Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 11. Senat | Entscheidungsdatum | 22.11.2011 | |
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Aktenzeichen | OVG 11 N 26.10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 4 BVFG, § 6 Abs 2 S 2 BVFG, § 15 Abs 1 BVFG, § 15 Abs 2 BVFG, § 26 BVFG, § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 3 VwGO |
Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 27. November 2009 wird abgelehnt.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens tragen die Kläger.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 10.000,- EUR festgesetzt.
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Bescheinigung gemäß § 15 Abs. 1 Bundesvertriebenengesetz – BVFG – zum Nachweis seiner Spätaussiedlereigenschaft; die Klägerin, seine Ehefrau, begehrt die Erteilung einer Bescheinigung gemäß § 15 Abs. 2 BVFG. Ihre hierauf gerichteten Verpflichtungsklagen hat das Verwaltungsgericht durch Urteil vom 27. November 2009 abgewiesen.
Der gegen dieses Urteil gerichtete, auf § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 1 VwGO gestützte Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Das Rechtsmittelvorbringen rechtfertigt keine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Dieser Zulassungsgrund liegt vor, wenn der Rechtsstreit eine entscheidungserhebliche, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechts- oder Tatfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich in dem erstrebten Rechtsmittelverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer obergerichtlichen Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf (vgl. zum Revisionsrecht: BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261/97 -, NJW 1997, 3328). Demgemäß fordert die Darlegung dieses Zulassungsgrundes prinzipiell die Formulierung einer solchen klärungsfähigen und -bedürftigen Rechts- oder Tatfrage von fallübergreifender Bedeutung.
Die Kläger tragen zur Begründung dieses Zulassungsgrundes vor: Sie hätte zwischen 1993 und 1996 gegen die Beklagte Aufnahmebescheide nach § 26 BVFG erstritten. Im damaligen Verfahren seien im Grunde dieselben Sachfragen ausschlaggebend und entscheidungserheblich gewesen wie im vorliegenden Verfahren, nämlich die Frage, ob und inwieweit der Kläger in seiner Jugend deutsche Sprachkenntnisse erworben habe und ob er sich hinreichend zum deutschen Volkstum bekannt habe. Die Beklagte, vertreten durch das Bundesverwaltungsamt, habe damals wie heute letztlich dieselben Argumente ins Feld geführt, weswegen sie gegen das den Kläger begünstigende Urteil des OVG Münster vom 12. April 1996 Revision eingelegt habe. Aus letztlich ungeklärten Gründen habe sie diese Revision aber wieder zurückgenommen. Es müsse daher die Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung geklärt werden, ob die Beklagte nicht mit der Rücknahme der Revision gegen das Berufungsurteil das Recht verwirkt habe, den Klägern mit inhaltlich gleichen Gründen wie im Verfahren um den Aufnahmebescheid die Spätaussiedlereigenschaft abzusprechen.
Diese Frage bedarf keiner Klärung im Berufungsverfahren. Zum einen scheidet eine Verwirkung schon deshalb aus, weil die Beklagte im Aufnahmebescheid vom 10.Juni 1997 ausdrücklich erklärt hat, dass mit diesem Bescheid keine endgültige Feststellung über die Eigenschaft als Spätaussiedler getroffen, sondern darüber nach Aufenthaltsnahme im Bundesgebiet in einem anderen Verwaltungsverfahren entschieden werde. Zum anderen ist höchstrichterlich geklärt, dass das Aufnahmeverfahren der §§ 26 ff. BVFG gegenüber dem Bescheinigungsverfahren nach § 15 BVFG eigenständige Bedeutung hat und Letzteres nicht präjudiziert, so dass Bewertungen im Aufnahmeverfahren einerseits und im Bescheinigungsverfahren andererseits – etwa hinsichtlich des Vorliegens der Spätaussiedlereigenschaft im konkreten Fall – unterschiedlich ausfallen können (vgl. Urteil vom 12. Juli 2001 – 5 C 30/00 –, BVerwGE 115,10, zitiert nach juris, dort insbes. Rz. 11). Das Bundesvertriebenengesetz macht die Rechtsstellung der "als Spätaussiedler" eingereisten Personen nicht allein davon abhängig, dass sie im Wege des Aufnahmeverfahrens (§§ 26 ff. BVFG) in das Bundesgebiet gelangt sind und dort Aufenthalt genommen haben, sondern verlangt zusätzlich, dass sie tatsächlich Spätaussiedler sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Juni 2001 – 1 C 26/00 -, BVerwGE 114, 332, zitiert nach juris, dort insbes. Rz. 11 ff; BVerfG, 2. Senat 3. Kammer, Beschluss vom 25. Februar 1992 – 2 BvR 182/92 –, bei juris, Rz. 3). Im Übrigen ist das für das Verwaltungsgericht entscheidungserhebliche Erfordernis der familiären Vermittlung der deutschen Sprache erst durch das Gesetz vom 30. August 2001 (BGBl. I S. 2266) mit Wirkung vom 7. September 2001 in § 6 BVFG eingefügt worden.
2. Der weiterhin geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) wird ebenfalls nicht begründet dargelegt. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten angegriffen wird und im Ergebnis eine gegenteilige als die angegriffene Entscheidung ernsthaft in Betracht kommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163, 1164). Dabei ist die Überprüfung auf die von dem Zulassungsantragsteller geltend gemachten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte zu beschränken. Das entspricht dem fristgebundenen Darlegungserfordernis des § 124 a Abs. 4 Satz 1 und 4 VwGO.
Die Kläger machen zur Begründung der von ihnen reklamierten ernstlichen Richtigkeitszweifel geltend, nach der ausführlichen Vernehmung des Bruders des Klägers, die letztendlich nicht anders verlaufen sei als seinerzeit vor dem OVG Münster, habe das Gericht bei sachgerechter Würdigung der Lage auch zu einer der Klage stattgebenden Entscheidung gelangen können und müssen. Diese Auffassung wird jedoch nicht hinreichend begründet. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, ausgehend davon, dass die ukrainische Mutter des Klägers die deutsche Sprache nach den Bekundungen des Zeugen zwar habe verstehen, aber nicht sprechen können, dass seine ukrainische Großmutter der deutschen Sprache nicht mächtig gewesen sei, und dass in der Familie nur der Vater des Klägers mit diesem Deutsch gesprochen habe, habe diese Sprachvermittlung mit dem Tod des Vaters im November 1959 ihr Ende gefunden. Seinerzeit sei der Kläger 7 Jahre und 2 Monate alt gewesen. Es sei zwar grundsätzlich vorstellbar, dass ein Kind, wenn es in einem nicht deutschsprachigen Kulturkreis aufwachse, bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres die deutsche Sprache aufgrund familiärer Vermittlung in einem Ausmaß beherrsche, das den gesetzlichen Anforderungen genüge. Das setze jedoch voraus, dass dieses Kind ab dem Beginn der Spracherlernung in intensiver und nachhaltiger Weise in der deutschen Sprache erzogen worden sei und dass den in seinem Lebensumfeld dominierenden Sprachen demgegenüber jedenfalls keine vorrangige Bedeutung zugekommen sei. Es habe also der bis zu seinem Tod berufstätige Vater gerade einen besonderen Erziehungsbeitrag zum Erwerb deutscher Sprachkenntnisse leisten müssen, damit der Kläger im Alter von 7 Jahren selbst einfache Gespräche in Deutsch habe führen können. Dass es sich so verhalten habe, habe weder der Kläger vorgetragen noch lasse sich dies der Zeugenaussage seines Bruders entnehmen. Zwar möge der Kläger mit Nachbarkindern überwiegend Deutsch gesprochen haben. Angesichts des familiären Hintergrundes und des frühen Todes des Vaters spreche aber Überwiegendes dafür, dass die Vermittlung der deutschen Sprache im Wesentlichen außerfamiliär durch das soziale Umfeld, insbesondere durch die Mitglieder der Nachbarfamilien, erfolgt sei. Den gesetzlichen Anforderungen sei indes gerade nicht Genüge getan, wenn eine Person das von Rechts wegen erforderliche Niveau an Deutschkenntnissen überhaupt nur aufgrund des Zusammenwirkens familiärer und außerfamiliärer sprachlicher Einflüsse erworben habe. Selbst wenn man mit dem OVG Münster davon ausgehe, dass der Vater bis zu seinem Tod dem Kläger die deutsche Sprache in einem hinreichenden Umfang vermittelt habe, könne die Kammer unter Zugrundelegung der Zeugenaussage des Bruders des Klägers nicht erkennen, dass Letzterer dieses Sprachvermögen nach dem Tod seines Vaters bis zum Ende der Prägungsphase habe konservieren können. So habe der Zeuge bekundet, dass nach dem Tode des Vaters die Kinder zuhause überwiegend nur noch Russisch gesprochen hätten. In der Schule sei in Russisch unterrichtet und nur Russisch gesprochen worden. Zudem habe der Kläger sich in der Schule für Englisch als Fremdsprache entschieden. Vor dem dargestellten familiären Hintergrund des Klägers, dem frühen Tod seines Vaters und angesichts des Umstandes, dass weder die ukrainische Mutter des Klägers noch seine ukrainische Großmutter der deutschen Sprache mächtig gewesen seien, sei davon auszugehen, dass die Umgangssprache in der Familie des Klägers – und damit der wesentliche sprachliche Einfluss – gerade nicht Deutsch gewesen sei.
Die zweitinstanzliche Darlegungen der Kläger vermögen die Richtigkeit dieses Ergebnisses nicht ernstlich in Zweifel zu stellen. Soweit die Kläger geltend machen, es sei schlechterdings nicht nachvollziehbar, warum die während der ersten sieben Lebensjahre durch den Vater vermittelten Deutschkenntnisse den Kläger nicht in die Lage versetzt haben sollten, auch später noch einfache Gespräche in Deutsch zu führen, greifen sie lediglich die Hilfsbegründung des Verwaltungsgerichts an, „selbst wenn“ man davon ausgehe, dass der Vater des Klägers diesen die deutsche Sprache in einem hinreichenden Umfang vermittelt habe, sei nicht zu erkennen, dass der Kläger dieses Sprachvermögen bis zum Ende der Prägungsphase habe konservieren können. Demgegenüber gehen die Kläger nicht hinreichend darauf ein, dass das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung in erster Linie zu Grunde gelegt hat, angesichts des familiären Hintergrundes und des frühen Todes des Vaters spreche Überwiegendes dafür, dass die Vermittlung der deutschen Sprache im Wesentlichen außerfamiliär durch das soziale Umfeld erfolgt sei, was den gesetzlichen Anforderungen nicht genüge. Die Kläger wenden sich nicht gegen den zuletzt genannten rechtlichen Ansatz des Verwaltungsgerichts. Soweit sie gegen dessen tatsächliche Würdigung einwenden, es sei naheliegend, dass der Kläger seinerzeit mindestens zweisprachig aufgewachsen sei und neben Deutsch auch Russisch und Ukrainisch beherrscht habe, die Erfahrung lehre, dass Kinder durchaus in der Lage seien, mehrere Sprachen gleichberechtigt nebeneinander zu erlangen und zu beherrschen, gehen sie auf die vom Verwaltungsgericht herausgearbeiteten Besonderheiten des Einzelfalls nicht ein. Die nicht näher belegte Behauptung allgemeiner Erfahrungssätze genügt indes nicht, um das einzelfallbezogen begründete Ergebnis des Verwaltungsgerichts ernstlich in Zweifel zu stellen. Auch dass der Kläger seinerzeit mindestens zweisprachig aufgewachsen sei und neben Deutsch auch Russisch und Ukrainisch beherrscht habe, wird lediglich als „naheliegend“ bezeichnet. Endlich begründet auch der bloße Hinweis auf die Möglichkeit der Einholung eines sprachpädagogischen Gutachtens zu der Frage, „ob“ es wahrscheinlich war, dass dem Kläger bis zum Ende der Prägungsphase familiär vermittelte Sprachkenntnisse geglaubt werden können“, keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des eingehend begründeten erstinstanzlichen Entscheidungsergebnisses.
Die abschließende Bitte, auch die als Anlage beigefügten "Bedenken zur Begründung" des Antrags auf Zulassung der Berufung, die der Kläger persönlich schriftlich für seinen Bevollmächtigten niedergelegt habe, als Vortrag zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung zu werten und zu berücksichtigen, verfehlt die aus dem Vertretungszwang folgenden Darlegungsanforderungen. Diese beinhalten, dass der zur Vertretung befugte Rechtsanwalt die Gründe, die zur Zulassung der Berufung führen sollen, aufgrund eigener Durchdringung und Würdigung der Sache- und Rechtslage selbst vorträgt (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 30. Juni 2010 - 12 S 1184/10 -, bei Juris; BVerwG, Beschluss vom 19. August 1993 - 6 B 42/93 -, bei Juris).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).