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Sozialgerichtliches Verfahren - Klagefrist - Rechtsbehelfsbelehrung im Widerspruchsbescheid - fehlender Hinweis auf Möglichkeit der Klageerhebung in elektronischer Form


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 34. Senat Entscheidungsdatum 25.09.2013
Aktenzeichen L 34 AS 3215/12 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 65a SGG, § 66 SGG, § 87 SGG

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 23. November 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich im Wege des Zugunstenverfahrens gegen die Aufhebung und Erstattung von Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01. November 2009 bis zum 28. Februar 2010.

Der 1964 geborene Kläger bezieht seit dem 01. Januar 2005 laufend Leistungen nach dem SGB II. Mit vorläufigem Bewilligungsbescheid vom 11. September 2009 gewährte der Beklagte dem Kläger und dessen damals mit ihm in Bedarfsgemeinschaft (BG) lebenden Ehefrau sowie dem gemeinsamen Sohn für den Zeitraum vom 01. Oktober 2009 bis zum 31. März 2010 monatlich Leistungen nach dem SGB II (für die BG monatliche Gesamtleistung i. H. v. 736,25 Euro; nur für den Kläger: Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts <SLU> i. H. v. 164,69 Euro zzgl. Kosten für Unterkunft und Heizung <KUH> i. H. v. 123,78 Euro = insgesamt 288,47 Euro monatlich). Mit Änderungsbescheiden vom 27. Oktober 2009, 16. November 2009, 26. November 2009 und 08. Dezember 2009 wurden ihm und den mit ihm in BG lebenden Personen für die den Zeitraum vom 01. Oktober 2009 bis zum 31. März 2010 Leistungen in folgender Höhe bewilligt:

Oktober 2009:

        

1.140,00 Euro BG insgesamt; Kläger alleine: 446,78 Euro

November 2009:

        

1.140,00 Euro BG insgesamt; Kläger alleine: 446,78 Euro

Dezember 2009:

        

980,98 Euro BG insgesamt; Kläger alleine: 422,33 Euro

Januar 2010:

        

706,88 Euro BG insgesamt; Kläger alleine: 320,56 Euro

Februar 2010:

        

706,88 Euro BG insgesamt; Kläger alleine: 320,56 Euro

März 2010:

        

803,78 Euro BG insgesamt; Kläger alleine: 320,56 Euro.

Nach Anhörung vom 19. März 2010 hob der Beklagte mit Bescheid vom 22. April 2010 die Bescheide vom 11. September 2009, 27. Oktober 2009, 16. November 2009 und 08. Dezember 2009 über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II vom 01. November 2009 bis zum 28. Februar 2010 für den Kläger teilweise i. H. v. 1.877,28 Euro auf und forderte diesen Betrag zurück. Es sei während des genannten Zeitraums Einkommen aus einer Beschäftigung bei der Senatsverwaltung erzielt worden, welches unter Berücksichtigung der Freibeträge auf die Leistung anzurechnen sei. Dabei habe sich eine Überzahlung ergeben, die gemäß § 50 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu erstatten sei.

Mit Schreiben vom 26. Oktober 2010 beantragte der Kläger u. a. die Überprüfung des Bescheides vom 22. April 2010. Der Beklagte lehnte die Rücknahme des Bescheides vom 22. April 2010 mit Bescheid vom 29. Dezember 2010 ab. Der Bescheid sei nicht zu beanstanden. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und trug vor, er bzw. alle in der BG lebenden Personen hätten immer alle vom Beklagten geforderten Unterlagen oder Angaben zeitnah angegeben. Sie seien zu jeder Zeit ihren Mitwirkungspflichten nachgekommen. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08. März 2011 zurück. Der Widerspruchsbescheid enthielt folgende Rechtsbehelfsbelehrung:

„Gegen diese Entscheidung kann jeder Betroffene für sich innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe beim

Sozialgericht Berlin, Invalidenstr. 52, 10557 Berlin,

Klage erheben. Die Klage ist schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben. Für Minderjährige oder nicht geschäftsfähige Personen handelt deren gesetzlicher Vertreter. Klage kann auch durch ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft erhoben werden, soweit eine Bevollmächtigung dazu gegeben ist.

(…)“

Der Widerspruchsbescheid wurde am 08. März 2011 mit einfacher Post an den Kläger versandt.

Am 27. Mai 2011 ist die Klageschrift des Klägers vom 20. April 2011 beim Sozialgericht Berlin eingegangen, mit welcher der Kläger Klage gegen „den Bescheid vom 22. April 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. März 2011“ erhoben hat. Auf Nachfrage des Gerichts hat der Kläger mitgeteilt, er wisse nicht mehr, wann er den Widerspruchsbescheid erhalten habe. Aus Erfahrung könne er allerdings sagen, dass Post vom Beklagten nicht zwei oder drei Tage benötige, bis sie beim Empfänger sei, sondern es zwischen dem Datum im Briefkopf und der Zustellung oft 1,5 Wochen Unterschied gebe.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 23. November 2012 wegen Verspätung als unzulässig abgewiesen.

Gegen den am 01. Dezember 2012 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 05. Dezember 2012 beim Sozialgericht Berlin eingegangene Berufung des Klägers mit der er geltend macht, er habe die Klagefrist eingehalten. Die Rechtsbehelfsbelehrung im Widerspruchsbescheid sei fehlerhaft, da sie nicht auf die Möglichkeit zur Klageerhebung im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs hingewiesen habe. Die Klagefrist habe daher ein Jahr betragen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 23. November 2012 aufzuheben sowie den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 29. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. März 2011 zu verpflichten, den Bescheid vom 22. April 2010 zurückzunehmen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Die Rechtsbehelfsbelehrung sei nach § 85 Abs. 3 Satz 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zutreffend. Es bestehe keine über § 85 Abs. 3 Satz 4 SGG hinausgehende zwingende Verpflichtung zur Belehrung der Beteiligten hinsichtlich der Form der Rechtsbehelfseinlegung. Das Fehlen der Belehrung über die elektronische Einlegung der Klage könne daher aus seiner Sicht nicht zur Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung führen.

Der Senat hat die Beteiligten auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 14. März 2013 – B 13 R 19/12 R – hingewiesen. Wiedereinsetzungsgründe sind daraufhin vom Kläger nicht geltend gemacht worden.

Durch Beschluss des Senats vom 31. Juli 2013 ist der Rechtsstreit gemäß § 153 Abs. 5 SGG der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen worden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten (4 Bände) verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 23. November 2012 ist zulässig aber unbegründet.

Zutreffend ist das Sozialgericht in dem angegriffenen Gerichtsbescheid davon ausgegangen, dass die am 27. Mai 2011 bei dem Sozialgericht Berlin eingegangene Klage unzulässig ist.

Die Klage ist gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu erheben. Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so beginnt gemäß § 87 Abs. 2 SGG die Frist mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides. Gemäß dem Vermerk in den Leistungsakten des Beklagten ist der Widerspruchsbescheid vom 08. März 2011 am selben Tag einfacher Brief zur Post gegeben worden. Er gilt daher nach § 37 Abs. 2 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X) mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben außer, er ist nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen, das ist hier Freitag der 11. März 2011. Die Frist zur Klageerhebung begann daher am 12. März 2011 zu laufen und endete am Montag, den 11. April 2011 (§ 64 Abs. 1, 2 SGG).

Auch auf mehrfache Nachfrage hat der Kläger dem Sozialgericht keinen anderen Zugangszeitpunkt benennen, geschweige denn glaubhaft machen können. Unstreitig hat der Kläger den Widerspruchsbescheid erhalten. Soweit der Kläger erstinstanzlich geltend gemacht hat, die Postlaufzeiten für Schreiben des Beklagten betrügen bis zu 1 ½ Wochen, führt auch die Unterstellung eines solch verspäteten Zugangs nicht zu einer Einhaltung der Klagefrist, denn der Widerspruchsbescheid wäre dann dem Kläger zwar evtl. erst am 18. oder 19. März 2011 zugegangen, die Klage ist jedoch erst am 27. Mai 2011 beim Sozialgericht eingegangen und damit immer noch verspätet.

Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 67 Abs. 1 SGG hat der Kläger nicht geltend gemacht. Auch der erstinstanzliche Vortrag des Klägers, seine Ehefrau habe sich im Ausland aufgehalten, stellt keinen hinreichenden Entschuldigungsgrund dar.

Die Rechtsbehelfsbelehrung in dem Widerspruchsbescheid vom 08. März 2011 ist auch nicht etwa unrichtig mit der Folge, dass die Einjahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG gälte (vgl. hierzu das Urteil des Bundessozialgerichts <BSG> vom 14. März 2013 – B 13 R 19/12 R -, in juris, dem sich der Senat nach eigener Überzeugungsbildung voll umfänglich anschließt). Die Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheides ist – entsprechend einer Rechtsmittelbelehrung eines sozialgerichtlichen Urteils - nach derzeitiger Sach- und Rechtslage nicht "unrichtig" i. S. von § 66 Abs. 2 S. 1 SGG, wenn sie die Möglichkeit der Berufungseinlegung durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments nicht erwähnt, obwohl für das betreffende Sozialgericht nach § 65a Abs. 1 SGG i. V. m. einer Verordnung der dort näher bezeichneten zuständigen Stelle die Übermittlung elektronischer Dokumente zugelassen ist. Letzteres ist hier der Fall: Das Land Berlin hat § 65a Abs. 1 S. 1 SGG eröffneten Befugnis Gebrauch gemacht und gemäß der Anlage zur Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr mit der Justiz im Land Berlin vom 27. Dezember 2006 (GVBI. S. 1183), geändert durch die Erste Verordnung zur Änderung der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr mit der Justiz im Land Berlin vom 11. November 2007 (GVBl. S. 539), geändert durch die Zweite Verordnung zur Änderung der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr im Land Berlin vom 09. Dezember 2009 (GVBl. S. 881) ab 01. Januar 2010 die Einreichung elektronischer Dokumente in allen beim Sozialgericht Berlin geführten Verfahren zugelassen.

Unrichtig i. S. des § 66 Abs 2 S 1 SGG ist jede Rechtsbehelfsbelehrung, die nicht zumindest diejenigen Merkmale zutreffend wiedergibt, die § 66 Abs 1 SGG als Bestandteile der Belehrung ausdrücklich nennt: (1) den statthaften Rechtsbehelf als solchen (also seine Bezeichnung der Art nach), (2) die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, (3) deren bzw. dessen Sitz und (4) die einzuhaltende Frist (BSGE 69, 9, 11 = SozR 3-1500 § 66 Nr. 1 S 3).

Die hiernach notwendige Belehrung auch über den wesentlichen Inhalt der bei Einlegung des Rechtsbehelfs zu beachtenden Formvorschriften erfordert es derzeit jedoch nicht, dass auch auf die für das betreffende Gericht durch Rechtsverordnung bereits zugelassene Möglichkeit der Übermittlung verfahrensbestimmender Schriftsätze in der Form eines elektronischen Dokuments hingewiesen wird.

Dies folgt nicht daraus, dass die "elektronische Form" lediglich einen Unterfall bzw. eine Sonderform der Schriftform darstellte. Es handelt sich vielmehr bei der elektronischen Form i. S. des § 65a SGG um eine eigenständige Form, die der Gesetzgeber "als zusätzliche Option neben der bisherigen schriftlichen Form" eingeführt hat (Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein JKomG, BT-Drucks 15/4067 S 27 f - unter VI.). Dies sollte den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit eröffnen, "elektronische Kommunikationsformen gleichberechtigt neben der - herkömmlich papiergebundenen - Schriftform oder der mündlichen Form" rechtswirksam zu verwenden (a. a. O. S. 24 - unter II.). Die hierdurch geschaffene Trias gleichrangiger prozessualer Formen - schriftlich, in elektronischer Form oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle - kommt u. a. auch im Wortlaut des § 158 S. 1 SGG zum Ausdruck. Das schließt es aus, die (prozessuale) elektronische Form lediglich als Unterfall der Schriftform anzusehen und deshalb eine Belehrung über die Schriftform so zu behandeln, als umfasse sie zugleich eine Belehrung hinsichtlich der Übermittlung in elektronischer Form (als elektronisches Dokument) erstellter Erklärungen.

Dennoch ist es - jedenfalls nach derzeitiger Sach- und Rechtslage - nach § 66 Abs. 1 SGG nicht geboten, in Rechtsbehelfsbelehrungen hinsichtlich der Form der Einlegung des Rechtsbehelfs dann, wenn für das betreffende Gericht die elektronische Form durch Rechtsverordnung zugelassen ist, stets auch auf die Möglichkeit der Verwendung dieser Form und ihre Voraussetzungen hinzuweisen. Entgegen der Rechtsmeinung des LSG führt allein die Einordnung der elektronischen Form als gleichrangige prozessuale Form nicht automatisch dazu, dass diese schon deshalb und schon jetzt als "Regelweg" i. S. von § 66 Abs. 1 SGG anzusehen ist. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Auch nach der Änderung bzw. Ergänzung der sozialgerichtlichen Verfahrensordnung durch das JKomG findet in den spezifischen Vorschriften des SGG, die nähere Vorgaben zur Art und Weise der Einlegung von Rechtsbehelfen oder Rechtsmitteln machen, die elektronische Form keine Erwähnung. Das gilt für die Klageerhebung (§ 90 SGG: "schriftlich oder zur Niederschrift") ebenso wie für die Einlegung der Berufung (§ 151 Abs. 1 und 2 SGG: "schriftlich oder zur Niederschrift"), der Berufungs-Nichtzulassungsbeschwerde (§ 145 Abs 1. S 2. SGG: "schriftlich oder zur Niederschrift"), der Revision (§ 164 Abs. 1 S. 1 SGG: "schriftlich"), der Revisions-Nichtzulassungsbeschwerde (§ 160a Abs. 1 S 3 SGG: "Beschwerdeschrift"), der sonstigen Beschwerden (§ 173 S. 1 und 2 SGG: "schriftlich oder zur Niederschrift"), der Erinnerung gegen Entscheidungen des ersuchten oder beauftragten Richters oder des Urkundsbeamten (§ 178 S .2 i. V. m. § 173 SGG: "schriftlich oder zur Niederschrift") sowie der Anhörungsrüge (§ 178a Abs. 2 S 4 SGG: "schriftlich oder zur Niederschrift"), in gleicher Weise aber auch für Anträge auf Tatbestandsberichtigung (§ 138 SGG), Urteilsergänzung (§ 140 SGG) oder auf Erlass von Anordnungen im einstweiligen Rechtsschutz (§ 86b SGG). Lediglich am Rande ist in § 160a Abs. 1 S. 3 bzw. in § 164 Abs. 1 S. 3 SGG bestimmt, dass die Soll-Vorschrift zur Beifügung einer Ausfertigung oder beglaubigten Abschrift des angefochtenen Urteils nicht gilt, "soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden".

Diese allenfalls beiläufige Einbeziehung der elektronischen Form in die Grundnormen des SGG zur Art und Weise der Einlegung von Rechtsbehelfen belegt, dass der Gesetzgeber diese Form zwar grundsätzlich auch hierfür erlauben wollte. Er hat aber offenkundig noch keine Veranlassung gesehen, sie neben der Schriftform und der mündlichen Form (zur Niederschrift) als gleich gewichtige Form und weiteren Regelweg zu normieren. Wäre dies der Fall gewesen, hätte es das aus dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitende Postulat der Rechtsmittelklarheit erfordert, die elektronische Form auch in die einzelnen Bestimmungen über die formalen Anforderungen an die Einlegung der jeweiligen Rechtsbehelfe aufzunehmen, um den Rechtsuchenden den Weg zur gerichtlichen Überprüfung einer Entscheidung mit der gebotenen Klarheit vorzuzeichnen (vgl. BVerfG <Plenum> BVerfGE 107, 395, 416 f = SozR 4-1100 Art 103 Nr. 1 RdN.r 57; s. auch BVerfG <Kammer> vom 22. Mai 2012 - 2 BvR 2207/10 – in juris). Dies ist jedoch nicht geschehen. Die Vorschrift des § 65a SGG zur elektronischen Form befasst sich nicht einmal ausdrücklich mit der Einlegung von Rechtsbehelfen oder Rechtsmitteln.

Das Erfordernis einer Belehrung auch über die Form des Rechtsbehelfs ist aus einer am Sinn und Zweck der Vorschrift orientierten erweiternden Auslegung des § 66 Abs. 1 SGG herzuleiten. In Umsetzung des verfassungsrechtlichen Gebots zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art .19 Abs. 4 S. 1 GG) soll die Regelung in § 66 SGG verhüten helfen, dass jemand aus Unkenntnis den Rechtsweg nicht ausschöpft. Ziel einer jeden Rechtsbehelfsbelehrung muss es demnach sein, den Empfänger über den wesentlichen Inhalt der zu beachtenden Vorschriften zu unterrichten und es ihm so zu ermöglichen, ohne Gesetzeslektüre die ersten Schritte zur ordnungsgemäßen Einlegung des Rechtsbehelfs einzuleiten (BSGE 79, 293, 294 = SozR 3-1500 § 66 Nr 6 S 24). Ausgerichtet auf dieses Ziel genügt es, über den wesentlichen Inhalt der bei Einlegung des Rechtsbehelfs zu beachtenden Formvorschriften zu informieren (BSG vom 26. Januar 1993 - 1 RK 33/92 – in juris). Infolgedessen muss eine "richtige" Belehrung nicht stets allen tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten Rechnung tragen; es reicht aus, wenn sie die Beteiligten in die richtige Richtung lenkt (BSG SozR 4-1500 § 66 Nr. 1 RdNr. 6 am Ende).

Das ist bei einer Rechtsbehelfsbelehrung, die sich hinsichtlich der formalen Anforderungen auf die "klassischen" und allgemein gebräuchlichen Möglichkeiten einer schriftlichen oder mündlichen (zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle) Einlegung der Klage beschränkt, jedenfalls derzeit noch ersichtlich der Fall. Sie zeigt den Beteiligten die regelmäßig allen Bürgern - auch soweit sie nicht über informationstechnische Spezialkenntnisse und eine spezifische technische Ausstattung verfügen - offenstehenden Wege für die Einlegung des Rechtsmittels klar und deutlich auf (vgl. BSGE 42, 140, 144 = SozR 1500 § 84 Nr. 1 S 4). Die hier in Rede stehende Rechtsbehelfsbelehrung trägt auch in keiner Weise zu einer formwidrigen oder verspäteten Einlegung des Rechtsbehelfs bei (vgl. BSG SozR 4-1500 § 66 Nr. 1 RdNr. 6). Sie enthält keine Inhalte, die - bei abstrakter Betrachtungsweise - geeignet sein könnten, den Informationswert der richtigen Angaben zu mindern oder, was hier von besonderer Bedeutung ist, die Beteiligten von Erkundigungen über möglicherweise im Einzelfall bestehende weitere Möglichkeiten abzuhalten. Sie macht insbesondere keine Angaben, die von Rechtsuchenden dahingehend verstanden werden könnten, dass eine Klageerhebung auf elektronischem Weg ausgeschlossen sei.

Die Möglichkeit, Schriftsätze in gerichtlichen Verfahren als elektronisches Dokument dem Gericht elektronisch zu übermitteln, hat allein durch ihre rechtliche Zulassung in § 65a SGG i. V. m. einer ausfüllenden Rechtsverordnung noch keine solche praktische Bedeutung erlangt, dass es geboten wäre, die Beteiligten zum Schutz vor Rechtsnachteilen durch Unwissenheit (vgl. BSGE 42, 140, 144 = SozR 1500 § 84 Nr. 1 S 4) auch auf diese Form notwendig hinzuweisen. Dies ergibt sich vor allem daraus, dass der mit einer rechtswirksamen elektronischen Übermittlung von Schriftsätzen an das Gericht gemäß § 65a SGG verbundene Aufwand bei Weitem denjenigen übersteigt, der mit einer Übermittlung auf herkömmliche Weise (schriftlich oder zur Niederschrift) einhergeht. Auch wenn die erforderlichen IT-Geräte und ein ausreichend leistungsfähiger Zugang zum Internet mittlerweile in breiten Bevölkerungskreisen zur Verfügung stehen (zur Berücksichtigung eines Internet-Anschlusses für die Nachrichtenübermittlung bei der Bemessung des Regelbedarfs nach dem SGB II vgl. BSG Urteil vom 12. Juli 2012 - B 14 AS 153/11 R – in juris), wird zusätzlich nach §§ 2, 3 der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr mit der Justiz im Land Berlin vom 27. Dezember 2006 (GVBl. S. 1183) i. V. m. der Bekanntmachung der Senatsverwaltung für Justiz vom 29. Januar 2012 aufgrund §§ 2 und 3 der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr mit der Justiz im Land Berlin vom 27.12.2006 eine spezielle Zugangs- und Übertragungssoftware (Elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach - EGVP) benötigt. Diese wird zwar von der Justizverwaltung kostenfrei zur Verfügung gestellt, doch muss der Nutzer ihre fehlerfreie Installation, Konfiguration und Bedienung selbst bewerkstelligen. Außerdem ist zur Anbringung der für die Rechtsmitteleinlegung vorgeschriebenen qualifizierten elektronischen Signatur (§ 65a Abs. 1 S. 3 SGG i. V. m. §§ 2, 3 der Versordnung über den elektronischen Rechtsverkehr mit der Justiz im Land Berlin) nicht nur ein Kartenlesegerät, sondern auch eine gültige Signaturkarte erforderlich, die - kostenpflichtig - in einem zeitintensiven Identifizierungsverfahren bei einem zugelassenen Anbieter erworben werden muss.

Dieser einer elektronischen Übermittlung in gerichtlichen Verfahren notwendig vorausgehende Zusatzaufwand von erheblichem Ausmaß - insbesondere hinsichtlich der qualifizierten elektronischen Signatur - hat nach Einschätzung der Bundesregierung dazu geführt, dass die Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten auch zehn Jahre nach dessen Einführung "weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist" (Entwurf der Bundesregierung zu einem Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 06. März 2013, BT-Drucks 17/12634 S 1 - unter A. <Problem und Ziel>), sodass auch heute noch die Kommunikation mit der Justiz "fast ausschließlich auf Papier" basiert (a. a. O.). Vor diesem Hintergrund kann jedenfalls Anfang 2011 und auch derzeit noch nicht davon ausgegangen werden, dass zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes zwingend eine Belehrung auch über die Möglichkeiten einer elektronischen Kommunikation mit den Gerichten erforderlich ist. Dies gilt umso mehr, als Bürger oder Behörden in der Zugangs- und Übertragungssoftware EGVP ohnehin ein Verzeichnis derjenigen Gerichte vorfinden, mit denen die elektronische Kommunikation möglich ist.

Aber auch auf Seiten der Gerichte ist die Fähigkeit zur elektronischen Kommunikation noch längst nicht überall gegeben (vgl. BT-Drucks. 17/12634 a. a. O.). Zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides im März 2011 war im Bereich der Sozialgerichtsbarkeit lediglich in fünf von sechzehn Ländern (in Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen und Rheinland-Pfalz) sowie beim BSG die Übermittlung elektronischer Dokumente zugelassen. Daran hat sich bis heute nichts Grundlegendes geändert. Seither ist die elektronische Form zusätzlich nur für die Sozialgerichte in Sachsen (zeitlich gestaffelt ab 01. April 2011, 01. Juli bzw. 01. Oktober 2012) sowie in Nordrhein-Westfalen (ab 01. Januar 2013) zugelassen worden. Mithin kann auch jetzt noch in lediglich sieben von sechzehn Ländern die elektronische Form im Sozialgerichtsprozess genutzt werden, wobei so bevölkerungsreiche Länder wie Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen diese Form noch nicht eröffnet haben. Dies belegt, dass es jedenfalls derzeit nicht gerechtfertigt ist, bei Betrachtung des gesamten Geltungsbereichs des SGG die Möglichkeit der Einlegung von Rechtsbehelfen in elektronischer Form als "Regelweg" der Rechtsmitteleinlegung i.S. der Schutzvorschrift des § 66 Abs. 2 SGG anzusehen. Ob dies anders zu beurteilen ist, sobald alle Gerichte durch Bundesgesetz verpflichtet sind, ab einem bestimmten Zeitpunkt die elektronische Kommunikation zu ermöglichen, ist hier nicht zu entscheiden, zumal die entsprechenden Regelungen gemäß dem Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten (BT-Drucks. 17/12634, s. dort Ar.t 4 Nr. 1, Art. 24 und 25) noch nicht verabschiedet sind.

Zu berücksichtigen ist gemäß den Ausführungen des BSG in seinem Urteil vom 14. März 2013 – B 13 R 19/12 R – (RdNr. 28 in juris), dass die Anforderungen des § 66 Abs. 1 SGG an Rechtsbehelfsbelehrungen nicht nur für solche in gerichtlichen Entscheidungen, sondern ebenso für Rechtsbehelfsbelehrungen in (Widerspruchs-)Bescheiden maßgeblich sind. Während von einem SG erwartet werden kann, dass es den landesrechtlichen Bestimmungen zur Eröffnung der elektronischen Form in diesem Gerichtszweig zeitnah Rechnung trägt, ist dies bei Sozialversicherungsträgern mit Sitz außerhalb des betreffenden Landes faktisch sehr viel schwieriger zu gewährleisten. Auch solche - insbesondere bundesweit zuständige - Träger haben aber vielfach Belehrungen zur Einlegung von Rechtsbehelfen bei Gerichten anderer Länder als demjenigen ihres Sitzes zu erteilen (vgl. die Regelung zur örtlichen Zuständigkeit in § 57 Abs. 1 und 2 SGG). Deshalb würde es zu einer Häufung unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrungen und damit zu einer Bindung der Beteiligten an entsprechende Bescheide (§ 77 SGG) erst nach Ablauf der Jahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG führen, sähe man zwingend eine Belehrung über die elektronische Form als weiteren Regelweg auch für den Fall vor, dass diese noch vor einer bundesweit einheitlichen Einführung im Rahmen der "Öffnungsklausel" des § 65a Abs. 1 SGG bereits lokal zugelassen wurde. Dass der Gesetzgeber des § 65a SGG diese Auswirkungen gewollt oder in Kauf genommen hätte, ist nicht ersichtlich.

Dem Gericht ist daher eine Entscheidung in der Sache verwehrt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.