Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 18. Senat | Entscheidungsdatum | 06.09.2011 | |
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Aktenzeichen | L 18 AL 245/11 B PKH | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 73a Abs 1 S 1 SGG, § 114 ZPO, § 144 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 3 |
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 4. Juli 2011 aufgehoben.
Dem Kläger wird für das Verfahren bei dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten bewilligt.
Die Beschwerde des – bedürftigen - Klägers ist begründet. Ihm ist für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seiner Bevollmächtigten zu bewilligen (vgl § 73a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG - iVm § 114 Zivilprozessordnung – ZPO -).
Die erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage hat schon deshalb hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil zur abschließenden Beurteilung der Sach- und Rechtslage noch weitere Amtsermittlungen (vgl § 103 SGG) des Sozialgerichts (SG) erforderlich sein werden. Die hinreichende Erfolgsaussicht konnte und kann der Klage daher bislang nicht abgesprochen werden.
Gegenstand des Rechtsstreits sind hier der so genannte Sperrzeitbescheid vom 24. August 2009 und der mit diesem Bescheid eine Einheit bildende Bewilligungsbescheid vom 25. August 2009 idF des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2009, mit dem die Beklagte die Zahlung von Arbeitslosengeld (Alg) vom 1. Juli 2009 bis 22. September 2009 abgelehnt und eine Minderung der Anspruchsdauer von 90 Tagen verfügt hat. Nach § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) in der hier maßgebenden Fassung des Gesetzes vom 23. Dezember 2003 (BGBl I S. 2848) tritt eine Sperrzeit ein, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und er dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe), ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben. Die Dauer der Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe beträgt nach § 144 Abs. 3 Satz 1 SGB III zwölf Wochen.
Zwar ist davon auszugehen, dass der Kläger durch die Kündigung zum 30. Juni 2009 sein Beschäftigungsverhältnis gelöst und hierdurch seine Arbeitslosigkeit zumindest grob fahrlässig herbeigeführt hat, denn es lagen keine konkreten Anhaltspunkte für einen sicheren Anschlussarbeitsplatz vor, die über bloße Hoffnungen und Erwartungen hinausgegangen wären (vgl zu den insoweit zu stellenden Anforderungen BSG SozR 4100 § 119 Nr 28).
Bislang ist aber nicht abschließend zu beurteilen, ob sich der Kläger auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses auf einen wichtigen Grund berufen kann. Es bedarf hierzu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts durch das SG. Fest steht bislang lediglich, dass sich der Kläger nicht deshalb auf einen wichtigen Grund berufen kann, weil er mit seiner Partnerin einen gemeinsamen Hausstand in B begründen wollte.
Die Voraussetzungen für das Vorliegen eines wichtigen Grundes wegen einer geplanten Eheschließung und eines Zuzugs zum Ehegatten liegen ersichtlich nicht vor. Nach den hierzu entwickelten Grundsätzen ist der Zuzug zum Ehegatten als wichtiger Grund für die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses anzuerkennen, wenn der Arbeitslose seine Arbeitsstelle von der gemeinsamen Wohnung aus nicht zumutbar erreichen kann (vgl BSGE 43, 269, 273 = SozR 4100 § 119 Nr 2). Der Zuzug zum Partner kann indes auch schon dann einen wichtigen Grund bilden, wenn die Ehe noch nicht geschlossen ist, jedoch der Arbeitnehmer bei Ausspruch seiner Kündigung davon ausgehen kann, dass die Eheschließung bis zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses erfolgt (vgl BSGE 64, 202, 204 = SozR 4100 § 119 Nr 34; BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 14). Im Hinblick auf die Entfernung zwischen dem bisherigen Beschäftigungsort der Klägers und der nach den – unter Beweis gestellten - Angaben zum Einzug in die gemeinsame Wohnung am 29. August 2009 wäre davon auszugehen, dass eine zumutbare Erreichbarkeit nicht gegeben ist. Allerdings kann ein wichtiger Grund für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses wegen Zuzugs zum Ehepartner nur anerkannt werden, wenn dieser sich mit dem konkreten Zeitpunkt der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses deckt (vgl BSGE 52, 276, 277 = SozR 4100 § 119 Nr 17). Dies bedeutet für den Zuzug zur Verlobten, dass die Aufgabe des Beschäftigungsverhältnisses zum gewählten Zeitpunkt notwendig gewesen sein muss, um ab dem beabsichtigten Heiratstermin die eheliche Lebensgemeinschaft herzustellen (BSGE 64, 202, 204 = SozR 4100 § 119 Nr 34). Der Arbeitslose muss also zum Zeitpunkt der Kündigung des Arbeitsverhältnisses davon ausgehen können, dass die Eheschließung bis zum Ende des Beschäftigungsverhältnisses erfolgen werde. Hieran fehlt es schon deshalb, weil nicht ersichtlich ist, dass der Kläger und seine Lebenspartnerin überhaupt die Absicht hatten oder haben, die Ehe zu schließen.
Der Kläger kann sich ferner auch nicht auf die Rechtsprechung des BSG berufen, wonach der Umzug zum Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft als wichtiger Grund dem Eintritt einer Sperrzeit entgegenstehen kann, wenn bereits bei Lösung des Beschäftigungsverhältnisses eine derartige Gemeinschaft (Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft) bestanden hat (vgl BSGE 90, 90 = SozR 3-4100 § 119 Nr 26). Eine eheähnliche Gemeinschaft im Sinne der Rechtsprechung des BSG liegt nur vor, wenn die Verbindung auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sie sich durch innere Bindung auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner in den Not- und Wechselfällen des Lebens begründen, also über die Beziehungen einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen (vgl BSGE aaO S 100). Ob die genannten Voraussetzungen vorliegen, ist anhand des Vorliegens von Hilfstatsachen festzustellen, wobei als Kriterien für die Ernsthaftigkeit einer Beziehung insbesondere deren Dauerhaftigkeit und Kontinuität und eine bestehende Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft heranzuziehen sind.
Auf der Grundlage dieser Anforderungen kann eine nichteheliche Lebensgemeinschaft unabhängig davon, wie lange diese schon bestanden haben müsste (vgl zur „Dreijahresgrenze“ BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 15; BSG SozR 3-4300 § 144 Nr 11), bereits bei der Lösung des Beschäftigungsverhältnisses schon deshalb nicht vorgelegen haben, weil der Kläger und seine Partnerin seinerzeit keine gemeinsame Wohnung bewohnt haben. Ein auf Dauer angelegtes gemeinsames Wohnen ist aber notwendige Voraussetzung für die Feststellung der Ernsthaftigkeit der Beziehung (vgl BSG, Urteil vom 17. Oktober 2007 – B 11a/7a AL 52/06 R = SozR 4-4300 § 144 Nr 16). Der Kläger kann sich allein wegen der erst herzustellenden eheähnlichen Gemeinschaft deshalb nicht auf einen wichtigen Grund iS des Sperrzeitrechts berufen. Es genügt insoweit nicht, dass zu einem späteren Zeitpunkt die Voraussetzungen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft nach den vom BSG entwickelten Grundsätzen erfüllt sind (vgl schon BSG, Urteil vom 5. November 1998 - B 11 AL 5/98 R = SozR 3-4100 § 119 Nr 16).
Offen ist jedoch, ob ein wichtiger Grund für den Kläger deshalb anzuerkennen ist, weil er zum 1. September 2009 ein Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule B aufnehmen wollte und dies auch tatsächlich aufgenommen hat. Im Lichte der Berufsfreiheit des Art. 12 Grundgesetz kann die Lösung eines Beschäftigungsverhältnisses wegen der Aufnahme eines Studiums einen wichtigen Grund darstellen (vgl BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 2; BSG, Urteil vom 12. Juli 2006 – B 11a AL 55/05 R = SozR 4-4300 § 144 Nr 14). Ob der Kläger wegen der Aufnahme des Studiums das Beschäftigungsverhältnis allerdings bereits zum 30. Juni 2009 lösen musste, ist bislang nicht geklärt. Zwar begannen die Vorlesungen an der Fachhochschule bereits am 28. September 2009 und es ging dem Vorlesungsbeginn eine Einführungswoche vom 21. September bis 25. September 2009 voraus, so dass ausgehend davon, dass eine Kündigung nur zum Quartalsende möglich war (vgl Arbeitsbescheinigung der Stadtsparkasse M vom 17. Juni 2009), dem Kläger eine Kündigung erst zum 30. September 2009 nur dann zumutbar gewesen wäre, wenn er wegen eines Anspruchs auf Resturlaub ggf in der Lage gewesen wäre, an den Veranstaltungen der Fachhochschule im September 2009 bereits teilzunehmen. Hierzu wird das SG zu klären haben, ob und ggf in welchem Umfang zum Zeitpunkt der Kündigung mit Schreiben vom 23. März 2009 dem Kläger noch ein Anspruch auf Urlaub zustand, den er ggf bei einer Kündigung erst zum 30. September 2009 bis zum Ende der Beschäftigung noch hätte realisieren können. Dass ein solcher Anspruch auf „Resturlaub“ bestanden haben dürfte, lässt sich zumindest dem Schreiben der Stadtsparkasse M vom 25. März 2009 entnehmen. Ebenso bedarf weiterer Klärung, ob es dem Kläger möglich gewesen wäre, das Arbeitsverhältnis erst zu einem späteren Zeitpunkt – zB zum 31. August 2009 - durch einen Aufhebungsvertrag zu lösen. Ggf ist hierzu die ehemalige Arbeitgeberin zu hören. Im Übrigen ist auch der von der Beklagten vorgetragenen „Abmeldung“ des Klägers zum 1. September 2009 nachzugehen, die – sofern dadurch die Verfügbarkeit entfallen sein sollte – einem Anspruch auf Alg ab 1. September 2009 entgegenstehen würde.
Das SG wird schließlich zu klären haben, ob der Kläger zumindest grob fahrlässig in dem Sinne gehandelt hatte, dass er eine aus dem Versicherungspflichtverhältnis obliegende Pflicht, den Eintritt des Versicherungsfalles der Arbeitslosigkeit zu vermeiden, nicht erfüllt hatte (vgl hierzu BSG, Urteil vom 27. Mai 2003 – B 7 AL 4/02 R = SozR 4-4300 § 144 Nr 3). Hierbei wird es festzustellen haben, ob der Kläger ausreichende Bemühungen unternommen hatte, ein neues Beschäftigungsverhältnis nach der Aufgabe des bestehenden Beschäftigungsverhältnisses zumindest bis zum Zeitpunkt des Semesterbeginns einzugehen. Insoweit bedarf es regelmäßig einer persönlichen Anhörung des Klägers, da von einem subjektiven Fahrlässigkeitsbegriff auszugehen ist.
Eine Kostenerstattung findet im PKH-Beschwerdeverfahren kraft Gesetzes nicht statt (vgl § 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).