Gericht | SG Potsdam 35. Kammer | Entscheidungsdatum | 13.12.2010 | |
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Aktenzeichen | S 35 AS 2634/10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Gerichtsbescheid | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 38 SGB 2 |
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Notwendige außergerichtliche Kosten der Kläger sind nicht zu erstatten.
Die Kläger begehren mit der Untätigkeitsklage eine Bescheidung des gestellten Weiterbewilligungsantrages für Leistungen der Grundsicherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ab März 2010.
Die Klägerin zu 1) lebt in Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Partner, Herrn M R und ihren Kindern. Sie erhalten laufende Leistungen der Grundsicherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Sowohl die Klägerin zu 1) als auch der Partner stellten jeweils nach Ablauf eines Bewilligungszeitraumes einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II. Der Beklagte bewilligte der Bedarfsgemeinschaft der Kläger auf den Antrag des Partners vom 26. Januar 2010 hin mit Bewilligungsbescheid vom 01. Februar 2010 Leistungen in Höhe von monatlich 1253,33 Euro ab 01. März 2010 bis 31. August 2010. In dem Bescheid sind die individuellen Leistungen der Kläger und des Partners aufgeführt. Die Überweisung erfolgt getrennt nach Kosten der Unterkunft und Regelleistungen, wobei Herr R die Kosten der Unterkunft für alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft erhält, die Klägerin zu 1) sämtliche Regelleistungen aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft. Einen weiteren Bewilligungsbescheid an die Kläger aufgrund des Antrags vom gleichen Tag der Klägerin zu 1) erließ der Beklagte nicht. Den Bescheid vom 1. Februar 2010 gab der Beklagte mit Anschreiben vom 2. Februar 2010 der Klägerin zu 1) zur Kenntnis.
Die Kläger haben am 13. August 2010 Untätigkeitsklage vor dem Sozialgericht Potsdam erhoben. Sie tragen vor, sie hätten lediglich den an Herrn R adressierten Bewilligungsbescheid ab März 2010 zur Kenntnis erhalten, nicht jedoch eine Bescheidung auf ihren Antrag hin. Die Auszahlung der Leistungen erfolge nicht individuell, so dass ein Ausgleich innerhalb der Bedarfsgemeinschaft vorgenommen werden müsse. Sie tragen vor, eigenständig ihre Interessen vertreten zu wollen und über ihre Leistungen verfügen zu wollen.
Die Kläger beantragen,
den Beklagten zu verurteilen, den Weiterbewilligungsantrag der Kläger für Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01. März 2010 bis 31. August 2010 zu bescheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, Untätigkeit des Beklagten liege nicht vor, da die Kläger die begehrten Bewilligungsbescheide erhalten hätten. Der Bewilligungsbescheid enthalte Einzelverfügungen für sämtliche Kläger, individuell ermittelt und aufgeschlüsselt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten ergänzend Bezug genommen.
Das Gericht konnte über die Klage ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde, § 105 SGG.
1) Die Klage hat keinen Erfolg.
Eine Untätigkeitsklage ist nach § 88 Abs. 1 S. 1 SGG zulässig, wenn seit der Stellung des Antrags auf Vornahme eines Verwaltungsaktes 6 Monate vergangen sind, und sie ist begründet, wenn der Antrag ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden ist (Bundessozialgericht, Urteil vom 11.11.2003, AZ. B 2 U 36/02 R).
Die 6-Monats-Frist seit Stellung des Antrages am 26. Januar 2010 bei dem Beklagten war zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 13. August 2010 abgelaufen.
Der Beklagte hat jedoch über den eingegangenen Antrag der Kläger auf Leistungen nach dem SGB II sachlich beschieden.
Zwar ist der Bewilligungsbescheid für die Kläger vom 1. Februar 2010 nicht bereits durch Bekanntgabe gegenüber Herrn R wirksam geworden. Die gesetzliche Vermutung des § 38 Abs. 1 SGB II a.F. ist widerlegt. Danach wird, soweit Anhaltspunkte dem nicht entgegenstehen, vermutet, dass die oder der erwerbsfähige Hilfebedürftige bevollmächtigt ist, Leistungen nach diesem Buch auch für die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen zu beantragen und entgegenzunehmen. Gem. Satz 2 gilt die Vermutung zugunsten der Antrag stellenden Person, wenn mehrere erwerbsfähige Hilfebedürftige in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Die Kläger und der in der Bedarfsgemeinschaft lebende Partner der Klägerin zu 1) haben mit eigenständigen Anträgen auf Leistungen nach dem SGB II und wiederkehrenden Erklärungen zum Antrag und in Widersprüchen ausdrücklich mitgeteilt, ihre Ansprüche selbst wahrnehmen zu wollen. Eine darüber hinaus gehende Begründung bedarf es zur Widerlegung der Bevollmächtigung nicht.
Jedoch hat der Beklagte den Bewilligungsbescheid mit Schreiben vom 2. Februar 2010 der Klägerin zu 1) für sich und ihre Kinder übermittelt. Nach der 3-Tages-Fiktion galt der Bescheid damit am 5. Februar 2010 als bekannt gegeben. Die Übermittlung des Inhalts des an Herrn R adressierten Bewilligungsbescheides genügte nach Überzeugung der Kammer für eine wirksame Bekanntgabe. Gem. § 37 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Richtet sich der Verwaltungsakt an mehrere Beteiligte, so wird er jedem Einzelnen gegenüber nur dann und erst zu dem Zeitpunkt wirksam, zu dem er ihm bekannt gegeben wird. Für die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes ist es ausreichend, aber auch erforderlich, dass die Behörde willentlich dem Adressaten von seinem Inhalt Kenntnis verschafft (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.07.1967, AZ. VII C 175/64, zitiert unter www.juris.de). Ist ein Bescheid ausdrücklich nur an den eigentlichen Adressaten gerichtet, wird sein Regelungsinhalt aber zugleich einem davon Betroffenen in der Absicht zugeleitet, dass auch dieser davon Kenntnis nimmt, liegt darin auch eine Bekanntgabe, auch bei Übermittlung einer Kopie (vgl. BSG, Urteil vom 17.09.2008, AZ. B 6 KA 28/07 R). Dies ist hier erfolgt. Mit Zuleitung des Bescheides an die Klägerin zu 1) in der Absicht, vom Inhalt Kenntnis zu verschaffen, galt dieser ihr und der von ihr allein gesetzlich vertretenen Kindern gegenüber als bekannt gegeben. Aus dem Verfügungssatz und den Anlagen zum Bewilligungsbescheid ergeben sich die individuell den Klägern bewilligten Leistungen. Diese Verfügungen innerhalb des Bescheides sind eigenständige Verwaltungsakte, die von den betroffenen Personen auch getrennt voneinander angreifbar sind (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2008, AZ. B 14 AS 55/07 R zum Anspruch auf individuelle Leistungen der Personen einer Bedarfsgemeinschaft). Mit wirksamer Bekanntgabe des Bewilligungsbescheides begann die Rechtsbehelfsfrist zu laufen.
Entgegen der Auffassung der Kläger war eine getrennte Bescheidung des Antrags allein der Kläger und Adressierung an diese nicht erforderlich. Ein Fall der vorgeschriebenen förmlichen Zustellung liegt nicht vor. Gem. § 1 Abs. 2 Verwaltungszustellungsgesetz für das Land Brandenburg (BbgVwZG) wird zugestellt, soweit dies durch Rechtsvorschrift oder behördliche Anordnung bestimmt ist. In diesem Fall wäre bei mehreren Adressaten eines Bescheides die Übergabe des Schriftstückes in Form einer Ausfertigung erforderlich (vgl. Engelmann in von Wulffen, Kommentar zum SGB X, 7. Auflage 2010, Rd. 9 zu § 37). Für Bescheide über die Bewilligung oder Ablehnung von Leistungen nach dem SGB II sieht das Gesetz die Zustellung nicht vor.
2) Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.