Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 10. Senat | Entscheidungsdatum | 28.06.2011 | |
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Aktenzeichen | OVG 10 N 47.09 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 162 Abs 2 S 2 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 80 Abs 2 VwVfG |
Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 7. April 2009 wird abgelehnt.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Beklagte.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 236,35 EUR festgesetzt.
I.
Der Beklagte wehrt sich mit dem Zulassungsantrag gegen die ihm durch Urteil vom 7. April 2009 vom Verwaltungsgericht auferlegte Verpflichtung, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären. Gegenstand des Vorverfahrens war der Gebührenbescheid vom 21. August 2006, mit dem der Beklagte unter Bezugnahme auf das Gesetz über Gebühren und Beiträge vom 22. Mai 1957 (GVBl. S. 516) in Verbindung mit der Tarifstelle 2034 c) der Verordnung über die Erhebung von Gebühren im Bauwesen vom 31. Juli 2001 (GVBl. S. 326) - BauGebO -, jeweils in der zuletzt gültigen Fassung, eine Gebühr für die Erteilung einer Befreiung vom zulässigen Maß der baulichen Nutzung in Höhe von 3.836 EUR erhoben und deren Überweisung innerhalb von vier Wochen gefordert hatte. Der Bescheid nahm auf eine entsprechende Ankündigung im Schreiben vom 6. Juni 2006 Bezug und enthielt den Hinweis, dass die Änderung der zwischenzeitlich überarbeiteten Rechtsgrundlage für die Erhebung der Befreiungsgebühren seit dem 15. Juli 2006 in Kraft sei. Zuvor hatte der Beklagte in einem Begleitschreiben vom 6. Juni 2006 zu der erteilten Befreiung gleichen Datums auf die sich aus der Tarifstelle 2034 c) Nr. 1 und Nr. 3 BauGebO ergebende Gebührenpflicht hingewiesen, aber darauf aufmerksam gemacht, dass sich die vorgenannte Tarifstelle „aufgrund der aktuellen Rechtsprechung … derzeit beim Gesetzgeber in Bearbeitung“ befinde. Die „Gebühren für die o.g. Befreiung (würden) daher zu einem späteren Zeitpunkt erhoben.“
Gegen den Gebührenbescheid vom 21. August 2006 legten die Kläger durch ihre Prozessbevollmächtigten am 21. September 2006 Widerspruch mit der Begründung ein, dass „die Vorschriften der BauGebO teilweise nicht rechtmäßig“ seien. Der Beklagte half daraufhin dem Widerspruch der Kläger mit Bescheid vom 5. Oktober 2006 ab, erklärte jedoch im Zusammenhang mit der Kostentragungspflicht des Beklagten die Zuziehung eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren für nicht notwendig. Der dagegen gerichteten Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 7. April 2009 stattgegeben.
Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung ist auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützt. Die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren sei nicht notwendig gewesen, weil die Kläger im vorliegenden Fall auch ohne anwaltliche Unterstützung und ohne besondere Vorkenntnisse Widerspruch gegen den Gebührenbescheid vom 21. August 2006 hätten einlegen können. Schließlich sei in dem Begleitschreiben vom 6. Juni 2006 zu dem Befreiungsbescheid bereits auf die aktuelle Rechtsprechung und die dadurch ausgelöste Überarbeitung der Baugebührenordnung hingewiesen worden, die einer Erhebung von Befreiungsgebühren im Baugenehmigungsverfahren zum damaligen Zeitpunkt entgegengestanden habe. Den Klägern hätte es ohne weiteres möglich sein müssen, das veröffentlichte Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 22. Juni 2005 - OVG 2 B 7.05 - zu beschaffen, das mit dem Hinweis auf die aktuelle Rechtsprechung gemeint gewesen sei. Aus dieser Entscheidung hätten sie zumindest im Ergebnis entnehmen können, dass die Tarifstelle 2034 c) Nr. 1 und 3 BauGebO einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage entbehrte und damit nichtig war, ohne die für einen Laien schwer verständliche juristische Argumentation nachvollziehen zu müssen. Die Rechtsfragen seien damit zum Zeitpunkt des Erlasses des Gebührenbescheids bereits geklärt gewesen. Anhand dieser Entscheidung hätten die Kläger auch erkennen können, dass die inzwischen für ihr Verfahren zuständig gewordene Sachbearbeiterin bei der Gebührenerhebung mit Bescheid vom 21. August 2006 irrtümlich davon ausgegangen sein musste, dass mit dem Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Gebühren und Beiträge vom 6. Juli 2006 (GVBl. S. 713) am 15. Juli 2006 alle Hindernisse für die Gebührenerhebung ausgeräumt worden seien. Sie könnten sich nicht auf eigene Unkenntnis berufen, weil sie sich die Fachkenntnisse des von ihnen beauftragten Architekten zurechnen lassen müssten. Schließlich sei es um Fragen der Gebührenerhebung im Baugenehmigungsverfahren gegangen, deren Kenntnis zu den Kernaufgaben eines Architekten gehöre.
II.
Der auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Gemessen an seinen Einwendungen bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass das Verwaltungsgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat. Sein Vorbringen ist nicht geeignet, einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des angefochtenen Urteils mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage zu stellen (vgl. zum Maßstab BVerfG, Beschluss vom 21. Dezember 2009 - 1 BvR 812/09 -, NVwZ 2010, 1062, juris RNr. 16).
Die Wertung des Verwaltungsgerichts, dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren notwendig war, begegnet danach keinen rechtlichen Bedenken. Gemäß § 80 Abs. 2 VwVfG bzw. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO ist die Erstattungsfähigkeit von Kosten eines Bevollmächtigten im Vorverfahren - anders als die von Anwaltskosten im gerichtlichen Verfahren (§ 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO) - nicht automatisch, sondern je nach Lage des Einzelfalls nur unter der Voraussetzung der konkreten Notwendigkeit anzuerkennen. Das bedeutet nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren unter Würdigung der jeweiligen Verhältnisse vom Standpunkt einer verständigen Partei aus zu beurteilen ist. Maßgebend ist hierbei, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. Notwendig ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nur dann, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeiten der Sache nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen (BVerwG, Urteil vom 28. April 2010 - BVerwG 6 B 46/09 -, juris RNr. 6 m. w. N.; Beschluss vom 21. August 2003 - BVerwG 6 B 26/03 -, NVwZ-RR 2004, 5, juris RNr. 6). Bei der Beurteilung der Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren und damit der Erstattungsfähigkeit dieser Kosten ist einerseits dem Ausnahmecharakter der gesetzlichen Regelung Rechnung zu tragen, andererseits aber auch die wirtschaftliche Bedeutung der Sache für die Kläger in Betracht zu ziehen. Zu berücksichtigen ist dabei auch die Art und Intensität der Rechtsbeziehung zwischen Bürger und Behörde und die Frage, ob der Schwerpunkt des Streits eher im rechtlichen oder im tatsächlichen Bereich liegt (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 21. Januar 2000 - F 1 S 224/99 - NVwZ-RR 2000, 842 m. w. N.). Das Verwaltungsgericht hat diese Maßstäbe seiner Beurteilung, ob im konkreten Fall die Zuziehung der Bevollmächtigten der Kläger notwendig war, zugrunde gelegt. Aus dem Zulassungsvorbringen ergibt sich nicht, inwieweit dies in Bezug auf den konkreten Fall fehlerhaft gewesen sein soll.
1. Für die Beurteilung der Frage, ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren im Sinne des § 80 Abs. 2 VwVfG bzw. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO notwendig war, kommt es darauf an, wie sich die Situation zum Zeitpunkt der Bevollmächtigung ihrer Rechtsanwälte für die Kläger darstellte. Die Einnahme dieser Perspektive ist Teil der Einzelfallprüfung, die eine gewisse Subjektivierung des Beurteilungsmaßstabes voraussetzt (BVerwG, Beschluss vom 21. August 2003, a.a.O., juris RNr. 6). Danach ließ der Gebührenbescheid vom 21. August 2006 zunächst weder in formeller noch in materieller Hinsicht Raum für rechtliche Zweifel an der Gebührenerhebung, zumal er anknüpfend an das Begleitschreiben vom 6. Juni 2006 die Zusatzinformationen enthielt, dass die Rechtsgrundlage für die Erhebung der Befreiungsgebühren zwischenzeitlich überarbeitet worden und am 15. Juli 2006 in Kraft getreten sei. Das Begleitschreiben, in dem auf die sich aus der Tarifstelle 2034 c) Nr. 1 und Nr. 3 BauGebO ergebende Gebührenpflicht der Kläger hingewiesen, aber darauf aufmerksam gemacht wurde, dass sich die vorgenannte Tarifstelle „aufgrund der aktuellen Rechtsprechung beim Gesetzgeber in Bearbeitung“ befinde, machte mit dieser vorsichtigen Formulierung nicht hinreichend deutlich, dass es für die Gebührenerhebung zu dieser Zeit keine Rechtsgrundlage gab und schon gar nicht, warum dies der Fall war. Vielmehr wurde darin die Gebührenpflichtigkeit der erteilten Befreiung bestätigt und die Gebührenerhebung nur zu einem späteren Zeitpunkt angekündigt. Hinzu kommt, dass der Beklagte noch nicht einmal die konkrete Entscheidung, aus der sich die Nichtigkeit der Gebührenerhebung ergab, in dem Begleitschreiben nannte, sondern sich auf einen Hinweis auf die „aktuelle Rechtsprechung“ beschränkte. Das Begleitschreiben konnte damit nicht als Akt fürsorglicher Aufklärung verstanden werden. Es war eher dazu angetan, die der Gebührenerhebung entgegenstehenden Umstände als „nebulös“ anzusehen. Unter diesen Umständen kann nicht erwartet werden, dass sich die Kläger die in dem Begleitschreiben nicht genannte Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 22. Juni 2005 - OVG 2 B 7.05 - selbst beschaffen würden.
Darüber hinaus ist es nicht zumutbar, von den Klägern zu verlangen, mit Hilfe der Entscheidungsgründe die gebührenrechtlichen Probleme besser zu verstehen, als offenbar der Beklagte selbst. Dass die Kläger aus dem Ergebnis des Urteils des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 22. Juni 2005 - OVG 2 B 7.05 - hätten entnehmen müssen, dass die Tarifstelle 2034 c) Nr. 1 und Nr. 3 BauGebO selbst nichtig ist und es demzufolge nicht ausreichte, allein die unzureichende Ermächtigungsgrundlage im Gesetz über Gebühren und Beiträge zu ändern - wie offenbar die Sachbearbeiterin des Beklagten bei Erlass des Gebührenbescheid vom 21. August 2006 glaubte - stellt eine Überspannung der Anforderungen an die Kläger dar. Bei dem Urteil vom 22. Juni 2005 handelt es sich nicht um ein Normenkontrollurteil, anhand dessen Tenor regelmäßig schon die Frage der Unwirksamkeit einer Norm beantwortet werden kann, sondern um eine Anfechtungsklage gegen einen Gebührenbescheid mit einem darauf bezogenen Tenor im Urteil. Dementsprechend ist ein solcher Tenor für einen Laien als Leser auf den ersten Blick nur bedingt aussagekräftig.
Darüber hinaus war die Entscheidung darauf gestützt, dass der damaligen Ermächtigungsgrundlage für die Baugebührenordnung in der Fassung der Änderungsverordnung vom 16. Oktober 2001 (GVBl. S. 562) in Verbindung mit der Tarifstelle 2034 c) Nr. 1 und Nr. 3 des Gebührenverzeichnisses - nämlich § 8 Abs. 2 des Gesetzes über Gebühren und Beiträge vom 22. Mai 1957 (GVBl. S. 516) in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 15. April 1996 (GVBl. S. 126) - der Gebührenzweck der Vorteilsabschöpfung nicht zu entnehmen war (vgl. OVG Bln, Urteil vom 22. Juni 2005, juris RNr. 34 ff.). Erst mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Gebühren und Beiträge vom 6. Juli 2006 (GVBl. S. 713) wurde dies geändert und das Gebührengesetz in § 8 Abs. 2 entsprechend ergänzt. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin (a.a.O., juris RNr. 23, 42) sah darüber hinaus in dem Fehlen einer Kappungsgrenze im Gebührenverzeichnis bei den Befreiungsgebühren einen Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip, ließ dies jedoch letztlich offen. Der Behebung dieses Mangels diente erst die Baugebührenordnung vom 19. Dezember 2006 (GVBl. S. 1150). Dass die Kläger sich diese komplizierte Rechtslage ohne anwaltliche Hilfe hätten erarbeiten und daraus weitergehende rechtliche Erkenntnisse hätten schöpfen können als der Beklagte und dessen zuständige Sachbearbeiterin selbst, kann ernstlich nicht erwartet werden, zumal der Gebührenbescheid vom 21. August 2006 auch noch vorgab, seiner Gebührenerhebung die überarbeitete Fassung der Baugebührenordnung zu Grunde gelegt zu haben. Auch die vom Beklagten verlangte Zurechnung etwaiger Fachkenntnisse des von den Klägern beauftragten Architekten führt hier nicht weiter. Schließlich mussten komplizierte juristische Fragen innerhalb der dafür nur zur Verfügung stehenden Widerspruchsfrist geklärt werden, um zu entscheiden, ob Widerspruch gegen den Gebührenbescheid vom 21. August 2006 eingelegt werden soll oder nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG und entspricht der Höhe der von den Prozessbevollmächtigten der Kläger für das Vorverfahren mit Kostennote vom 23. Oktober 2006 geltend gemachten Gebühren.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).