Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Nichtzulassungsbeschwerde - Verletzung rechtlichen Gehörs - Terminkollision...

Nichtzulassungsbeschwerde - Verletzung rechtlichen Gehörs - Terminkollision - Antrag auf Terminsverlegung - Prozessverschleppungsabsicht


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 28. Senat Entscheidungsdatum 27.01.2014
Aktenzeichen L 28 AS 2153/13 NZB ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 144 SGG, § 62 SGG, § 227 Abs 1 S 1 ZPO, § 547 ZPO, § 53 BRAO

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 15. Juli 2013 wird zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts vom 15. Juli 2013, mit dem die Berufung nicht zugelassen worden ist, ist zulässig und begründet.

Zu Recht ist das Sozialgericht in dem Urteil vom 15. Juli 2013 (entgegen der noch im Gerichtsbescheid vom 06. September 2012 lautenden Rechtsmittelbelehrung) davon ausgegangen, dass die im Grundsatz nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung vorliegend kraft Gesetzes ausgeschlossen ist. Denn nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung. In dem diesem Beschwerdeverfahren zugrunde liegenden Klageverfahren begehrt die Klägerin höhere Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den vom angefochtenen Bescheid vom 23. Mai 2011 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 06. Juli 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Juli 2011 erfassten Bewilligungsabschnitt vom 01. Juli 2011 bis zum 31. Dezember 2011. Zur Begründung macht sie geltend, das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches vom 24. März 2011 (Bibl. I S. 453), auf dessen Grundlage die Leistungsberechnung erfolgt sei, genüge nicht den vom Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 09. Februar 2010 (1 BVB 1/09, 1 BVB 3/09, 1 BVB 4/09, zitiert nach Juris) gestellten Anforderungen; insofern nimmt sie Bezug auf ein Gutachten von Prof. Dr. M. Zwar hat die anwaltlich vertretene Klägerin weder im erstinstanzlichen Verfahren noch in dem für die Prüfung des Beschwerdewerts maßgebenden Zeitpunkt der Einlegung der Berufung einen auch nur annähernd bestimmten oder gar bezifferten Antrag gestellt. Dem Senat ist aber aus einer Vielzahl gleichartiger Verfahren vom selben Bevollmächtigten vertretener Kläger bekannt, dass damit Leistungen in einer Höhe begehrt werden, die deutlich unterhalb des Schwellenwertes für eine Berufung von 750,01 € liegen. Das legen außerdem die Rücknahme der Berufung nach einem entsprechenden rechtlichen Hinweis des vormals zuständigen Senats sowie der gestellte Antrag auf mündliche Verhandlung (vgl. § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG) nahe. Eine laufende Leistung für mehr als ein Jahr ist ohnehin nicht im Streit.

Die Berufung ist jedoch nach § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG zuzulassen, weil ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Die Klägerin hat die Verletzung des rechtlichen Gehörs ordnungsgemäß gerügt. Sie hat die Verletzung von § 62 SGG hinreichend bezeichnet. Die Rüge, die der Beurteilung des Senats unterliegt, trifft auch zu. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, muss den Beteiligten unabhängig davon, ob sie die Möglichkeit zur schriftlichen Vorbereitung des Verfahrens genutzt haben, Gelegenheit gegeben werden, ihren Standpunkt in der Verhandlung darzulegen. Dabei ist dem Anspruch auf rechtliches Gehör in der Regel dadurch genügt, dass das Gericht – wie im zu entscheidenden Fall erfolgt - die mündliche Verhandlung anberaumt (§ 110 Abs. 1 Satz 1 SGG), der Beteiligte ordnungsgemäß geladen und die mündliche Verhandlung zu dem festgesetzten Zeitpunkt eröffnet wird. Eine Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung trotz Abwesenheit eines Beteiligten ist dann ohne Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs möglich, wenn dieser in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass auch im Falle seines Ausbleibens verhandelt und entschieden werden kann. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn erhebliche Gründe für eine Terminsverlegung oder -vertagung vorliegen und diese beantragt wird. Ein i. S. von § 227 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) ordnungsgemäß gestellter Vertagungsantrag mit einem hinreichend substantiiert geltend gemachten Terminsverlegungsgrund begründet grundsätzlich eine entsprechende Pflicht des Gerichts zur Terminsverlegung. Die Behandlung von Anträgen auf Terminsverlegung hat dabei der zentralen Gewährleistungsfunktion der mündlichen Verhandlung für den Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör zu genügen, insbesondere, wenn - wie vorliegend – wegen des Erlasses eines Gerichtsbescheids am 06. September 2012 eine mündliche Verhandlung vor dem Sozialgericht nicht stattgefunden hat und diese ausdrücklich beantragt worden ist (§ 105 Abs. 2 Satz 2 SGG). Voraussetzung für den Erfolg einer solchen Rüge ist, dass der Beteiligte seinerseits alles getan hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Beschlüsse vom 07. Juli 2011 – B 14 AS 35/11 B - und 26. Juni 2007 – B 2 U 55/07 B -; BSG, Urteil vom 10. August 1995 – 11 RAr 51/95 -, jeweils m. w. N. und zitiert nach juris).

So liegt der Fall hier. Die Verhinderung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, der als Einzelanwalt tätig ist, ist wegen einer Terminskollision unverschuldet gewesen. Der Bevollmächtigte hat seinem am 25. Juni 2013 gestellten Antrag auf Terminsverlegung die bereits am 13. Mai 2013 - und damit mehr als ein Monat vor der Ladung der 14. Kammer in dem hier zugrunde liegenden Verfahren - erfolgten Ladungen der 41. Kammer des Sozialgerichts Cottbus zu fünf Sachen einer Bedarfsgemeinschaft am 15. Juli 2013 um 9.30 Uhr beigefügt und hinzugefügt, dass eine Terminsvertretung durch einen anderen Kollegen von der Mandantin nicht gewünscht werde. Eine telefonische Nachfrage des Senats hat ergeben, dass der Bevollmächtigte den Termin auch wahrgenommen hat.

Gründe dafür, dass der Terminsverlegungsantrag rechtsmissbräuchlich gestellt worden ist, sind für den Senat nicht ersichtlich. Anhaltspunkte für eine offenkundige Prozessverschleppungsabsicht bestehen bei der vorliegenden Fallkonstellation mit einer Terminskollision und einem einmaligen Vertagungsantrag nicht. Auch die vom Sozialgericht in seinem Beschluss vom 25. Juni 2013, mit dem der Terminsverlegungsantrag abgelehnt worden ist, genannten Gründe vermögen einen Rechtsmissbrauch nicht zu belegen. Schon bei Bevollmächtigten, die nicht in dem wie bei dem Bevollmächtigten dieses Verfahrens gerichtsbekannten Umfang Mandanten betreuen, kann nicht ohne weiteres erwartet werden, dass sie einer Terminsladung zum 15. Juli 2013, die erst am 17. Juni 2013 zugestellt wird, problemlos Folge leisten können. Die Voraussetzungen nach § 53 Bundesrechtsanwaltsordnung sind vorliegend ebenfalls nicht erfüllt, denn die Pflicht, einen Vertreter zu bestellen, besteht für den Rechtsanwalt nur im Fall einer einwöchigen Abwesenheit bzw. Verhinderung der Berufsausübung. Das Interesse der Allgemeinheit und der übrigen Prozessbeteiligten an einer Verfahrensbeschleunigung und zügigen Erledigung des entscheidungsreifen Rechtsstreits gegenüber dem Interesse des Klägers an einem möglichst umfassenden Rechtsschutz gewinnt erst dann zunehmend an Bedeutung, wenn Verhandlungstermine bei unveränderter prozessualer Situation bereits mehrfach auf Antrag des Klägers verlegt werden mussten. Dem Prozessbevollmächtigten kann es dann zumutbar sein, zur Erlangung des rechtlichen Gehörs Terminskollisionen unter Zurückstellung anderweitiger Interessen aufzulösen oder geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um für eine Vertretung im Termin zu sorgen (vgl. BSG, Beschluss vom 26. Juni 2007 – B 2 U 55/07 B -, zitiert nach juris). Dafür besteht hier jedoch – wie bereits dargestellt – kein Anhalt. Ein Beteiligter – wie hier auch die Klägerin- ist auch nicht verpflichtet, einen anderen Prozessbevollmächtigten zu bestellen oder einen anderen Terminsvertreter zu beauftragen, da einem Beteiligten nicht ohne schwerwiegende Gründe – die hier zurzeit nicht vorliegen - vorgeschrieben werden kann, sich durch einen anderen als den Rechtsanwalt des Vertrauens vertreten zu lassen (vgl. BSG, Beschluss vom Beschluss vom 26. Juni 2007 – B 2 U 55/07 B -, zitiert nach juris).

Letztlich kann auf dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs die Entscheidung des Sozialgerichts auch beruhen. Obwohl die Verletzung des rechtlichen Gehörs im sozialgerichtlichen Verfahren nicht als absoluter Revisionsgrund geregelt ist (§ 202 SGG i. V. m. § 547 ZPO), ist wegen der Bedeutung der mündlichen Verhandlung im Allgemeinen davon auszugehen, dass eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die einen Verfahrensbeteiligten daran gehindert hat, an einer mündlichen Verhandlung teilzunehmen, die daraufhin ergangene Gerichtsentscheidung beeinflusst hat. Nähere Darlegungen dazu, inwiefern das Urteil auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs beruhen kann, sind daher nicht erforderlich (vgl. BSG, Beschlüsse vom 06. Oktober 2010 – B 12 KR 58/09 B –, 26. Juni 2007 – B 2 U 55/07 B - und 07. Juli 2011 – B 14 AS 35/11 B -; BSG, Urteil vom 10. August 1995 – 11 Rar 51/95 -, jeweils m. w. N. und zitiert nach juris). Ausnahmen von diesem Grundsatz liegen hier nicht vor. Vielmehr belegt das schriftsätzliche Vorbringen der Klägerin vom 08. Juli 2013, das in dem Urteil vom 15. Juli 2013 keine Berücksichtigung gefunden hat, die Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung.

Soweit die Klägerin ihre Nichtzulassungsbeschwerde auch auf die Verletzung des Grundsatzes des gesetzlichen Richters gestützt hat, kann dem nicht gefolgt werden. Denn entgegen dem Vorbringen der Klägerin lässt sich der Gerichtsakte weder ein Gesuch, den Vorsitzenden der 14. Kammer wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, noch ein Beschluss, mit dem der Antrag von dem abgelehnten Richter als unzulässig abgelehnt worden sein soll, entnehmen.

Das Beschwerdeverfahren wird als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung durch die Klägerin bedarf es nicht (§ 145 Abs. 5 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung in der Hauptsache vorbehalten.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das BSG anfechtbar (§ 177 SGG).