Gericht | FG Berlin-Brandenburg 5. Senat | Entscheidungsdatum | 21.02.2013 | |
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Aktenzeichen | 5 K 5041/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Beklagte wird verpflichtet, unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung über das bislang gewährte Kindergeld hinaus für das Kind B… Kindergeld für den Zeitraum 1. Januar 2010 bis 31. Januar 2011 in voller Höhe zu bewilligen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens haben die Beteiligten je zur Hälfte zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin ein Anspruch auf Kindergeld für ihr Kind B… für die Zeit ab Oktober 2008 zusteht.
Die Klägerin ist polnische Staatsangehörige. Seit dem 17.10.2006 ist sie polizeilich in Berlin gemeldet. Am 08.09.2008 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Kindergeld für ihren am 13.08.1995 geborenen und in Polen bei seinem Vater, Herrn C…, lebenden Sohn B…. In ihrem Antrag gab die Klägerin an, dass sie seit April 2006 unselbstständig erwerbstätig und bei der Firma D… in E… mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 23 Stunden beschäftigt sei. Seit dem 27.10.2006 befinde sie sich im Erziehungsurlaub. Ferner gab sie an, dass sie in Polen aufgrund ihrer Beschäftigung sozialversichert sei. Sie reichte eine Bescheinigung ihres Arbeitgebers vom 31.05.2009 ein, derzufolge das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin weiterhin bestand und sie der obligatorischen Sozialversicherung bei der polnischen Sozialversicherungsanstalt ZUS unterlag (Bl. 17 der Kindergeldakte).
Die Beklagte lehnte den Antrag auf Kindergeld mit Bescheid vom 20.11.2009 ab, da die Klägerin in Polen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sei und folglich den polnischen Rechtsvorschriften unterliege. Ein Kindergeldanspruch bestehe in der Bundesrepublik Deutschland nicht. Die Klägerin erhob Einspruch und machte geltend, dass sie weder sozialversicherungspflichtig in Polen beschäftigt sei noch den polnischen Rechtsvorschriften unterliege.
Mit Wirkung zum 31.12.2009 hoben die Klägerin und die Firma D… das Arbeitsverhältnis auf.
Die Beklagte wies den Einspruch mit Entscheidung vom 11.1.2011 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, dass deutsches Kindergeldrecht nicht anwendbar sei. Die Klägerin falle in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung – VO – (EWG) Nr. 1408/71 und der hierzu ergangenen Durchführungsverordnung − DVO − (EWG) Nr. 574/72. Diese Verordnungen gingen als überstaatliche Vorschriften der deutschen Rechtsordnung vor. Der Zweck der Verordnung bestehe darin, Kumulierungen und Überschneidungen der nationalen Rechtsvorschriften zu verhindern. Weise ein Antragsteller, der in den Geltungsbereich der Verordnung falle, Anknüpfungspunkte und Beziehungen zu mehreren EU-/EWR-Mitgliedstaaten auf, bestimmten die Kollisionsnormen des Zweiten Titels der Verordnung, welches nationale Recht Anwendung finde. Danach sei nur das Sozialrecht eines einzigen Staates auf den Betroffenen anwendbar. Eine Person, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt werde, unterliege nach Art. 13 Abs. 2 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 den Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaates. Dies gelte auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohne oder ihr Arbeitgeber oder das Unternehmen, das sie beschäftige, seinen Wohnsitz oder Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates habe.
Die Klägerin übe seit dem 2.4.2006 eine Beschäftigung in einem anderen EU-/EWR-Mitgliedstaat aus. Sie unterliege daher hinsichtlich des Kindergeldes allein den Regelungen des Beschäftigungslandes, nicht aber den deutschen Rechtsvorschriften. Der Umstand, dass sie sich im Erziehungsurlaub befinde, ändere daran nichts. Die Elternzeit im Anschluss an eine Erwerbstätigkeit sei nach der Verordnung einer Erwerbstätigkeit gleichgestellt. Zwar habe die Klägerin mitgeteilt, dass sie in Polen nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt sei, einen Nachweis habe sie jedoch nicht geführt. Da ein anderer Mitgliedstaat zuständig sei, werde insgesamt auf dessen Vorschriften verwiesen. Dies gelte unabhängig davon, ob und in welcher Höhe dort im konkreten Einzelfall eine Kindergeldzahlung vorgesehen sei. Auch die Zahlung von Aufstockungsbeträgen zwischen einem eventuell niedrigeren ausländischen Kindergeld und dem deutschen Kindergeld komme nicht in Betracht, da deutsches Kindergeldrecht nicht anwendbar sei.
Mit ihrer Klage macht die Klägerin geltend, dass nicht nachvollziehbar sei, wie die Beklagte zu der Annahme komme, dass sie in Polen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sei. Zu Unrecht behaupte die Beklagte, dass sie, die Klägerin, Unterlagen nicht eingereicht habe. Es sei ebenso wenig nachvollziehbar, wie die Beklagte zu der Auffassung gelange, dass ein Kindergeldanspruch für sie, die Klägerin, oder ihren früheren Ehemann und Kindesvater in Polen bestehe. Leistungen für das Kind B… würden in Polen nicht gezahlt. Es sei ihr, der Klägerin, nicht bekannt, ob der Kindesvater berufstätig sei.
Die Annahme der Beklagten, dass sie, die Klägerin, bis Dezember 2009 polnischen Rechtsvorschriften unterlegen habe, sei unverständlich. Sie sei wegen der Geburt ihres zweiten Kindes vollständig vom Arbeitgeber freigestellt worden und habe keinerlei Leistungen mehr von diesem erhalten. Es handele sich also auch nicht um eine Elternzeit im Sinne der VO Nr. 1408/71. Sie habe keinerlei Sozialabgaben gezahlt und sei nicht mehr beschäftigt gewesen. Die formelle Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2009 stelle nicht das Ende der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung dar, sondern habe lediglich das tatsächliche Ende des nur noch fragmentarisch und formell bestehenden Arbeitsverhältnisses herbeigeführt.
Die Klägerin verweist schließlich auf die Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union – EuGH – vom 12.6.2012 in den Rechtssachen C-611/10 und C-612/10. Danach dürfe mit Blick auf die Freizügigkeit die Zahlung von Kindergeld nicht ausgeschlossen werden, nur weil im Heimatland Anspruch auf eine vergleichbare Leistung bestehe.
Die Beklagte hat der Klägerin mit Bescheid vom 19.5.2011 anteiliges Kindergeld für die Monate Januar bis April 2010 gewährt.
Die Klägerin beantragt,
ihr unter Änderung des angefochtenen Bescheides und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung über das von dem Beklagten gewährte Kindergeld hinaus für das Kind B… Kindergeld für den Zeitraum 1. Oktober 2008 bis zum 31. Januar 2011 in voller Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die anteilige Gewährung von Kindergeld für die Zeit von Januar bis April 2010 ändere nichts daran, dass die Klägerin bis einschließlich Dezember 2009 sozialversicherungspflichtig in Polen beschäftigt gewesen sei. Das Finanzgericht Nürnberg sei in einem vergleichbaren Fall davon ausgegangen, dass ein Anspruch auf Kindergeld nach deutschem Recht ausgeschlossen sei.
Seit Mai 2010 gälten die Verordnungen der Europäischen Union – EU – Nr. 883/2004 und Nr. 987/2009. Ein möglicher deutscher Anspruch auf Kindergeld stehe danach unter Berücksichtigung der Haushaltsaufnahme des Kindes gegebenenfalls dem Elternteil zu, bei dem das Kind lebe. Die Beklagte verweist auf eine Bescheinigung der polnischen Verbindungsstelle, derzufolge in der Zeit vom 01.09.2008 bis zum 17.05.2011 ein Antrag auf Familienleistungen beim zuständigen Träger des Wohnorts des Kindes nicht gestellt worden ist.
Der Senat hat der Klägerin mit Beschluss vom 14.11.2012 Prozesskostenhilfe gewährt.
Dem Gericht haben bei seiner Entscheidung neben der Verfahrensakte folgende Akten vorgelegen: ein Band Kindergeldakten der Beklagten (blattiert bis Bl. 83) sowie die Verfahrensakte des Sozialgerichts Berlin zum Aktenzeichen S 2 EG 103/08.
Die Klage ist nur teilweise begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig, soweit der Beklagte die Gewährung von Kindergeld für den Zeitraum bis einschließlich Dezember 2009 versagt hat und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –). Hinsichtlich der Versagung von Kindergeld für den Zeitraum Januar 2010 bis einschließlich Januar 2011 ist die Klage hingegen begründet.
1. Soweit es den Zeitraum von Oktober 2008 bis Dezember 2009 angeht, steht der Klägerin ein Anspruch auf Kindergeld nach deutschem Recht nicht zu.
Zunächst ist entgegen ihrer Ansicht davon auszugehen, dass die VO Nr. 1408/71 auf sie anwendbar ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – BFH – (Urteil vom 4.8.2011 – III R 55/08 – BFH/NV 2012, 85), der sich der Senat anschließt, ist es für die Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs der VO Nr. 1408/71 erforderlich, aber auch ausreichend, dass eine Person nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 in irgendeinem der von ihrem sachlichen Geltungsbereich erfassten Zweige der sozialen Sicherheit in irgendeinem Mitgliedstaat der EU versichert ist. Die VO Nr. 1408/71 gilt personen- und nicht tätigkeitsbezogen. Ihr Ziel ist die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Für Arbeitnehmer und Selbstständige, die innerhalb der EU zu- und abwandern, soll jeweils das System der sozialen Sicherheit nur eines Mitgliedstaats gelten, so dass eine Kumulierung anzuwendender innerstaatlicher Rechtsvorschriften und die sich daraus möglicherweise ergebenden Komplikationen vermieden werden. Um dieses Ziel zu erreichen, ist daher in einem ersten Schritt zu ermitteln, ob eine Person die Versicherteneigenschaft nach den für die soziale Sicherheit geltenden Rechtsvorschriften (irgend) eines, ggf. auch mehrerer, Mitgliedstaaten besitzt (vgl. auch EuGH-Urteil vom 04.05.1999 C-262/96, Sürül Slg. 1999, I-2685 Rdnr. 85). Ist danach der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 für eine Person eröffnet, ist in einem zweiten Schritt das auf sie anzuwendende Recht nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 zu bestimmen. Soweit es danach darauf ankommt, in welchem Mitgliedstaat die abhängige Beschäftigung bzw. die selbständige Tätigkeit ausgeübt wird, bestimmt sich dies danach, in welchem Mitgliedstaat die Person abhängig beschäftigt ist bzw. eine selbständige Tätigkeit ausübt. Dabei ist grundsätzlich von dem bescheinigten Versichertenstatus des Versicherten auszugehen.
Hier ergibt sich aus der Bescheinigung der polnischen Sozialversicherungsanstalt Abteilung F… vom 09.11.2010 (Bl. 83 der Kindergeldakte), dass die Klägerin in der Zeit vom 01.04.2006 bis 31.12.2009 in Polen zur Sozialversicherung angemeldet war. Dies folgt auch aus der Bescheinigung ihres polnischen Arbeitgebers vom 31.05.2009, derzufolge das Arbeitsverhältnis in Polen fortbestand und die Klägerin in dem fraglichen Zeitraum der Sozialversicherung in Polen unterlag und folglich der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 eröffnet ist. Auf die Frage, ob das Arbeitsverhältnis wegen der Elternzeit ruhte, kommt es nach der insoweit eindeutigen Rechtsprechung des BFH nicht an.
Nach Art. 13 Abs. 1 VO Nr. 1408/71 der Verordnung unterliegen Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften diese sind, bestimmt sich nach diesem Titel. Abs. 2 Satz 1 Buchstabe a der genannten Vorschrift bestimmt weiter, dass eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, den Rechtsvorschriften dieses Staates unterliegt, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt oder ihr Arbeitgeber oder das Unternehmen, das sie beschäftigt, seinen Wohnsitz oder Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats hat. Daraus folgt für die Klägerin ein Ausschluss von den Kindergeldvorschriften nach dem deutschen Einkommensteuergesetz EStG -.
Nach der älteren Rechtsprechung des EuGH bilden die Vorschriften der VO Nr. 1408/71 ein geschlossenes System von Kollisionsnormen, das den nationalen Gesetzgebern die Befugnis nimmt, in diesem Bereich den Geltungsbereich und die Anwendungsvoraussetzungen ihrer nationalen Rechtsvorschriften im Hinblick darauf zu bestimmen, welche Personen ihnen unterliegen und in welchem Gebiet sie ihre Wirkung entfalten sollen (z. B. EuGH-Urteil vom 10.07.1986 C-60/85, Luijten, Slg. 1986, 2365 Rz 14; Urteil vom 11.11.2004 C-372/02, Adanez-Vega, Slg. 2004, I-10761 Rz 18; Urteil vom 26.01.2006 C-2/05, Herbosch Kiere, Slg. 2006, I-1079 Rz 21). Dem folgend geht auch der BFH in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass eine Person, die nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats unterliegt, auch dann keinen Anspruch auf deutsches Kindergeld hat, wenn sie an sich die Voraussetzungen der §§ 62 ff. EStG erfüllt (s. nur Urteil vom 13.08.2002 – VIII R 61/00, BFH/NV 2002, 1508).
Den Grundsatz, dass ein Arbeitnehmer, für den – wie hier für die in Polen sozialversicherte Klägerin – die VO Nr. 1408/71 gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats unterliegt, hat der EuGH auch in seinem Urteil vom 20.05.2008 C-352/06, I…, (Slg. 2008, I-3827) betont. Im Gegensatz zu seiner früheren Rechtsprechung hat der Gerichtshof zwar entschieden, dass auch ein nicht nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 zuständiger Mitgliedstaat Kindergeld gewähren könne, da die Bestimmungen der Verordnung im Lichte des Art. 42 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) auszulegen seien, der die Freizügigkeit der Arbeitnehmer erleichtern solle. Daraus ergebe sich, dass Wanderarbeitnehmer nicht deshalb Ansprüche auf Leistungen der sozialen Sicherheit verlieren oder geringere Leistungen erhalten dürften, weil sie das ihnen vom EG-Vertrag verliehene Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hätten. Diese Auslegung der VO Nr. 1408/71 durch den EuGH in der Sache I… ist jedoch schon deshalb nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar, weil im Falle der Klägerin die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 39 EG – nunmehr Art 45 AEUV) nicht berührt ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist als „Arbeitnehmer“ im Sinne von Art. 45 AEUV jeder anzusehen, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält (vgl. u. a. Urteile vom 3.7.1986 C-66/85, Lawrie-Blum, Slg. 1986, 2121, Randnr. 17, vom 23.3.2004 C-138/02, Collins, Slg. 2004, I-2703, Randnr. 26, und vom 7.9.2004 C-456/02, Trojani, Slg. 2004, I-7573, Randnr. 15). Nach ihren eigenen Angaben hat die Klägerin im fraglichen Zeitraum ein Arbeitsverhältnis in der Bundesrepublik Deutschland nicht begründet. Vielmehr hat sie sich im hier in Rede stehenden Zeitraum nicht in Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit, sondern allein aus in ihrer privaten Sphäre siedelnden Motiven in Deutschland aufgehalten, um hier mit ihrem neuen Partner zusammenzuleben und ihre im Oktober 2006 und August 2008 geborenen Kinder G… und H… zu betreuen. Dafür, dass die Klägerin sich im Zeitraum Oktober 2008 bis Dezember 2009 um eine Eingliederung in den deutschen Arbeitsmarkt bemüht hätte, ist nichts ersichtlich. Die Klägerin hat derartiges auch nicht vorgetragen. Gegen die Annahme, dass die Klägerin als Arbeitnehmerin in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt ist, spricht schließlich auch der Umstand, dass das Arbeitsverhältnis zwischen ihr und der Firma D… bis zum 31.12.2009 fortbestanden hat.
Abgesehen davon lässt sich dem Urteil des EuGH im Fall I… nicht entnehmen, dass ein nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 nicht zuständiger Mitgliedstaat generell einem Wanderarbeitnehmer Familienleistungen nach seinem nationalen Recht gewähren muss, d. h. unabhängig davon, ob der Wanderarbeitnehmer dadurch, dass er von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch macht, einen Rechtsnachteil erleidet (Vorlagebeschluss des BFH vom 21.10.2010 III R 5/09, juris). Die Klägerin hat – anders als Frau I… – infolge der Ausübung dieses Rechts keinen Rechtsverlust erlitten. Die Klägerin ist aus Polen, wo sie bis Ende 2009 durchgehend sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, nach Deutschland zugewandert, wo sie eine Berufstätigkeit nicht ausübt. Daher ist die Bundesrepublik Deutschland nicht der nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 zuständige Mitgliedstaat.
Die Bundesrepublik Deutschland ist – anders als im Fall von Frau I… – auch nicht Wohnmitgliedstaat des Kindes. Ein Anspruch im Wohnmitgliedstaat des Kindes scheiterte im Fall von Frau I… am Fehlen einer Anspruchskumulierung, da im Beschäftigungsmitgliedstaat (Niederlande) gerade kein Anspruch bestand. Anders stellt sich die Situation der Klägerin dar. Da ihr Kind B… in Polen lebt, kann sich ein für sie aufgrund ihres Wohnsitzes zu berücksichtigender Anspruch nur aus polnischem Recht ergeben. Die im Rahmen der VO Nr. 1408/71 bzw. der VO Nr. 574/72 grundsätzlich zu berücksichtigenden konkurrierenden Ansprüche nach dem Recht des zuständigen Staates einerseits und nach dem Recht des Wohnmitgliedstaats des Kindes andererseits richten sich im Fall der Klägerin – anders als in dem Fall von Frau I… – also ausschließlich nach polnischem Recht.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 12.06.2012 C-611/10 und C-612/10, Hudzinski (A Bl. EU 2012, Nr. C 227, 4). Diese Rechtssachen betrafen jeweils Fälle, in denen polnische Staatsangehörige, die in Polen sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren, zeitweise einer Tätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland nachgekommen sind, wobei sie ihren Wohnsitz in Polen beibehielten, wo auch jeweils ihre Ehegatten und Kinder lebten. Für den Zeitraum ihrer Beschäftigung in Deutschland waren die Kläger in diesen Ausgangsverfahren – wie die Klägerin – in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Der EuGH hat auch in diesen Entscheidungen ausgeführt, dass die Kläger nach den Kollisionsnormen der VO 1408/71 ausschließlich den polnischen Sozialrechtsvorschriften unterlagen. Dies hat zur Folge, dass sie grundsätzlich nur in Polen Anspruch auf Familienleistungen haben.
Der EuGH hat zwar entschieden, dass Art. 14 Nr. 1 Buchst. a und Art. 14a Nr. 1 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, die für entsandte Arbeitnehmer gelten, dahin auszulegen sind, dass sie es einem Mitgliedstaat, der nach diesen Vorschriften nicht als zuständiger Staat bestimmt ist, nicht verwehren, nach seinem nationalen Recht einem Wanderarbeitnehmer, der unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren in seinem Hoheitsgebiet vorübergehend eine Arbeit ausführt, auch dann Leistungen für Kinder zu gewähren, wenn erstens festgestellt wird, dass der betreffende Erwerbstätige durch die Wahrnehmung seines Rechts auf Freizügigkeit keinen Rechtsnachteil erlitten hat, da er seinen Anspruch auf gleichartige Familienleistungen im zuständigen Mitgliedstaat behalten hat, und zweitens, dass weder dieser Erwerbstätige noch das Kind, für das diese Leistung beansprucht wird, ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet des Mitgliedstaats haben, in dem die vorübergehende Arbeit ausgeführt wurde. Eine Anspruchskumulierung soll nicht schon deshalb entfallen, weil ein Rechtsnachteil infolge der Aufnahme einer Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat – wie im Fall I… – nicht festzustellen ist. Der Gerichtshof hat weiter festgestellt, dass die Bestimmungen des AEUV über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer dahin auszulegen sind, dass sie in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden der Anwendung einer nationalen Rechtsvorschrift wie § 65 EStG entgegenstehen, soweit diese nicht zu einer Kürzung des Betrags der Leistung um die Höhe des Betrags einer in einem anderen Staat gewährten vergleichbaren Leistung, sondern zum Ausschluss der Leistung führt.
Gleichwohl sind auch diese Grundsätze nicht anwendbar, weil die Klägerin – wie dargelegt – anders als die Kläger in den vom EuGH entschiedenen Verfahren, nicht zum Zwecke der Arbeitsaufnahme nach Deutschland gezogen ist und sich folglich nicht auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit berufen kann, die nach den Entscheidungsgründen eines der maßgeblichen Argumente dafür war, eine Anspruchskumulierung zu bejahen (vgl. EuGH a. a. O. Randnr. 53 ff.).
Weiter kommt hinzu, dass der Gerichtshof seine Entscheidung maßgeblich auf die Überlegung gestützt hat, dass Familienleistungen durch Steuereinnahmen finanziert werden und dass ein Arbeitnehmer, der durch seine Steuern zur Finanzierung von Leistungen beiträgt, nicht ohne weiteres von der Gewährung solcher Leistungen ausgeschlossen werden darf (Randnr. 66). Genau dieses Argument trägt aber im Fall der Klägerin nicht, da diese im Streitzeitraum eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit in Deutschland nicht aufgenommen und damit zum Steueraufkommen nicht in nennenswertem Maße beigetragen hat.
2. Die Klage hat indess Erfolg, soweit es die Gewährung von Kindergeld für den Zeitraum die Monate Januar 2010 bis einschließlich Januar 2011 betrifft. Denn unstreitig war das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin in Polen im Dezember 2009 beendet. Da sie nach ihren eigenen Angaben, denen die Beklagte nicht entgegen getreten ist, in der Zeit vom Januar 2010 bis Januar 2011 in Polen nicht mehr sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, aufgrund ihres Wohnsitzes in Deutschland aber unbeschränkt steuerpflichtig ist, ist sie nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG anspruchsberechtigt. Der Kindesvater ist hingegen nicht gemäß § 62 Abs. 1 EStG anspruchsberechtigt, da er im Inland keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat. Eine Berechtigung der Kindesmutter auf Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) ist nicht ersichtlich, da die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 BKGG nicht vorliegen.
Das Kind B… ist auch nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu berücksichtigen. Dass es seinen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in Polen hat, steht nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG seiner Berücksichtigung nicht entgegen.
§ 64 Abs. 2 EStG ist nicht anzuwenden, da diese Vorschrift voraussetzt, dass mehrere Personen nach deutschem Recht berechtigt sind (so auch Niedersächsisches Finanzgericht – FG –, Urteil vom 15.12.2011 – 3 K 155/11, zit. nach Juris; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14.12.2011 – 2 K 2085/10, EFG 2012, 716; FG München, Urteil vom 27.10.2011 - 5 K 3245/10, EFG 2012, 256).
§ 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG steht der Gewährung von Kindergeld nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift wird Kindergeld nicht für ein Kind gezahlt, für das Leistungen im Ausland gewährt werden, die dem Kindergeld vergleichbar sind. Insoweit gilt der Amtsermittlungsgrundsatz. Nach der Überzeugung des Senats sind die Anspruchsvoraussetzungen in Polen nicht erfüllt.
Nach dem "Ustawa z dnia 28.11.2003 r. o świadczeniach rodzinnych", dem polnischen Gesetz vom 28.11.2003 über Familienleistungen (im folgenden: FamLstgG-PL) wird Kindergeld an ein Elternteil gezahlt, soweit das Familieneinkommen pro Familienmitglied höchstens 504,- PLN beträgt, Art. 4 Abs. 2 Nr. 1, Art. 5 Abs. 1 FamLstgG-PL. Als Familieneinkommen gilt das durchschnittliche monatliche Einkommen der Familienmitglieder im Kalenderjahr, das dem Beihilfezeitraum vorangeht, Art. 3 Abs. 2 FamLstgG-PL. Als Beihilfezeitraum gilt dabei der Zeitraum vom 1. September bis zum 31. August des nachfolgenden Kalenderjahres, für den der Anspruch auf Familienleistungen festgelegt wird, Art. 3 Abs. 10 FamLstgG-PL. Nach Art. 3 Abs. 16 FamLstgG-PL zählen zur Familie nicht nur Ehegatten, sondern auch Eltern der Kinder. Ausgehend von drei Personen stellt hier ein Betrag von (504 x 3 =) 1.512,- PLN die maßgebliche Einkommensgrenze dar. Diese ist überschritten, weil die Klägerin ein durchschnittliches monatliches Einkommen von mehr als umgerechnet 512,- PLN im Kalenderjahr 2010, mithin ein Jahreseinkommen von mehr als umgerechnet 6.144,- PLN erzielt hat. Dies entspricht nach dem Euro-Referenzkurs der EZB für das Jahr 2009 (1,- € = 4,3276 PLN) einem Betrag von 1.419 €. Nach den Angaben der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung, denen die Beklagte nicht entgegen getreten ist, und die mit den Angaben in ihrem Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe übereinstimmen, hat sie im hier fraglichen Zeitraum Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 252,60 € bezogen und damit die Einkommensgrenze ersichtlich überschritten. Entgegen der Annahme der Beklagten ist damit für ein Aufeinandertreffen nationaler Ansprüche zweier Staaten nichts ersichtlich. Ein Anspruch der Klägerin auf Familienleistungen nach deutschen Rechtsvorschriften ist folglich auch nicht nach der VO Nr. 1408/71 in Verbindung mit Art. 10 VO 574/72 und der seit Mai 2010 anwendbaren VO Nr. 883/2004 ausgeschlossen, weil die darin normierten Kollisionsregeln das Bestehen konkurrierender Ansprüche voraussetzen (vgl. Art. 10 VO 574/72 „…werden geschuldet…“ und Art. 68 Abs. 1 VO Nr. 883/2004: „Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren …“).
Nach alledem war der Klage in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 2 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung – ZPO –.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht erfüllt sind.