Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 26.09.2014 | |
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Aktenzeichen | OVG 3 S 64.14 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 64 Abs 1 Verf BE, Art 80 Abs 1 GG, § 28 Abs 6 S 1 Nr 3 SchulG BE, § 2 Abs 6 S 2 GymOV BE |
§ 2 Abs. 6 Satz 2 der Verordnung über die gymnasiale Oberstufe, wonach ein Wechsel von der gymnasialen Oberstufe in der zweijährigen Form zur gymnasialen Oberstufe in der dreijährigen Form nur am Ende des ersten Kurshalbjahres zulässig ist, beruht auf einer hinreichenden Ermächtigungsgrundlage (vgl. § 28 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 SchulG n.F.) und ist mit höherrangigem Recht vereinbar.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 22. August 2014 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsteller.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 EUR festgesetzt.
I.
Der Antragsteller, der derzeit die (zweijährige) Oberstufe eines Gymnasiums besucht und dort das erste Jahr der zweijährigen Qualifikationsphase (Jahrgangsstufe 11) erfolgreich abgeschlossen hat, begehrt einen freiwilligen Wechsel zur Integrierten Sekundarschule in die dortige (dreijährige) gymnasiale Oberstufe. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, dass § 2 Abs. 6 Satz 2 der Verordnung über die gymnasiale Oberstufe (VO-GO) einen Wechsel von der gymnasialen Oberstufe in der zweijährigen Form zur gymnasialen Oberstufe in der dreijähren Form nur am Ende des ersten Kurshalbjahres zulasse. Hiergegen wendet sich die Beschwerde.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, das nach § 146 Abs. 4 VwGO den Umfang der Überprüfung durch das Oberverwaltungsgericht bestimmt, rechtfertigt keine Aufhebung oder Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses.
Der Einwand, das Verwaltungsgericht habe sich unter Verstoß gegen den Anspruch des Antragstellers auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht mit der fehlenden bzw. unzureichenden Bescheidung seiner an die Integrierte Sekundarschule gerichteten Anträge auf Aufnahme auseinandergesetzt, greift schon deshalb nicht durch, weil dies für das Verwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich war. Dem angegriffenen Beschluss zufolge steht dem begehrten Wechsel von der gymnasialen Oberstufe des Gymnasiums zur gymnasialen Oberstufe der Integrierten Sekundarschule § 2 Abs. 6 Satz 2 VO-GO unabhängig davon entgegen, ob an der Integrierten Sekundarschule freie Plätze zur Verfügung stehen. Im Übrigen vermag eine Gehörsrüge als solche der Beschwerde noch nicht zum Erfolg zu verhelfen. Das Oberverwaltungsgericht tritt gemäß § 146 Abs. 1 und 4 VwGO als Beschwerdegericht in den Grenzen des Rechtsmittels an die Stelle der ersten Instanz und prüft die gegen die Entscheidung vorgebrachten materiellen Gründe eigenständig.
Soweit die Beschwerde die von ihr angenommene Verfassungswidrigkeit des § 2 Abs. 6 Satz 2 VO-GO mit der Argumentation begründet, es sei „jedenfalls nicht zu übersehen, dass die bereits im Schriftsatz vom 19.08.2014 zitierten Ermächtigungsgrundlagen nach ihrem Wortlaut keine zeitlichen Grenzen bei einem Wechsel der Schulart erkennen“ ließen, die zeitliche Eingrenzung bedürfe als Belastung des Bürgers einer Ermächtigungsgrundlage, fehlt es bereits an einer hinreichend konkreten und substantiierten Darlegung, worin genau die behauptete Verfassungswidrigkeit liegen soll. Die weitgehend pauschale Rüge, die Ermächtigungsgrundlage müsse eine zeitliche Begrenzung vorgeben, genügt dem Darlegungserfordernis des § 146 Abs. 4 VwGO nicht, weil es insoweit - wie unten ausgeführt - nicht auf den bloßen Wortlaut der Ermächtigungsgrundlage ankommt. In einer Rechtsverordnung nimmt der Verordnungsgeber regelmäßig die ihm von dem Gesetzgeber überlassenen Konkretisierungen vor. Hierbei darf er grundsätzlich auch belastende Regelungen treffen.
Unabhängig davon ist nicht ersichtlich, dass § 2 Abs. 6 Satz 2 VO-GO gegen höherrangiges Recht, namentlich gegen den verfassungsrechtlich garantierten Vorbehalt des Gesetzes bzw. gegen Art. 64 Abs. 1 Verfassung von Berlin, verstößt.
Die einzelnen Anforderungen, die der Normgeber an den hier im Streit stehenden freiwilligen Wechsel von der gymnasialen Oberstufe zur gymnasialen Oberstufe der Integrierten Sekundarstufe postuliert, bedürfen keiner Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber. Der mit einer zeitlichen Begrenzung verbundene Eingriff ist nur von geringer Intensität und nicht so wesentlich, dass er dem Parlamentsvorbehalt unterliegt. Darf der Gesetzgeber den Verordnungsgeber ermächtigen, genauere Bestimmungen über die Versetzung einer Schülerin oder eines Schülers durch Rechtsverordnung zu treffen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Oktober 1981 - 1 BvR 640/80 -, juris Rn. 55 ff.), so gilt dies gleichermaßen für den gewünschten Wechsel eines Oberstufenschülers zu einer anderen allgemeinbildenden Schule bzw. zu einer Schule einer anderen Schulart, vgl. § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2a) b), Nr. 3 e) SchulG.
Ebenso wenig liegt ein Verstoß gegen Art. 64 Abs. 1 Verfassung von Berlin vor. Danach kann der Senat oder ein Mitglied des Senats durch Gesetz ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen, wobei Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigungen im Gesetz bestimmt werden müssen. Hierbei kommt es nicht in erster Linie auf den Wortlaut der ermächtigenden Vorschrift, sondern auf deren Auslegung an (vgl. zu Art. 80 Abs. 1 GG BVerfG, Urteil vom 3. März 2009 - 2 BvC 3/07 -, juris Rn. 133). Welche Bestimmtheitsanforderungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, ist von den Besonderheiten des jeweiligen Regelungsgegenstandes sowie der Intensität der Maßnahme abhängig (vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 20. Oktober 1981 - 1 BvR 640/80 -, juris Rn. 62 ff.; Mann, in: Sachs, Grundgesetz, Kommentar, 6. Auflage, Art. 80 Rn. 29).
Gemessen daran war § 2 Abs. 6 Satz 2 VO-GO, der erstmalig in die Verordnung über die gymnasiale Oberstufe (VO-GO) vom 18. April 2007 (GVBl S. 156) aufgenommen worden ist, von der zum damaligen Zeitpunkt gültigen Ermächtigungsgrundlage in § 28 Abs. 8 Satz 1 Nr. 3 SchulG gedeckt. Die Ermächtigungsgrundlage sah vor, dass die für das Schulwesen zuständige Senatsverwaltung insbesondere die Wiederholung der Einführungsphase und die Versetzung in die Qualifikationsphase sowie den Rücktritt aus der Qualifikationsphase in die Einführungsphase und innerhalb der Qualifikationsphase regeln konnte. Da bereits bei Inkrafttreten der Verordnung über die gymnasiale Oberstufe (VO-GO) vom 18. April 2007 die gymnasiale Oberstufe u.a. an Gesamtschulen sowie an beruflichen Gymnasien in dreijähriger und an Gymnasien in zweijähriger Form angeboten wurde (vgl. §§ 22 Abs. 2 Satz 6, 28 Abs. 3 SchulG a.F.), musste der Verordnungsgeber auch eine Regelung für den Fall eines (freiwilligen) Rücktritts in der gymnasialen Oberstufe und eines etwaigen Wechsels von der zweijährigen in die dreijährige Form dieser Oberstufe treffen. Diese Regelung hat er bis heute - auch nach Einführung der Integrierten Sekundarschule durch Gesetz vom 25. Januar 2010 (GVBl S. 14), an der wie an der früheren Gesamtschule eine gymnasiale Oberstufe in der dreijährigen Form angeboten werden kann - unverändert beibehalten. Die damalige Ermächtigungsgrundlage ist von ihrem Wortlaut her bis heute ebenfalls unverändert geblieben (vgl. jetzt § 28 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 SchulG).
§ 28 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 SchulG a.F. ermächtigt den Verordnungsgeber - wie die gleichlautenden Vorgängerregelungen - dazu, „den Rücktritt aus der Qualifikationsphase in die Einführungsphase und innerhalb der Qualifikationsphase“ zu regeln. Ein Rücktritt in die Einführungsphase bzw. aus und innerhalb der Qualifikationsphase liegt nicht nur vor, wenn eine Schülerin oder ein Schüler an der bisher besuchten Schule zurücktritt und dort verbleibt, sondern auch dann, wenn mit dem Rücktritt zugleich ein Wechsel in die gymnasiale Oberstufe einer anderen Schule verbunden ist.
Diese Fälle hat der Gesetzgeber nicht im Einzelnen geregelt, weil insoweit vielgestaltige Möglichkeiten in Betracht zu ziehen sind, die zudem ggf. einem besonderen Anpassungsbedarf unterliegen. Dies betrifft z.B. die Frage, inwieweit aufgrund der besonderen Organisation der gymnasialen Oberstufe neben dem obligatorischen Rücktritt ein freiwilliger Rücktritt zugelassen wird und zu welchen Zeitpunkten dies geschehen muss bzw. soll. Hierbei ist auch der mögliche Übergang von der zweijährigen Form der gymnasialen Oberstufe in die dreijährige Form einzubeziehen, der regelmäßig mit dem Wechsel von dem Gymnasium auf die Integrierte Sekundarschule einhergeht (vgl. §§ 27, 2 Abs. 6 VO-GO). Hinzu kommt, dass die insoweit zu erlassenden Regelungen nicht isoliert betrachtet werden können, sondern im Zusammenhang mit weiteren Vorschriften über die Ausgestaltung und Organisation der Qualifikationsphase zu sehen sind, die das Schulgesetz ebenso wenig im Detail normiert und deren Ausgestaltung der Gesetzgeber gemäß § 28 Abs. 6 SchulG ebenfalls dem Verordnungsgeber überlassen hat und auch überlassen durfte (vgl. §§ 19 ff. VO-GO).
Für die nicht erforderliche Regelungsbedürftigkeit der Modalitäten eines freiwilligen Rücktritts in der gymnasialen Oberstufe durch den Gesetzgeber spricht ferner, dass der Eingriff von eher geringer Intensität ist. Der Antragsteller begehrt einen freiwilligen Wechsel in die dreijährige Form der gymnasialen Oberstufe einer Integrierten Sekundarschule, nachdem er sich zunächst für die zweijährige Form am Gymnasium entschieden hatte. Der Verordnungsgeber hält einen solchen Wechselwunsch nicht für grundsätzlich unbeachtlich, sondern lässt ihn zu, allerdings nur zu dem in § 2 Abs. 6 Satz 2 VO-GO genannten Zeitpunkt. Danach wäre auch dem Antragsteller ein Wechsel nach dem ersten Kurshalbjahr der Qualifikationsphase möglich gewesen. Hinzu kommt, dass dem Antragsteller dieser Regelung zufolge weiterhin ein (einmaliger), zeitlich nicht gebundener freiwilliger Rücktritt innerhalb der Qualifikationsphase an der bislang von ihm besuchten Schule bleibt, wodurch er ebenfalls die für die Gesamtqualifikation (§ 26 VO-GO) maßgeblichen Leistungen verbessern kann. Eine Änderung der Leistungskursfächer ist bei gleichzeitigem Rücktritt in den nachfolgenden Schülerjahrgang bis zum Ende des zweiten Kurshalbjahres möglich, § 23 Abs. 9 Nr. 1 VO-GO, wovon der Antragsteller offensichtlich Gebrauch gemacht hat. Vor diesem Hintergrund ist die zeitliche Begrenzung eines gewünschten Wechsels zu der dreijährigen Form der gymnasialen Oberstufe nicht zu beanstanden.
Der Verordnungsgeber darf im Übrigen davon ausgehen, dass Schülerinnen und Schüler, die sich für den Besuch der gymnasialen Oberstufe eines Gymnasiums entschieden haben, dort grundsätzlich verbleiben. Er ist über die bereits eingeräumte Wechselmöglichkeit nach dem ersten Kurshalbjahr der Qualifikationsphase nicht gehalten, Schülerinnen und Schülern zeitlich nicht begrenzte Wechselmöglichkeiten zur gymnasialen Oberstufe einer Integrierten Sekundarschule zu gestatten. Die zeitliche Begrenzung für einen Wechsel in § 2 Abs. 6 Satz 2 VO-GO ist schließlich auch im Hinblick auf die unterschiedliche Organisation der Oberstufen nicht zu beanstanden. Bei dem allein möglichen Rücktritt und Wechsel nach dem ersten Kurshalbjahr der an einem Gymnasium verbrachten Qualifikationsphase muss die Schülerin oder der Schüler zumindest noch an Kursen des zweiten Halbjahres der Einführungsphase an der Integrierten Sekundarschule teilnehmen. Da dies bei einem späteren Rücktritt entfällt, werden die geringeren Belegverpflichtungen in der Qualifikationsphase der Integrierten Sekundarschule (§ 25 Abs. 5 VO-GO) nicht mehr hinreichend kompensiert. Die von dem Antragsteller favorisierte Anrechnung der bis zum Rücktritt besuchten Stundenzahl in der Qualifikationsphase auf die (versäumte) Stundenzahl der Einführungsphase ist nicht zulässig, weil Einführungsphase und Qualifikationsphase grundsätzlich zu unterscheiden und die von dem Rücktritt erfasste Zeit des Schulbesuchs ohnehin unbeachtlich ist.
Sollte einzelnen Schülern entgegen § 2 Abs. 6 Satz 2 VO-GO ein Wechsel zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich erlaubt worden sein, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Ein - unterstelltes - rechtswidriges Verwaltungshandeln kann jedenfalls keinen Anspruch des Antragstellers aus Art. 3 Abs. 1 GG auf einen nicht mit § 2 Abs. 6 Satz 2 VO-GO zu vereinbarenden Wechsel begründen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).