, dass die Beklagte den Kläger unrichtig oder missverständlich informiert hätte. Es ist auch nicht ersichtlich, dass es damals oder zeitnah zum streitigen Zeitraum eine Sachbearbeitung durch die Beklagte gegeben hätte, bei der diese eine klar zu Tage liegende Dispositionsmöglichkeit des Klägers übersehen oder jedenfalls nicht auf diese hingewiesen hätte. Vielmehr hatte die Beklagte im Zusammenhang mit der Vollendung des 45. Lebensjahres des Klägers schriftlich Kontakt zu diesem aufgenommen und erst in diesem Zusammenhang von der Geburt des Sohnes im Jahr 2005 erfahren. Hingegen enthielten sowohl der Antragsvordruck, welchen der Kläger zur erstmaligen Beantragung einer Rente nutzte, als auch der erste Bewilligungsbescheid einen eindeutigen Hinweis darauf, dass bereits vor Vollendung des 45. Lebensjahres die Bewilligung großer Witwerrente im Falle des Erziehens eines Kindes möglich ist. Dies hätte der Kläger zum Anlass nehmen müssen, der Beklagten die Geburt seines Kindes mitzuteilen und sein Recht auf Beratung durch die Beklagte in Anspruch zu nehmen. Aus den vorgenannten Gründen hat die Beklagte auch nicht ihre aus § 115 Abs. 6 SGB VI folgende Pflicht zum Hinweis auf Leistungen in geeigneten Fällen verletzt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.