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Entscheidung 1 K 1579/18.A


Metadaten

Gericht VG Cottbus 1. Kammer Entscheidungsdatum 15.11.2019
Aktenzeichen 1 K 1579/18.A ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2019:1115.1K1579.18.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen 60 Abs 5 AufenthG, § 3 AsylVfG 1992, § 60 Abs 7 S 1 AufenthG, § 4 Abs 3 AsylVfG 1992, § 4 Abs 1 S 2 Nr 2 AsylVfG 1992, § 3e AsylVfG 1992

Leitsatz

1. Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der russische Staat an denjenigen, die im ersten oder zweiten Tschetschenienkrieg für die Unabhängigkeit Tschetscheniens („Itschkeria“) gekämpft haben, nach dem Jahr 2011 noch irgendein Interesse gehabt hätte.

2. Es fehlt an Anhaltspunkten für eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung für diejenigen Tschetschenen, die außerhalb ihrer Teilrepublik in der Russischen Föderation leben, weil sie in Tschetschenien Übergriffen durch Sicherheitskräfte ausgesetzt waren. Eine derartige Verfolgungsgefahr lässt sich nur in besonderen Einzelfällen begründen, wenn es sich um einen prominenten Kadyrov-Gegner handelt oder wenn jemand sich auf einer föderalen Fahndungsliste befindet.

3. Ebenso wenig bestehen verlässliche Berichte darüber, dass die russischen Sicherheitsbehörden außerhalb des Nordkaukasus tschetschenische Sicherheitskräfte bei der Suche nach etwaigen aus deren Sicht Verdächtigen in jedem Fall unterstützen würden. Für eine Suche außerhalb des Nordkaukasus und für eine offizielle Überstellung von dort nach Tschetschenien bedarf es mindestens eines entsprechenden föderalen Rechtsaktes, der auch in den Augen der russischen Behörden aussagefähig ist.

4. Allein die Tatsache einer Registrierung, d.h. die Bekanntgabe des Wohnsitzes gegenüber staatlichen Stellen, vermag noch nichts darüber auszusagen, ob jemandem in der Russischen Föderation landesweite Verfolgung droht.

5. Psychische Erkrankungen, darunter die posttraumatische Belastungsstörung, sind in der Russischen Föderation behandelbar, teilweise sogar kostenfrei. Aufgrund der niedrigen Löhne der Ärzte existiert ein System der inoffiziellen Zuzahlung durch die Patienten. Generell handelt es sich um relativ kleine Beträge, die in der Regel finanziell zumutbar sind. Bezahlt wird entweder für den Zugang zu Behandlungen oder für Behandlungen besserer Qualität. Üblicherweise zahlen Patienten für einen Termin wegen psychischer Probleme zwischen 700 und 2.000 Rubel (ca. zehn bis 27 EUR). Inhaltsstoffe für Medikamente zur Behandlung psychischer Erkrankungen sind im gesamten Land verfügbar.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, soweit nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der am 24. Oktober 1983 geborene Kläger ist nach eigenen Angaben Staatsbürger der Russischen Föderation und vom Volk der Tschetschenen. Die Ehefrau und drei Kinder des Klägers führen ein eigenes Klageverfahren unter dem Aktenzeichen VG 1 K 1933/17.A. Der Kläger gab an, am 30. März 2016 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein, und stellte hier am 20. Mai 2016 einen Asylantrag. Sein Reisepass wurde am 17. Februar 2016 in der Russischen Föderation ausgestellt und weist verschiedene Stempel von T... auf, den frühesten vom 24. März 2016. Die Mutter und die Schwester des Klägers, die ebenfalls mit ihm eingereist waren, nahmen am 7. November 2017 ihre Asylanträge zurück und kehrten am 18. Januar 2018 in die Russische Föderation zurück.

Laut Epikrise des Städtischen Krankenhauses E... vom 4. April 2016 wurde der Kläger wegen einer aktiven offenen Lungentuberkulose vom 1. April 2016 bis 11. Mai 2016 stationär behandelt.

Mit Schreiben vom 31. Mai 2016 an das Bundesamt erklärte der Kläger, er habe als Taxifahrer drei junge Männer nach Khasav-Yurt gefahren, die wegen krimineller Handlungen und Anschlägen gesucht würden. Jetzt werde er beschuldigt, mit ihnen kooperiert zu haben, weil sein Onkel im Tschetschenien-Krieg gekämpft habe. Er sei mehrmals Folterungen und Drohungen unterzogen worden. Auch sei seine jüngere Schwester von drei unbekannten Männern entführt worden, um sie mit einem sehr einflussreichen Mann zwangsweise zu verheiraten. Nach einer langen Ehe sei der Schwester die Flucht gelungen. Sie sei aber ins Krankenhaus eingeliefert worden, weil sie Gewalt und Folterungen ausgesetzt gewesen sei. Danach sei es für ihn nicht mehr sicher gewesen.

Der sozialpsychiatrische Dienst der Stadt C... führte in Bescheinigungen vom 3. März 2017 und vom 20. April 2017 aus, der Kläger leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Er wirke auch aufgrund seiner ungewissen Bleibeperspektive und großen Ängsten vor einer Abschiebung seiner Familie sehr belastet. Er sei in Tschetschenien zweimal verschleppt worden und habe Folter und Misshandlung erfahren. Beim zweiten Mal habe man ihn fast totgeschlagen und anschließend weggeworfen.

In seiner persönlichen Anhörung bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 12. Juni 2017 gab der Kläger an, im Dorf Z... (S... ) mit seiner Schwester, seinem Bruder, seinen Eltern, seiner Ehefrau und den gemeinsamen Kindern im Haus seiner Eltern gelebt zu haben und dort auch registriert gewesen zu sein. Er sei im Februar 2016 mit seiner Familie ausgereist. Von Grosny sei er mit dem Zug bis Moskau und von dort weiter nach Brest gereist. Von dort sei er mit einem PKW nach Polen und nach Deutschland gekommen. Den Reisepass habe er ca. einen bis zwei Monate vor seiner Ausreise beantragt. Er sei mit seiner Ehefrau und den drei Kindern sowie mit seiner Schwester und seiner Mutter in Deutschland eingereist. Sein Vater, seine Schwester und sein Bruder seien noch in Tschetschenien, seine Mutter lebe in Cottbus. Er sei fünf bis sechs Jahre zur Schule gegangen und habe von 2001 bis 2003 in Moskau eine Ausbildung in Holzgestaltung absolviert. Danach habe er in Tschetschenien als Taxifahrer gearbeitet. Die wirtschaftliche Lage sei durchschnittlich gewesen. Zur Finanzierung der Ausreise habe er sein Auto verkauft. Teilweise hätten ihm auch Verwandte finanziell geholfen. Er habe sich das Geld für seine Familie geliehen. Er sei wegen Problemen seiner leiblichen Schwester und wegen eigener Probleme ausgereist. Seine Schwester sei im Jahr 2008 zwangsverheiratet worden. Sie, d.h. der Kläger und dessen Familie, hätten dann nach ihr gesucht und sie im Jahr 2014 gefunden und mitgenommen. Zwischendurch seien sie immer wieder von schwarzgekleideten Männern aufgesucht worden, die ihn auch geschlagen hätten. Als Taxifahrer habe er zwei Jungs nach Khasav-Yurt in Dagestan gefahren. Auf halber Strecke sei er angehalten worden. Ihm sei vorgeworfen worden, dass diese Leute etwas gemacht hätten und er etwas damit zu tun habe. Er sei geschlagen und übel zugerichtet und dann auf der Straße liegengelassen worden. Danach sei er im Krankenhaus gewesen und sei noch einmal vorgeladen worden, wo er auch hingegangen sei. Er sei wieder zu diesen Personen verhört worden. Als er wieder als Taxifahrer gearbeitet habe, sei genau dasselbe zum zweiten Mal passiert. Er sei wieder angehalten und bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen worden. Danach habe er begonnen seine Ausreise vorzubereiten. Der zweite Grund sei, dass die Familie seiner Schwester keine Ruhe gegeben habe. Sie hätten sie die ganze Zeit verteidigt und seien auch deshalb ausgereist. Er habe keine Ahnung, bei wem seine Schwester damals gelebt habe, es sei aber in Grosny gewesen. Die Familie habe zwei Männer geschickt, die ihn etwa vier Monate, bevor er das zweite Mal zusammengeschlagen worden sei, zusammengeschlagen hätten. Das zweite Mal sei er im ungefähr im Oktober 2015 zusammengeschlagen worden, das erste Mal sei weniger als ein Jahr davor gewesen. Ungefähr im Mai 2015 sei er bei der Polizei für ca. eine Stunde und 40 Minuten verhört worden. Ab Oktober 2015 sei ihm bis zur Ausreise im Februar 2016 nichts mehr passiert. Er sei zwei Monate im Krankenhaus gewesen und zu Beginn des Jahres 2016 entlassen worden.

Mit Bescheid vom 13. März 2018 lehnte die Beklagte die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1) und den Antrag auf Asylanerkennung (Ziffer 2) ab, erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Ziffer 3) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorlägen (Ziffer 4). Sie forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheides zu verlassen, und drohte ihm andernfalls die Abschiebung in die Russische Föderation oder in einen Staat an, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei (Ziffer 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG befristete die Beklagte auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6). Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, der Kläger habe keine Vorverfolgung geltend gemacht. Es sei unklar geblieben, von wem genau der Kläger angehalten und befragt worden sei, aber jedenfalls habe die Befragung nicht dem Kläger selbst, sondern seinen Fahrgästen gegolten. Ein politischer Hintergrund sei nicht ersichtlich, sondern es handele sich bei der gegenüber dem Kläger ausgeübten Gewalt um Einschüchterungs- und Erpressungsversuche. Auch sprächen die Tatsachen, dass der Kläger jeweils bei seinem Fahrzeug zurückgelassen und nach dem Verhör im Mai 2015 entlassen worden sei und dass ihm nach Oktober 2015 nichts mehr passiert sei, dagegen, dass ihn der Staat als Gegner, von dem eine besondere Gefahr ausgehe, ansähe. Hinsichtlich der 2014 zurückgeholten Schwester sei kein Bezug zu Bedrohungen zu erkennen und insoweit sei der Kläger auch auf staatlichen Schutz zu verweisen. Die betreffende Schwester sei sogar Anfang 2018 freiwillig wieder aus Deutschland in die Russische Föderation zurückgekehrt. Es fehle insgesamt an einem inneren Zusammenhang zwischen den Ereignissen, die der Kläger geschildert habe, und seiner Ausreise. Außerdem sei er auf eine inländische Fluchtalternative in der Russischen Föderation außerhalb des Nordkaukasus zu verweisen. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Die Kontrolle der Lungentuberkulose sei in der Russischen Föderation durchführbar. Die ärztlichen Bescheinigungen zur geltend gemachten psychiatrischen Behandlung erfüllten nicht die Mindestanforderungen an ein ärztliches Attest. Die Grundlagen der Diagnosestellung der posttraumatischen Belastungsstörung seien nicht ersichtlich. Zudem sei die entsprechende Behandlung in der Russischen Föderation zugänglich.

Am 19. März 2018 hat der Kläger Klage bei dem Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) erhoben. Dieses hat sich mit Beschluss vom 21. August 2018 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Cottbus verwiesen. Zur Begründung behauptet der Kläger, er sei wiederholt willkürlichen Übergriffen der staatlichen Organe bzw. anderer Akteure ausgesetzt gewesen. Die Polizei sei offenbar selbst ein Teil der übergriffigen Behörde gewesen. Es sei ihm unzumutbar gewesen, sich an die Polizei um Schutz zu wenden. Er sei gewissermaßen stellvertretend für den politischen Gegner, dessen man nicht habe habhaft werden können, oder zusätzlich zu den Hauptadressaten in Anspruch genommen worden. Dies geschähe in der Russischen Föderation bzw. in der Teilrepublik Tschetschenien regelmäßig. Von dem Kläger hätten Informationen über die zuvor beförderten Personen gleichsam erpresst werden sollen. Ihm könne es in jedem anderen Teil der Russischen Föderation ebenso ergehen.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

1. die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 13.03.2018 des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zu verpflichten, festzustellen, dass der Kläger die Voraussetzungen des § 3 Asylgesetz erfüllt,

2. hilfsweise den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen,

3. festzustellen, dass die Abschiebungsverbote nach § 4 AsylG vorliegen;

4. hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bis 7 Aufenthaltsgesetz vorliegen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist die Beklagte auf den angefochtenen Bescheid.

Am 12. Juni 2018 ist der Kläger durch das Amtsgericht Frankfurt (Oder) wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Bedrohung rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen à 10,00 EUR verurteilt worden.

Die Kammer hat der Berichterstatterin als Einzelrichterin mit Beschluss vom 6. November 2018 den Rechtsstreit zur Entscheidung übertragen.

In der mündlichen Verhandlung am 15. November 2019 ist der Kläger unentschuldigt nicht erschienen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes, die beigezogene Gerichtsakte in dem Verfahren VG 1 K 1933/17.A, die beigezogene Ausländerakte des Klägers sowie auf die Erkenntnisse laut Liste für die Russische Föderation Bezug genommen. Der Inhalt sämtlicher Akten und Unterlagen war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Das Gericht entscheidet durch die Einzelrichterin, der die Kammer den Rechtsstreit gemäß § 76 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG) mit Beschluss vom 6. November 2018 übertragen hat.

Das Gericht kann zudem gemäß § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) trotz des Ausbleibens des Klägers, seines Prozessbevollmächtigten und eines Beklagtenvertreters zur mündlichen Verhandlung in der Sache entscheiden, weil die Beteiligten in den ordnungsgemäß erfolgten Ladungen auf diese Möglichkeit hingewiesen wurden.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach § 77 Abs. 1 S. 1 des Asylgesetzes (AsylG) maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung weder Anspruch auf Asylanerkennung noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylG noch von subsidiärem Schutz bzw. auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG. Der Bescheid der Beklagten vom 13. März 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. Asylanerkennung gerichtete Hauptantrag des Klägers bleibt ohne Erfolg. Nach § 3 Abs. 4 1. Hs. AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 der Vorschrift ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560) ist nach § 3 Abs. 1 AsylG ein Ausländer, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 gelten nach § 3a AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist. Gleiches gilt nach § 3 a Abs. 1 Nr. 2 AsylG für eine Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, die so gravierend sind, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

Zwischen den nach § 3 a AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen (sog. Verfolgungshandlungen) und den in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Merkmalen muss nach § 3 a Abs. 3 AsylG eine Verknüpfung bestehen. Die Verfolgung muss stattfinden, weil der Verfolger dem Ausländer das in Rede stehende Merkmal, z.B. eine bestimmte politische Überzeugung, zuschreibt. Ist dies der Fall, kommt es weder darauf an, ob der Betroffene die ihm zugeschriebene Überzeugung tatsächlich aufweist (§ 3 b Abs. 2 AsylG) noch ob er aufgrund dieser tatsächlich tätig geworden ist (§ 3 b Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Ob eine Verfolgungshandlung in diesem Sinne „wegen“ eines flüchtlingsrelevanten Merkmals erfolgt, ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung anhand des inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den – ohnehin kaum feststellbaren – subjektiven Vorstellungen und Motiven, die den Verfolgenden oder die für ihn handelnden Personen leiten (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 3. Juli 1996 - 2 BvR 1957/94 -, juris Rn. 18). Entscheidend ist mithin, wie sich die Verfolgungshandlung nach dem „objektiven Empfängerhorizont“ darstellt.

Eine „begründete Furcht“ vor Verfolgung der vorstehend beschriebenen Art liegt schließlich vor, wenn dem Antragsteller politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dies ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anhand einer Verfolgungsprognose zu beurteilen, die die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch unterstellten Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat zum Gegenstand hat. Beachtlich wahrscheinlich ist eine Verfolgung danach, wenn bei der im Rahmen dieser Prognose vorzunehmenden „zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts“ die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Insofern ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung geboten, bei der letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit maßgebend ist. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Ausländers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer quantitativen oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50 % Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben allerdings die Gesamtumstände des Einzelfalls die „tatsächliche Gefahr“ („real risk“) einer politischen Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Er wird bei der Abwägung aller Umstände zudem auch immer die Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in die Betrachtung mit einstellen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es aus Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber schwere Misshandlungen bzw. Folter oder gar die Todesstrafe riskiert (vgl. zu alledem Bundesverwaltungsgericht, Urteil v. 5. November 1991 – 9 C 118/90 –, juris Rn. 17; EuGH-Vorlage v. 7. Februar 2008 – 10 C 33/07 –, juris Rn. 37).

Die begründete Furcht vor Verfolgung kann dabei sowohl auf tatsächlich erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung bereits vor der Ausreise im Herkunftsstaat (sog. Vorverfolgung) als auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat (sog. Nachfluchtgründe). Für Vorverfolgte gilt innerhalb des auch insoweit anzuwenden Maßstabes der beachtlichen Wahrscheinlichkeit eine Beweiserleichterung. Denn nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie) ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder unmittelbar von Verfolgung bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist. In diesen Fällen streitet also die tatsächliche Vermutung dafür, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann allerdings widerlegt werden, wenn stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit der Verfolgung entkräften (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil v. 27. April 2010 – 10 C 5/09 –, juris Rn. 22 ff.).

Der Kläger hat keinen Verfolgungsgrund glaubhaft dargelegt. Soweit der Kläger eine Verfolgung durch unbekannte Männer im Zusammenhang mit der Zwangsverheiratung seiner Schwester im Jahr 2008 und deren Flucht aus der Familie ihres Ehemannes im Jahr 2014 geltend macht, ist dies bereits deshalb unbeachtlich, weil die Schwester des Klägers inzwischen freiwillig in die Russische Föderation zurückgekehrt ist, was eine Verfolgungsgefahr gänzlich unwahrscheinlich erscheinen lässt. Davon abgesehen fehlt es bezüglich des Tatkomplexes des familiären Konflikts ersichtlich an einem Verfolgungsgrund.

Ein Verfolgungsgrund kann auch nicht darin gesehen werden, dass der Onkel des Klägers, wie dieser behauptet, im Tschetschenienkrieg gekämpft haben soll. Selbst wenn man diese – allerdings unsubstantiierte Behauptung – als wahr unterstellen würde, ist es nach den Erkenntnissen des Gerichts nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der russische Staat an denjenigen, die im ersten oder zweiten Tschetschenienkrieg für die Unabhängigkeit Tschetscheniens („Itschkeria“) gekämpft haben, nach dem Jahr 2011 noch irgendein Interesse gehabt hätte. Die letzten Anfragen russischer Behörden mit Bezug zu Kampfhandlungen des ersten und zweiten Tschetschenienkriegs, die gefunden werden konnten, stammen aus dem Jahr 2011. Hinweise auf neuere Anfragen oder Verfolgungshandlungen tschetschenischer Behörden konnten nicht gefunden werden, ebenso wenig Hinweise darauf, dass russische Behörden tschetschenische Kämpfer der beiden Kriege suchen würden. Erst recht gilt dies für deren Familienangehörige.

Außerdem hat in den Jahren ab 2013 bis jetzt die Zahl der aktiven Kämpfer in Tschetschenien weiter abgenommen. In der Russischen Föderation bildet die Verbreitung des radikalen Islamismus ein Risikomoment und Tschetschenien verfolgt konsequent eine Politik der Repression radikaler Elemente. Der islamistische Widerstand in Tschetschenien selbst ist inzwischen zahlenmäßig deutlich geschrumpft. Es sind in Tschetschenien nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Quellen gehen davon aus, dass dieser islamistische Widerstand in Tschetschenien mittlerweile nur noch ein Dutzend bis ca. 120 Personen umfasst (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 30. September 2019, Seite 48-50). Es ist demnach schon aufgrund der nur noch sehr geringen Zahl von islamistischen Unabhängigkeitskämpfern in Tschetschenien, aber vor allem mangels jeglicher Hinweise auf ein aktuelles Interesse russischer Behörden an Kämpfern an den Tschetschenienkriegen nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger als mutmaßlicher Familienangehöriger eines früheren Kämpfers von den Behörden als ernsthafter Gegner betrachtet wird.

Weiter ist es äußerst unwahrscheinlich, dass eine Beförderung etwaiger der Unterstützung des IS Verdächtiger per Taxi für den Taxifahrer zu einem Verfolgungsgrund werden kann. Es kämpfen Personen mit russischer Staatsangehörigkeit und islamistischem Hintergrund inzwischen an unterschiedlichen Fronten außerhalb der Heimat, vorrangig in der Ostukraine, Syrien und dem Irak. Die Angaben derartiger russischer Kämpfer, die bei den dortigen Kampfhandlungen beteiligt sind, schwanken stark, jedoch gehen alle Quellen davon es, dass es mehrere Tausend russischer Kämpfer im Ausland gibt (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 30. September 2019, Seite 48-50). Nach den Erkenntnissen des Gerichts steht aber fest, dass die Kämpfer nie einen Fremden um Vorräte, Nahrung, Medizin oder Unterstützung im Allgemeinen bitten würden (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 30. September 2019, Seite 48). Dies dürfte auch den örtlichen Behörden bekannt sein, so dass es schon nicht wahrscheinlich ist, dass die Behörden einen Außenstehenden als derartigen Unterstützer ansehen.

Auch die Tatsache, dass der Kläger nach den behaupteten Gewaltexzessen im Anschluss an die Vorfälle mit dem Taxi bzw. nach der Vorladung zur Polizei jedes Mal nach kurzem Festhalten freigelassen worden sein soll, spricht gegen einen Verdacht der Behörden, bei ihm könnte es sich um einen islamistischen Terroristen oder ernsthaften Terrorunterstützer handeln. Hätten die tschetschenischen oder russischen Behörden konkrete Anhaltspunkte dafür gehabt, dass es sich bei dem Kläger tatsächlich um einen ernsthaften Regierungsgegner und aktiven Unterstützer der wenigen noch verbliebenen islamistischen Rebellen oder des IS oder ähnlicher Terrororganisationen handelt, dann hätten sie ihn nicht mehrfach festgehalten und dann wieder freigelassen. Vielmehr wäre er sofort verhaftet und dauerhaft festgehalten worden. Denn Personen, die man verdächtigt, Kontakt mit dem islamistischen Widerstand zu haben, werden in Tschetschenien ohne Vorwarnung sofort von der Polizei mitgenommen und inhaftiert und nicht nach kurzer Zeit wieder freigelassen, weil sie dann gewarnt wären und Zeit zum Verschwinden hätten (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 30. September 2019, Seite 24). Dies gilt erst recht für solche Verdächtigen, die der Mitgliedschaft oder Unterstützung von Terrorgruppen wie dem IS beschuldigt werden.

Außerdem hat der Kläger die Ausreise selbst organisiert, konnte sich einen Reisepass beschaffen und kaufte sich eine Bahnfahrkarte. Sein Reisepass wurde im Februar 2016 ausgestellt, nachdem sich die von ihm behaupteten Übergriffe sämtlich schon ereignet hatten, er also nach eigenem Bekunden bereits im Fokus der Sicherheitsbehörden in Tschetschenien stand. Die Ausstellung eines Reisepasses und die Ausreise aus der Russischen Föderation können unter anderem verweigert werden, wenn eine Person für ein Verbrechen verurteilt wurde und die Strafe noch nicht vollständig vollstreckt ist oder wenn die Person einem Gerichtsbeschluss nicht nachgekommen ist (EASO, Die Lage der Tschetschenen in Russland, Stand August 2018, Seite 25). Demnach ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger, der im Februar 2016 einen Reisepass erhielt und diesen bei der Ausreise mutmaßlich im März 2016 verwendete, landesweit gesucht worden wäre. Der Kauf von Bahnfahrkarten ist in Russland nur unter Vorlage des Inlandspasses möglich (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 31. August 2018, zuletzt aktualisiert am 12. November 2018, Seite 78). Dies bedeutet, dass der Fahrkarteninhaber ab dem Fahrkartenerwerb namentlich bekannt und bei jeder Fahrkartenkontrolle identifizierbar ist. Hätte der Kläger landesweit im Visier der Behörden gestanden, hätte er nicht ungehindert mit der Bahn aus der Russischen Föderation ausreisen können. Dass jemand eine mehrtägige Bahnfahrt von Tschetschenien bis zur weißrussischen Grenze durchführen kann, obwohl er von russischen föderalen Behörden gesucht wird, hält das Gericht bereits deshalb für unwahrscheinlich, weil den russischen Sicherheitsbehörden genug Zeit geblieben wäre, den Betreffenden auch nach dem Fahrkartenkauf noch aufzugreifen. Denn die gesamte Reise per Bahn von Tschetschenien bis zur weißrussisch-polnischen Grenze Brest/Terespol dauert etwa drei Tage. Bei einer bestehenden landesweiten Fahndung ist es beachtlich wahrscheinlich, dass der Betreffende im Zug z.B. anlässlich der Fahrkartenkontrolle aufgegriffen wird. Personen, die derartiges zu befürchten haben, nutzen nach den Erkenntnissen des Gerichts aus zahlreichen anderen Verfahren Schleuser, um auf anderen Wegen und mit anderen Transportmitteln die Russische Föderation zu verlassen und in die Europäische Union einzureisen.

Letztlich kann dies alles aber dahinstehen, denn es steht dem Kläger innerhalb seines Herkunftslandes, der Russischen Föderation, eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung. Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (sog. „interner Schutz“, vgl. § 3e Abs. 1 AsylG).

Politisch unverdächtigen und erwerbsfähigen Tschetschenen steht in den meisten Teilen der Russischen Föderation eine inländische Fluchtalternative bzw. interner Schutz im Sinne von § 60 Abs. 1 Sätze 1 und 4 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL zur Verfügung (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil v. 16. Juli 2019 – 11 B 18.32129 – juris, Orientierungssatz Nr. 4 und Rn. 43 ff.; Verwaltungsgericht Trier, Urteil v. 5. Juni 2019 – 1 K 9941/17.TR – juris, UA Seite 6 ff.; Verwaltungsgericht Potsdam, Urteil v. 10. Mai 2017 – 6 K 4904/16.A – juris, Rn. 22 ff.; Verwaltungsgericht Cottbus, Urteil v. 16. Dezember 2016 – 1 K 156/13.A – juris, Rn. 22 ff.; Verwaltungsgericht Berlin, Urteil v. 24. März 2015 – 33 K 229.13 A –, juris Orientierungssatz; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil v. 15. Februar 2012 – A 3 S 1876/09 – juris, Leitsatz Nr. 1; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 26. November 2010 – 3 A 1627/10.A – juris, Orientierungssatz Nr. 3; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil v. 21. Juni 2010 – 11 B 08.30103 – juris, Rn. 27; Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil v. 3. März 2009 – OVG 3 B 16.08 –, Seiten 11 ff. UA). Tschetschenen steht auch bei einer unterstellten Vorverfolgung eine interne Schutzmöglichkeit innerhalb der Russischen Föderation offen, sofern keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zur nationalen Fahndung ausgeschrieben sind (Verwaltungsgericht Magdeburg, Urteil v. 26. Juli 2017 – 3 A 253/16 – juris, Leitsatz).

Für das Bestehen einer inländischen Fluchtalternative spricht bereits die große Zahl von Tschetschenen, die sich außerhalb des Nordkaukasus in anderen Gebieten der Russischen Föderation niedergelassen haben. Laut Aussagen von K... sollen etwa 300.000 Tschetschenen in Russland außerhalb des Nordkaukasus leben. Zwischen 2008 und 2015 haben rund 150.000 Tschetschenen die Teilrepublik Tschetschenien verlassen, teils in andere Regionen der Russischen Föderation, teils ins Ausland. Tschetschenische Gemeinschaften sind über ganz Russland verteilt. Die offiziell größten Gemeinschaften von Tschetschenen leben in Moskau (14.524 Personen), in der Region Stavropol (11.980 Personen) und in der Region Rostow (11.449 Personen), wobei die tatsächliche Zahl erheblich höher geschätzt wird. So soll es allein in Wolgograd etwa 20.000 Tschetschenen geben. Neben der Registrierung in Moskau als Hauptwohnsitz besteht z.B. auch die Möglichkeit, offiziell seinen ständigen Wohnsitz in Tschetschenien zu behalten, was bei einer recht großen Anzahl der in Moskau lebenden Tschetschenen der Fall ist (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 30. September 2019, Seite 85-86; EASO, Die Situation der Tschetschenen in Russland, August 2018, Seite 12-14 u. Seite 17). Demnach vermag allein die Tatsache einer Registrierung, d.h. die Bekanntgabe des Wohnsitzes gegenüber staatlichen Stellen, noch nichts darüber auszusagen, ob jemandem landesweite Verfolgung droht, denn ansonsten wären die mehreren zehntausend bis hunderttausend außerhalb des Nordkaukasus registrierten Tschetschenen dieser Gefahr quasi flächendeckend ausgesetzt.

Es fehlt an Anhaltspunkten für eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung für diejenigen Tschetschenen, die außerhalb ihrer Teilrepublik in der Russischen Föderation leben, weil sie in Tschetschenien Übergriffen durch Sicherheitskräfte ausgesetzt waren. Eine derartige Verfolgungsgefahr lässt sich nur in besonderen Einzelfällen begründen, wenn es sich um einen prominenten K... -Gegner handelt oder wenn jemand sich auf einer föderalen Fahndungsliste befindet.

Nach neueren Erkenntnissen der Österreichischen Botschaft Moskau reicht die Macht von K... im Allgemeinen nicht über die Grenzen der Teilrepublik Tschetschenien hinaus. Trotz der Rhetorik des tschetschenischen Oberhauptes gilt dessen Machtentfaltung außerhalb der Grenzen der Teilrepublik als beschränkt und zwar nicht nur formell im Lichte der geltenden russischen Rechtsordnung, sondern auch faktisch durch die offenkundige Konkurrenz zu den föderalen Sicherheitskräften. Viele Personen innerhalb der russischen Elite einschließlich der meisten Leiter des Sicherheitsapparates misstrauen und verachten K... . Es gibt Berichte über die „Feindseligkeit von Teilen der Sicherheitsstruktur gegenüber R... und ihre Uneinigkeit mit dem Kreml über Tschetschenien“. Allein daraus ist zu folgern, dass die umfangreiche tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands nicht unter der unmittelbaren Kontrolle von K... steht. Konkrete Einzelfälle aus der Vergangenheit zeigen allerdings, dass kriminelle Akte gegen explizite Regimegegner im In- und Ausland nicht gänzlich ausgeschlossen werden können. Jedoch zeigen sich die russischen Behörden durchaus bemüht, den Vorwürfen der Verfolgung von bestimmten Personengruppen in Tschetschenien nachzugehen. Bei einem Treffen mit Präsident Putin Anfang Mai 2017 betonte die russische Ombudsfrau für Menschenrechte allerdings, dass zur Inanspruchnahme von staatlichem Schutz eine gewisse Kooperationsbereitschaft der mutmaßlichen Opfer erforderlich sei (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 30. September 2019, Seite 87; EASO, Die Lage der Tschetschenen in Russland, Stand August 2018, Seite 52).

Zwar sind bzw. waren tschetschenische bewaffnete Gruppierungen, darunter auch Angehörige von Sicherheitskräften, in Moskau präsent. In Moskau gab es im Jahr 2015 mehr als zehn tschetschenische Gruppen, die bei „Streitigkeiten mit Wirtschaftsunternehmen“ bewaffnete Unterstützung anbieten. Solche Gruppen „besteuern“ Unternehmen und üben andere illegale Aktivitäten aus. Dabei dürfte es sich um organisierte Kriminalität handeln; dafür, dass diese Gruppen aus politischen Motiven heraus handeln, gibt es jedenfalls keinen Anhaltspunkt. Außerdem sollte es in Moskau etwa 30 Leibwächter von K... geben, wobei die letzten Berichte über diese Gruppe jedoch aus den Jahren 2013/2014 stammen (EASO, Die Situation der Tschetschenen in Russland, August 2018, Seite 15-16 und Seite 52).

Nach anderen Quellen sind weniger als hundert Beamte, die offiziell bei den tschetschenischen Sicherheitskräften akkreditiert sind, zu Operationen in Moskau berechtigt. Das Netz von etwa 50 über ganz Russland verteilten tschetschenischen Büros, die die tschetschenische Republik in vielen russischen Regionen offiziell vertreten, sammelt keine Informationen über tschetschenische Binnenmigranten und tätigt auch sonst keine weiteren direkten Aktionen. Die tschetschenischen Gemeinden in Russland sind zwar teilweise K... bei der Ausübung von Druck auf hochrangige/bekannte Kritiker behilflich, aber es gibt keine Beweise, dass sie eine Art von „fünfter Kolonne“ sind. Generell hält das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anzahl von tatsächlich Verfolgten sowohl im Inland als auch im Ausland gemessen an der Größe der tschetschenischen Diaspora innerhalb und außerhalb Russlands für quantitativ gering. Diese seien nur in Einzelfällen einer konkreten Gefährdung ausgesetzt. Diese nur selten begründbare Gefährdungslage werde benutzt, wenn sozio-ökonomische Motive hinter dem Versuch der Migration nach Westeuropa ständen, wie auch von menschenrechtlicher Seite eingeräumt werde. Laut einer Analyse des Moskauer Carnegie-Zentrums würden die meisten Tschetschenen derzeit aus rein ökonomischen Gründen emigrieren (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 30. September 2019, Seite 86-87).

Ebenso wenig bestehen verlässliche Berichte darüber, dass die russischen Sicherheitsbehörden außerhalb des Nordkaukasus tschetschenische Sicherheitskräfte bei der Suche nach etwaigen aus deren Sicht Verdächtigen in jedem Fall unterstützen würden. Die russischen Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden sind nach dem aktuellen Bericht des österreichischen Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl im Allgemeinen oft nicht bereit, als tschetschenische Vollstrecker aufzutreten, da sie oft skeptisch gegenüber Forderungen aus Grosny seien. Die föderalen Sicherheitsbehörden machten einen deutlichen Unterschied zwischen der Behandlung von Personen, die wegen Verbrechen in Tschetschenien gerichtlich verurteilt seien, und von jenen, denen nur vorgeworfen werde, Verbrechen begangen zu haben (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 30. September 2019, Seite 87). Ein Vertreter der Chechen Social and Cultural Association betrachtete es als unmöglich für die tschetschenischen Behörden, einen low-profile-Unterstützer der Rebellen in anderen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens ausfindig zu machen. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die tschetschenischen Behörden Unterstützer und Familienmitglieder einzelner Kämpfer auf dem gesamten Territorium der Russischen Föderation suchen und/oder finden würden, was aber bei einzelnen bekannten oder hochrangigen Kämpfern sehr wohl der Fall sein könne (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Stand 17. November 2016, S. 75-76). Nach einer westlichen Botschaft und einem Bericht des DIS dürfen tschetschenische Behörden die offiziellen Kanäle nicht für die Suche nach Personen in anderen Teilen Russlands nutzen. Die formalen Verfahren für solche Überstellungen seien recht langwierig und der Fall müsse durch Beweise untermauert werden. Entweder hätten die befragten Quellen nichts über gerichtliche Überstellungen mutmaßlicher Unterstützer oder Angehöriger der tschetschenischen Rebellen aus anderen Teilen der Russischen Föderation gewusst oder sie hätten sich nur auf ältere Fälle von 2008 bis 2011 bezogen. Demnach bedarf es für eine Suche und offizielle Überstellung mindestens eines entsprechenden föderalen Rechtsaktes, der auch in den Augen der russischen Behörden aussagefähig ist. Soweit ein Analyst der Internationalen Krisengruppe in Moskau gegenüber dem DIS erklärte, die tschetschenische Polizei verhafte „manchmal“ Menschen in anderen Regionen Russlands und die Abteilung zur Bekämpfung von Extremismus des tschetschenischen Innenministeriums könne im ganzen Land agieren, wird als Beleg dafür lediglich den Fall des M... genannt, der 2017 beinahe in Brjansk durch die russische Staatsanwaltschaft an tschetschenische Strafverfolgungsbeamte übergeben worden wäre, dem aber die Flucht ins Ausland gelang (EASO, Die Lage der Tschetschenen in Russland, Stand August 2018, Seite 55). Dieser Fall belegt aber gerade die oben dargelegten Erkenntnisse, dass nur solche Personen, gegen die ein entsprechender föderaler Rechtsakt erlassen wurde, nach Tschetschenien überstellt werden können, denn A... befand sich laut einer Information von „Human Rights Watch“ vom 9. Juni 2017 wegen des Vorwurfs der Urkundenfälschung auf einer föderalen Fahndungsliste. Insofern gibt der Fall nichts zu anderen Personen her, gegen die ein derartiger Rechtsakt nicht vorliegt, und kann nicht als Anhaltspunkt für eine generelle Verfolgungsgefahr durch tschetschenische Sicherheitskräfte auf dem gesamten russischen Territorium gelten.

Das Auswärtige Amt geht auch nicht von einer flächendeckenden Kontrolle eigener Staatsangehöriger bei der Wiedereinreise in die Russische Föderation aus, sondern gibt lediglich an, es lägen Hinweise darauf vor, dass die Sicherheitsdienste einige Personen bei Ein- und Ausreisen überwachen, z.B. prominente Oppositionspolitiker oder Leiter von Nichtregierungsorganisationen (Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation, 22. Juni 2017, S. 22).

Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger in der Russischen Föderation zur Fahndung ausgeschrieben wäre oder dass gegen ihn ein sonstiger Rechtsakt erlassen worden wäre, auf dessen Grundlage er aus anderen Teilrepubliken der Russischen Föderation nach Tschetschenien gebracht werden könnte (vgl. zu diesen Rechtsakten Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 13. Februar 2019, Seite 14; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 30. September 2019, Seite 27 und Seite 87).

Bei dem Kläger handelt es sich, sofern man seinem Vortrag Glauben schenkt, aus Sicht der Behörden nicht um eine in der gesamten Russischen Föderation prominente Persönlichkeit und auch nicht um einen bekannten oder hochrangigen Kämpfer oder Gegner von K... . Aus gewalttätigen Übergriffen tschetschenischer Sicherheitskräfte innerhalb der eigenen Teilrepublik kann nicht der Schluss gezogen werden, dass der Betreffende, hier der Kläger, auch jetzt bei einer Rückkehr in eine andere als seine Heimatregion von staatlichen Akteuren zu diesem Zweck festgehalten und gefoltert werde. Denn die exorbitante und zwanghafte Bekämpfung von Terrorismus für die Öffentlichkeit sowie zur Rechtfertigung des Polizeistaats und Machtanspruchs K... gegenüber dem föderalen Staat, der alleinig zu der unterstellten Festnahme und Folterung des Betreffenden geführt hat, ist den Machtstrukturen Tschetscheniens immanent. Es liegen dem Gericht keinerlei Erkenntnisse vor, dass dieses System der unrechtmäßigen und anlasslosen Ingewahrsamnahme auch außerhalb der Nordkaukasus-Region derart praktiziert wird (vgl. Verwaltungsgericht Magdeburg, Urteil v. 26. Juli 2017 – 3 A 253/16 – juris, Rn. 25).

Der Kläger kann auch sicher und legal in den sicheren Landesteil reisen, wird dort aufgenommen und es kann von ihm vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich dort niederlässt. Bei der Prüfung, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach § 3d Abs. 1 AsylG erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen (Art. 3d Abs. 2 Satz 1 AsylG). Erforderlich ist, dass der Ausländer am Zufluchtsort unter persönlich zumutbaren Bemühungen jedenfalls sein wirtschaftliches Existenzminimum, sei es durch eigene Arbeit, sei es durch staatliche oder sonstige Hilfen, sichern kann und nicht der Obdachlosigkeit ausgesetzt ist. Dabei sind einem jungen, gesunden und arbeitsfähigen Kaukasier mit Hauptschulabschluss und grundlegenden Russischkenntnissen außer kriminellen Tätigkeiten alle Arbeiten zumutbar, auch solche, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können (Bundesverwaltungsgericht, Beschluss v. 13. Juli 2017 – 1 VR 3/17 – juris, Rn. 119). Der Verweis auf eine entwürdigende oder eine entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht, ist dagegen nicht zumutbar (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil v. 1. Februar 2007 – 1 C 24/06 – juris, Rn. 11).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist es dem Kläger zumutbar und kann von ihm daher auch vernünftigerweise erwartet werden, dass er seinen Aufenthalt mit seiner Frau und den drei gemeinsamen minderjährigen Kindern in einem anderen Landesteil der Russischen Föderation nimmt, weil dort sein soziales und wirtschaftliches Existenzminimum und das seiner Familie gesichert ist:

Tschetschenen steht wie allen russischen Staatsbürgern das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Für eine legale Aufenthaltnahme bedarf es einer Registrierung, wozu der Inlandspass und ein Wohnraumnachweis vorgelegt werden müssen. Zwar wird in manchen Städten – wie z.B. in Moskau oder St. Petersburg – der Zuzug von Personen aus den südlichen Republiken der Russischen Föderation durch Verwaltungsvorschriften erschwert bzw. verhindert. Dies beschränkt zwar die Möglichkeit zurückgeführter Tschetschenen, sich dort zu registrieren. Tschetschenen leben aber wie oben ausführlich dargelegt überall in der Russischen Föderation (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 31. August 2018, zuletzt aktualisiert am 12. November 2018, Seite 80-81).

Allein dies stellt ein Faktum dar, nach welchem es möglich sein muss, sich selbst bei Zuzugsbeschränkungen in Städten wie Moskau oder St. Petersburg niederzulassen. Stichhaltige Anhaltspunkte für eine generelle Verweigerung der Registrierung innerhalb der gesamten Russischen Föderation liegen nicht vor. Zwar ergibt sich aus den vorliegenden Erkenntnismitteln, dass sich Tschetschenen wegen ihrer Volkszugehörigkeit in der Russischen Föderation Übergriffen und Diskriminierungen seitens der Behörden, aber auch durch gesellschaftliche Kräfte ausgesetzt sehen können. Gleichwohl kann aufgrund dieser Situation nur dann von fehlender Verfolgungssicherheit ausgegangen werden, wenn es sich bei den zu gewärtigenden Maßnahmen um Verfolgungshandlungen im Rechtssinne handelt und diese eine Dichte haben, die zur Annahme einer Gruppenverfolgung ausreicht. Das Vorliegen einer Verfolgungshandlung beurteilt sich nach § 3a AsylG. Wenngleich festzustellen ist, dass Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens in gesteigertem Maße Anfeindungen und Misstrauen begegnen, so ist damit die Schwelle für die Annahme einer Gruppenverfolgung nicht überschritten. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt eine bestimmte Verfolgungsdichte voraus, welche die Regelvermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr um nur vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil v. 1. Februar 2007 – 1 C 24.06 – juris, Rn. 7). Objektive Anhaltspunkte, die eine derartige Behandlung ethnischer Tschetschenen in der Russischen Föderation als nicht nur ganz entfernte und damit durchaus reale und nicht nur theoretische Möglichkeit erscheinen lassen (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil v. 8. September 1992 – 9 C 8/91 – juris, Rn. 14), sind indes nicht ersichtlich. Angesichts der oben genannten Vielzahl von in der Russischen Föderation sowohl als Binnenflüchtlinge als auch als Migranten lebenden Tschetschenen bieten die nicht mit näherer Quantifizierung verbundenen Angaben zu gegen sie gerichteten Maßnahmen keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme einer auch nur geringen Wahrscheinlichkeit einer eigenen Verfolgungsbetroffenheit.

Das generelle Erfordernis der Registrierung hat wie oben bereits erwähnt nicht die beachtlich wahrscheinliche Gefahr zur Folge, durch tschetschenische Sicherheitskräfte an anderen Orten der Russischen Föderation aufgefunden und nach Tschetschenien überstellt werden zu können. Dies erscheint auch angesichts der vorliegenden Erkenntnisse zum Registrierungsverfahren unwahrscheinlich, denn die Abmeldung muss nicht über die Behörden der ursprünglichen Adresse vorgenommen, sondern kann auch an der neuen Adresse durchgeführt werden. Mit der Abmeldung wird zur Bestätigung ein Stempel in den Inlandspass gesetzt. Wenn eine Person ihren neuen dauerhaften Wohnsitz anmeldet, während ihr alter Wohnsitz noch nicht abgemeldet ist, wird die Abmeldung gleich am Ort der Anmeldung der neuen Adresse vorgenommen. Generell stellt die Anmeldung für Tschetschenen kein Problem dar, selbst wenn sie diskriminiert werden oder einem korrupten Verhalten der Beamten ausgesetzt sind, denn letztendlich erhalten sie ihre Anmeldungen. EASO hat trotz weiterer Recherchen für den Bericht 2018 keine neueren Informationen zur Registrierungspraxis ermitteln können (EASO, Die Situation der Tschetschenen in Russland, August 2018, Seite 19-20). Demnach ist nicht ersichtlich, wie tschetschenische Sicherheitsbehörden überhaupt Kenntnis von einer neuen Registrierung außerhalb Tschetscheniens erlangen sollten.

Soweit S... im Gegensatz dazu behauptet, dass bei der Anmeldung an einer neuen Adresse die Informationen automatisch an das Meldeamt der alten Adresse gesendet würden und diese Informationen von etwaigen Verfolgern „leicht abgerufen“ werden könnten, handelt es sich hierbei um eine für das Gericht nicht überprüfbare Spekulation. Es erhebt sich bereits die Frage, wie Verfolger überhaupt Kenntnis von der neuen Anmeldung erlangen; eine Kenntnisnahme würde voraussetzen, dass jeder Verfolger regelmäßig sämtliche Meldeänderungen überprüfen würde, was bereits aus praktischen Erwägungen heraus, aber auch angesichts von Datenschutzvorschriften unwahrscheinlich ist. Nach Einschätzung des DIS ist außerdem fraglich, ob diese Informationen tatsächlich von den tschetschenischen Behörden aufgegriffen und verwendet werden. Dies hänge davon ab, wie wichtig die Person für die tschetschenischen Behörden sei. Wenn diese Person nicht von Bedeutung sei, werde vielleicht gar nichts passieren (EASO, Die Lage der Tschetschenen in Russland, Stand August 2018, Seite 53-54).

Außerdem fehlt es wie oben schon ausgeführt an belastbaren Berichten in hinreichender Anzahl über das Tätigwerden tschetschenischer und/oder russischer Sicherheitskräfte in anderen Teilen der Russischen Föderation gegenüber im Inland migrierten Tschetschenen allein aufgrund einer neuen Registrierung. Angesichts der mehreren Zehntausend Tschetschenen, die sich in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens dauerhaft angesiedelt und dabei auch neu registriert haben, müsste es aber zahlreiche solche Berichte geben, wenn dieses Risiko so real wäre wie behauptet.

Ohne Belang ist auch, ob der Kläger und seine Angehörigen noch über gültige Inlandspässe verfügen. Die Verordnung der Regierung der Russischen Föderation Nr. 779 vom 20. Dezember 2006 erweitert die Möglichkeit zur Beantragung des Inlandspasses in räumlicher Hinsicht. Dieser kann nunmehr am Wohnort, Aufenthaltsort oder dem Ort der Antragstellung ausgestellt werden, sodass der Kläger bzw. seine Ehefrau und die Kinder nicht gezwungen sind, zur Beantragung neuer Inlandspässe nach Tschetschenien zurückzukehren (zuletzt Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation vom 4. April 2010, S. 33).

In einer Gesamtbetrachtung der konkreten wirtschaftlichen und sozialen Situation in der Russischen Föderation, der dort allgemein zugänglichen sozialen Sicherungssysteme und der individuellen Situation der klägerischen Familie liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass es dem Kläger und seiner Familie, d.h. seiner Ehefrau und den drei minderjährigen Kindern, aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen unzumutbar wäre, ihren Aufenthalt innerhalb der Russischen Föderation – außerhalb von Tschetschenien – zu nehmen.

Es ist nach den Erkenntnissen des Gerichts nicht zu erwarten, dass der Kläger mit seiner Ehefrau und seinen drei minderjährigen Kindern nach der Rückkehr nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts der Familie einschließlich des Wohnbedarfs in der Lage wäre. Die Armutsgefährdung stellt in der Russischen Föderation ein flächendeckendes Problem dar, von dem bis zu 63 Prozent der Bevölkerung betroffen sind. Teilweise wird diese Gefährdung durch die vorhandenen sozialen Sicherungssysteme aufgefangen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 31. August 2018, zuletzt aktualisiert am 12. November 2018, Seite 84). Der Kläger und seine Familie sind im Fall der Rückkehr von drohender Armut nicht in größerem Umfang als die Bevölkerung insgesamt betroffen.

In Anbetracht des beruflichen Hintergrunds ist davon auszugehen, dass der inzwischen 36-jährige, erwerbsfähige und der russischen Sprache mächtige Kläger auch außerhalb seiner Heimatregion eine legale Möglichkeit findet, um für den eigenen Lebensunterhalt und den seiner Familie zumindest im notwendigen Umfang zu sorgen. Der Kläger hat nach eigenen Angaben fünf bis sechs Jahre lang die Schule besucht, absolvierte im Anschluss zwischen 2001 und 2003 in Moskau eine Ausbildung in Holzgestaltung und arbeitete in Tschetschenien als Taxifahrer.

Da die drei Kinder zwischen sechs und zwölf Jahre alt und damit im schulpflichtigen Alter sind, ist es auch der Ehefrau des Klägers zumutbar, wenigstens in begrenztem Umfang durch eine einfache Tätigkeit in Teilzeit zum wirtschaftlichen Unterhalt der Familie mit beizutragen. Die Ehefrau ist nach eigenen Angaben gelernte Schneiderin und arbeitete zuletzt als Verkäuferin. Beide Eheleute gaben an, ihre wirtschaftliche Lage in der Heimat sei durchschnittlich gewesen. Darüber hinaus vermag der Kläger auch auf sein familiäres Netzwerk in der Heimat zurückzugreifen, weil seine Eltern und mehrere seiner Geschwister noch bzw. wieder dort leben, ebenso wie die Eltern seiner Ehefrau und weitere nahe und entferntere Verwandte von ihr.

Zudem ist die allgemeine wirtschaftliche und soziale Situation in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens sogar besser als in der Heimatrepublik des Klägers, sodass die Erwerbschancen der klägerischen Familie dort noch besser sein werden. Denn im Nordkaukasus ist die Verarmung der Bevölkerung im Vergleich zum Gesamtstaat überdurchschnittlich. Die wirtschaftlich stärkeren Metropolen und Regionen in der Russischen Föderation bieten trotz der vergangenen Wirtschaftskrise bei vorhandener Arbeitswilligkeit entsprechende Chancen für russische Staatsangehörige aus der eher strukturschwachen Region des Nordkaukasus. Parallel dazu zeigt sich die russische Regierung bemüht, auch die wirtschaftliche Entwicklung des Nordkaukasus selbst voranzutreiben (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 30. September 2019, Seite 88).

Zudem können kinderreiche Familien und damit auch die klägerische Familie verschiedene Formen der staatlichen Familienhilfe in Anspruch nehmen, z.B. das Mutterschaftskapital, das frühestens drei Jahre nach dem zweiten Kind ausgezahlt wird und mehr als 7.500 EUR betragen kann. Es kann zweckgebunden u.a. zur Verbesserung der Wohnsituation verwendet werden. In einigen russischen Regionen darf der gesamte Umfang des Mutterschaftskapitals bis zu 70 Prozent der Wohnkosten decken. Die Leistungen können noch durch Beihilfen in einzelnen Regionen aufgestockt werden. Junge Familien können auch Mutterschaftszulagen für wohnungswirtschaftliche Zwecke beantragen, deren Höhe im Jahr 2017 bei ca. 6.618 EUR lag. Außerdem gibt es weitere Unterstützung für Großfamilien durch das europäische Projekt MedCOI in Form von unterschiedlichen Beihilfen und Zuschüssen, Rückerstattung von Wohnungsnebenkosten wie Wasser, Gas, Elektrizität usw. (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 31. August 2018, zuletzt aktualisiert am 12. November 2018, Seite 84-89).

Familien mit drei oder mehr Kindern erhalten verschiedene Begünstigungen im Rahmen der Familienhilfe, u.a. Rabatte für Betriebskosten in Höhe von maximal 30 Prozent, Kredite und steuerliche Vorzüge sowie die Möglichkeit, eine kostenlose Unterkunft zu beantragen, Kompensationszahlungen im Zusammenhang mit Erziehungskosten, sowie bei mehr als drei Kindern Zahlungen von 600 RUB für jedes Kind unter 16 Jahren oder unter 18 Jahren bei in Bildungseinrichtungen eingeschriebenen Kindern. Auch besteht eine Arbeitslosenversicherung mit monatlichen Minimal- und Maximalzahlungen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt Russische Föderation, Stand 31.08.2018 mit Aktualisierung vom 15.10.2018, Seite 85-88).

Spezifische Probleme für Rückkehrer in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht bestehen nicht. Durch Behörden werden Rückkehrer nicht diskriminiert. Sie haben Zugang zu den bestehenden Sozialleistungen. Daneben können sie z.B. Mikrokredite für Kleinunternehmen und regionale Zuschüsse zur Förderung einer Unternehmensgründung in Anspruch nehmen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 31. August 2018, zuletzt aktualisiert am 12. November 2018, Seite 99-100). Dies alles kommt u.U. auch für den Kläger in Betracht, der in der Heimat zuletzt als – mutmaßlich selbständiger – Taxifahrer erwerbstätig war.

Schließlich kann der Kläger mit seiner Familie zur Überwindung anfänglicher Engpässe auf Mittel in Form von Rückkehrhilfen zurückgreifen, die über das Bundesamt bzw. die zuständige Ausländerbehörde beantragt werden können. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass es sich hierbei um Leistungen handelt, auf die kein Rechtsanspruch besteht, weshalb sie nur zusätzlich zu den übrigen Erwägungen hinsichtlich der Möglichkeit, das Existenzminimum im Rahmen der internen Fluchtalternative zu sichern, in Betracht zu ziehen sind.

Die Voraussetzungen der Asylanerkennung gemäß § 16a Abs. 1 Grundgesetz und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG unterscheiden sich lediglich dadurch, dass der Schutzbereich des § 3 AsylG weiter gefasst ist. Die engeren Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter liegen somit nach Ablehnung des Flüchtlingsschutzes ebenfalls nicht vor.

Auch der Hilfsantrag bleibt ohne Erfolg. Nach dem von dem Kläger geschilderten Geschehen sind bei ihm die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht erfüllt.

Gemäß § 4 AsylG ist ein Antragsteller subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt: 1. die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, 2. Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder 3. eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

Die Todesstrafe droht in der Russischen Föderation seit 2009 nicht mehr, da sie de facto abgeschafft ist (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 31. August 2018, zuletzt aktualisiert am 12. November 2018, Seite 23 und Seite 60). Für eine Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts gibt es hier keine Anhaltspunkte.

Bezüglich drohender Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung ist der Kläger auf die im Rahmen des Flüchtlingsschutzes bereits aufgezeigte interne Schutzmöglichkeit zu verweisen. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen. Dies gilt auch für die etwaige Bedrohung durch Familienangehörige des (früheren) Ehemannes der Schwester des Klägers. Die freiwillige Rückkehr der Schwester des Klägers Anfang 2018 in die Russische Föderation lässt eine neuerliche Bedrohung als sehr unwahrscheinlich erscheinen. Jedenfalls sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass im gesamten Land eine solche Bedrohung aufgrund des Familienkonflikts bestehen könnte.

Weiter ist kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Soweit hier einzig Art. 3 EMRK in Betracht kommt, scheidet angesichts der Verneinung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen wie oben auch ein Abschiebungsverbot aus, da der sachliche Schutzbereich identisch ist (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil v. 31. Januar 2013 – 10 C 15/12 – juris, Rn. 36).

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufentG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Erforderlich ist, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers auf Grund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil v. 17. Oktober 2006 – 1 C 18/05 – juris, Rn. 15). Für die Bestimmung der Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d.h. die drohende Rechtsgutverletzung darf nicht nur im Bereich des Möglichen liegen, sondern muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein. Die Gefahr ist erheblich, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Heimatland eintreten wird (vgl. Oberverwaltungsgericht Niedersachsen, Urteil v. 8. November 2011 – 8 LB 108/10 – juris, Rn. 27). Es ist nicht erforderlich, dass die Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist, § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG.

Für eine erhebliche und konkrete Gefahr für Leib oder Leben aus gesundheitlichen Gründen bietet das Vorbringen des Klägers keine Anhaltspunkte. Aktuelle ärztliche Atteste gemäß §§ 60 Abs. 7 Satz 2, 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG liegen nicht vor. Abgesehen davon, dass die letzte ärztliche Bescheinigung vom April 2017 stammt und damit bereits ca. zweieinhalb Jahre alt ist, erfüllen die vorliegenden Unterlagen sämtlich nicht die Voraussetzungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung, weil sie nicht erkennen lassen, dass eine erhebliche und konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Klägers aktuell bestehen würde.

Im Übrigen sind die Erkrankungen des Klägers in der Russischen Föderation behandelbar und die Behandlungen sind auch finanziell erreichbar.

Tuberkulose ist beispielsweise im Central Scientific Research Institute of Tuberculosis in Moskau behandelbar, in Tschetschenien in jedem Teil der Republik, z.B. in Gudermes, Grosny und an anderen Orten. In Moskau werden auch die Kosten für die Behandlung der Tuberkulose vom Moskauer Forschungs- und Klinikzentrum für Tuberkulosebekämpfung übernommen. Jedermann, auch Migranten oder Obdachlose, hat Zugang zu diesen kostenlosen Gesundheitsleistungen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 30. September 2019, Seite 105).

Psychische Erkrankungen sind in der Russischen Föderation behandelbar. Es besteht in der Russischen Föderation ausweislich einer Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 20. November 2017 in einem anderen Verfahren (VG 1 K 342/15.A) ein funktionierendes Netz von psychoneurologischen Fürsorgestellen und Betreuungsstellen für psychisch kranke Patienten. Nach Erkenntnissen der Botschaft ist die Behandlung von psychischen Krankheiten in Tschetschenien genauso wie in anderen Großstädten der Russischen Föderation gewährleistet. Eine damit praktisch identische Information ergibt sich aus einer dem Gericht ebenfalls vorliegenden Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Moskau an das Sächsische Oberverwaltungsgericht vom 31. Januar 2018 (Az.: 2 A 811/13.A, vgl. auch das entsprechende Urteil in dem dortigen Fall v. 20. April 2018 – juris, Rn. 21 ff).

Auch nach den aktuellen Erkenntnissen des Bundesamts für Asyl und Fremdenwesen der Republik Österreich sind psychiatrische Erkrankungen, darunter die posttraumatische Belastungsstörung, in der gesamten Russischen Föderation behandelbar, in Moskau auch durch unterschiedliche Therapieformen wie z.B. kognitive Verhaltenstherapie, Desensibilisierung und weitere Therapieformen, in Tschetschenien durch Psychotherapie und ambulante Konsultationen, teilweise sogar kostenfrei. Psychologische Nachsorgeuntersuchungen und Psychotherapie sind auch in Tschetschenien möglich. Aufgrund der niedrigen Löhne der Ärzte existiert ein System der inoffiziellen Zuzahlung durch die Patienten. Generell handelt es sich um relativ kleine Beträge. Bezahlt wird entweder für den Zugang zu Behandlungen oder für Behandlungen besserer Qualität. Üblicherweise zahlen Patienten für einen Termin wegen psychischer Probleme zwischen 700 und 2.000 Rubel (ca. zehn bis 27 EUR). In kleinen Dörfern sind die ärztlichen Leistungen günstiger. Zudem gibt es medizinische Einrichtungen, in denen die Versorgung kostenfrei bereitgestellt wird, in Tschetschenien z.B. im Distrikt von Gudermes. Es gibt auch psychiatrische Krisenintervention bei Suizidgefährdeten, z.B. im Psychiatric Clinical Hospital #1 in Moskau. Etwaigen Kapazitätsengpässen bei Behandlungen kann dadurch begegnet werden, dass es für alle Bürger der Russischen Föderation grundsätzlich möglich ist, aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land bei Krankheiten, die in einzelnen Teilrepubliken nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen. Inhaltsstoffe für Medikamente zur Behandlung psychischer Erkrankungen sind im gesamten Land verfügbar. Im Republican Psychiatric Hospital in Grozny ist die Medikation bei stationärer und ambulanter Behandlung kostenfrei. Es gibt in der Russischen Föderation auch ein Drogenersatzprogramm (Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 30. September 2019, Seite 30 und Seite 96-104).

Demnach wäre dem Kläger eine medizinische Behandlung der Tuberkulose, sofern diese bei ihm überhaupt noch behandlungsbedürftig sein sollte, was nicht nachgewiesen ist, sowie psychischer Probleme durch ambulante oder stationäre Psychotherapie und/oder durch Medikamente in der gesamten Russischen Föderation zugänglich und angesichts der genannten Zuzahlungspraxis in Höhe von zehn bis 27 EUR pro Termin auch finanziell zumutbar.

Die Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 AsylG, § 59 AufenthG. Die Ausreisefrist von 30 Tagen ergibt sich aus § 38 Abs. 1 AsylG.

Gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde weder seitens des Klägers vorgetragen noch sind für das Gericht nach eigener Prüfung Gründe dafür ersichtlich, dass die Befristung auf 30 Monate ermessensfehlerhaft sein könnte. Das Gericht hat die Klage VG 1 K 1933/17.A der Ehefrau und der Kinder am heutigen Tag ebenfalls abgewiesen.

Die Kostenentscheidung einschließlich der Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylG. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 Abs. 2 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.