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Gewerbesteuerfestsetzung; Nachforderungszinsen; Zinslauf; Rückwirkendes Ereignis; Messbescheid; Bindungswirkung


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 9. Senat Entscheidungsdatum 23.01.2015
Aktenzeichen OVG 9 N 149.12 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 124 VwGO, § 124a VwGO, § 175 AO, § 179 AO, § 182 AO, § 184 AO, § 233a AO, § 237 AO, § 239 AO

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 18. September 2012 wird abgelehnt.

Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Kläger.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 4... EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger ist ein Betrieb gewerblicher Art des Rundfunks B..., der in den Streitjahren mit der wirtschaftlichen Abwicklung der Rundfunkwerbung des O... als Vorgängereinrichtung der jetzigen Rundfunkanstalt betraut war. Er greift die Zinsfestsetzung des Beklagten für Gewerbesteuerschulden aus den Streitjahren 1995 bis 2000 an. Für die Jahre 1995 sowie 1997 bis 2000 wurden jeweils Nachforderungszinsen nach § 233a AO festgesetzt, für die Jahre 1995 und 1996 zusätzlich Aussetzungszinsen nach § 237 AO. Das Finanzamt änderte seine Gewerbesteuermessbescheide für diese Jahre mehrfach ab, was auch zur Erhöhung der Gewerbesteuerfestsetzung und der Zinsfestsetzung durch den Beklagten führte. Der Kläger wendet sich vorliegend gegen den vom Beklagten angenommenen Beginn des Zinslaufs, soweit dieser nach seiner Auffassung auf einem rückwirkenden Ereignis beruht. Der Beklagte setzte den Beginn des Zinslaufs mit Blick auf die Nachforderungszinsen unter Anwendung von § 233a Abs. 2 AO jeweils 15 Monate nach der Entstehung der Gewerbesteuer an, mit Blick auf die Aussetzungszinsen unter Anwendung von § 237 Abs. 2 AO entsprechend dem Eingangsdatum des jeweiligen Rechtsbehelfs. Nach Ansicht des Klägers beginnt der Zinslauf hinsichtlich des von einem rückwirkenden Ereignis betroffenen Betrages wegen § 233a Abs. 2a AO demgegenüber erst am 1. April 2003. Das rückwirkende Ereignis sei in einem BMF-Schreiben vom 17. Juli 2001 zu erblicken, in dem veränderte Grundsätze über die Gewinnermittlung bei öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Zusammenhang mit Werbeeinnahmen festgeschrieben worden seien (sog. ZDF-Methode). Das für die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags zuständige Finanzamt ist dem Kläger vorgerichtlich insoweit beigesprungen, als es dem Beklagten brieflich mitgeteilt hat, dass in dem BMF-Schreiben ein rückwirkendes Ereignis liege; das Finanzamt hat seine Gewerbesteuermessbescheide für die Streitjahre zunächst allerdings nicht um eine entsprechende Aussage ergänzt. Dies hat es inzwischen getan, ohne dass der Beklagte daraus die Konsequenz eines anderen Zinslaufs gezogen hätte; insoweit klagt der Kläger in weiteren Verfahren auf Anpassung der Zinsfestsetzung.

Mit Urteil vom 18. September 2012, zugestellt am 26. September 2012, hat das Verwaltungsgericht die hier vorliegende Anfechtungsklage gegen die Zinsbescheide des Beklagten weitgehend abgewiesen. Es hielt sie nur insoweit für begründet, als die Anrechnungsvorschrift des § 234 Abs. 3 AO nicht beachtet worden war. Soweit die Festsetzung eines späteren Zinslaufs begehrt worden war, hielt es die Klage für unbegründet. Die Anwendung eines abweichenden Zinslaufs gemäß § 233a Abs. 2a AO aufgrund eines rückwirkenden Ereignisses setze voraus, dass in dem Grundlagenbescheid durch das Finanzamt Feststellungen zu dem Vorliegen eines rückwirkenden Ereignisses und dessen Auswirkungen auf die Besteuerungsgrundlagen getroffen würden. Die Entscheidung darüber, ob die Änderung eines Feststellungsbescheids auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und damit auch zugleich auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne des § 233a Abs. 2a AO beruhe, sei gegenüber den Feststellungsbeteiligten mit bindender Wirkung einheitlich zu treffen. Diese Feststellung sei gemäß 179 Abs. 3 AO nachzuholen, wenn diese im Feststellungsbescheid unterblieben sei (BFH, Urteil vom 19. März 2009 - IV R 20/08 -, juris). Vorstehendes gelte auch dann, wenn die Änderung formal auf einer anderen Norm als § 175 AO beruhe, aber materiell ein rückwirkendes Ereignis gegeben sei. Vorliegend habe das Finanzamt indessen ein rückwirkendes Ereignis nicht mit Bindungswirkung für die Beteiligten festgestellt, obwohl die Möglichkeit hierzu bestanden habe.

Der Kläger beantragt die Zulassung der Berufung.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen (§ 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO). Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist (§ 124a Abs. 4 Satz 2 VwGO). Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO dargelegt ist und vorliegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).

Danach ist die Berufung hier nicht zuzulassen. Ausgangspunkt der Prüfung, ob Berufungszulassungsgründe vorliegen (§ 124 Abs. 2 VwGO), sind allein die fristgerechten Darlegungen der Rechtsmittelführer (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).

1. Die Darlegungen des Klägers wecken keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Er hat keinen tragenden Rechtssatz oder keine erhebliche Tatsachenfeststellung in der Weise schlüssig angegriffen, dass ein Erfolg der Berufung wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg.

Zwar ist dem Kläger darin beizupflichten, dass die §§ 179 ff. AO nicht im Ganzen, sondern nur zum Teil für Messbescheide anzuwenden sind (hierzu zutreffend Brandis in T/K, AO, § 184, Rn. 5). Auch der vom Verwaltungsgericht in Bezug genommene § 179 Abs. 3 AO ist somit nicht anwendbar. Weiter weist der Kläger zu Recht darauf hin, dass auch die zu Gewinnfeststellungsbescheiden ergangene Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 19. März 2009 – IV R 20/08, BStBl. II 2010, 528) vorliegend nicht greift. Denn auf der Schuldnerseite steht vorliegend keine Personenmehrzahl, der gegenüber die Besteuerungs- und Zinsgrundlagen einheitlich festzustellen wären.

Gleichwohl ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Entscheidung, ob ein rückwirkendes Ereignis vorliegt, hier zwingend im Gewerbesteuermessbescheid erfolgen musste und dass der Beklagte ohne eine entsprechende Feststellung im Gewerbesteuermessbescheid keinen veränderten Zinslauf auf der Grundlage von § 233a Abs. 2a AO annehmen durfte.

Nach § 239 Abs. 1 Satz 1 AO sind auf die Zinsen die für die Steuern geltenden Vorschriften "entsprechend" anzuwenden. Danach ist vorliegend nicht nur über die persönliche und sachliche Gewerbesteuerpflicht durch den Gewerbesteuermessbescheid zu entscheiden (§ 184 Abs. 1 Satz 1 und 2 AO), sondern auch über die persönliche und sachliche Zinspflicht. Letzteres gilt jedenfalls für solche Aspekte der sachlichen Zinspflicht, die schon auf der Ebene der Festsetzung des Messbetrages Bedeutung haben, wie die hier in Rede stehende Heraufsetzung des Messbetrages infolge eines rückwirkenden Ereignisses. Die Frage, ob ein rückwirkendes Ereignis zur Änderung des Messbetrages geführt hat, ist danach schon im Messbescheid zu beantworten (was dann allerdings wegen § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO für die Gemeinde auch verbindlich ist).

Dies entspricht auch der Verwaltungspraktikabiliät, weil das Finanzamt insoweit kompetenter ist als die Gemeinde, und es vermeidet divergierende Entscheidungen. Solche stehen im Übrigen auch hier im Raum. Zwar geht es nicht um Gewerbesteuerfestsetzungen gegenüber mehreren Personen, die einheitlich zu treffen wären. Wohl aber geht es darum, dass die Entscheidung über die Frage eines rückwirkenden Ereignisses für verschiedene Steuern, über deren Festsetzung unterschiedliche Behörden zu entscheiden haben, einheitlich getroffen wird, nämlich einerseits für die vom Finanzamt festzusetzende Körperschaftsteuer, andererseits für die von der Gemeinde festzusetzende Gewerbesteuer.

Der zwischenzeitliche Erlass von Ergänzungsbescheiden durch das Finanzamt ändert an den obigen Ausführungen nichts. Die Ergänzungsbescheide sind im vorliegenden Verfahren nicht zu berücksichtigen. Auch nach der von der Klägerseite in Bezug genommenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. November 2002 - 7 AV 3/02, juris, sind nur solche Tatsachen im Zulassungsverfahren zu berücksichtigen, die innerhalb der Darlegungsfrist des § 124a Abs. 4 VwGO vorgebracht wurden. Der Umstand, dass zwischenzeitlich Ergänzungsbescheide ergangen sind, wurde von der Klägerseite erst nach Ablauf dieser Frist in das Berufungszulassungsverfahren eingeführt; erst am 14. April 2014. In der ursprünglichen Begründung des Zulassungsantrags ist das mögliche Bevorstehen eines Bescheiderlasses nicht angeklungen, so dass die späteren Hinweise hierauf nicht als Ergänzung fristgerechten Vorbringens zu werten sind (vgl. hierzu Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 124a, Rn. 50). Der Auffassung, wonach in Fällen offenkundiger Fehlerhaftigkeit ausnahmsweise auch die Berücksichtigung von solchen Tatsachen möglich sein soll, die nicht fristgerecht in das Verfahren eingebracht wurden (siehe Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 124, Rn. 97; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124, Rn. 24; Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 124a, Rn. 50), schließt sich der Senat nicht an (ebenso Meyer-Ladewig/Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 124, St. Sept. 2004, Rn. 26i; Roth in Posser/Wolff, VwGO, 2. Aufl. 2014, § 124, Rn. 28 ff., m.w.N.). Eine solche Ausweitung der Berücksichtigungsmöglichkeit führte zu erheblichen Rechtsunsicherheiten. Zudem würde der Zweck des Zulassungsverfahrens, das Berufungsverfahren zu entlasten, gefährdet.

Ob hier ein rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vorliegt, kann angesichts dessen offenbleiben.

2. Die Sache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Abhängigkeit des Zinslaufs nach § 233a Abs. 2a AO von den Feststellungen im Gewerbesteuermessbescheid bedarf keiner Klärung in einem Berufungsverfahren. Sie lässt sich - wie gezeigt - ohne weiteres im Berufungszulassungsverfahren klären.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 3 und 1, § 52 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes (GKG).

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 3 Satz 5 und § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.