Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen (Muslimischer Schüler; Anspruch auf Verrichtung des rituellen islamischen...

(Muslimischer Schüler; Anspruch auf Verrichtung des rituellen islamischen Mittagsgebets in der Schule)


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 27.05.2010
Aktenzeichen OVG 3 B 29.09 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen Art 4 Abs 1 GG, Art 4 Abs 2 GG, Art 6 Abs 2 GG, Art 7 Abs 1 GG, Art 29 Abs 1 Verf BE, § 46 Abs 2 S 3 SchulG BE, § 76 Abs 2 Nr 8 SchulG BE, § 43 VwGO

Leitsatz

1. Das Begehren eines Schülers, ein Gebet in der Schule zu verrichten, ist vom Schutzbereich des Art. 4 GG umfasst, unterliegt jedoch den sich aus der Glaubensfreiheit anders- oder nichtgläubiger Schüler, dem Erziehungsrecht der Eltern, dem staatlichen Unterrichts- und Erziehungsauftrag und der staatlichen weltanschaulich-religiösen Neutralitätspflicht ergebenden verfassungsimmanenten Schranken.

2. An einer Schule mit religiös ausgeprägt heterogener Schülerschaft und einem den Schulfrieden gefährdenden hohen Konfliktpotenzial erfordert die Ermöglichung ritueller Gebetshandlungen flankierende organisatorische Vorkehrungen, auf die von Verfassungs wegen kein Anspruch besteht.

Zum Anspruch eines muslimischen Schülers, das rituelle islamische Mittagsgebet in der Schule verrichten zu dürfen

Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 29. September 2009 wird geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der im August 1993 geborene Kläger ist muslimischen Glaubens. Seit dem Schuljahr 2006/2007 besucht er das D.-Gymnasium in Berlin-Mitte (Wedding). Am 1. November 2007 betete er in der Schulpause nach der sechsten Unterrichtsstunde gemeinsam mit sieben Mitschülern etwa 10 Minuten lang in einem Flur des Schulgebäudes. Dabei knieten sie auf ihren Jacken, um das rituelle islamische Gebet zu verrichten. Der Vorgang wurde von anderen Schülern und einem Lehrer beobachtet, der daraufhin die Schulleiterin informierte. Diese teilte den betreffenden Schülern am folgenden Tag mündlich mit, dass das Beten auf dem Schulgelände nicht geduldet werde, und wies die Eltern des Klägers mit Schreiben vom 2.. November 2007 darauf hin, dass an der Schule politische und religiöse Bekundungen, zu denen insbesondere Gebete gehörten, nicht erlaubt seien. In einer schriftlichen Stellungnahme führte die Schulleiterin unter anderem aus: Dem Kläger sei seine Religionsausübung nicht verwehrt bzw. unmöglich gemacht worden, sondern vielmehr die Demonstration religiöser Riten, die in Gruppen praktiziert worden sei. Die Handlung habe dazu geführt, dass andere Schülerinnen und Schüler angezogen worden seien und die Betenden quasi als Darbietung betrachtet hätten. Um die religiösen Gefühle der Betenden nicht zu verletzen, habe sie gewartet, bis jeder sein Gebet beendet habe, nachdem sie zuvor die Umstehenden in den Unterricht bzw. nachhause geschickt habe, um dem Vorgang seinen voyeuristischen Charakter zu nehmen. Ihre Entscheidung, den Schülern das öffentliche Beten in Gruppen im Schulgebäude nicht zu gewähren, heiße nicht, persönliche stille und unauffällige, somit andere Schülerinnen und Schüler nicht störende und den Unterricht nicht tangierende Gebete zu untersagen. Das D.-Gymnasium werde von ca. 550 muslimischen Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher islamischer Glaubensrichtung besucht, z.B. Aleviten, Sunniten und Schiiten. Da die Rituale des Gebets in allen genannten Glaubensgemeinschaften unterschiedlich seien - so beteten bei den Aleviten zum Beispiel Männer und Frauen zusammen -, ergäben sich unlösbare organisatorische Probleme bei der Einrichtung von Gebetsecken oder -räumen. Neben den muslimischen Schülerinnen und Schülern würden an der Schule zudem christliche sowie buddhistische und hinduistische Schüler lernen. In der Vergangenheit habe man die Erfahrung gemacht, dass es zu Unregelmäßigkeiten und Streit komme, wenn man dem Wunsch nach einem gemeinsamen Gebetsraum entspreche. Die Aufsicht sei mit der gegenwärtigen personellen Ausstattung der Schule nicht zu regeln. Ferner äußerte die Schulleiterin zu den Gründen ihres Vorgehens unter anderem: Im Jahr 2007 hätten einzelne Schülerinnen und Schüler oder Gruppen Diskriminierungen erfahren. Aleviten würden von einigen Sunniten und Schiiten als keine richtigen Muslime dargestellt. Über das Kopftuch werde auf andere ein subtiler Druck ausgeübt. Schülerinnen und Schüler deutscher Muttersprache würden gelegentlich herabgewürdigt, ebenso Christen oder Nichtgläubige. Zwischen Sunniten und Schiiten entbrenne ein Streit darüber, welcher Ritus der bessere sei. Im Ramadan würden Muslime unter Druck gesetzt, wenn sie in der Schule das Fasten brächen.

Zur Begründung seiner im Dezember 2007 erhobenen Klage hat der Kläger unter anderem ausgeführt: Er praktiziere, wie es für ihn verbindlich sei, fünfmal täglich das rituelle islamische Gebet, das so genannte As-Salat. Dabei knie er auf einem Gebetsteppich, der Richtung Mekka ausgerichtet sei, und rufe sich die wichtigsten Aussagen seines Glaubens in Erinnerung. Die Gebetszeiten richteten sich nach dem jahreszeitlich bedingten Stand der Sonne und würden dem Gebetskalender entnommen. Er habe dafür Sorge zu tragen, dass das Gebet auf die richtige Weise und zur vorgeschriebenen Zeit eingehalten werde. Das Nachholen des Gebets habe nach dem islamischen Glauben nicht den gleichen Wert wie das zeitnahe Gebet.

Art. 4 Abs. 2 GG und Art. 29 Abs. 1 Satz 2 der Verfassung von Berlin - VvB -gewährleisteten die ungestörte Religionsausübung, die keiner staatlichen Genehmigung bedürfe. Die genannten Verfassungsnormen begründeten einen Anspruch gegen den Staat, Störungen der Religionsausübung von Seiten Dritter zu unterbinden. Soweit es zu Konflikten mit dem Schulbetrieb komme, müsse die Schulleiterin organisatorische Vorkehrungen treffen. Zwar möge es im Ergebnis zulässig sein, ihm einen Gebetsraum zuzuweisen. Ein totales Verbot des muslimischen Gebets auf dem Schulgelände - auch während der Pausen und in den freien Stunden - scheide aber aus.

Der Beklagte hat erstinstanzlich unter anderem geltend gemacht: Die vom Kläger unter Berufung auf Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG begehrte Duldung der Religionsausübung in der Schule könne nur unter Beachtung des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags gemäß Art. 7 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Prinzip politisch-religiös-weltanschaulicher Neutralität beansprucht werden. Die sich aus dem staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag ergebenden schulischen Belange seien im Einzelfall durch die Schulleitung zu konkretisieren. Sie habe im Rahmen praktischer Konkordanz den gebotenen Ausgleich zwischen der Religionsfreiheit des Schülers einerseits und dem staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag andererseits zu gewährleisten. Es unterliege keinem Zweifel, dass der Wunsch eines oder auch mehrerer Schüler, während der unterrichtsfreien Zeit in der Schule das islamische Gebet zu verrichten und dabei möglicherweise einen Gebetsteppich auszurollen, Anlass für die Schulleitung sein könne, durch lenkende Vorgaben einer möglichen Störung des Schulfriedens entgegenzuwirken. An diese Vorgaben seien die Schüler gemäß § 46 Abs. 2 Satz 3 SchulG gebunden. Dem Gesichtspunkt eines geordneten Zusammenlebens in der Schule komme am D.-Gymnasium erhebliche Bedeutung zu, weil an dieser Schule eine Vielzahl von Schülern und Schülerinnen mit unterschiedlichen Religionen vertreten seien und die Schülerschaft einen sehr großen Anteil Schüler nichtdeutscher Herkunft aufweise. Es gebe dort Protestanten, Katholiken, russisch-orthodoxe Christen, serbisch-orthodoxe Christen, syrisch-orthodoxe Christen, Sunniten, Schiiten, Aleviten, Juden, Buddhisten und Hinduisten. Die Schulleitung müsse in Betracht ziehen, dass nicht nur ein, sondern gegebenenfalls mehrere Schüler derselben oder auch unterschiedlicher Religionszugehörigkeit während der unterrichtsfreien Zeit ein Gebet verrichten wollten. Insbesondere könnten sich organisatorische Schwierigkeiten mit Blick auf die möglichen Konflikte zwischen den verschiedenen Schülergruppen ergeben, die unterschiedlichen Religionsgemeinschaften angehörten. Derartige Konflikte seien in der Vergangenheit bereits aufgetreten; auch Anfang November 2007 habe es erste Anzeichen für eine Störung des Schulfriedens gegeben. Soweit die Schule in der Lage gewesen sei, die Beteiligten zu einem Gespräch zusammenzubringen, hätten sich die den Konflikt schürenden Schüler regelmäßig darauf berufen, dass der Koran ihr Verhalten legitimiere. Aufgrund des Konfliktpotenzials sei die Schulleitung unter Umständen zur Wahrung des Schulfriedens gezwungen, umfängliche Vorgaben für die räumliche Aufteilung zu machen. Sofern es sich um Schüler derselben Religionszugehörigkeit handele, könne diesen zwar gemeinsam z.B. ein Flurbereich oder ein Raum zugewiesen werden. Dies gelte für den Islam jedoch nur, soweit die teilweise vorgeschriebene Trennung der Geschlechter beim Beten beachtet werde, was aufgrund der räumlichen Grenzen des Schulgebäudes nicht realisierbar sei. Dem könne nicht entgegengehalten werden, dass gegenwärtig lediglich der Kläger eine entsprechende Möglichkeit der Religionsausübung in der Schule beanspruche, weil die Schulleitung wegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG stets den Einzelfall zu abstrahieren und eine mögliche Häufung gleichartiger Anträge in den Blick zu nehmen habe. Darüber hinaus ergäben sich aus der durch Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG ebenfalls geschützten negativen Religionsfreiheit der Mitschüler verfassungsimmanente Schranken für die religiöse Betätigung in der Schule.

Mit Beschluss vom 10. März 2008 - VG 3 A 983.07 - (Juris) verpflichtete das Verwaltungsgericht den Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung, dem Kläger vorläufig zu gestatten, auf dem Gelände des D.-Gymnasiums außerhalb der Unterrichtszeit einmal täglich sein islamisches Gebet zu verrichten.

Das Verwaltungsgericht hat aufgrund Beweisbeschlusses vom 10. Juni 2009 ein islamwissenschaftliches Sachverständigengutachten des Direktors des Erlanger Zentrums für Islam und Recht in Europa und Vorsitzenden der Gesellschaft für arabisches und islamisches Recht, Prof. Dr. R., zu Fragen der Gebetspflicht von Moslems eingeholt. Wegen des Inhalts des Sachverständigengutachtens wird auf Bd. 1 der Gerichtsakte, Blatt 167-187 Bezug genommen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger auf Befragen ausgeführt, dass für das Mittagsgebet im Sommer eine Zeitspanne bis etwa 16:00 Uhr, im Winter bis etwa 14:30 Uhr/15:00 Uhr zur Verfügung stehe. Er verrichte sein Mittagsgebet, für das er etwa acht Minuten benötige, regelmäßig nach der sechsten Unterrichtsstunde, die etwa um 13:20 Uhr zu Ende sei und an die sich eine zehnminütige Pause anschließe. Dazu gehe er in den ihm von der Schulleitung als Gebetsraum zur Verfügung gestellten Raum, bei dem es sich um einen sonst nicht genutzten Computerraum handele und der etwa gegenüber seinem Klassenzimmer liege. Die vorbereitende Gebetswaschung nehme er in einer vorhergehenden Pause auf der Toilette vor.

Durch Urteil vom 29. September 2009 (NVwZ-RR 2010, 189) hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass der Kläger berechtigt ist, während des Besuchs des D.-Gymnasiums außerhalb der Unterrichtszeit einmal täglich sein islamisches Gebet zu verrichten. Der Feststellungsantrag sei zulässig. Der Kläger beanspruche weiterhin, in einer Schulpause das islamische Gebet zu verrichten; dieses Recht werde von dem Beklagten bestritten. Es sei dem Kläger nicht zuzumuten, Sanktionen in Form von Erziehungs- oder Ordnungsmaßnahmen abzuwarten und die hier streitige Rechtsfrage in diesem Zusammenhang gerichtlich klären zu lassen. Dem Feststellungsbegehren stehe nicht der Grundsatz der Subsidiarität entgegen. Eine Verpflichtungsklage komme schon deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger nicht die Erteilung einer Erlaubnis erstrebe, sondern ersichtlich die Auffassung vertrete, in dem begehrten Umfang auch ohne Erlaubnis des Beklagten zum Beten berechtigt zu sein. Ebenso scheide eine Anfechtungsklage aus, weil das Schreiben der Schulleiterin vom 2. November 2007 nicht als Verwaltungsakt, sondern lediglich als Hinweis auf eine aus Sicht der Schulleiterin bestehende Rechtslage zu werten sei. Da der Kläger schließlich auch kein reales Verwaltungshandeln erstrebe, könne er nicht darauf verwiesen werden, eine allgemeine Leistungsklage zu erheben.

Die Klage sei auch begründet. Zur Frage der Zulässigkeit des Betens in der Schule enthalte das Schulgesetz keine Regelung. Der Kläger könne sich jedoch auf das Grundrecht der ungestörten Religionsausübung nach Art. 4 Abs. 2 GG sowie Art. 29 Abs. 1 VvB berufen, in deren Schutzbereich insbesondere das Beten falle. Der Kläger betrachte die Verrichtung der islamischen Ritualgebete zu den vorgeschriebenen Zeiten als für sich verbindlich; das Befolgen dieser Glaubensregeln sei für ihn Ausdruck seines religiösen Bekenntnisses. Dies habe er in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt. Aus dem Sachverständigengutachten von Prof. Dr. R.ergebe sich, dass nach einhelliger Ansicht im Islam grundsätzlich alle religionsmündigen Muslime religiös verpflichtet seien, die Ritualgebete innerhalb bestimmter Zeitfenster zu verrichten. Das Verschieben oder Zusammenziehen von Ritualgebeten sei für einen Gläubigen nur ausnahmsweise in Notlagen und in anderen Situationen besonderer äußerer Notwendigkeiten gestattet. Die Glaubensfreiheit sei gemäß Art. 4 Abs. 1 und 2 GG vorbehaltlos gewährleistet. Einschränkungen könnten sich daher nur aus der Verfassung selbst ergeben und bedürften einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage. Konflikte zwischen der Glaubensfreiheit und anderen verfassungsrechtlich geschützten Gütern seien nach dem Grundsatz praktischer Konkordanz zu lösen. Gemäß § 46 Abs. 2 Satz 3 SchulG seien die Schülerinnen und Schüler an die Vorgaben gebunden, die dazu bestimmt seien, das Bildungs- und Erziehungsziel der Schule zu erreichen sowie das Zusammenleben und die Ordnung in der Schule aufrechtzuerhalten. Danach seien die dem Kläger bisher gemachten organisatorischen Vorgaben, um ihm das Beten in der Schule zu ermöglichen, gerechtfertigt. Eine Vorgabe, das Gebet an der Schule gänzlich zu unterlassen, komme nur in Betracht, wenn anderen Verfassungsgütern der Vorrang vor der Religionsfreiheit des Klägers einzuräumen wäre bzw. ein schonender Ausgleich der widerstreitenden Rechtspositionen nicht auf andere Weise erreicht werden könne. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor. Die Verpflichtung zur Duldung des Gebets führe auch nicht zwangsläufig zu einer staatlichen Leistungspflicht. Es sei ausdrücklich zu betonen, dass weder der Kläger einen Anspruch auf einen Gebetsraum erhoben noch das Gericht (im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes) die Schule zur Bereitstellung eines entsprechenden Raumes verpflichtet habe. Soweit die Schulleitung es für erforderlich gehalten habe, den Kläger auf die Nutzung eines bestimmten Raumes zu verweisen, verfolge sie damit den Zweck, die anderen am Schulwesen Beteiligten vor einer Konfrontation mit der Gebetsausübung und damit in ihrer negativen Bekenntnisfreiheit zu schützen. Sollte die Religionsausübung des Klägers bei Mitschülern zur Irritationen führen, sei dies Anlass, sich im Unterricht mit dem abweichenden Verhalten auseinanderzusetzen und Verständnis hierfür zu wecken. Eine konkrete Beeinträchtigung des Bildungs- und Erziehungsauftrags gemäß Art. 7 Abs. 1 GG durch das Beten sei nicht erkennbar.

Zur Begründung seiner vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung macht der Beklagte unter Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen im Wesentlichen geltend: Es sei zweifelhaft, ob der Kläger die Einhaltung der Gebetszeiten für sich als verbindlich betrachte, denn gerade während der Winterzeit und der damit einhergehenden Verengung der zur Verfügung stehenden Zeitfenster habe er den ihm zum Beten zur Verfügung gestellten Raum nur äußerst sporadisch in Anspruch genommen. Darüber hinaus sei nach dem mit der Berufungsbegründung vorgelegten islamwissenschaftlichen Gutachten von Prof. Dr. N. vom 10. Februar 2010 davon auszugehen, dass der Kläger das Ritualgebet nicht zwingend während der Schulzeit verrichten müsse. Vielmehr sei der mündige Muslim nach dem durch Quellen belegten Selbstverständnis des Islam gerade in den Wintermonaten autorisiert, eine dem Alltag angemessene eigene Lösung zu suchen. Selbst wenn davon ausgegangen würde, dass die in Rede stehende Gebetsverrichtung vom Schutzbereich der Religionsfreiheit erfasst werde, sei deren Verbot rechtmäßig, weil es von den Schranken gedeckt sei, denen auch die Religionsfreiheit unterliege. Rechtsgrundlage sei § 46 Abs. 2 Satz 3 SchulG. Es gehöre zum schulischen Alltag, dass strenggläubige muslimische Schüler ihre weniger strenggläubigen muslimischen, aber auch anders- bzw. nichtgläubige Mitschüler unter Druck setzten; auch würden anders- und nichtgläubige Schüler der Religion wegen beleidigt und ausgegrenzt. Das Begehren des Klägers habe deshalb zur Folge, dass die Schule einen geeigneten Raum bereitstellen müsse. Ein dahingehender Anspruch lasse sich aus Art. 4 GG jedoch nicht ableiten, denn die Religionsausübungsfreiheit sei ein Abwehrrecht. Es gehe ihm nicht darum, das stille Gebet von Schülern aus der Schule herauszuhalten. Die Besonderheit der islamischen Ritualgebete bestehe aber darin, dass über ca. 8-10 Minuten Gebetshandlungen vorgenommen würden, deren Bewegungsabläufe und verbale Äußerungen durch die Scharia festgelegt seien und die nach außen erkennbar würden. Das islamische Pflichtgebet sei im Kern keine individuelle Gottesanrufung, sondern ein Kollektivritus mit starkem politischen Charakter, der darauf angelegt sei, Einfluss auf andere auszuüben.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 29. September 2009 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und trägt ergänzend unter anderem vor: Er habe keinen Gebetsraum beansprucht. Vielmehr sei es die Entscheidung der Schule gewesen, ihm einen solchen Raum zur Verfügung zu stellen, um aus ihrer Sicht die am Schulwesen Beteiligten vor einer Konfrontation mit der Gebetsausübung zu schützen. Den Raum habe er nur dann in Anspruch genommen, wenn er sein Gebet zeitlich nur in der Schule habe halten können. Teilweise habe er Schwierigkeiten gehabt, einen Lehrer zu finden, der ihm den Raum aufschließe. Dann habe er im Klassenzimmer oder einem anderen offenen Raum gebetet. Freitags bete er nach der sechsten Stunde immer im Sportraum in der Umkleidekabine. Es sei ein Irrtum, davon auszugehen, dass die Gebetsverpflichtung für einen mündigen Muslim eine zeitlich flexible Angelegenheit sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (zwei Bände), des Verwaltungsvorgangs des Beklagten (eine Heftung) sowie des den Kläger betreffenden Schülerbogens ergänzend Bezug genommen, die, soweit wesentlich, Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Beklagten hat Erfolg. Das angefochtene Urteil ist zu ändern. Die Klage ist abzuweisen, weil sie zwar zulässig (dazu I.), aber nicht begründet ist (dazu II.) ist.

I. Die Feststellungsklage ist zulässig.

1) Der noch minderjährige Kläger ist gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 2 VwGO prozessfähig. Hiernach sind die nach bürgerlichem Recht in der Geschäftsfähigkeit Beschränkten fähig zur Vornahme von Verfahrenshandlungen, soweit sie durch Vorschriften des bürgerlichen oder öffentlichen Rechts für den Gegenstand des Verfahrens als geschäftsfähig anerkannt sind. Das ist hier der Fall. Gemäß § 5 Satz 1 des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung (RGBl. 1921, S. 939), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I, S. 2586), steht Minderjährigen nach Vollendung des vierzehnten Lebensjahres die Entscheidung darüber zu, zu welchem religiösen Bekenntnis sie sich halten wollen. Da die in Art. 4 GG verbürgte Glaubensfreiheit auch den Anspruch umfasst, nach eigenen Glaubensüberzeugungen leben und handeln zu dürfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2009 - 1 BvR 1358/09 -, NJW 2009, 3151), ist für dessen gerichtliche Geltendmachung von der Prozessfähigkeit des religionsmündigen Minderjährigen auszugehen (vgl. zur Teilnahme am Religionsunterricht Bier in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand Februar 1996, § 62, Rz. 10; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Auflage 2009, § 62 Rz. 5; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 2. September 1983 - 7 C 169/81 -, NJW 1983, 2585).

2) Der Feststellungsantrag ist gemäß § 43 Abs. 1 VwGO statthaft. Der Kläger begehrt die Feststellung eines gegenwärtigen konkreten streitigen Rechtsverhältnisses, nämlich seiner Berechtigung, während des Besuchs des D.-Gymnasiums außerhalb der Unterrichtszeit einmal täglich sein islamisches Gebet zu verrichten. Allerdings bedarf der Terminus „islamisches Gebet“ einer das Klagebegehren klarstellenden Präzisierung. Denn wie aus dem vom Beklagten eingereichten Sachverständigengutachten von Prof. Nagel (dort S. 14) hervorgeht, wird in der islamischen ritualrechtlichen Terminologie streng zwischen einer Anrufung Allahs durch den einzelnen Gläubigen und dem gemäß Ritualrecht obligatorischen und in seinem Ablauf genau reglementierten Pflichtgebet unterschieden. Während die Anrufung auch als ein „stilles Gebet“ durchgeführt werden kann, dessen Verrichtung der Beklagte erklärtermaßen toleriert, ist das rituelle Gebet dadurch gekennzeichnet, dass der Betende auf einem rituell sauberen Platz, gegebenenfalls auf einer textilen Unterlage, mit dem Gesicht in Richtung der Kaaba in Mekka in einer vorgegebenen Abfolge bestimmte Körperhaltungen einnimmt und diese mit bestimmten Gebetstexten verbindet. Dem Kläger geht es gerade um die Verrichtung des rituellen islamischen Gebets (as-salat) und - insoweit weiter konkretisierend - nur um das Mittagsgebet. Ferner ist klarstellend festzuhalten, dass mit der streitigen Berechtigung des Klägers eine entsprechende Duldungspflicht des Beklagten korrespondiert, dass also zwischen den Beteiligten spiegelbildlich auch die Berechtigung des Beklagten streitig ist, dem Kläger die Verrichtung des islamischen Ritualgebets am D.-Gymnasium zu untersagen. Denn es liegt nicht im Interesse des Klägers, den Feststellungstenor des Verwaltungsgerichts dahin zu verstehen, dass ihm die Gebetsverrichtung erlaubt ist, solange sie der Beklagte nicht untersagt.

3) Die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Feststellungsklage sind ebenfalls erfüllt. Es kann nicht in Abrede gestellt werden, dass der Kläger ein berechtigtes (ideelles) Interesse an der begehrten Feststellung hat. Auch ist die Feststellungsklage wegen der mit ihr erreichbaren, über den bloßen Einzelfall hinausreichenden Klärung ausnahmsweise nicht gegenüber Leistungs- oder Gestaltungsklagen subsidiär (§ 43 Abs. 2 VwGO). Diesbezüglich kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts unter I. 2. der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen werden.

II. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die begehrte Feststellung ist nicht auszusprechen, weil dem Kläger der von ihm geltend gemachte Anspruch nicht zusteht. Vielmehr ist der Beklagte berechtigt, dem Kläger zu untersagen, auf dem Schulgelände während der unterrichtsfreien Zeit das rituelle islamische Mittagsgebet zu verrichten.

1) Aus dem Schulgesetz für das Land Berlin vom 26. Januar 2004 (GVBl. S. 26), zuletzt geändert durch Gesetz vom 25. Januar 2010 (GVBl. S. 14) - SchulG -, kann der Kläger den von ihm geltend gemachten Anspruch nicht herleiten. Dieses enthält keine unmittelbar wirkende Regelung über die Zulässigkeit religiöser Handlungen, die Schüler außerhalb des Religionsunterrichts in der Schule verrichten. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist die in § 48 Abs. 5 SchulG enthaltene Regelung über die Unzulässigkeit einseitiger politischer Beeinflussung einschließlich Werbung zu politischen Zwecken in schulischen Veranstaltungen und auf dem Schulgelände während der Unterrichtszeit mit Blick auf die hier in Rede stehende religiöse Betätigung des Klägers weder unmittelbar einschlägig noch entsprechend anwendbar.

2) Allerdings regelt die von der Schulkonferenz beschlossene Schulordnung des D.-Gymnasiums unter II.16., dass die Ausübung religiöser Riten im Rahmen des Religionsunterrichts erfolgt. Gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 8 SchulG entscheidet die Schulkonferenz mit einfacher Mehrheit über Verhaltensregeln für den geordneten Ablauf des äußeren Schulbetriebs (Hausordnung). Obwohl Schulordnungen bzw. Hausordnungen sich auf den inneren Schulbetrieb beziehen, wirken sie auch im Außenverhältnis zwischen der Schule und den Schülern und ihren Eltern. Das folgt aus § 46 Abs. 2 Satz 3 SchulG, wonach die Schülerinnen und Schüler an die Vorgaben gebunden sind, die dazu bestimmt sind, das Bildungs- und Erziehungsziel der Schule zu erreichen sowie das Zusammenleben und die Ordnung in der Schule aufrechtzuerhalten. Hierzu gehören neben einzelfallbezogenen Anordnungen der Schulleitung (wie sie beispielsweise in Reaktion auf den Vorgang am 1. November 2007 erlassen wurden) auch untergesetzliche Vorgaben, die von schulischen Gremien beschlossen wurden, wie z.B. die Schul- und Hausordnung (vgl. zu Letzterem Begründung der Regierungsvorlage, Abghs-Drs. 15/1842, Anlage 2, S. 41). Da die zitierte Regelung der Schulordnung ihrem Wortlaut nach abschließend ist, würde sie dem geltend gemachten Anspruch entgegenstehen. Allerdings muss sich die Schulordnung unabhängig von der Frage nach ihrem Rechtscharakter jedenfalls an höherrangigem Recht messen lassen. Steht sie im Widerspruch zu geltenden Rechtsvorschriften, so ist sie ebenso unwirksam wie eine entsprechende Anordnung im Einzelfall (vgl. Niehues/Rux, Schul- und Prüfungsrecht, Bd. 1, Schulrecht, 4. Aufl. 2006, Rzn. 342-346). Ein solcher Widerspruch besteht, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt, hier nicht.

3) Der Kläger kann den von ihm geltend gemachten Anspruch auch nicht unmittelbar aus dem Verfassungsrecht herleiten. Das gilt gleichermaßen für Art. 4 GG wie für Art. 29 Abs. 1 VvB, der mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nahezu wortgleich formuliert ist und inhaltlich übereinstimmt (vgl. bereits Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Beschluss vom 16. August 1995 - 1/95 -, NJW 1995, 3379, zu Art. 20 Abs. 1 VvB in der Fassung vom 1. September 1950 [VOBl. für Groß-Berlin, S. 433]), und deshalb im Folgenden keiner gesonderten Erörterung bedarf.

a) Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch ist allerdings vom Schutzbereich des Grundrechts der Glaubens- und Religionsfreiheit erfasst.

aa) Art. 4 GG garantiert in Absatz 1 die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses, in Absatz 2 das Recht der ungestörten Religionsausübung. Beide Absätze des Art. 4 GG enthalten ein umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht. Es erstreckt sich nicht nur auf die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden und zu verbreiten. Dazu gehört auch das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. September 2003 - 2 BvR 1436/02 -, BVerfGE 108, 282, bei Juris Rz. 37). Insbesondere gewährleistet die Glaubensfreiheit die Teilnahme an den kultischen Handlungen, die ein Glaube vorschreibt oder in denen er Ausdruck findet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 1995 - 1 BvR 1087/91 -, BVerfGE 93, 1, bei Juris Rz. 34). Damit gehört auch die Verrichtung von Gebeten zur durch Art. 4 GG grundsätzlich geschützten Religionsausübung (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 16. Oktober 1968 - 1 BvR 241/66 -, BVerfGE 24, 236, bei Juris Rz. 21).

bb) Obgleich der Kläger in der mündlichen Berufungsverhandlung nicht erschöpfend zu erklären vermocht hat, warum er den ihm von der Schulleitung in (freiwilliger) Reaktion auf die einstweilige Anordnung des Verwaltungsgerichts zur Verfügung gestellten Raum auch während der Winterzeit nur an relativ wenigen Tagen benutzt hat, geht der Senat davon aus, dass der Kläger das Verrichten der islamischen Ritualgebete innerhalb der vorgesehenen, von ihm aus dem Gebetskalender entnommenen Zeitspannen als für sich verbindlich betrachtet.

cc) Auf die zwischen den Beteiligten umstrittene Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen das Mittagsgebet nach den Regeln des islamischen Glaubens nachgeholt bzw. mit dem Nachmittagsgebet zusammengezogen werden darf, kommt es für die Bestimmung des Schutzbereichs des Grundrechts nicht an. Zwar kann nicht jegliches Verhalten einer Person allein nach deren subjektiver Bestimmung als Ausdruck der besonders geschützten Glaubensfreiheit angesehen werden; vielmehr darf bei der Würdigung eines vom Einzelnen als Ausdruck seiner Glaubensfreiheit reklamierten Verhaltens das Selbstverständnis der jeweiligen Religionsgemeinschaft nicht außer Betracht bleiben (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. September 2003, a.a.O, bei Juris Rz. 40). Allerdings ist hierfür nicht entscheidend, ob die vom Kläger als verpflichtend bezeichnete Einhaltung der Gebetszeiten nach den von dem Sachverständigen Prof. Nagel zitierten Quellen des islamischen Glaubens „zwingend“ ist. Denn auch nach diesem Gutachten ist davon auszugehen, dass die Einhaltung der Gebetszeiten den Lehren des Islam jedenfalls nicht widerspricht. Damit ist dem Kläger zuzugestehen, dass deren Beachtung sich nach Gehalt und Erscheinung als islamisch-religiös begründete Glaubensregel dem Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG hinreichend plausibel zuordnen lässt. Mithin fällt das Begehren des Klägers entgegen der Auffassung des Beklagten auch dann nicht aus dem Schutzbereich der Religionsfreiheit, wenn es ihm nach den Regeln seiner Religion gestattet wäre, das rituelle Mittagsgebet nach Beendigung der Schulzeit zu verrichten.

b) Die in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verbürgte Glaubensfreiheit ist zwar vorbehaltlos gewährleistet. Einschränkungen können sich jedoch aus der Verfassung selbst ergeben. Hierzu zählen die Grundrechte Dritter sowie Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang. Ein Konflikt zwischen verschiedenen Trägern eines vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts sowie zwischen diesem Grundrecht und anderen verfassungsrechtlich geschützten Gütern ist nach dem Grundsatz praktischer Konkordanz zu lösen, der fordert, dass nicht eine der widerstreitenden Rechtspositionen bevorzugt und maximal behauptet wird, sondern alle einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 1979 - 1 BvR 647/70, 1 BvR 7/74 -, BVerfGE 52, 223). Überdies bedarf die Einschränkung der vorbehaltlos gewährleisteten Glaubensfreiheit einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. September 2003, a.a.O., bei Juris Rz. 38).

Die vom Kläger in Anspruch genommene Freiheit der Betätigung seiner Glaubensüberzeugung durch die Verrichtung des rituellen islamischen Mittagsgebets in der Schule trifft auf die von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gleichermaßen geschützte negative Glaubensfreiheit der nicht- oder andersgläubigen Schülerinnen und Schüler. Ebenfalls betroffen ist das Erziehungsrecht jedenfalls der Eltern derjenigen Schüler, die das vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern die Pflege und Erziehung ihrer Kinder als natürliches Recht und umfasst zusammen mit Art. 4 Abs. 1 GG auch das Recht zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht; daher ist es zuvörderst Sache der Eltern, ihren Kindern diejenigen Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln, die sie für richtig halten. Dem entspricht das Recht, die Kinder von Glaubensüberzeugungen fernzuhalten, die den Eltern als falsch oder schädlich erscheinen (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. September 2003, a.a.O., bei Juris Rz. 45). Ferner stößt die vom Kläger in Anspruch genommene Verwirklichung seiner Religionsfreiheit auf den aus Art. 7 Abs. 1 GG folgenden staatlichen Unterrichts- und Erziehungsauftrag, der es beinhaltet, den Schulfrieden zu gewährleisten. Schließlich berührt die Religionsausübung des Klägers in der Schule das Gebot weltanschaulich-religiöser Neutralität des Staates. Zwar ist dieses Gebot nicht als eine distanzierende Haltung im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde zu verstehen. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gebietet auch im positiven Sinn, den Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern. Dies gilt insbesondere auch für den vom Staat in Vorsorge genommenen Bereich der Pflichtschule, für den seiner Natur nach religiöse und weltanschauliche Vorstellungen von jeher relevant waren. Die Offenheit für ein breites Spektrum von Meinungen und Auffassungen ist konstitutive Voraussetzung einer öffentlichen Schule in einem freiheitlich-demokratisch ausgestalteten Gemeinwesen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31. Mai 2006 - 2 BvR 1693/04 -, FamRZ 2006, 1094, bei Juris Rz. 20). Damit ist dem Verwaltungsgericht darin zuzustimmen, dass Schulen keine "religionsfreien Räume" sind. Die staatliche Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität untersagt jedoch die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse ebenso wie die Ausgrenzung Andersgläubiger (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. September 2003, a.a.O., bei Juris Rz. 43). Der Staat darf keine gezielte Beeinflussung im Dienste einer bestimmten politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung betreiben; er darf sich auch nicht durch von ihm ausgehende oder ihm zuzurechnende Maßnahmen ausdrücklich oder konkludent mit einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten Weltanschauung identifizieren und dadurch den religiösen Frieden in der Gesellschaft von sich aus gefährden. Auch verwehrt es der Grundsatz religiös-weltanschaulicher Neutralität dem Staat, Glauben und Lehre einer Religionsgemeinschaft als solche zu bewerten. Diese Verpflichtung stellt bei strikter Beachtung sicher, dass unzumutbare Glaubens- und Gewissenskonflikte nicht entstehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2009, a.a.O., bei Juris Rz. 15).

c) Bei der Suche nach einem schonenden Ausgleich der betroffenen Grundrechte und Verfassungsgüter ist zu berücksichtigen, dass die Schule ein Ort ist, an dem unterschiedliche religiöse Auffassungen unausweichlich aufeinandertreffen und sich dieses Nebeneinander in besonders empfindlicher Weise auswirkt. Das gilt für das D.-Gymnasium noch in gesteigertem Maße, dessen Schülerschaft 29 Herkunftsnationalitäten und sämtliche Weltreligionen umfasst. Dabei finden sich unter den Muslimen allein drei Glaubensrichtungen, nämlich Sunniten, Schiiten und Aleviten, und unter den Christen sogar fünf Glaubensrichtungen, nämlich Protestanten, Katholiken, russisch-orthodoxe, serbisch-orthodoxe und syrisch-orthodoxe Christen (Aramäer).

aa) In einer derart "pluralistischen", zudem noch Atheisten umfassenden Schülerschaft ist es nicht möglich, allen Ansprüchen an die jeweilige Religionsausübung gerecht zu werden und zudem noch gleichermaßen auf die negative Religionsfreiheit Anders- oder Nichtgläubiger gebührend Rücksicht zu nehmen. Wenngleich der Einzelne in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, kein Recht darauf hat, von fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen verschont zu bleiben (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. September 2003, a.a.O., bei Juris Rz. 46), muss in Rechnung gestellt werden, dass sich in der Schule eine Vielzahl von Schülern zwangsweise auf relativ engem Raum aufhält und die Ausweichmöglichkeiten naturgemäß begrenzt sind.

bb) Gleichzeitig birgt eine ausgeprägte religiöse Heterogenität an der Schule auch ein größeres Potenzial für Konflikte (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. September 2003, a.a.O., bei Juris Rz. 65). Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich minderjährige Schüler in einem geistig-moralischen Entwicklungsprozess befinden und ihre Persönlichkeitsentwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Dies bedingt einerseits eine erhöhte Empfänglichkeit gegenüber religiösen Einflüssen, insbesondere wenn diese von Gleichaltrigen ausgehen. Andererseits ist bei noch in der Entwicklung befindlichen jungen Menschen die Fähigkeit und Bereitschaft, der Ausübung religiöser Riten mit der nötigen Achtung und Toleranz zu begegnen, aller Erfahrung nach oftmals nicht hinreichend ausgeprägt.

Dass das Konfliktpotenzial am D.-Gymnasium nicht nur theoretisch besteht, sondern konkret zu einer Gefährdung des Schulfriedens führt, hat der Beklagte mit einer Reihe von Beispielen substantiiert. So hätten sich Konflikte ergeben, weil eine Reihe von Schülerinnen und Schülern nicht den Verhaltensregeln gefolgt seien, die sich aus einer bestimmten Auslegung des Koran ergeben würden, wie z.B. Kopftuchzwang, Fasten, Abhaltung von Gebeten, Verbot des Verzehrens von Schweinefleisch, Vermeidung "unsittlichen Verhaltens" und "unsittlicher" Kleidung sowie persönlicher Kontakte mit "unreinen" Mitschülern. Diese Konflikte seien teilweise sehr heftig und auf nicht akzeptable Weise ausgetragen worden; zu nennen seien beispielhaft Mobbing, Beleidigungen, insbesondere auch mit antisemitischer Zielrichtung, Bedrohungen und sexistische Diskriminierungen. Schüler hätten sich während der Fastenzeit mit der Folge kontrolliert, dass z.B. eine Schülerin, die sich während des Ramadan einen Müsliriegel in der Schulcafeteria gekauft habe, deswegen als "minderwertige Muslimin" zurechtgewiesen worden sei. Schülerinnen, die der alevitischen Glaubensgemeinschaft angehörten und daher kein Kopftuch trügen, seien ebenso wie solche Schülerinnen, die kundtäten, keiner Glaubensgemeinschaft anzugehören, beschimpft bzw. angepöbelt worden. Eine Schülerin sei von mehreren anderen Schülerinnen aufgefordert worden, den Kontakt zu einem Mädchen abzubrechen, weil dieses sich in vermeintlich unstatthafter Weise geschminkt habe. Festzustellen sei auch, dass antisemitische Einstellungen weit verbreitet seien mit der Folge, dass jüdische Schülerinnen und Schüler sich teilweise nicht zu erkennen geben oder die Schule verlassen würden. Jüdische bzw. israelische Symbole würden häufig beschmiert oder auf andere Weise verunglimpft. Von Schülern mit Migrationshintergrund würden deutsche Schülerinnen und Schüler als zu weich und als solche, die man unterdrücken müsse, bezeichnet und gelegentlich mit Schimpfwörtern wie "Schweinefleischfresser“ und "Scheiß-Christen“ diskreditiert. Soweit die Schule in der Lage gewesen sei, die beteiligten Schülerinnen und Schüler zu einem Gespräch zusammenzubringen, hätten sich die den Konflikt schürenden Schüler regelmäßig darauf berufen, dass der Koran ihr Verhalten legitimiere. Diese Beispiele zeigen, dass sich die ohnehin bestehende Konfliktlage verschärfen würde, wenn die Ausübung religiöser Riten auf dem Schulgelände gestattet wäre und deutlich an Präsenz gewinnen würde.

cc) Zwar rechtfertigt das störende Verhalten Dritter nicht ohne Weiteres eine Einschränkung der Religionsausübung. Denn Art. 4 Abs. 1 und 2 GG beschränkt sich nicht auf die klassische Funktion eines Abwehrrechts, sondern erlegt dem Staat auch die Pflicht auf, den Einzelnen und religiöse Gemeinschaften vor Angriffen oder Behinderungen von Anhängern anderer Glaubensrichtungen oder konkurrierender Religionsgruppen zu schützen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. März 2001 - 2 BvR 943/99 -, NVwZ 2001, 908, bei Juris Rz. 4). Aus einer solchen grundrechtlichen Schutzpflicht folgt in der Regel indessen keine bestimmte Handlungsvorgabe. Die zuständigen staatlichen Organe, insbesondere der Gesetzgeber, haben vielmehr zunächst in eigener Verantwortung zu entscheiden, wie sie ihre Schutzpflichten erfüllen. Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, ein Schutzkonzept aufzustellen und normativ umzusetzen. Dabei kommt ihm ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu. Die Verletzung einer solchen Schutzpflicht ist nur festzustellen, wenn Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen sind, wenn die getroffenen Regelungen und Maßnahmen offensichtlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder wenn sie erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben (vgl. BVerfG, Urteil vom 1. Dezember 2009 - 1 BvR 2857/07, 1 BvR 2858/07 -, NVwZ 2010, 570, bei Juris Rz. 135).

Dem Schulgesetz liegt das Konzept zugrunde, dem beschriebenen Konfliktpotenzial mit erzieherischen Mitteln zu begegnen. Es ist gerade Aufgabe der Schule, ein tolerantes Miteinander mit Andersgesinnten durch Erziehung zu üben. So gehört es gemäß § 1 Satz 3 SchulG zum Auftrag der Schule, Persönlichkeiten heranzubilden, deren Haltung von der Achtung vor jeder ehrlichen Überzeugung bestimmt wird. Schulische Bildung und Erziehung sollen die Schülerinnen und Schüler insbesondere befähigen, ihre eigene Kultur sowie andere Kulturen kennen zu lernen und zu verstehen, Menschen anderer Herkunft, Religion und Weltanschauung vorurteilsfrei zu begegnen, zum friedlichen Zusammenleben der Kulturen durch die Entwicklung von interkultureller Kompetenz beizutragen und für das Lebensrecht und die Würde aller Menschen einzutreten (§ 3 Abs. 3 Nr. 3 SchulG). Dem liegt die Vorstellung des Gesetzgebers zugrunde, dass die Integrationsaufgabe des Staates in einer pluralistischen Gesellschaft einen eigenständigen und umfassenden staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag erfordert, der über die Anforderungen an die Vermittlung von Wissen und Kenntnissen hinausgeht und dessen Ziele einen „ethischen, weltanschaulichen und politischen Mindestkonsens“ darstellen, der gleichzeitig die Offenheit für die in der Gesellschaft vorhandenen Wertauffassungen gewährleisten muss (vgl. Begründung der Regierungsvorlage zum Schulgesetz, Abghs-Drs. 15/1842, Anlage 2, S. 7).

dd) Dies bietet zwar einen Ansatz, die zunehmende religiöse Vielfalt in der Schule aufzunehmen und als Mittel für die Einübung gegenseitiger Toleranz zu nutzen, um so einen Beitrag in dem Bemühen um Integration zu leisten. Die vom Beklagten aufgeführten Beispiele religiös motivierter Übergriffe, Beleidigungen und Ausgrenzungen zeigen aber eindrücklich, dass erzieherische Mittel allein nicht genügen, den zu erwartenden erheblichen Konflikten ausreichend zu begegnen und den für die Erfüllung des Unterrichts- und Erziehungsauftrags unabdingbaren Schulfrieden zu wahren.

ee) Es kommt hinzu, dass die Verrichtung des rituellen islamischen Gebets geeignet ist, andere Schülerinnen und Schüler zu beeinflussen. Wie bereits dargestellt, ist das rituelle islamische Pflichtgebet von der Anrufung Allahs zu unterscheiden. Während Letztere auch als ein - vom Beklagten erklärtermaßen toleriertes - "stilles Gebet" durchgeführt werden kann, ist das rituelle Gebet für anwesende Dritte ohne weiteres wahrnehmbar, weil der Betende den Ort des Gebets durch eine Markierung bzw. das Ausbreiten eines Gebetsteppichs o.ä. aus dem Profanen auszugrenzen hat und bestimmte Körperhaltungen einnehmen, Bewegungen ausführen und Texte sprechen muss. Darüber hinaus ergibt sich aus den Ausführungen von Prof. Nagel, dass die Ritualgebete darauf ausgerichtet sind, kollektiv ausgeübt zu werden, wobei einer der Betenden zum Imam (als Vorbeter) zu bestellen sei. Das Gebet in der Gemeinschaft sei von höherem Wert; es komme "dem 25-fachen des Gebets des Einzelnen gleich". Dem entspricht es, dass der Kläger am 1. November 2007 gemeinsam mit weiteren sieben Mitschülern bei der Verrichtung des rituellen Mittagsgebets angetroffen wurde. Der Aspekt der kollektiven Ausübung des Gebets ist insbesondere vor dem Hintergrund gruppendynamischer Mechanismen unter jungen Menschen nicht zu vernachlässigen. Gerade hier besteht die Möglichkeit einer Beeinflussung von Schülern mit dem Ergebnis, sich bei der Zugehörigkeit zu einer Schülergruppe auch der kollektiven Verrichtung des Gebets anzuschließen. Wird weiter berücksichtigt, dass sich nach den Ausführungen von Prof. Nagel im Vollzug der Pflichtriten mehrmals täglich die Tatsache manifestiert, dass eine Gemeinschaft der Muslime existiert, an der teilzuhaben für den einzelnen Gläubigen in mehrerer Hinsicht von Wert ist, so kann der Verrichtung des islamischen Ritualgebets auch ein werbender Charakter, der sich auf an sich weniger strenggläubige muslimische Schüler beeinflussend auswirken kann, nicht von vornherein abgesprochen werden.

d) All dies macht es plausibel, dass sich die Schulleitung des D.-Gymnasiums in Reaktion auf die einstweilige Anordnung des Verwaltungsgerichts dazu entschieden hat, dem Kläger für die Verrichtung seines rituellen Mittagsgebets einen abgeschlossenen Raum zur Verfügung zu stellen, obgleich das Verwaltungsgericht zu einer solchen flankierenden Maßnahme nicht verpflichtet hatte. Denn hierdurch werden die kultischen Handlungen des Klägers den Blicken seiner Mitschüler mit der Folge entzogen, dass er selbst vor Beeinträchtigungen während der Verrichtung des Gebets geschützt und gleichzeitig die Möglichkeit einer eventuellen Einflussnahme auf andere Mitschüler verhindert oder zumindest verringert wird, wenngleich die beschriebenen gruppendynamischen Prozesse dadurch nicht unterbunden werden. Daraus ergibt sich, dass der Wahrung des Schulfriedens dienende schulorganisatorische Maßnahmen, wie die Gestellung eines Raumes zur Verrichtung des Ritualgebets, von der Ermöglichung dieses Gebets letztlich nicht zu trennen sind. Damit setzt die vom Kläger angestrebte religiöse Betätigung notwendig flankierende organisatorische Maßnahmen der Schulleitung voraus. Das führt dazu, dass es dem Kläger nicht nur darum geht, Eingriffe in seine Religionsfreiheit abzuwehren, sondern dass er notwendigerweise gleichzeitig von dem Beklagten eine sächlich-organisatorische Leistung erstrebt, die in den einfachgesetzlichen Vorschriften des Schulgesetzes, dem die Konzeption des Einsatzes erzieherischer Mittel zugrunde liegt, nicht vorgesehen ist, und auch nicht unmittelbar auf verfassungsrechtliche Schutzpflichten zugunsten der Religionsfreiheit gestützt werden kann. Zwar beschränkt sich Art. 4 Abs. 1 GG, wie dargelegt, nicht darauf, dem Staat eine Einmischung in die Glaubensüberzeugungen, -handlungen und -darstellungen Einzelner oder religiöser Gemeinschaften zu verwehren. Er erlegt ihm vielmehr auch die Pflicht auf, ihnen einen Betätigungsraum zu sichern, in dem sich die Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet entfalten kann. Art. 4 Abs. 1 GG verleiht dem Einzelnen und den religiösen Gemeinschaften aber grundsätzlich keinen Anspruch darauf, ihrer Glaubensüberzeugung mit staatlicher Unterstützung Ausdruck zu verleihen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 1995, a.a.O., bei Juris Rz. 35).

e) Es kommt hinzu, dass der Beklagte verpflichtet wäre, auch Schülerinnen und Schülern anderer Religionen oder Glaubensrichtungen entsprechende Unterstützung zur Ausübung ihrer Religion zukommen zu lassen. Der Staat hat auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten und kann die friedliche Koexistenz unterschiedlicher oder gar gegensätzlicher religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen nur gewährleisten, wenn er selber in Glaubensfragen Neutralität bewahrt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 1995, a.a.O., bei Juris Rz. 35). Dem kann nicht mit dem Argument begegnet werden, dass am D.-Gymnasium bislang nur der Kläger die Verrichtung ritueller religiöser Handlungen auf dem Schulgelände für sich beanspruche. Vielmehr ist dem Beklagten darin zu folgen, dass dem Kläger gewährte Vorkehrungen bei vergleichbarer Interessenlage auch anderen Schülern gewährt werden müssten. Aus den bereits vorliegenden Anträgen auf Einrichtung eines Gebetsraumes, von denen es nach Angabe des Beklagten allein am D.-Gymnasium zurzeit fünf gibt, folgt, dass es sich hierbei nicht nur um eine theoretische Überlegung handelt. Dass dies gerade bei der Vielzahl der an der Schule vertretenen Religionen und Glaubensrichtungen angesichts begrenzter personeller und sächlicher Ressourcen der Schule jedoch die organisatorischen Möglichkeiten sprengen würde, hat der Beklagte plausibel dargelegt. So sei ein in der Vergangenheit schon einmal eingerichteter „gemeinsamer“ Gebetsraum wieder geschlossen worden, nachdem es zu verbalen Auseinandersetzungen zwischen Schülerinnen, die ein Kopftuch tragen, und solchen, die dies nicht tun, gekommen sei, und nachdem die Jungen es abgelehnt hätten, gemeinsam mit den Mädchen zu beten. Danach müssten gegebenenfalls umfangreiche Vorkehrungen für eine differenzierte räumliche Aufteilung getroffen und deren ungestörte Benutzung durch Aufsichtspersonal gewährleistet werden.

f) Die im Interesse des Schulfriedens erfolgende Einschränkung der Religionsfreiheit des Klägers trifft diesen nicht unverhältnismäßig. Sowohl der nur bei Wahrung des Schulfriedens zu realisierende staatliche Unterrichts- und Erziehungsauftrag als auch die religiös-weltanschauliche Neutralitätspflicht des Staates als auch die negative Religionsfreiheit anders- oder nichtgläubiger Schülerinnen und Schüler besitzen ebenso wie die Religionsfreiheit des Klägers Verfassungsrang. Dabei geht es vorliegend nicht nur um eine abstrakte, sondern angesichts der vom Beklagten beispielhaft aufgeführten Vorfälle um eine durchaus konkrete Gefahr der Störung des Schulfriedens, der begegnet werden soll.

Die Intensität des Grundrechtseingriffs zulasten des Klägers ist begrenzt. Der Beklagte gesteht ihm, wie auch den Schülern anderer Religionen oder Glaubensrichtungen, die Verrichtung eines „stillen“ Gebets während der unterrichtsfreien Zeit auf dem Schulgelände zu. Das Verbot, das islamische rituelle Mittagsgebet auf dem Schulgelände zu verrichten, führt für den Kläger nicht zu einem unauflösbaren Glaubenskonflikt. Denn im Kern gehen die vorliegenden Sachverständigengutachten beide davon aus, dass das Mittagsgebet nach Ablauf der dafür vorgesehenen Zeitspanne nachgeholt und mit dem Nachmittagsgebet zusammengelegt werden kann, wenn der Gläubige an der zeitgerechten Verrichtung aus von ihm nicht zu beeinflussenden Gründen gehindert ist. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass während eines erheblichen Teils des Schuljahres für den Kläger die - von ihm auch wahrgenommene - Möglichkeit besteht, das rituelle islamische Mittagsgebet nach Ende der täglichen Schulzeit außerhalb der Schule zu verrichten. Gegenüber den danach verbleibenden Einschränkungen wiegen die mit der Zulassung des Ritualgebets verknüpften organisatorischen Folgen, zumal unter Berücksichtigung der grundsätzlich bestehenden Gleichbehandlungspflicht des Beklagten gegenüber anderen Schülern, ungleich schwerer.

g) Hieraus folgt, dass dem geltend gemachten Anspruch die verfassungsimmanenten Schranken der Religionsfreiheit entgegenstehen und der Beklagte aus den genannten Gründen berechtigt ist, dem Kläger die Verrichtung seines islamischen rituellen Mittagsgebets auf dem Schulgelände zu untersagen. § 46 Abs. 2 Satz 3 SchulG, wonach die Schülerinnen und Schülern an die Vorgaben gebunden sind, die dazu bestimmt sind, das Bildungs- und Erziehungsziel der Schule zu erreichen sowie das Zusammenleben und die Ordnung in der Schule aufrechtzuerhalten, bietet hierfür eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage. Zwar verpflichten Rechtsstaatsgebot und Demokratieprinzip des Grundgesetzes insbesondere im Schulwesen den Gesetzgeber, die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und nicht der Schulverwaltung zu überlassen. Das gilt auch und gerade dann, wenn und soweit auf gewandelte gesellschaftliche Verhältnisse wie etwa eine zunehmende weltanschaulich-religiöse Vielfalt in der Schule reagiert werden soll. Eine solche Entscheidung hat erhebliche Bedeutung für die Verwirklichung von Grundrechten im Verhältnis zwischen Lehrern, Eltern und Kindern sowie dem Staat (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. September 2003, a.a.O., Juris Rz. 69). § 46 Abs. 2 Satz 3 SchulG bietet jedoch eine in diesem Sinne geeignete gesetzliche Grundlage. Die Norm enthält eine klare Bestimmung des Ziels, das Zusammenleben und die Ordnung in der Schule aufrechtzuerhalten. Danach ist auch die auf § 46 Abs. 2 Satz 3 SchulG beruhende Regelung unter II.16 der Schulordnung des D.-Gymnasiums im vorliegenden Kontext nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, weil die streitentscheidende Frage, ob einem Anspruch auf Verrichtung eines islamischen rituellen Gebets in der Schule verfassungsimmanente Grenzen der Religionsfreiheit entgegenstehen, grundsätzliche Bedeutung hat.