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Entscheidung S 20 KR 12/14


Metadaten

Gericht SG Neuruppin 20. Kammer Entscheidungsdatum 05.06.2014
Aktenzeichen S 20 KR 12/14 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 17c Abs 4b S 3 KHG, § 114 Abs 2 SGG, Art 19 Abs 4 GG

Leitsatz

1. In einem gerichtlichen Verfahren, das dem Anwendungsbereich des § 17c Abs. 4b Satz 3 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) unterfällt, befreit die unsubstantiierte und rechtsmissbräuchliche Erhöhung der Klageforderung auf mehr als 2.000 € nicht von der Durchführung des Schlichtungsverfahrens nach § 17c Abs. 4 KHG.

2. a) Eine Klage, die dem Anwendungsbereich des § 17c Abs. 4b Satz 3 KHG unterfällt, ist vor Durchführung des Schlichtungsverfahrens einer Sachentscheidung - jedenfalls derzeit - nicht zugänglich. Dies gilt unabhängig davon, ob der für das Land Brandenburg zu § 17c KHG a. F. früher gebildete Schlichtungsausschuss fortbesteht und daher richtiger Adressat eines Schlichtungsbegehrens wäre oder ob dieser Schlichtungsausschuss wegen der Neufassung von § 17c KHG durch das Gesetz vom 15. Juli 2013 (BGBl I S. 2423) nunmehr inhaltlich anders ausgerichtet und in Folge dessen nicht zu Entscheidungen gemäß § 17c Abs. 4 KHG berufen ist.

b) Ein solches Klageverfahren ist aus Rechtsschutzgründen (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz - GG -) zur Nachholung des Schlichtungsverfahrens auszusetzen (§ 114 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz analog).

c) Es bedarf derzeit keiner Entscheidung, ob die Zulässigkeitsvoraussetzung des § 17c Abs. 4b Satz 3 KHG durch das Sozialgericht nicht angewendet werden darf, ohne dass das Bundesverfassungsgericht die Norm für nichtig oder unanwendbar erklärt hat (Art. 100 Abs. 1 GG).

Tenor

Das Verfahren wird ausgesetzt.

Gründe

Das Klageverfahren wird zur Durchführung des Schlichtungsverfahrens nach § 17c Abs. 4b Satz 3 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG)ausgesetzt (§ 114 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz analog).

Gemäß § 17c Abs. 4b Satz 3 KHG in der Fassung vom 1. August 2013 ist bei Klagen, mit denen nach Durchführung einer Abrechnungsprüfung nach § 275 Abs. 1c Fünftes Buch des Sozialgesetzbuchs eine streitig gebliebene Vergütung gefordert wird, vor der Klageerhebung das Schlichtungsverfahren nach § 17c Abs. 4 KHG durchzuführen, wenn der Wert der Forderung 2.000 € nicht übersteigt. Dies ist vorliegend der Fall.

1. Zwar hat die Klägerin mit ihrer Klage einen Betrag in Höhe von 2.001,00 € eingeklagt. Werden aber - wie hier - in unsubstantiierter und rechtsmissbräuchlicher Weise Klageforderungen auf mehr als 2.000 € erhöht, um gesetzlich vorgeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzungen zu umgehen, befreit dies nicht von der Durchführung des Schlichtungsverfahrens nach § 17c Abs. 4 KHG (vgl. zur rechtsmissbräuchlichen Vermeidung des Schlichtungsverfahrens nach § 15a Einführungsgesetz zur Zivilprozessordnung: Stein/Jonas, Zivilprozessordnung, 22. Auflage 2013, Rn. 6 zu § 15a; Bitter, NJW 2005, 1235; Bundesgerichtshof, Urteil vom 7. Juli 2009 - VI ZR 278/08 - [juris]).

Die Durchführung des Schlichtungsverfahrens als Zulässigkeitsvoraussetzungen steht nicht zur Disposition der Beteiligten und ist auch nicht aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes entbehrlich. Durch die Einführung des Schlichtungsverfahrens verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, die Gerichte zu entlasten (BT-Drs. 17/13947, S. 40). Zudem geht er von einer kostengünstigeren Konfliktbereinigung aus. Durch die unsubstantiierte und letztlich rechtsgrundlose Geltendmachung eines 2.000 € übersteigenden Betrags würden diese Bestrebungen umgangen werden. Für die klageweise Geltendmachung eines den bisher nicht ausgeglichenen Rechnungsbetrag übersteigenden Betrags als Hauptforderung ist dem Beteiligtenvorbringen ein plausibler Grund nicht zu entnehmen. Die zwischen den Beteiligten im Streit stehende Vergütungsforderung beläuft sich nur auf den Differenzbetrag zwischen dem Rechnungsbetrag und dem durch die Beklagte gezahlten Teilbetrag. Andere rechtliche oder tatsächliche Gründe, aus denen sich ein weitergehender Anspruch ergeben könnte, hat die Klägerin nicht mitgeteilt. Sie sind auch nicht ersichtlich.

2. Eine Klage, die eine Abrechnungsprüfung mit Rechnungskorrektur bis 2.000 € betrifft, ist vor Durchführung des Schlichtungsverfahrens einer Sachentscheidung - jedenfalls derzeit - nicht zugänglich. Dies gilt unabhängig davon, ob der für das Land Brandenburg zu § 17c KHG a. F. früher gebildete Schlichtungsausschuss fortbesteht und daher richtiger Adressat eines Schlichtungsbegehrens wäre oder ob dieser Schlichtungsausschuss wegen der Neufassung von § 17c KHG durch das Gesetz vom 15. Juli 2013 (BGBl I S. 2423) nunmehr inhaltlich anders ausgerichtet und in Folge dessen nicht zu Entscheidungen gemäß § 17c Abs. 4 KHG berufen ist (vgl. Sozialgericht Berlin, Urteil vom 25. März 2014 - S 182 KR 2450/13 - [juris]). Denn es ist weder für die Beteiligten noch für das Gericht erkennbar, dass für das Land Brandenburg zum Zeitpunkt der Klageerhebung ein arbeitsfähiger Schlichtungsausschuss existierte, der sich auf Regelungen zum Verfahren gemäß § 17c Abs. 4 Satz 8 KHG stützen konnte. Die Beteiligten, deren Landesverbände zur Bestellung der Mitglieder des Schlichtungssauschusses sowie zur Vereinbarung der Einzelheiten zum Verfahren berufen sind (§ 17c Abs. 4 Satz 4 und 8 KHG), haben übereinstimmend mitgeteilt, dass eine Durchführung von Schlichtungsverfahren auch derzeit faktisch nicht möglich ist. Hieran hat das erkennende Gericht keine Zweifel.

Das Gericht folgt hinsichtlich der Notwendigkeit der Durchführung des Schlichtungsverfahrens den Ausführungen des Sozialgerichts Dresden (Beschluss vom 20. Februar 2014 - S 18 KR 1051/13 - [juris]) und macht sie nach eigener Prüfung zum Gegenstand seiner Entscheidung:

„Das Gericht ist sich mit Blick auf Artikel 19 Abs. 4 GG der Problematik bewusst, die Klägerin vor Zulassung zur gerichtlichen Sachentscheidung auf einen Rechtsbehelf zu verweisen, der faktisch (noch) nicht in Anspruch genommen werden kann.

Andererseits wird derzeit noch keine dringende Veranlassung gesehen, entgegen dem Anliegen des Gesetzgebers, die Modalitäten der Konfliktlösung stärker in die Eigenverantwortung der Vertragspartner zu legen und die Sozialgerichte zu entlasten (Deutscher Bundestag, Drucksache 17/13947, S. 37 und 40), bereits jetzt in eine Sachprüfung einzutreten. Das Gericht geht bislang davon aus, dass es den Vertragspartnern auf Landesebene gelingen wird, die Schlichtungsausschüsse gemäß ihrem gesetzlichen Auftrag in absehbarer Zeit einzurichten.

Bis dahin kann den Beteiligten eine gewisse Wartefrist zugemutet werden. Eine wesentliche Verschlechterung der Beweislage ist durch den Zeitablauf nicht zu erwarten, da eine Überprüfung des Abrechnungsfalles sowohl vor dem Schlichtungsausschuss wie auch im gerichtlichen Verfahren in der Regel ohnehin nach Aktenlage auf Grundlage der Behandlungsdokumentation erfolgt.

Eine mit Artikel 19 Abs. 4 GG unvereinbare Versagung des Anspruchs auf Rechtsgewährung kann darin nicht gesehen werden, weil die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen und die Landeskrankenhausgesellschaft, deren Handeln die Beteiligten kraft ihrer Verbandszugehörigkeit für und gegen sich gelten lassen müssen, es in der Hand haben, durch die zügige Umsetzung des gesetzlichen Auftrags aus § 17c Abs. 4 KHG die Einrichtung der Schlichtungsstellen zu befördern und so die Voraussetzungen für den Zugang der Beteiligten zu den Gerichten im Rahme einer Sachentscheidung herbeizuführen.

Gegenwärtige Bestrebungen des Spitzenverbandes Bund und der Deutschen Krankenhausgesellschaft, auf eine Änderung der Gesetzeslage hinzuwirken, sind insoweit ohne Relevanz. Verzögerungen gehen allein zu Lasten der Beteiligten, die sich das Verhalten der Vertragspartner auf Bundesebene ebenfalls kraft Verbandszugehörigkeit zurechnen lassen müssen. Das gesetzgeberische Anliegen, die Sozialgerichte zu entlasten, steht nicht zur Disposition der Beteiligten und deren Verbänden auf Landes- und Bundesebene. Das Problem, ausreichende personelle Ressourcen zur Bewältigung der seit Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung auflaufenden Schlichtungsfälle bereitzustellen, rechtfertigt nicht die weitere Verzögerung, sondern gebietet vielmehr eine Beschleunigung der Konstituierung der Schlichtungsstellen. Zudem stellt sich die Problematik begrenzter Personalressourcen für die Sozialgerichte nicht minder; insbesondere im Hinblick auf die Erwartungen des Gesetzgebers bezüglich der persönlichen Qualifikation zur Bearbeitung der Abrechnungsfälle (vgl. § 17c Abs. 4 2. Halbsatz KHG).“

3. Das Verfahren ist auszusetzen. Nach Abwägung der maßgeblichen Gesichtspunkte überwiegen die für die Verfahrensaussetzung sprechenden Gründe. Insoweit sind die vorstehend zu 1. genannten Motive des Gesetzgebers und die fehlende Dispositionsbefugnis der Beteiligten anzuführen. Demgegenüber hat das auf Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) gestützte Interesse der Klägerin an einer gerichtlichen Klärung der streitigen Ansprüche ohne Durchführung des Schlichtungsverfahrens jedenfalls derzeit noch zurückzutreten. Daher ist derzeit nicht zu entscheiden, ob die durch den Gesetzgeber geschaffene Zulässigkeitsvoraussetzung ggf. durch das Sozialgericht nicht angewendet werden kann, ohne dass das Bundesverfassungsgericht die Norm für nichtig oder unanwendbar erklärt hat (Art. 100 Abs. 1 GG).

Soweit andere Gerichte bei vergleichbarer Sach- und Rechtslage die Klage als unzulässig abgewiesen haben (vgl. Sozialgericht Karlsruhe, Urteil vom 24. Februar 2014 - S 5 KR 4463/13 - [juris]), vermag sich das erkennende Gericht dieser Sichtweise nicht anzuschließen. Denn die Verfahrenslage gleicht vorliegend in den Grundzügen der Erhebung einer Anfechtungsklage vor Abschluss des Vorverfahrens. In dieser Situation muss das Gericht dem Kläger die Möglichkeit geben, das Vorverfahren nachzuholen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 24. Oktober 2013 - B 13 R 31/12 R - [juris] m.w.N.). Überdies kann die Klägerin im Wege der Klageerhebung die Verjährung der streitigen Forderung hemmen (§ 45 Abs. 2 Erstes Buch des Sozialgesetzbuchs - SGB I - i. V. m. § 204 Abs. 1 Nr. 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -), so dass ihren auf Art. 19 Abs. 4 GG gestützten Bedenken jedenfalls teilweise Rechnung getragen wird. Die Klägerin kann aus Rechtsschutzgründen demgegenüber nicht auf die Hemmung der Verjährung bei höherer Gewalt (§ 45 Abs. 2 SGB I i. V. m. § 206 BGB) bzw. auf die Treuwidrigkeit der Einrede der Verjährung durch die Beklagte (§ 69 Abs. 1 Satz 3 Fünftes Buch des Sozialgesetzbuchs i. V. m. § 242 BGB) verwiesen werden. Denn die Rechtslage ist insoweit nicht hinreichend geklärt.