Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 18. Senat | Entscheidungsdatum | 26.02.2014 | |
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Aktenzeichen | L 18 AL 221/12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 131 Abs 1 aF SGB 3, § 408 Nr 2 SGB 3 |
Die Berufung der Beklagten wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Berlin vom 15. Februar 2012 wie folgt neu gefasst wird:
Der Bescheid der Beklagten vom 18. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2010 wird geändert.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 1. August 2010 bis 31. Oktober 2010 Arbeitslosengeld nach einem täglichen Bemessungsentgelt in Höhe von 163,15 € zu bewilligen.
Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten beider Instanzen zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitig ist die Höhe des Anspruchs der Klägerin auf Arbeitslosengeld (Alg) im Zeitraum vom 1. August 2010 bis 31. Oktober 2010.
Die 1959 geborene, geschiedene Klägerin war vom 1. Januar 2009 bis zum 31. Dezember 2009 bei der Firma PWC in B (West) beschäftigt und erzielte dort ein monatliches beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 5.400,- €. Anschließend war sie vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Juli 2010 bei der S P GmbH in P beschäftigt und erzielte dort folgende Arbeitsentgelte: Januar 2010: 5.416,87 €; Februar bis Mai 2010: monatlich 5.961,97 €; Juni und Juli 2010: 5.416,67 €. Im Juni 2010 wurde zusätzlich eine Tantieme iHv 9.762,25 € ausbezahlt.
Auf ihren Antrag bewilligte die Beklagte der Klägerin durch Bescheid vom 18. August 2010 ab 1. August 2010 Alg für 450 Leistungstage bis 30. Oktober 2011. Im Bemessungszeitraum vom 31. Juli 2010 bis 1. August 2009 ermittelte die Beklagte ein maßgebliches Arbeitsentgelt iHv 59.550,- € (August bis Dezember 2009: monatlich 5.400,- € = Beitragsbemessungsgrenze 2009; Januar bis Juli 2010: monatlich 4.650,- € = Beitragsbemessungsgrenze – Ost - 2010). Das sich hieraus ergebende tägliche Bemessungsentgelt iHv 163,15 € begrenzte die Beklagte auf die Beitragsbemessungsgrenze (Ost) für das Jahr 2010 iHv 155,- € täglich und ermittelte einen täglichen Leistungssatz iHv 58,81 €. Ab dem 1. November 2010 war die Klägerin wieder sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
Mit ihrem Widerspruch wandte sich die Klägerin unter anderem gegen die Anwendung der Beitragsbemessungsgrenze (Ost) des Jahres 2010 für den gesamten Bemessungszeitraum. Dieser Widerspruch wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 29. September 2010 zurückgewiesen mit der Begründung, das im Bemessungszeitraum insgesamt erzielte beitragspflichtige Arbeitsentgelt iHv 59.550,- € und damit durchschnittliche tägliche Bemessungsentgelt iHv 163,15 € sei unter Beachtung der zuletzt ausgeübten Beschäftigung in Potsdam und der Beitragsbemessungsgrenze (Ost) für das Jahr 2010 auf täglich 155,- € zu begrenzen.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 1. August 2010 bis 31. Oktober 2010 unter Berücksichtigung eines täglichen Bemessungsentgeltes iHv 163,15 €. Mit Gerichtsbescheid vom 15. Februar 2012 hat das Sozialgericht (SG) Berlin die Beklagte zur Bewilligung von Alg „nach einem höheren täglichen Bemessungsentgelt als 163,15 €“ ab 1. August 2010 verurteilt. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Der Weisungslage der Beklagten, wonach es auf den Rechtskreis ankomme, in welchem die Klägerin überwiegend im Bemessungszeitraum tätig gewesen sei, könne nicht gefolgt werden. Hierfür finde sich keine gesetzliche Grundlage. Die Beklagte habe vielmehr unter Berücksichtigung auch der Beitragsbemessungsgrenze (West) die Höhe des Anspruchs der Klägerin auf Alg zu ermitteln, da der Klägerin ansonsten für gezahlte Beiträge Leistungen vorenthalten würden. Deshalb habe sie Anspruch auf Berücksichtigung eines höheren Bemessungsentgelts als 155,- € täglich. Hingegen habe die Klägerin keinen Anspruch auf Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze (West) für den gesamten Bemessungszeitraum und damit Zugrundelegung eines täglichen Bemessungsentgeltes iHv 163,15 €, weshalb die Klage insoweit abzuweisen sei.
Die Beklagte hat zur Begründung ihrer vom Landessozialgericht zugelassenen Berufung ihr Vorbringen aus dem Klageverfahren wiederholt und vertieft. Maßgebend seien die Regelungen des Rechtskreises, in dem die Klägerin im Bemessungszeitraum überwiegend gearbeitet habe.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 15. Februar 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, es müsse bei der Berechnung ihres Anspruchs auf Alg im Zeitraum 1. August 2010 bis 31. Oktober 2010 eine Mischkalkulation zu Grunde gelegt werden. Es könne nicht alleine auf den Zeitpunkt des letzten Beitrages ankommen und auch nicht darauf, wo sie überwiegend im Bemessungszeitraum tätig gewesen sei.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die die Klägerin betreffende Leistungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen.
Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 18. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Denn sie hat im hier streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. August 2010 bis 31. Oktober 2010 Anspruch auf Zugrundelegung eines täglichen Bemessungsentgeltes iHv 163,15 € bei der Berechnung ihres Anspruchs auf Alg. Der insoweit widersprüchliche Tenor des Gerichtsbescheides war jedoch klarstellend neu zu formulieren.
Gem. § 129 Nr. 1 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) in der hier anwendbaren, bis 31. März 2012 geltenden Fassung (aF) beträgt das Alg für Arbeitslose, die mindestens ein Kind im Sinne des § 32 Abs. 1, 3 bis 5 des Einkommensteuergesetzes haben, sowie für Arbeitslose, deren Ehegatte oder Lebenspartner mindestens ein Kind im Sinne des § 32 Abs. 1, 3 bis 5 des Einkommensteuergesetzes hat, wenn beide Ehegatten oder Lebenspartner unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben, 67 Prozent (erhöhter Leistungssatz) des pauschalierten Nettoentgeltes, das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Nach § 130 Abs. 1 S. 1 SGB III aF umfasst der Bemessungszeitraum die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigung im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs (S. 2). Danach ist der hier maßgebliche Bemessungsrahmen der Zeitraum vom 31. Juli 2010 bis zum 1. August 2009. Gem. § 131 Abs. 1 Satz 1 SGB III aF ist Bemessungsentgelt das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat. Die Bemessungsgrundlage für das Bemessungsentgelt errechnet sich dabei nach Maßgabe des § 341 Abs. 3 SGB III aF: maßgebend ist das Bruttoarbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum aufgrund der versicherungspflichtigen Beschäftigung bis zur Beitragsbemessungsgrenze erzielt hat. Soweit jedoch die Vorschriften des SGB III bei Entgelten oder Beitragsbemessungsgrundlagen an die Beitragsbemessungsgrenze anknüpfen, ist gemäß § 408 Nr. 2 SGB III aF die Beitragsbemessungsgrenze für das Beitrittsgebiet maßgebend, wenn der Beschäftigungsort im Beitrittsgebiet liegt. Dies war bei der Klägerin indes nur im Zeitraum Januar bis Juli 2010 während ihrer Beschäftigung in Potsdam der Fall.
Aus diesen Regelungen ergibt sich schon aufgrund des Wortlautes unzweifelhaft, dass die Beklagte zur Ermittlung des Bemessungsentgeltes im Zeitraum August bis Dezember 2009 die Beitragsbemessungsgrenze (West) anzuwenden hat und für den Zeitraum Januar bis Juli 2010 die Beitragsbemessungsgrenze (Ost), denn „insoweit“ (vgl. Wortlaut § 408 SGB III aF) hat die Klägerin im Beitrittsgebiet gearbeitet. Dem Wortlaut der Regelung des § 131 Abs. 1 SGB III aF ist klar zu entnehmen, das maßgebend das „durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt“ ist, wobei zur Feststellung des beitragspflichtigen Arbeitsentgeltes in jedem Monat auf die Regelungen der § 341 und 408 SGB III aF abzustellen und die Beitragsbemessungsgrenze (Ost) nur für Zeiten der Beschäftigung in den neuen Bundesländern anzuwenden ist. Diese Regelungen lassen auch für eine andere Auslegung als die hier vorgenommene keinen Raum. Insbesondere findet die sog. Rechtskreistheorie der Beklagten im Gesetz keine Stütze. Sie vermag schon deshalb nicht zu überzeugen, weil unklar bleibt, wie diejenigen Fälle zu lösen wären, bei denen ein Überwiegen einer Tätigkeit in einem Rechtskreis nicht festgestellt werden kann und sie führt außerdem zu dem mit Art. 14 Grundgesetz (GG) und dem damit verbürgten Eigentumsschutz nicht tragbaren Ergebnis, dass den in Zeiten der Tätigkeit in den alten Bundesländern geleisteten (höheren) Beiträgen ohne sachlichen Grund keine entsprechenden Versicherungsleistungen gegenüberstehen. Der von der Beklagten in Bezug genommenen Verwaltungsvorschrift lässt sich zudem für die vorliegende Rechtsfrage nichts entnehmen: sie soll Klarheit in den Fällen schaffen, in welchen zu entscheiden ist, welchem Rechtskreis der Alg-Bezug als solcher zugeordnet werden soll. Zur Berechnung und damit der Höhe des Alg-Anspruchs verhält sich das von der Beklagten in Bezug genommene Besprechungsergebnis der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung gerade nicht.
Nach alledem hat die Beklagte bei der Berechnung der Höhe des Anspruchs der Klägerin auf Alg im streitgegenständlichen Zeitraum wie folgt vorzugehen:
August bis Dezember 2009: Beschäftigung in Berlin – das Einkommen der Klägerin lag durchweg über der maßgebenden Beitragsbemessungsgrenze 2009 iHv 5.400,- € monatlich. Der Ermittlung des Bemessungsentgeltes sind damit 5 x 5.400,- € zu Grunde zu legen, mithin der Betrag von 27.000,- €.
Januar bis Juli 2010: Beschäftigung in Potsdam – das Einkommen der Klägerin lag durchweg über der maßgebenden Beitragsbemessungsgrenze (Ost) 2010 iHv 4.650,- € monatlich. Der Ermittlung des Bemessungsentgeltes sind damit 7 X 4.650,- € zu Grunde zu legen, mithin der Betrag von 32.550,- €.
Insgesamt ergibt dies ein Bemessungsentgelt iHv 59.550,- €, wie es auch die Beklagte auf Bl. 39/49 ihrer Leistungsakte errechnet hatte. Das gemäß § 131 Abs. 1 SGB III aF tägliche Bemessungsentgelt ist das „durchschnittlich“ auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, im vorliegenden Fall also 163,15 € (59.550,- € : 365 Tage). Da das tatsächliche Arbeitsentgelt bereits auf die jeweils maßgebende Beitragsbemessungsgrenze begrenzt wurde, ist für eine weitere Begrenzung – wie von der Beklagten durchgeführt – kein Raum.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe hierfür nach § 160 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.