Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 18. Senat | Entscheidungsdatum | 19.01.2011 | |
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Aktenzeichen | L 18 AS 380/10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 1 Abs 1 Nr 5 AsylbLG, § 84 Abs 2 S 2 AufenthG, § 58 Abs 2 S 2 AufenthG, § 7 Abs 1 S 2 SGB 2 |
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 18. Januar 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Klägerin begehrt die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende für die Zeit vom 7. August 2007 bis zum 13. Mai 2008.
Die 1983 geborene Klägerin ist kasachische Staatsangehörige. Im Mai 2004 reiste sie zur Eheschließung mit dem deutschen Staatsangehörigen E S in die Bundesrepublik Deutschland ein und erhielt eine Aufenthaltserlaubnis, die zuletzt bis zum 7. Juli 2007 verlängert wurde. Eine weitere Verlängerung lehnte das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten – Ausländerbehörde – mit Bescheid vom 13. Juni 2007 im Hinblick auf eine zwischenzeitlich erfolgte Trennung der Eheleute ab. Es forderte die Klägerin zur Ausreise auf, setzte ihr eine Ausreisefrist bis zum 6. August 2007 und drohte die Abschiebung an. Ein Antrag der Klägerin, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid vom 13. Juni 2007 anzuordnen, blieb ohne Erfolg (Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Berlin vom 25. Februar 2008 - VG 19 A 220.07 – und nachfolgend des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 8. Mai 2008 – OVG 2 S 31.08 -, letzterer zugestellt am 13. Mai 2008).
Die Klägerin bezog von dem Beklagten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) bis zum 7. Juli 2007. Mit Bescheid vom 5. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2008 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Leistungen für die Zeit ab dem 8. Juli 2007 mit der Begründung ab, die Klägerin sei nur bis zum 7. Juli 2007 im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis gewesen. Danach sei sie nicht mehr berechtigt gewesen, im Geltungsbereich des SGB II eine Beschäftigung auszuüben. Einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wies das Sozialgericht (SG) Berlin mit Beschluss vom 9. November 2007 (S 55 AS 20808/07 ER) mit der Begründung zurück, die Klägerin sei als Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hatte keinen Erfolg (L 18 B 194/08 AS ER).
Auf die gegen den Bescheid vom 5. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2008 gerichtete Klage, mit der die Klägerin Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 8. Juli 2007 bis zum 13. Mai 2008 begehrt hat, hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 18. Januar 2010 den Beklagten unter Änderung des vorgenannten Bescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides und unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 8. Juli 2007 bis zum 6. August 2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den Vorschriften des SGB II zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt: Im Zeitraum vom 8. Juli 2007 bis zum 6. August 2007 sei die Ausreisepflicht der Klägerin angesichts der ihr eingeräumten Ausreisefrist noch nicht vollziehbar gewesen. Erst in der Zeit nach dem 6. August 2007 sei sie gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen gewesen.
Mit ihrer Berufung trägt die Klägerin vor, sie sei in der Zeit vom 7. August 2007 bis zum 13. Mai 2008 nicht vollziehbar ausreisepflichtig gewesen. Dies ergebe sich aus einer teleologischen Reduktion des § 58 Abs. 2 Satz 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), die erforderlich sei, um einen Gleichlauf der Vorschriften des § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG und des § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zu erzielen. Anderenfalls dürfe der Ausländer ohne gültigen Aufenthaltstitel aufgrund der Fortgeltungsfiktion des § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zwar weiter erwerbstätig sein, könne sich aber gleichzeitig wegen unerlaubten Aufenthalts strafbar machen. Eine teleologische Reduktion des § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG führe im Fall der Klägerin dazu, dass sie in der Zeit bis zur Bekanntgabe des Beschlusses des OVG Berlin-Brandenburg am 13. Mai 2008 zwar als ausreisepflichtig, nicht aber als vollziehbar ausreisepflichtig anzusehen gewesen sei mit der Folge, dass ihr nicht Leistungen nach dem AsylbLG, sondern nach dem SGB II zugestanden hätten.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 18. Januar 2010 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 5. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2008 zu verurteilen, ihr auch für die Zeit vom 7. August 2007 bis zum 13. Mai 2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Leistungsakte des Beklagten (Band 1), 1 Hefter Kopien aus der Ausländerakte der Klägerin, die Gerichtsakte und die Gerichtsakte im Verfahren S 55 AS 20808/07 ER (L 18 B 194/08 AS ER) haben vorgelegen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl. §§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 und 4 SGG).
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Zutreffend hat das SG entscheiden, dass der Klägerin für die Zeit nach Ablauf der Ausreisefrist am 6. August 2007 bereits dem Grunde nach kein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II zusteht.
Gegenstand des Verfahrens ist die Ablehnung von Leistungen nach dem SGB II für die Klägerin für die Zeit vom 7. August 2007 bis zum 13. Mai 2008. Auf diesen Zeitraum hat die Klägerin bereits im erstinstanzlichen Verfahren ihre Klage beschränkt.
Der Klägerin können für den streitigen Zeitraum keine Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach §§ 19 ff. SGB II gewährt werden, weil sie gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II von solchen Leistungen als Leistungsberechtigte nach § 1 des AsylbLG ausgeschlossen war.
Nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG sind u.a. leistungsberechtigt nach diesem Gesetz Ausländer, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten und die vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist. Die Ausreisepflicht ist nach § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG erst vollziehbar, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels oder der sonstige Verwaltungsakt, durch den der Ausländer nach § 50 Abs. 1 ausreisepflichtig wird, vollziehbar ist. Dies war vorliegend im Hinblick auf den Bescheid der Ausländerbehörde vom 13. Juni 2007, mit dem die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis der Klägerin abgelehnt wurde, jedenfalls nach Ablauf der Ausreisefrist am 6. August 2007 (vgl. hierzu Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl. 2011, § 50 Rdn. 11f; Zeitler, HTK-AuslR, Stand 2011, § 58 AufenthG, 01/2011, zu Abs. 2 Nr. 7) der Fall, da Widerspruch und Klage gegen den Bescheid vom 13. Juni 2007 nach Maßgabe des § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG keine aufschiebende Wirkung hatten. Dementsprechend bezog die Klägerin im streitigen Zeitraum Leistungen nach dem AsylbLG. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen den in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II normierten Ausschluss der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bestehen nicht (vgl. BSG, Urteil vom 13. November 2008 – B 14 AS 24/07 R -, BSGE 102,60 = SozR 4-4200 § 7 Nr. 10, Urteil vom 16. Dezember 2008 – B 4 AS 40/07 R - juris, Urteil vom 7. Mai 2009 – B 14 AS 41/07 -, juris, Urteil vom 21. Dezember 2009 – B 14 AS 66/08 R -, SozR 4-4200 § 7 Nr. 14).
Soweit die Klägerin anführt, dass parallel zur eingeschränkten Fortbestehensfiktion ihres Aufenthaltstitels zum Zwecke der Ausübung einer Beschäftigung (vgl. § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG) ihre Ausreisepflicht als nicht vollziehbar anzusehen gewesen sei (so Funke-Kaiser, GK-Aufenthaltsgesetz, Stand Nov. 2011, § 84 Rdn. 50) mit der Folge, dass § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG nicht anwendbar gewesen sei, ist ihr darin nicht zu folgen. Gegen die angeführte Parallelwertung spricht bereits, dass es sich grundsätzlich verbietet, die für eine bestimmte Problemlage in einem Abschnitt eines Gesetzes getroffene Regelung ganz oder teilweise auf Regelungen eines anderen Abschnitts zu übertragen, wenn nicht der Gesetzgeber – etwa durch Verweisungen – dafür einen Anhalt bietet (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. September 1997 – 1 C 3/907 – BVerwGE 105, 232 = InfAuslR 1998, 12). Vorliegend ist ein solcher Anhaltspunkt dafür, dass die im 3. Abschnitt („Verwaltungsverfahren“) des 7. Kapitels geregelte Fortgeltungsfiktion des Aufenthaltstitels auf die im 2. Abschnitt („Durchsetzung der Ausreisepflicht“) des 5. Kapitels geregelte Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht (vgl. § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG) übertragbar wäre, nicht ersichtlich; insbesondere ist dort keine Verweisung geregelt. Auch Sinn und Zweck des § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG sprechen gegen eine Parallelwertung. Nach dieser Vorschrift gilt für Zwecke der Aufnahme oder Ausübung einer Erwerbstätigkeit der Aufenthaltstitel u.a. während eines gerichtlichen Verfahrens über einen zulässigen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung als fortbestehend. Sinn des § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist es, in den in ihm genannten Fällen den Fortbestand des Aufenthaltstitels zu fingieren, damit Ausländer, denen gegenüber die Verlängerung eines Aufenthaltstitels abgelehnt worden ist, für eine begrenzte Zeit – z.B. während der Dauer eines gerichtlichen Verfahrens über einen zulässigen Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung - eine Erwerbstätigkeit weiter ausüben und damit ihren Lebensunterhalt unabhängig von staatlichen Leistungen sicherstellen können (vgl. Armbruster, HTK-AuslR, § 84 AufenthG 12/2011 Nr. 6 m.w.N.). Besteht die Fiktion des Fortbestehens eines Aufenthaltstitels nach § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, so hat die Ausländerbehörde dem Ausländer hierüber auf Antrag eine Bescheinigung zu erteilen, damit der Ausländer seine Berechtigung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit nachweisen kann (OVG Hamburg, Beschluss vom 21. Oktober 2005 – 4 Bs 222/05 -, InfAuslR 2006, 60-63). Zweck des § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist es hingegen nicht, die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht zu modifizieren. Soweit die Klägerin anführt, es sei höchst widersprüchlich, wenn die Betroffenen einerseits erwerbstätig sein dürften, sich aber andererseits wegen eines unerlaubten Aufenthalts strafbar machen könnten, ist ihr entgegenzuhalten, dass zum einen die Ausländerbehörde den betroffenen Ausländern bis zum Ablauf der Rechtsbehelfsfrist bzw. bis zum Abschluss eines gerichtlichen Verfahrens zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes eine Duldung erteilen kann, die die Strafbarkeit ausschließt (vgl. Dienelt in Renner, a.a.O., § 95 AufenthG Rdn. 21). Zum anderen ist eine strafrechtliche Ahndung des Verbleibs eines Ausländers im Bundesgebiet während eines gerichtlichen Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht zulässig (vgl. VerfGH des Landes Berlin, Beschluss vom 31. Januar 2003, 34/00 – InfAuslR 2003, 225).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.