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Gleichstellungsbeauftragte; Träger der Grundsicherung; gemeinsame Einrichtung; Jobcenter; Trägerversammlung; Teilnahme an Sitzungen der -; Recht auf aktive Teilnahme an Entscheidungsprozessen; einstweiliger Rechtsschutz


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 4. Senat Entscheidungsdatum 07.11.2012
Aktenzeichen OVG 4 S 42.12 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 123 VwGO, § 20 Abs 1 S 3 BGleiG, § 44b Abs 3 S 2 SGB 2, § 44c Abs 1 SGB 2, § 44c Abs 2 SGB 2, § 44d Abs 1 SGB 2, § 44j SGB II

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20. August 2012 mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.

Den Antragsgegnern wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, der Antragstellerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens VG 5 K 297.12 Zugang, auch in Form der persönlichen Teilnahme, zu den Sitzungen der Trägerversammlung am 9. November 2012 und im ersten, zweiten, dritten und vierten Quartal 2013 zu den Tagesordnungspunkten zu gewähren, in denen personelle, organisatorische und soziale Angelegenheiten im Sinne des § 19 Abs. 1 BGleiG behandelt und entschieden werden.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge tragen die Antragsgegner.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat auf der für den Senat maßgeblichen Grundlage der Beschwerdebegründung (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) der Antragstellerin zu Unrecht einstweiligen Rechtsschutz mit der Begründung verweigert, sie habe einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht, weil sie nicht nachvollziehbar dargetan habe, gerichtlichen Eilrechtsschutzes zu bedürfen und dass es ihr nicht zumutbar sei, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Der angefochtene Beschluss ist auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis richtig.

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig. Das auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gerichtete Organstreitverfahren ist auch dann statthaft, wenn es - wie hier - auf ein zukünftiges Handeln der Dienststelle gerichtet ist. Die prozessuale Ausgestaltung des Hauptsacheverfahrens, die auf Feststellung eines konkreten Rechtsverstoßes durch ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen der Dienststellenleitung beschränkt ist, schließt die Möglichkeit eines auf die einstweilige Verhinderung eines konkreten Rechtsverstoßes gerichteten vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO nicht aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. April 2010 - 6 C 3.09 -, juris Rn. 12; OVG Hamburg, Beschluss vom 25. Mai 2009 - 1 Bs 85/09 -, juris Rn. 5; Senatsbeschluss vom 10. April 2008 - OVG 4 S 3.08 -, juris Rn. 7).

Der Umstand, dass der unter dem 10. Februar 2012 erhobene Einspruch der Antragstellerin soweit ersichtlich noch nicht beschieden ist und infolgedessen das außergerichtliche Einigungsverfahren (vgl. § 22 Abs. 1 BGeiG) nicht stattgefunden hat, steht der Zulässigkeit des Antrages jedenfalls dann nicht entgegen, wenn - wie hier - die Klage nach § 22 Abs. 2 BGleiG als Untätigkeitsklage erhoben worden ist.

Richtiger Antragsgegner ist in dem gesetzlich besonders ausgeformten Organstreit der Gleichstellungsbeauftragten mit ihrer Dienststelle in entsprechender Anwendung des § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO das Organ, dem die behauptete Rechtsverletzung angelastet bzw. von dem ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen verlangt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. April 2010, a.a.O. Rn. 14). Im Hinblick auf § 44j SGB II ist der Antrag nicht nur gegen den Geschäftsführer der gemeinsamen Einrichtung im Sinne des § 44b SGB II, sondern auch gegen die Trägerversammlung zu richten. Nach § 44j Satz 3 SGB II stehen der bei der gemeinsamen Einrichtung bestellten Gleichstellungsbeauftragten die Rechte entsprechend den Regelungen des Bundesgleichstellungsgesetzes zu, soweit die Trägerversammlung und die Geschäftsführer entscheidungsbefugt sind. Die demzufolge gebotene entsprechende Anwendung der Regelungen des Bundesgleichstellungsgesetzes beinhaltet, dass dabei die Besonderheiten der Zuständigkeitsverteilung auf die Organe der gemeinsamen Einrichtung zu berücksichtigen sind. § 44j Satz 3 SGB II liegt erkennbar die Vorstellung zugrunde, dass der Geschäftsführer und die Trägerversammlung im Verhältnis zur Gleichstellungsbeauftragten jeweils selbständige Zuständigkeiten wahrnehmen. Die Trägerversammlung hat bei Wahrnehmung der ihr zustehenden Entscheidungsbefugnisse nach § 44c Abs. 2 SGB II die Beteiligungsrechte der Gleichstellungsbeauftragten ebenso zu respektieren wie der Geschäftsführer bei Wahrnehmung seiner Entscheidungsbefugnisse. Es fehlt insoweit an einer vergleichbaren Regelung zu § 44d Abs. 5 SGB II, wonach der Geschäftsführer Leiter der Dienststelle im personalvertretungsrechtlichen Sinn ist. Dass der Geschäftsführer die von der Trägerversammlung in deren Aufgabenbereich beschlossenen Maßnahmen auszuführen hat (§ 44d Abs. 1 Satz 3 SGB II) und die gemeinsame Einrichtung gerichtlich und außergerichtlich vertritt (§ 44d Abs. 1 Satz 2 SGB II), ändert an den im Innenverhältnis bestehenden organschaftlichen Rechtsbeziehungen nichts. Ihm steht ein Weisungsrecht gegenüber den Beamten und Angestellten der gemeinsamen Einrichtung (vgl. § 44d Abs. 4 SGB II), nicht aber gegenüber der Trägerversammlung zu. Auch die Träger haben gegenüber der gemeinsamen Einrichtung kein Weisungsrecht, soweit der Zuständigkeitsbereich der Trägerversammlung nach § 44c SGB II berührt ist (vgl. § 44b Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 SGB II). Dieses Verständnis geht auch aus dem Schreiben des Geschäftsführers des Jobcenters an die Antragstellerin vom 8. Februar 2012 hervor, in dem er die von der Antragstellerin geltend gemachte Einbindung in die Entscheidungsprozesse der Trägerversammlung in deren Auftrag ablehnend beantwortete.

2. Das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin ist auf Grund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anzustellenden summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten begründet. Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Erlass der begehrten Regelungsanordnung (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO).

Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Ihr steht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit grundsätzlich ein Anspruch auf Teilnahme an den Sitzungen der Trägerversammlung zu, der als notwendige Voraussetzung hierfür die vorherige Bekanntgabe der Tagungstermine und der Tagesordnung einschließt. Zufolge § 20 Abs. 1 Satz 3 BGleiG i.V.m. § 44j SGB II soll der Gleichstellungsbeauftragten Gelegenheit zur aktiven Teilnahme an allen Entscheidungsprozessen zu personellen, organisatorischen und sozialen Angelegenheiten gegeben werden. Davon, dass sich dieses Recht zur aktiven Teilnahme an allen Entscheidungsprozessen der Dienststelle auch auf die Entscheidungsbefugnisse der Trägerversammlung bezieht, geht schon § 44j Satz 3 SGB II nach seinem eindeutigen Wortlaut aus. Dass das Recht der Gleichstellungsbeauftragten nach § 20 Abs. 1 Satz 3 BGleiG inhaltlich einen Anspruch auf Teilnahme an Sitzungen von Gremien begründet, durch die ein Entscheidungsprozess in personellen, organisatorischen oder sozialen Angelegenheiten wesentlich gesteuert wird, hat das Bundesverwaltungsgericht aus der Systematik wie dem Zweck des Bundesgleichstellungsgesetzes hergeleitet (im Einzelnen BVerwG, Urteil vom 8. April 2010, a.a.O. Rn. 18 ff. betr. Führungsklausuren auf der Ebene des Hauptzollamtes). Hiervon ausgehend lassen sich den Vorschriften über die Besetzung und die Zuständigkeit der Trägerversammlung keine Argumente gegen die Teilnahme der Antragstellerin entnehmen. § 44c Abs. 1 Satz 2 bis 4 SGB II, der die Besetzung und Stimmverteilung in der Trägerversammlung regelt, ist nicht in dem Sinne aufzufassen, dass es sich um eine spezielle gesetzliche Vorschrift handelt, die den Teilnehmerkreis besonders einschränkt (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 8. April 2010, a.a.O. Rn. 24 unter Bezugnahme auf BVerwG, Beschluss vom 25. März 2009 - 6 P 8.08 -, juris Rn. 35 [Exklusivität der Besetzung einer Prüfungskommission]). Die paritätische Besetzung der Trägerversammlung mit regelmäßig drei stimmberechtigten Vertretern der Agentur für Arbeit und des kommunalen Trägers steht der - schlichten, beratenden - Teilnahme der Antragstellerin nicht entgegen, zumal auch der Geschäftsführer an den Sitzungen beratend teilnimmt (§ 44d Abs. 1 Satz 3 SGB II) und die Antragstellerin der Personalverwaltung angehört und unmittelbar der Dienststellenleitung zugeordnet ist (§ 18 Abs. 1 BGleiG). Die Zuständigkeit der Trägerversammlung, die § 44c Abs. 2 Satz 1 SGB II mit organisatorischen, personalwirtschaftlichen, personalrechtlichen und personalvertretungsrechtlichen Angelegenheiten der gemeinsamen Einrichtung beschreibt, stimmt mit den in § 20 Abs. 1 Satz 3 BGleiG bestimmten Gegenständen des Rechts der Antragstellerin zur aktiven Teilnahme an allen Entscheidungsprozessen weitgehend überein, so dass auch unter diesem sachlichen Gesichtspunkt nichts gegen ein Teilnahmerecht der Antragstellerin spricht. Im Hinblick auf die Fassung des § 20 Abs. 1 Satz 3 BGleiG als Soll-Vorschrift darf von ihr nur in atypischen Fällen abgewichen werden. Solche atypischen Konstellationen können vorliegen, wenn zu erörternde Angelegenheiten keinen Bezug zu der Aufgabenbeschreibung der Gleichstellungsbeauftragten nach § 19 Abs. 1 Satz 2 BGleiG haben. In solchen Fällen mag von der Zuziehung der Gleichstellungsbeauftragten ausnahmsweise abgesehen werden dürfen (vgl. BVerwG, wie zuletzt zitiert, Rn. 26). Dieser Einschränkung trägt das Antragsbegehren Rechnung.

Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Dabei ist, wie auch das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, ein strenger Maßstab anzulegen, weil der Gegenstand des Hauptsacheverfahrens, der Feststellungsklage nach § 22 Abs. 3 Nr. 1 BGleiG, die zudem keine aufschiebende Wirkung entfaltet (§ 22 Abs. 1 Satz 4 BGleiG), auf die Feststellung eines konkreten Rechtsverstoßes durch ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen der Dienststellenleitung beschränkt ist. Kann - wie hier - mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Erfolg der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren angenommen werden, kann der Anordnungsgrund indiziert sein, es sei denn, dass gewichtige Gründe entgegenstehen (vgl. dazu BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. September 2009 - 1 BvR 1702/09 -, juris Rn. 24). Danach ist der Erlass der einstweiligen Anordnung geboten, um der anderenfalls bestehenden Gefahr der fortschreitenden irreversiblen Vereitelung des aktiven Teilnahmerechts der Antragstellerin zu begegnen. Die Entscheidungsprozesse, die in der Trägerversammlung stattgefunden haben, ohne dass die Antragstellerin daran teilnehmen konnte, sind unwiederbringlich abgeschlossen. Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens kann dieser Zustand über Jahre fortdauern. Der eidesstattlich versicherten Erklärung der Antragstellerin, dass sie weder vorab über die Tagesordnung der Sitzungen der Trägerversammlung informiert werde noch die Protokolle über die Sitzungen erhalte und nur mittelbar auf eigene Nachfrage im Jour fixe mit dem Geschäftsführer und in der Dienstberatung mit den Führungskräften des Jobcenters informiert werde, sind die Antragsgegner nicht entgegen getreten. Die Antragstellerin verfügt mithin derzeit und voraussichtlich zukünftig nicht über eine solche Informationsgrundlage, welche die ihr vorenthaltene Teilnahme an den Sitzungen der Trägerversammlung über einen unabsehbaren Zeitraum hinnehmbar erscheinen ließe.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).