Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 12. Senat | Entscheidungsdatum | 27.07.2011 | |
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Aktenzeichen | OVG 12 S 2.11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 6 Abs 1 GG, § 1674 BGB, § 1678 Abs 2 BGB, § 5 Abs 2 S 2 AufenthG, § 32 Abs 3 AufenthG, § 32 Abs 4 AufenthG, § 39 Nr 3 AufenthV |
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 5. Januar 2011 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde tragen die Antragsteller.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5 000 EUR festgesetzt.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, das nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO den Umfang der Überprüfung durch das Oberverwaltungsgericht bestimmt, rechtfertigt keine Aufhebung oder Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses.
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Antragsteller für den hier erstrebten Kindernachzug ohne die erforderlichen Visa eingereist sind und den jeweiligen Aufenthaltstitel mangels eines nach Einreise entstandenen Nachzugsanspruchs auch nicht ausnahmsweise gemäß § 39 Nr. 3 AufenthV im Bundesgebiet einholen können. Der Vater der Antragsteller ist nicht allein personensorgeberechtigt im Sinne von § 32 Abs. 3 AufenthG. Das Tatbestandsmerkmal ist gemeinschaftsrechtlich auszulegen. Alleinige Personensorge im Sinne von § 32 Abs. 3 AufenthG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c der Familienzusammenführungsrichtlinie (Richtlinie 2003/86/ EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung, ABl. L 251/12) besitzt ein Elternteil nur, wenn dem anderen Elternteil bei der Ausübung des Sorgerechts keine substantiellen Mitentscheidungsrechte und -pflichten zustehen, etwa in Bezug auf Aufenthalt, Schule und Ausbildung oder Heilbehandlung des Kindes. Ob dies der Fall ist, richtet sich gemäß Art. 21 EGBGB nach dem Recht des Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Auf deutsches Recht kommt es insoweit nicht an (vgl. zu alledem BVerwG, Urteil vom 7. April 2009, BVerwGE 133, 329 ff., Rz. 12 ff.; BVerwG, Urteil vom 1. Dezember 2009 – 1 C 32.08 -, juris, Rn. 16 f).
Gemessen daran ist das Verwaltungsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 7. Dezember 2010 – OVG 12 B 29.09 – juris, Rn. 24 ff.) zutreffend davon ausgegangen, dass die Übertragung des Sorgerechts für ein minderjähriges Kind nach Art. 80 Abs. 1 und Abs. 4 des Familiengesetzes Nr. 4828 vom 15. Dezember 1992 in der Fassung vom 8. Februar 1996 (FamG 1996, Bergmann/Ferid/Heinrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderteil Mazedonien, 132. Lieferung 1998, S. 43 ff.) auf einen Elternteil keine alleinige Personensorge im Sinne von § 32 Abs. 3 AufenthG begründet. Dem nichtsorgeberechtigten anderen Elternteil verbleiben bei Sorgerechtsübertragungen nach diesen Bestimmungen des Familiengesetzes zumindest nach der mazedonischen Rechtspraxis substantielle Mitentscheidungsrechte und –pflichten (etwa das Recht zur Aufenthaltsbestimmung). Dass der Mutter der Antragsteller die ihr zustehenden Rechtspositionen etwa wegen Vernachlässigung der Kinder aberkannt oder entzogen worden wären (vgl. Art. 90 Abs. 1 FamG 1996), lässt sich dem Scheidungsurteil vom 29. April 2004 ebenso wenig wie dem Beschwerdevorbringen entnehmen. Mit dem Scheidungsurteil sind die Antragsteller ihrem seit 2002 in Deutschland lebenden Vater lediglich „zur Pflege, Erziehung und Ganzunterhalt“ anvertraut worden. Dies entspricht – wie die Antragsteller im Ausgangs- und Beschwerdeverfahren selbst einräumen – nicht der alleinigen Personensorge im deutschen Recht. Darauf, dass die Voraussetzungen des Art. 90 FamG 1996 für einen weitergehenden Entzug der Mitentscheidungsrechte nach Einschätzung der Prozessbevollmächtigten der Antragsteller „durchaus vorlägen“, kommt es nicht an. Entscheidungserheblich ist insoweit allein die nach mazedonischem Recht unterbliebene Alleinübertragung der Personensorge auf den Vater der Antragsteller.
Weder der Hinweis der Antragsteller auf den Beschluss des VGH Kassel vom 24. Januar 2011 - 7 B 2488/10 – (juris) noch der nach Ablauf der Beschwerdefrist vorgelegte Beschluss des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 4. Februar 2011 – 168 FH 4/11 – führen zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung. Eine Entscheidung „eines ausländischen (hier mazedonischen) Gerichts“, durch die „ein kraft ausländischen Gesetzes bestehendes gemeinsames Sorgerecht…in einer Weise modifiziert wird, die dem anderen Elternteil keine substantiellen Mitentscheidungsrechte und –pflichten belässt“, liegt hier – wie dargelegt – nicht vor. Soweit das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg auf Antrag des Vaters der Antragsteller das Ruhen der elterlichen Sorge beschlossen hat (§ 1674 BGB), bezieht sich dies ausschließlich auf die vorübergehende Alleinausübung der Sorge infolge eines festgestellten tatsächlichen Hindernisses, ändert hingegen nichts an der nach mazedonischer Rechtslage zu beurteilenden Rechtsposition der Mutter der Antragsteller in Bezug auf ihre nach mazedonischem Familiengesetz fortbestehenden Mitentscheidungsrechte und -pflichten. Eine konstitutive Übertragung der alleinigen Personensorge ist nicht Gegenstand eines Ruhensbeschlusses (vgl. § 1678 BGB). Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob der allein mit Blick auf die „tatsächliche() Verhinderung“ ausdrücklich ohne Anhörung der Antragsteller ergangene Beschluss überhaupt geeignet wäre, die alleinige Personensorge wirksam zu übertragen (vgl. dazu ebenfalls das Urteil des Senats vom 7. Dezember 2010 – OVG 12 B 29.09 – juris, Rn. 43 ff.).
Im Übrigen wird auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen (§ 122 Abs. 3 Satz 2 VwGO). Entgegen der Beschwerde ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen, von der Nachholung des Visumsverfahrens abzusehen (§ 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG), nicht vorliegen. Mit Blick auf die erneut betonten gesundheitlichen Probleme der 80-jährigen Großmutter der Antragsteller kann das Vorliegen einer besonderen Härte neben den erstinstanzlich zu Recht angeführten Gründen (Beschlussabdruck S. 3 f.) schon deshalb nicht festgestellt werden, weil die Änderung der Lebensverhältnisse in Mazedonien nicht unvorhersehbar gewesen sein dürfte, als der Vater der Antragsteller im Jahre 2002 nach Deutschland gezogen ist und seine Kinder zurückgelassen hat (zu diesen Anforderungen vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. Januar 1994 – 1 B 181.93 -, juris, Rn. 3, und vom 24. Oktober 1996 – 1 B 180.96 -, juris, Rn. 5). Dies gilt gleichermaßen für die Betreuungssituation im 7-köpfigen Haushalt des Onkels der Antragsteller. Schließlich führt auch der Umstand, dass die Antragsteller seit ihrer Einreise bei ihrem Vater wohnen und in Deutschland die Schule besucht haben, nicht von vorneherein zur Unzumutbarkeit der Nachholung des erforderlichen Visumsverfahrens. Die damit regelmäßig nur verbundene vorübergehende familiäre Trennung steht vielmehr im Einklang mit Art. 6 Abs. 1 GG. Dass – wie die Beschwerde behauptet - die „begonnene Integration…durch die erzwungene Rückführung“ der Antragsteller, die im Übrigen beide bis Juni 2010 ihr gesamtes Leben in Mazedonien verbracht haben, „vollständig zunichte gemacht“ werde, ist nicht ersichtlich. Allein die kurzfristige Rückkehr zur Nachholung des Visumsverfahrens gefährdet nicht bereits erreichte Integrationsleistungen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).