Gericht | FG Berlin-Brandenburg 5. Senat | Entscheidungsdatum | 28.02.2011 | |
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Aktenzeichen | 5 K 5210/08 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 169 AO, § 170 AO, § 181 AO, § 10d EStG |
Die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags ist nach § 10d Abs. 4 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 auch dann unter Anwendung des § 181 Abs. 5 AO möglich, wenn die Feststellungsfrist zwar bereits abgelaufen ist, die Feststellung aber für eine Steuerfestsetzung oder eine Feststellung Bedeutung hat, für die die Festsetzungsfrist zum Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist. Ist für den Veranlagungszeitraum, auf den der festzustellende Verlust vorzutragen wäre, bereits Festsetzungsverjährung eingetreten, so ist ein Sollverlustabzug durchzuführen, bei dem der Verlust (trotz der eingetretenen Verjährung) um die im Rahmen des Verlustausgleichs abziehbaren Beträge zu vermindern ist. Wird der Verlust dabei aufgezehrt, so muss die ursprünglich begehrte Feststellung unterbleiben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Der Kläger wohnte ursprünglich in M. In der Zeit vom 15.10.1991 bis zum 2.12.1996 studierte er an der Universität O. Den Weg dorthin legte er mit seinem PKW zurück. Im Jahr 1994 absolvierte er ein Auslandssemester in den USA. Einkommensteuererklärungen gab er nach Aktenlage erstmals für den Veranlagungszeitraum 1999 ab. Diese ging am 22.5.2000 beim damals zuständigen Finanzamt A ein. Dieses setzte die Einkommensteuer 1999 zuletzt mit Bescheid vom 2.10.2001 fest. Dabei ergab sich ein zu versteuerndes Einkommen in Höhe von 66.927,00 DM. Die Einkommensteuererklärung 2000 ging am 8.11.2001 ebenfalls beim Finanzamt A ein, welches den Einkommensteuerbescheid 2000 am 13.12.2001 erließ, ausgehend von einem zu versteuernden Einkommen in Höhe von 52.093,00 DM. Auf die in den beigezogenen Steuerakten befindlichen Bescheide wird Bezug genommen.
Mit dem am 5.12.2006 beim zu diesem Zeitpunkt zuständigen Finanzamt B eingegangenen Schreiben vom 2.12.2006 beantragte der Kläger die Feststellung von Verlusten für die Jahre 1991-1996 (Bl. 26 der beigezogenen Rechtsbehelfsakte). Er berief sich auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, wonach Studienkosten nachträglich als Werbungskosten anerkannt werden könnten, falls keine Steuererklärungen für diese Jahre abgegeben worden seien. Die Verluste setzten sich aus Fahrtkosten zwischen M und O sowie Studienkosten für das Auslandssemester in den USA zusammen. Der Kläger fügte dem Schreiben Erklärungen für die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags für die Jahre 1991-1995 bei, aus denen sich folgende Verluste ergaben: 1991: 3.556,00 DM, 1992: 13.320,00 DM, 1993: 13.320,00 DM, 1994: 14.910,00 DM und 1995: 14.120,00 DM (Bl. 44 ff. der beigezogenen Rechtsbehelfsakte). Das Finanzamt B lehnte den Antrag mit Bescheid vom 18.12.2006 ab (Bl. 24 der beigezogenen Rechtsbehelfsakte). Den am 16.1.2007 eingegangenen Einspruch (Bl. 23 der beigezogenen Rechtsbehelfsakte) wies der inzwischen zuständig gewordene Beklagte mit der Einspruchsentscheidung vom 30.7.2008 als unbegründet zurück. Er vertrat darin die Auffassung, dass eine Verlustfeststellung nicht durchzuführen sei, weil die Verluste durch eine Verrechnung mit dem der Einkommensteuer 1999 zu Grunde liegenden zu versteuernden Einkommen verbraucht würden. Da hinsichtlich der Einkommensteuer 1999 bereits Festsetzungsverjährung eingetreten sei, könne der Bescheid nicht mehr geändert werden. Damit seien die Verlustfeststellungen für keinen anderen Steuerbescheid von Bedeutung.
Mit der Klage macht der Kläger geltend, dass der Antrag auf nachträgliche Verlustfeststellung noch für lange zurückliegende Jahre gestellt werden könne. Eine zeitliche Begrenzung gebe es jedenfalls in den Fällen nicht, in denen für die fraglichen Jahre keine Steuererklärung abgegeben und folglich keine Einkommensteuerbescheide erlassen worden seien. Die Feststellungsfrist ende wegen § 181 Abs. 5 Abgabenordnung – AO - nicht. Auch die durch § 10d Abs. 4 Satz 6 Einkommensteuergesetz – EStG – in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2007 für die Verlustfeststellung geschaffene Feststellungsverjährung sei nicht anzuwenden. Die Verluste seien im ersten Jahr zu verrechnen, dessen Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen sei. Das sei für die Veranlagungszeiträume ab 2004 der Fall.
Der Kläger beantragt,
die für die Jahre 1991-1996 erklärten Verluste unter Aufhebung des Bescheids vom 18.12.2006 und der Einspruchsentscheidung vom 30.7.2008 antragsgemäß gesondert festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er beruft sich auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.
Neben der Verfahrensakte haben dem Gericht bei der Entscheidung folgende Akten des Beklagten vorgelegen: vier Bände Einkommensteuerakten (vom Finanzamt B Bd. I und III, vom Beklagten Bd. I und IV) sowie ein Band Rechtsbehelfsakten.
Die Klage ist unbegründet. Die Ablehnung der beantragten Verlustfeststellung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO – ). Der Beklagte hat die begehrte Verlustfeststellung zutreffend abgelehnt.
Gemäß § 10d Abs. 3 Satz 1 EStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung ist am Schluss eines Veranlagungszeitraums der verbleibende Verlustabzug durch Bescheid gesondert festzustellen. Diese Verlustfeststellung ist auch dann möglich, wenn die Feststellungsfristen gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit §§ 169 ff. AO zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits abgelaufen sind. Denn nach § 181 Abs. 5 Satz 1 AO kann eine gesonderte Feststellung auch nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist insoweit erfolgen, als die gesonderte Feststellung für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist (vergleiche Bundesfinanzhof – BFH – Urteil vom 10.7.2008 – X R 90/07, Bundessteuerblatt – BStBl. – II 2009, 816; Urteil vom 19.8.2008 – IX R 89/07, BFH/NV 2009, 762, jeweils zugleich zur Nichtanwendung des § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2007). Das gilt auch dann, wenn die gesonderte Feststellung Grundlagenbescheid für einen weiteren Feststellungsbescheid ist, etwa einen Verlustfeststellungsbescheid nach § 10d Abs. 3 Satz 1 EStG (BFH, Urteil vom 12.6.2002 – XI R 26/01, BStBl. II 2002, 681, 682).
Die Voraussetzungen des § 181 Abs. 5 Satz 1 AO sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt, weil die von dem Kläger begehrten Feststellungen nicht für Steuerfestsetzungen oder Feststellungsbescheide von Bedeutung sind, für die die Festsetzungsfrist zum Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist. Nach § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG sind Verluste, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden, zunächst zurückzutragen. Ist dies nicht möglich, weil der Steuerpflichtige – wie hier – in den Vorjahren keine steuerpflichtigen Einkünfte erzielt hatte, so sind die nicht ausgeglichenen Verluste nach § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG in den folgenden Veranlagungszeiträumen wie Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen. Bis einschließlich zum Veranlagungszeitraum 1998 war ein solcher Verlustvortrag für den Kläger nicht möglich, weil er bis dahin keine der Besteuerung unterliegenden Einkünfte erzielt hatte. Einkommensteuererklärungen liegen für diese Zeiträume nicht vor. Damit wäre erstmals ein Verlustabzug im Veranlagungszeitraum 1999 möglich gewesen. Der Einkommensteuerbescheid 1999 vom 2.10.2001 war jedoch bereits zum Zeitpunkt der Beantragung der Verlustfeststellung nicht mehr änderbar. Eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung sind nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Die Festsetzungsfrist beträgt gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 für Steuern und Steuervergütungen, die keine Verbrauchsteuern und Verbrauchsteuervergütungen sowie keine Einfuhr- und Ausfuhrabgaben sind, vier Jahre. Sie beginnt in den Fällen, in denen eine Steuererklärung oder eine Steueranmeldung einzureichen ist, nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung eingereicht wird. Der Kläger hatte die Einkommensteuererklärung 1999 am 22.5.2000 eingereicht. Die Festsetzungsfrist begann damit mit Ablauf des Jahres 2000 zu laufen und endete mit Ablauf des Jahres 2004.
Die Nichtänderbarkeit des Einkommensteuerbescheides 1999 hat entgegen der Auffassung des Klägers nicht zur Folge, dass die festzustellenden Verluste in den nächsten noch offenen Veranlagungszeitraum vorzutragen sind. Da der Verlustausgleich im Veranlagungszeitraum 1999 wegen der eingetretenen Festsetzungsverjährung nicht möglich ist, hätte der zum 31.12.1999 verbleibende Verlustvortrag nach § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 erneut festgestellt werden müssen. Nach § 10d Abs. 4 Satz 2 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 wäre der Verlust dabei um die im Rahmen des Verlustausgleichs abziehbaren Beträge zu vermindern gewesen, und zwar unabhängig davon, ob der Verlustausgleich tatsächlich durchgeführt worden ist oder ob er – wie im vorliegenden Fall wegen des Eintritts der Festsetzungsverjährung – nicht möglich war (so genannter Sollverlustabzug, vergleiche dazu die ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, z.B. BFH, Urteil vom 22.2.2005 – VIII R 89/00, BStBl. II 2005, 624 unter II.2.a; Urteil vom 2.8.2006 – XI R 65/05, BStBl. II 2007,921 unter 2.; Urteil vom 11.7.2007 – XI R 25/05, BFH/NV 2007, 2261 unter II.1.; Finanzgericht – FG – Köln, Urteil vom 11.6.2010 – 15 K 914/08, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2010, 1999).
Berechnet man den auf den 31.12.1999 verbleibenden Verlustvortrag entsprechend der vorstehenden Ausführungen, so verbleibt kein festzustellender Verlust. Der Kläger hat für die Jahre 1991-1995 Verluste in Höhe von 59.226,00 DM geltend gemacht. Diese wären in vollem Umfang mit dem bei der Festsetzung der Einkommensteuer 1999 errechneten zu versteuernden Einkommen in Höhe von 66.927,00 DM zu verrechnen. Dass hierüber hinaus weitere Verluste zu berücksichtigen sind, vermag das Gericht nicht zu erkennen. Der Kläger hat zwar auch eine Verlustfeststellung für das Jahr 1996 begehrt, ohne den Verlust aber im Einzelnen zu beziffern. Selbst wenn man jedoch - im Schätzungswege - für das Jahr 1996 einen ähnlich hohen Verlust wie für die Vorjahre ansetzen wollte, so wäre die begehrte Feststellung gleichwohl nicht für Steuerfestsetzungen oder Feststellungsbescheide von Bedeutung, für die die Festsetzungsfrist zum Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist. Es ergäbe sich dann zwar möglicherweise ein auf den 31.12.1999 festzustellender Verlust. Dieser wäre auf das Jahr 2000 vorzutragen, wo er angesichts des zu versteuernden Einkommens von 52.093,00 DM verrechnet würde. Zu einer Änderung der Einkommensteuerfestsetzung für das Jahr 2000 würde der erneute Verlustvortrag jedoch nicht führen, weil die Festsetzungsfrist ebenfalls bereits zum Zeitpunkt der Beantragung der Verlustfeststellung abgelaufen war. Der Kläger hatte die Einkommensteuererklärung 2000 am 8.11.2001 eingereicht. Die vierjährige Festsetzungsfrist begann damit mit Ablauf des Jahres 2001 zu laufen und endete mit Ablauf des Jahres 2005. Ein weiterer Verlustfeststellungsbescheid auf den 31.12.2000 wäre damit nicht zu erlassen.
Da die begehrten Feststellungsbescheide weder für eine Steuerfestsetzung noch eine (weitere) Feststellung, für die die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist, von Bedeutung ist, liegen die Voraussetzungen des § 181 Abs. 5 AO nicht vor. Die Klage konnte daher keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.