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Stützrente; vordere Kreuzbandplastik


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 08.08.2011
Aktenzeichen L 3 U 89/11 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 56 Abs 1 S 2 SGB 7

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 18. März 2011 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Streitig ist die Gewährung von Verletztenrente wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls vom 23. Mai 1995 im Wege einer Stützrente.

Der 1967 geborene Kläger ist gelernter Maurer. Nach dem Ende seiner Ausbildung im Jahr 1987 war er bis 1995 als Maurer beschäftigt. Im Jahr 2000 arbeitete er bei einem Wach- und Sicherheitsdienst in B. Über das Arbeitsamt machte er von 2002 bis 2005 eine Umschulung zum Kaufmann im Gesundheitswesen. Derzeit bezieht er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Am 23. Mai 1995 war der Kläger für das Bauunternehmen J S auf einer Baustelle in B als Maurer tätig. Laut Durchgangsarztbericht (DAB) von Dr. K vom W-Klinikum E vom selben Tag stolperte er um 09:30 Uhr über ein herumliegendes Teil und verdrehte sich beim Sturz das rechte Knie. Als Befund wurden angegeben: geringer Kniegelenkserguss rechts, Druckschmerz lateraler Gelenkspalt, Kniegelenk medial gering vermehrt aufklappbar, vordere Schublade positiv, Lachman positiv mit festem Anschlag. Die Röntgenuntersuchung ergab keine sicheren frischen traumatischen Knochenveränderungen oder Luxationen (Verrenkungen). Als Diagnose wurde VD Hämarthros (blutiger Gelenkerguss) mit innerer Kniegelenksschädigung rechts angegeben.

Vom 25. Mai bis zum 15. Juni 1995 befand sich der Kläger stationär im W-Klinikum. Dort lautete die Diagnose: LCA-Ruptur (Zerrung) rechts Kniegelenk und Ruptur des lateralen (seitlichen) Meniskus rechts und Peronaeusparese (Lähmung des Nervs am Wadenbein) rechtsseitig. Am 26. Mai 1995 wurde eine arthroskopische Meniskusrefixation durchgeführt, am 05. Juni 1995 eine LCA-Plastik.

Am 19. November 1995 rutschte der Kläger in seinem Wohnhaus beim Herabsteigen einer feuchten Treppe über zwei Stufen hinweg ab und landete auf dem Gesäß, ohne mit dem Knie aufgeschlagen zu sein. Dabei zog er sich einen Querbruch des Tibiakopfes (Schienbeinkopfes) zu, der seinen Ausgang genau an der Entnahmestelle des Tibiaspanes für die vorausgegangene Kreuzbandplastik hatte. Dr. K regte an, diesen zweiten Unfall als Folge des ersten anzuerkennen.

Im auf Veranlassung der Beklagten erstellten ersten Rentengutachten vom 05. August 1996 schätzte Dr. K die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) für die Zeit vom 21. Mai 1996 bis zum 29. Juli 1997 auf 25 v. H. und für die Zeit vom 30. Juli 1996 bis zum 29. Juli 1997 auf voraussichtlich ebenfalls 25 v. H.

Mit Bescheid vom 27. August 1996 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 23. Mai 1995 als Arbeitsunfall an und stellte als aus dem Arbeitsunfall folgende Gesundheitsschäden fest: „Nach Abriss des vorderen Kreuzbandes am rechten Kniegelenk und Schienbeinkopfbruch als mittelbare Unfallfolge: Narben um das rechte Knie, geringe Verdickung des rechten Knies, Muskelminderung am rechten Bein, Einschränkung der Beweglichkeit im Kniegelenk und oberen Sprunggelenk rechts, noch liegendes Osteosynthesematerial, die übrigen im Röntgenbild erkennbaren Veränderungen.“ Zugleich bewilligte sie dem Kläger eine vorläufige Verletztenrente auf der Grundlage einer MdE von 25 v. H. ab dem 21. Mai 1996 bis auf weiteres.

Im zweiten Rentengutachten vom 27. Dezember 1996 schätzte Dr. K die MdE bei dem Kläger nurmehr auf 10 v. H. Daraufhin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 28. Januar 1997 fest, dass dem Kläger keine Rente mehr zustehe, und stellte die Rentenzahlung mit Ablauf des Monats Januar 1997 ein. Als noch bestehende Folgen des Arbeitsunfalls erkannte die Beklagte an: „Nach Abriss des vorderen Kreuzbandes am rechten Kniegelenk und Schienbeinkopfbruch als mittelbare Unfallfolge: Narben um das rechte Knie, geringe Verdickung des rechten Knies, geringe Muskelminderung am rechten Oberschenkel, minimale Einschränkung der Beweglichkeit im rechten Kniegelenk, noch liegendes Osteosynthesematerial, die übrigen im Röntgenbild erkennbaren Veränderungen“.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. In einem weiteren Rentengutachten vom 16. April 1997 schätzte der Chirurg Dr. M die verbleibende MdE auf vorübergehend 10 v. H. ein. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 1997 zurück.

Am 26. September 1997 wurde im Krankenhaus E die Metallentfernung nach der Tibiakopffraktur durchgeführt.

Aufgrund des Hinzutretens eines weiteren Arbeitsunfalls vom 07. November 1996 gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 27. August 1998 wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 23. Mai 1995 für die Zeit vom 01. Februar 1997 bis zum 31. Dezember 1997 eine Verletztenrente nach einer MdE von 10 v. H. (sog. Stützrente). Der Stütztatbestand aus dem Arbeitsunfall vom 07. November 1996 entfiel ab dem 01. Januar 1998. Als Folgen des Arbeitsunfalls vom 23. Mai 1995 wurden anerkannt: „Nach Abriss des vorderen Kreuzbandes am rechten Kniegelenk und Schienbeinkopfbruch als mittelbare Unfallfolge: Narben um das rechte Knie, geringe Verdickung des rechten Knies, geringe Muskelminderung am rechten Oberschenkel, minimale Einschränkung der Beweglichkeit im rechten Kniegelenk, die übrigen im Röntgenbild erkennbaren Veränderungen“.

Am 20. Mai 2003 erlitt der Kläger einen weiteren Arbeitsunfall im Zuständigkeitsbereich der Unfallkasse Brandenburg. Es handelte sich um eine stumpfe Prellung des Brustkorbs mit Serienbruch der 4. bis 10. linken Rippen und weiteren Prellungen im Bauchbereich, in deren Folge u. a. die Milz entfernt werden musste. Dem Kläger wurde daraufhin mit Bescheid der Unfallkasse Brandenburg vom 31. Mai 2006 für die Zeit vom 21. Juli 2003 bis zum 20. Juli 2004 eine Verletztenrente auf der Grundlage einer MdE von 20 v. H. und ab dem 21. Juli 2004 auf der Grundlage einer MdE von 10 v. H. bewilligt. Die gegen diesen Bescheid bei dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) erhobene Klage zum Aktenzeichen S 10 U 139/06 wurde mit Schriftsatz vom 24. September 2008 zurückgenommen.

Auf Veranlassung der Beklagten erstellte der Chirurg Dr. G vom J Krankenhaus B am 15. August 2006 ein unfallchirurgisches Zusammenhangsgutachten zum Ausmaß der Folgen des Arbeitsunfalls vom 23. Mai 1995. Seine nach der Normal-Null-Methode für das rechte Knie des Klägers erhobenen Messwerte wiesen für die Streckung/Beugung Werte von 0-5-140 aus. Eine Seitenbandinstabilität ließe sich nicht feststellen. Die vordere Kreuzbandplastik stelle sich stabil dar. Der Muskel- und Weichteilmantel des rechten Ober- und Unterschenkels erscheine im Vergleich zur Gegenseite diskret vermindert. Dr. G schätzte die MdE ab dem 20. Mai 2003 durchgehend auf 10 v. H. ein.

Der Beratungsarzt der Beklagten stimmte der Einschätzung von Dr. G mit Stellungnahme vom 28. August 2006 nicht zu und schätzte die MdE auf unter 10 v. H. ein, weshalb die Beklagte mit Bescheid vom 27. November 2006 die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 23. Mai 1995 ablehnte. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2007 zurück. Sie sei vom gutachterlichen Vorschlag des Dr. G abgewichen, weil nur noch eine diskrete Bewegungseinschränkung des rechten Knies vorhanden sei. Die bei dem Kläger festgestellte MdE bewege sich nicht in einem wirtschaftlich messbaren Grad.

Hiergegen hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) (SG) erhoben und u. a. vorgetragen, er leide nach wie vor unter den Folgen des Arbeitsunfalls vom 23. Mai 1995, insbesondere beim Sport

Das SG hat Beweis erhoben und zunächst auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) den Chirurgen Dipl.-Med. J mit der Untersuchung des Klägers und Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 18. November 2008 ist dieser nach einer Untersuchung des Klägers am 14. Oktober 2008 zu dem Schluss gekommen, bei dem Kläger betrage die Bewegungseinschränkung im Knie rechts 0-0-130. Die Muskulatur am rechten Oberschenkel weise eine Umfangsdifferenz von 2 cm gegenüber dem linken Oberschenkel auf. Als Folge der Unfallverletzung bestehe eine beginnende posttraumatische Retropatellararthrose und beginnende posttraumatische Arthrosis deformans des rechten Kniegelenks. Dies führe zu einer chronischen Entzündungssituation des Gelenks bei Belastung mit Ergussneigung und Überwärmung des Gelenkes sowie zunehmender Schmerzhaftigkeit. Die MdE schätzte der Sachverständige ab dem 20. Mai 2003 dauerhaft auf 10 v. H. ein.

Die Klägerbevollmächtigte hat mit Schreiben vom 17. März 2009 mitgeteilt, der Kläger habe sich im Januar 2009 das Bein verdreht und sich bei Dipl.-Med. J vorgestellt, der deswegen am 26. Januar 2009 eine ambulante Operation durchgeführt habe, bei der der Meniskus fixiert worden sei. Anlässlich dieser Operation habe der Sachverständige festgestellt, dass der Meniskus schon bei dem streitgegenständlichen Arbeitsunfall abgerissen sein müsse. Dies bestätige das von dem Kläger seitdem geäußerte Instabilitätsgefühl.

Das SG hat bei dem Sachverständigen Dipl.-Med. J den Operationsbericht vom 27. Januar 2009 sowie die Messblätter vom 14. Oktober 2008 angefordert und eine ergänzende Stellungnahme eingeholt. Im Operationsbericht vom 27. Januar 2009 hat Dipl.-Med. J notiert, der Kreuzbandersatz erscheine ausreichend stabil und anatomisch inserierend. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22. April 2009 hat er ausgeführt, das festgestellte Muskeldefizit von 2 cm führe in Verbindung mit den Schmerzen bei Reizung des rechten Kniegelenks aufgrund der posttraumatischen Veränderungen zu einer Instabilität des Kniegelenks. Eine zunehmende oder bestehende Restinstabilität sei immer Folge eines Kreuzbandschadens, die durch eine Ersatzplastik nicht wieder vollständig ausgeglichen werden könne.

Für die Beklagte hat deren beratender Arzt Prof. Dr. W unter dem 03. Juli 2009 hiergegen eingewandt, Dipl.-Med. J habe in seinem Gutachten als funktionelle Defizite die geringgradige Bewegungseinschränkung des rechten Kniegelenks im Vergleich zu links von 15 Grad sowie die Muskelverschmächtigung von max. 2 cm rechts im Vergleich zu links festgestellt. Eine klinisch manifeste Instabilität im rechten Kniegelenk habe der Sachverständige hingegen nicht dokumentiert. Auch die typischen Tests wie der Lachman- oder pivot-shift-Test seien im Gutachtentext nicht angegeben. Die Feststellung des Sachverständigen aus dem Operationsbericht vom 27. Januar 2009, dass der Kreuzbandersatz ausreichend stabil und anatomisch inserierend erscheine, widerlege im Übrigen das wesentliche Argument des Sachverständigen für eine höhere MdE-Einschätzung, nämlich eine klinisch nachweisbare Instabilität. Die beginnenden arthrotischen Veränderungen seien nicht so ausgeprägt, dass sich daraus eine funktionelle Einschränkung ableiten würde. Insgesamt rechtfertigten die im Gutachten des Dipl.-Med. J aufgeführten Gesundheitsschäden unter Anwendung der aktuellen Gutachtenliteratur und der Erfahrungswerte keine MdE von 10 v. H.

Das SG hat daraufhin weiter Beweis erhoben und den Facharzt für Chirurgie Dr. H mit der Untersuchung des Klägers und Erstellung eines Sachverständigengutachtens betraut. In seinem am 03. Juli 2010 fertig gestellten Gutachten ist der Sachverständige nach einer Untersuchung des Klägers am 07. Mai 2010 dem Ergebnis gelangt, die MdE sei auf unter 10 v. H. einzuschätzen. Es bestehe keine Kniegelenksinstabilität, sondern allenfalls eine leichte Lockerung des Kniebandapparats nach vorderer Kreuzbandersatzplastik, die jedoch noch im normalen Bereich liege. Es bestehe unfallbedingt eine leichte Muskel- und Kraftminderung sowie eine geringe endgradige Streck- und Beugehemmung am rechten Kniegelenk. Eine Arthrose sei noch nicht festzustellen. Die in dem Gutachten von Dr. G mitgeteilten Funktionswerte rechtfertigten in keiner Weise eine MdE von 10 v. H. Mit einigen Ausführungen und den Schlussfolgerungen im Gutachten von Dipl.-Med. J sei er ebenfalls nicht einverstanden. Es sei nicht richtig, dass eine vordere Kreuzbandersatzplastik zwangsläufig eine Arthrose nach sich ziehe, zumal hier der seinerzeit betroffene Außenmeniskus vollständig ausgeheilt sei. Der Sachverständige führte eine Messung der Beweglichkeit des rechten Kniegelenks des Klägers durch, die Werte von 0-5-140 im Vergleich zu 0-0-140 links ergab. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 28. September 2010 ist der Sachverständige bei seiner Einschätzung geblieben.

Das SG hat die auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 10 v. H. ab dem 20. Mai 2003 gerichtete Klage durch Urteil vom 18. März 2011 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Verletztenrente auf der Grundlage einer MdE von 10 v. H. ab dem 20. Mai 2003 gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 und 3 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII), denn die bei ihm bestehenden und durch den Unfall vom 23. Mai 1995 bedingten Funktionseinschränkungen im Bereich des rechten Kniegelenks rechtfertigten keine MdE von wenigstens 10. v. H. Entscheidend für die MdE-Einschätzung seien die tatsächlichen Funktionseinschränkungen, die sich im Knie hauptsächlich durch Verminderung der Beweglichkeit, unphysiologische Zunahme der Beweglichkeit (Überstreckbarkeit, Wackelbeweglichkeit, Verschiebbarkeit oder Bereitschaft zu Teilverrenkungen) und Schmerzhaftigkeit (bei objektiver Grundlage) zeigten. Unter Berücksichtigung der von den Gutachtern Dr. G, Dipl.-Med. J und Dr. H festgehaltenen Bewegungseinschränkungen im Bereich des rechten Kniegelenks, die im Wesentlichen übereinstimmten und insbesondere eine Beugefähigkeit von über 120° nachwiesen, sei eine MdE von 10 v. H. nicht begründbar. Eine MdE von 10 v. H. sei nach den Erfahrungswerten in der Fachliteratur (z. B. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 654) nämlich erst bei einer Beweglichkeitseinschränkung in Form einer Beugeeinschränkung bis 120° anzusetzen. Eine Instabilität, die eventuell ebenfalls eine MdE von wenigstens 10 v. H. bedingen könnte, liege nach den überzeugenden Ausführungen des Dr. H gerade nicht vor. Dieser habe ausgeführt, dass allenfalls eine leichte Lockerung des Kniebandapparates nach vorderer Kreuzbandplastik bestehe, die jedoch noch im normalen Bereich liege. Dies werde bestätigt durch die Feststellungen des Dr. G seinem im Verwaltungsverfahren erstellten Gutachten. Auch Dipl.-Med. J habe in dem Operationsbericht vom 27. Januar 2009 festgehalten, der Kreuzbandersatz erscheine ausreichend stabil und anatomisch inserierend. Schließlich liege zur Überzeugung der Kammer auch keine Arthrose im rechten Kniegelenk vor. Dr. H habe unter ausführlicher Auseinandersetzung mit den vorliegenden radiologischen Aufnahmen dargelegt, eine Arthrose sei weder auf den Aufnahmen von 1995 noch auf denjenigen vom 08. August 2006 noch auf denjenigen vom 14. Oktober 2008 erkennbar. Die Einschätzung des Dipl.-Med. J sei hierdurch widerlegt.

Mit seiner hiergegen bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) erhobenen Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren fort. Er hält das Gutachten des Dr. H weder für schlüssig noch für nachvollziehbar. Bei ihm liege sowohl eine Arthrose als auch eine Lockerung des Kniebandapparates vor. Aufgrund der Unfallfolgen könne er seinen erlernten Beruf nicht mehr ausüben.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 18. März 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 v. H. ab dem 20. Mai 2003 auf unbestimmte Zeit zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Mit Schreiben vom 19. April 2011 ist den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG gegeben worden. Mit Schreiben vom 25. Mai 2011 sind die Beteiligten erneut auf die Absicht des Gerichts, durch Beschluss zu entscheiden, hingewiesen worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat konnte nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG entscheiden, denn er hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Ihm steht, wie das SG zutreffend entschieden hat, eine Verletztenrente nach einer MdE von 10 v. H. wegen der Folgen des anerkannten Arbeitsunfalls vom 23. Mai 1995 nicht zu.

Nach § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigsten 10 vom Hundert mindern. Versicherungsfälle sind gemäß § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle (§ 8 SGB VII) und Berufskrankheiten (§ 9 SGB VII).

Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab: Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze (z. B. in Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010 oder Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 12. Aufl. 2010 oder Rompe/Erlenkämper/Schiltenwolf/Hollo, Begutachtung der Haltungs- und Bewegungsorgane, 5. Aufl. 2009) sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG, Urteil vom 22. Juni 2004 – B 2 U 14/03 R -, zitiert nach Juris Rn. 12). Für eine Art „Risikozuschlag" oder „Gefährdungs-MdE" wegen der Prognoseunsicherheiten hinsichtlich der Entwicklung einer Krankheit ist in der auf die verminderten Arbeitsmöglichkeiten bezogenen MdE-Schätzung in der gesetzlichen Unfallversicherung kein Raum, weil auf die Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens im Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen ist und erst in Zukunft möglicherweise eintretende Schäden grundsätzlich nicht zu berücksichtigen sind (BSG a. a. O., Rn. 18). Die MdE nach den Erfahrungssätzen schließt eine schmerzbedingte Bewegungseinschränkung ebenso mit ein wie die erfahrungsgemäßen Begleitschmerzen einer körperlichen Funktionseinschränkung (vgl. u. a. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O. 5.5.10 S. 221). Letztlich ist die Bewertung der MdE jedoch als Rechtsfrage durch das erkennende Gericht durchzuführen, wobei das Gericht sich der Mitwirkung eines fachkundigen Arztes versichern darf (vgl. schon BSG in SozR 2200 § 581 Nr. 5 m. w. N.).

Dies zugrunde gelegt bestehen im vorliegenden konkreten Fall anhand der von den im Laufe des Verfahrens involvierten Sachverständigen Dr. G (Gutachten vom 15. August 2006), Dipl.-Med. J (Gutachten vom 18. November 2008 und ergänzende Stellungnahme vom 22. April 2009) und Dr. H (Gutachten vom 03. Juli 2010 sowie ergänzende Stellungnahme vom 28. September 2010) erhobenen objektiven Befunde keine Anhaltspunkte für eine MdE von wenigstens 10 v. H. für die unfallbedingten Funktionsstörungen des rechten Kniegelenks des Klägers im Zeitraum ab dem 20. Mai 2003 (Zeitpunkt des weiteren Arbeitsunfalls).

Hierbei kann dahin stehen, ob es inzwischen aufgrund des Arbeitsunfalls vom 23. Mai 1995 zur Ausbildung einer (altersuntypischen) Arthrose im Kniegelenksbereich gekommen ist, denn maßgeblich sind – wie bereits ausgeführt – lediglich die objektivierbaren Funktionsbeeinträchtigungen. Solange eine Arthrose nicht zu messbaren Funktionseinschränkungen führt, ist diese im Rahmen der MdE-Bewertung nicht von Relevanz. Insbesondere steht die Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen des erstinstanzlichen Verfahrens Dr. H mit dem einschlägigen arbeitsmedizinischen Schrifttum im Einklang, soweit er für die unfallbedingte leichte Muskel- und Kraftminderung sowie die geringe endgradige Streck- und Beugehemmung am rechten Kniegelenk nach vorderer Kreuzbandruptur, Außenmeniskusriss und Tibiakopffraktur im hier streitgegenständlichen Zeitraum eine MdE von weniger als 10 v. H. angenommen hat (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O. 8.10.11 S. 654 sowie Mehrhoff/Meindl/Muhr, a. a. O. S. 165, wonach erst bei einer Bewegungseinschränkung des Kniegelenks bei Streckung/Beugung auf 0-0-120 oder einer muskulär kompensierten Lockerung des Kniebandapparates <Wackelknie> eine MdE 10 v. H. anzunehmen ist; noch restriktiver: Rompe/Erlenkämper/Schiltenwolf/Hollo, a. a. O. S. 721, wonach erst eine Bewegungseinschränkung des Kniegelenks auf 0-0-90 eine MdE von 10 v. H. bedingt).

Eine relevante Lockerung des Kniebandapparates hat Dr. H nachvollziehbar und schlüssig ausgeschlossen. Bei seiner Untersuchung am 07. Mai 2010 waren die Seitenbänder stabil. Der Lachman-Test (mit dem die Stabilität des vorderen Kreuzbandes geprüft wird) war einfach positiv mit endgradig festem Anschlag, der Jerk-Test sowie der Reversed pivot-shift-Test waren jedoch negativ. In der Stabilitätsprüfung der Kreuzbänder mit dem KT 1000-Arthrometer fand sich eine Differenz in der vorderen Translation zwischen rechtem und linkem Kniegelenk von 5 mm. Dies dokumentiert eine leicht gelockerte Kreuzbandersatzplastik. Eine leichte Lockerung des Kreuzbandes wird nach vorderen Kreuzbandplastiken sehr häufig festgestellt und kann bis zum einem Grad von 5 bis 6 mm akzeptiert werden. Eine höhergradige Lockerung entsprechend einer Instabilität des Kniegelenks kann hieraus jedoch nicht konstruiert werden. Dies steht in Übereinstimmung mit dem Befund im Operationsbericht vom 27. Januar 2009, wonach der Kreuzbandersatz ausreichend stabil und anatomisch inserierend (d. h. am Knochen ansetzend) erschien. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass der Kläger bei den Gutachtern Dr. G und Dr. H jeweils in der Lage war, vollständig die tiefe Hocke einzunehmen, Zehen- und Hackengang beidseits vorzuführen sowie beidseits in den Einbeinstand zu gehen. Auch das Gangbild war jeweils frei und ohne hinkende oder unsichere Komponente. Dies gilt weitgehend auch für die Untersuchung durch Dipl.-Med. J; hier war lediglich die tiefe Hocke rechts nicht vollständig durchführbar. Mag der Kläger zwar ein Instabilitätsgefühl haben, so folgt daraus aber keine objektive pathologische Lockerung des Kniebandapparates.

Dass nach alldem eine mindestens 10 v. H. betragende MdE ausgeschlossen ist, hat bereits das Sozialgericht im angefochtenen Urteil vom 18. März 2011 sehr ausführlich und überzeugend ausgeführt, so dass entsprechend § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der rechtlichen Begründung abgesehen wird.

Nach alldem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.