Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 10. Senat | Entscheidungsdatum | 02.02.2011 | |
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Aktenzeichen | OVG 10a N 6.11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 3 VwGO, § 124a Abs 4 S 4 VwGO, § 5 Abs 1 KonsG, § 5 Abs 5 KonsG |
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 26. Juli 2010 wird abgelehnt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 8.559,88 Euro festgesetzt.
Mit seiner Anfechtungsklage wendet sich der Kläger gegen einen Bescheid der Beklagten vom 15. Juli 2005, mit dem er auf Auslagenerstattung nach dem Konsulargesetz für Krankenhauskosten zur Behandlung seines bereits am 7. Mai 2005 und damit vor Erlass des Bescheides verstorbenen Vaters herangezogen wird. Das Verwaltungsgericht hat den angefochtenen Bescheid im Wesentlichen mit der Begründung aufgehoben, ein Anspruch auf Auslagenerstattung gemäß § 5 Abs. 5 des Konsulargesetzes - KG - bestehe nicht. Die Beklagte habe lediglich Schulden des Verstorbenen beglichen, eine Erstattungspflicht des Klägers habe dies nicht auslösen können. Da die Beklagte die Krankenhauskosten erst nach dem Ableben des Vaters des Klägers bezahlt habe, fehle es an einer Hilfeleistung im Sinne des Konsulargesetzes, denn zu diesem Zeitpunkt habe eine die Hilfeleistung erforderlich machende Notlage im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 KG nicht mehr bestanden. Mit seinem Ableben habe der Vater des Klägers seine Rechtsfähigkeit und damit zugleich seine Fähigkeit, Adressat von Hilfeleistungen im Sinne des Konsulargesetzes zu sein, verloren. Es könne offen bleiben, ob die Beklagte Erstattung der Kosten verlangen könnte, wenn sie zu Lebzeiten des Vaters des Klägers eine entsprechende Verpflichtung gegenüber dem behandelnden Krankenhaus eingegangen wäre. Eine verbindliche Kostenübernahmeerklärung sei weder schriftlich noch mündlich erfolgt. Eine solche könne auch nicht aus dem Umstand gefolgert werden, dass die Verlegung des Vaters des Klägers in das private Krankenhaus von der Deutschen Botschaft auf Bitten des Onkels des Klägers veranlasst worden sei. Bei dem Krankenhaus möge zwar eine entsprechende Erwartung geweckt worden sein, eine derartige Bindung habe die Botschaft aber nicht eingehen wollen. Man sei dort vielmehr davon ausgegangen, dass die Behandlung mit eigenen Mitteln des Verstorbenen beglichen werden könne.
Der hiergegen gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung der Beklagten ist unbegründet. Mit ihren geltend gemachten Einwänden zeigt sie weder ernstliche Richtigkeitszweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf (1.), noch legt sie hinreichend dar, weshalb die Sache grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat (2.).
1. Ernstliche Richtigkeitszweifel bestehen dann, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der angegriffenen Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, S. 1163, 1164) und nicht nur die Begründung, sondern auch die Richtigkeit des Ergebnisses der Entscheidung Zweifeln unterliegt. Zu ihrer Darlegung muss sich die Zulassungsbegründung gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO konkret fallbezogen und hinreichend substanziiert mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen und dartun, dass und weshalb das Verwaltungsgericht entscheidungstragende Rechts- und Tatsachenfragen unrichtig entschieden hat. Ob an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts ernstliche Zweifel bestehen, wird allein anhand der Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung sowie der vom Rechtsmittelführer zur Darlegung des geltend gemachten Zulassungsgrundes vorgetragenen Gesichtspunkte beurteilt. Vom Rechtsmittelführer nicht genannte Umstände können nur dann berücksichtigt werden, wenn sie offensichtlich sind. Das Vorbringen der Beklagten zeigt keine ernstlichen Richtigkeitszweifel auf, sie sind auch nicht offensichtlich.
Der Hinweis der Beklagten auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Mai 2009 - 7 C 13.08 - (NJW 2009, S. 2905 ff.) ist insoweit verfehlt, als er nicht die Auffassung der Beklagten, sondern die des Verwaltungsgerichts stützt. Das Bundesverwaltungsgericht führt darin ausdrücklich aus, dass Auslagen im Sinne des § 5 Abs. 5 Satz 1 KG u.a. „diejenigen finanziellen Mittel sind, die […] unmittelbar zur Behebung der Notlage bestimmt sind und zu diesem Zweck Dritten zugewandt werden“ (a.a.O., Rn. 20 bei juris). Die posthume Erstattung der Behandlungskosten an das Krankenhaus erfolgte nicht mehr zur Behebung einer Notlage. Diese war mit dem Ableben des Vaters des Klägers beendet. Zu Lebzeiten, als die Notlage bestand, sind weder ihm noch dem Krankenhaus durch die Botschaft Sach- oder Geldmittel zugeflossen.
Soweit die Beklagte geltend macht, die Tätigkeit der Konsularbeamten im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Verlegung des Vaters des Klägers von einem staatlichen in ein privates Krankenhaus stelle die für den hiesigen Sachverhalt maßgebliche Konsularhilfe dar, trifft dies zwar zu, geht aber an der Sache vorbei. Mit dem angefochtenen Bescheid werden nicht Auslagen im Sinne des § 5 Abs. 5 Satz 1 KG geltend gemacht, die der Botschaft unmittelbar durch die Verlegung entstanden sind (etwa Telefon- oder möglicherweise Fahrtkosten). Vorliegend wird um Behandlungskosten gestritten, die erst nach der Verlegung entstanden sind. Diese sind aus den vom Verwaltungsgericht genannten sowie den soeben dargelegten Gründen keine Auslagen im Sinne des § 5 Abs. 5 Satz 1 KG.
Soweit die Beklagte geltend macht, mit der Einlieferung des Vaters des Klägers in das Privatkrankenhaus sei zwischen diesem und der Botschaft ein Schuldverhältnis entstanden, aufgrund dessen die Botschaft zumindest neben dem Verstorbenen zur Begleichung der Behandlungskosten verpflichtet gewesen sei, kann dem nicht gefolgt werden. Es ist weder ersichtlich noch geltend gemacht, woraus sich eine solche Verpflichtung ergeben sollte. Sie würde voraussetzen, dass sich die Botschaft zur Übernahme der Behandlungskosten gegenüber dem Krankenhaus bereit erklärt hat. Davon kann nach der insoweit eindeutigen Aktenlage nicht ausgegangen werden. Eine schriftliche Verpflichtungserklärung liegt nicht vor. Dass auch keine mündliche Kostenübernahmeerklärung erfolgte, ergibt sich aus der vom Verwaltungsgericht zutreffend gewürdigten E-Mail des zuständigen Botschaftsmitarbeiters vom 13. Mai 2005 (Bl. 40 des Verwaltungsvorgangs). Darin heißt es, der Verstorbene sei auf ausdrücklichen Wunsch seines Bruders von der Botschaft nach Bangkok verlegt worden. Da der Verstorbene nach Angaben seines Bruders vermögend gewesen sei, habe der Mitarbeiter der Botschaft ausdrücklich keine Kostenübernahmeerklärung gegenüber dem Krankenhaus abgegeben, obwohl ihn das Krankenhaus jeden Tag angerufen habe. Diese Ausführungen legen namentlich den auch vom Verwaltungsgericht gezogenen Schluss nahe, eine Kostenübernahme sei ausdrücklich nicht erteilt worden, weil die Botschaft davon ausging, dass der Vater des Klägers in der Lage war, die Behandlungskosten selbst zu tragen. Soweit die Beklagte geltend macht, mit dieser Erklärung sei nur eine schriftliche, nicht aber eine mündliche Kostenübernahmeerklärung negiert worden, ist dies nicht nachvollziehbar.
Der Einwand der Beklagten, das Gericht habe den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt, weil es hätte überprüfen müssen, ob sich nicht ein Botschaftsmitarbeiter dem Krankenhaus gegenüber in einer Art und Weise geäußert habe, die bei dem Krankenhaus den Eindruck einer Kostenzusage hervorgerufen haben könnte, geht fehl. Die Beantwortung dieser Frage ergibt sich aus der zitierten E-Mail vom 13. Mai 2005. Diese E-Mail ist offenkundig von dem Botschaftsmitarbeiter verfasst worden, der mit dem Krankenhaus in Kontakt stand, weil er die Verlegung des Vaters des Klägers dorthin veranlasst hat. Er war offenbar auch derjenige, den das Krankenhaus selbst als zuständigen Ansprechpartner der Botschaft wegen einer Kostenübernahme angesehen hat. Anderenfalls hätte für das Krankenhaus kein Anlass bestanden, diesen Mitarbeiter täglich bei der Botschaft wegen einer Kostenübernahme anzurufen. Der Sachverhalt war damit hinreichend geklärt und bedurfte keiner weiteren Aufklärungsmaßnahmen. Unbeschadet dessen entstammt die Frage, wie sich Mitarbeiter der Botschaft der Beklagten gegenüber dem Krankenhaus geäußert und ob sie dies in einer Weise getan haben, die die Annahme einer Kostenübernahme rechtfertigt, der behördeninternen Sphäre der Beklagten. Es wäre daher primär ihre Sache gewesen, insoweit Umstände vorzutragen, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen können.
Soweit sie weiter geltend macht, das Krankenhaus habe von einer konkludenten Kostenübernahme ausgehen dürfen, weil die Einweisung auf die Initiative eines Botschaftsmitarbeiters erfolgt sei, gilt nichts anderes. Auch insoweit muss man aus den dargelegten Gründen davon ausgehen, dass das behandelnde Krankenhaus selbst nicht vom Vorhandensein einer solchen Kostenübernahmeerklärung ausgegangen ist.
Das Vorbringen der Beklagten, es wäre zu untersuchen gewesen, ob das Krankenhaus die erfolgte Behandlung überhaupt durchgeführt hätte, wenn die Kostenübernahme aus seiner Sicht nicht gesichert gewesen wäre, rechtfertigt ebenfalls keine andere Entscheidung. Für eine weitere Aufklärung des Sachverhalts bestand nach der eindeutigen Aktenlage kein Anlass. Das Vorbringen der Beklagten ist zudem spekulativ. Es lässt jedenfalls nicht den Schluss zu, eine Kostenübernahmeerklärung sei durch die Botschaft abgegeben worden. Daran ändert auch die Behauptung der Beklagten nichts, es sei lebensfremd vom Verwaltungsgericht anzunehmen, die Botschaft habe nicht die Kostenübernahme erklärt. Diese Annahme würde im Übrigen dem insoweit eindeutigen Inhalt der E-Mail vom 13. Mai 2005 widersprechen.
Die Auffassung der Beklagten, der Umstand, dass das Krankenhaus täglich wegen einer Kostenübernahmeerklärung bei der Botschaft angerufen habe, mache deutlich, dass es eine Weiterbehandlung von einer Kostenübernahme durch die Botschaft abhängig gemacht habe, ist nicht nachvollziehbar. Das Verhalten des Krankenhauses lässt vielmehr darauf schließen, dass es sich wiederholt vergeblich um eine Kostenübernahmeerklärung durch die Botschaft bemüht hat.
Soweit die Beklagte geltend macht, es entspreche nach den Regeln des Anscheinsbeweises allgemeiner Lebenserfahrung, dass eine Hilfeleistung in Form einer Geldleistung, die tatsächlich gewährt werde, in der Annahme gewährt werde, dass dies erforderlich sei, liegt neben der Sache. Dass die Botschaft der Ansicht war, dem Krankenhaus die Behandlungskosten erstatten zu müssen, kann unterstellt werden. Es liegt allerdings auf der Hand, dass die Richtigkeit dieser Rechtsansicht keinem Anscheinsbeweis unterliegt.
Vor diesem Hintergrund muss auch im vorliegenden Verfahren nicht entschieden werden, ob eine zu Lebzeiten des Hilfeempfängers abgegebene Kostenübernahmeerklärung der Botschaft nach dessen Ableben einen Anspruch auf Auslagenerstattung gegenüber den Verwandten nach § 5 Abs. 5 KG begründet hätte.
2. Entgegen der Auffassung der Beklagten hat die Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für das erstrebte Rechtsmittelverfahren erhebliche Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit oder Fortbildung des Rechts obergerichtlicher Klärung bedarf (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Oktober 2005 - OVG 5 N 45.05 -, Rn. 16 bei juris). Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung ist gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO eine solche bestimmte ungeklärte und entscheidungserhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage zu formulieren. Weiter ist die Entscheidungserheblichkeit der betreffenden Frage im Berufungsverfahren aufzuzeigen sowie anzugeben, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll. Es ist darzulegen, in welchem Sinne und aus welchen Gründen die Beantwortung der Frage zweifelhaft und streitig ist.
Die Beklagte versäumt es bereits, eine Rechts- oder Tatsachenfrage zu formulieren, die grundsätzlicher Klärung bedarf. Soweit sie sinngemäß „die Frage der Maßstäbe und der Beweislast in Fällen der Rückforderung einer gewährten Konsularhilfe“ als grundsätzlich bedeutsam aufwirft, bedarf es zur Klärung nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens. Die vom Verwaltungsgericht angewandten rechtlichen Maßstäbe ergeben sich ohne weiteres aus dem Konsulargesetz. Wer die materielle Beweislast hinsichtlich der Frage trägt, ob eine Leistung zur Behebung einer Notlage im Sinne des Konsulargesetzes erfolgt ist, ist nicht entscheidungserheblich. Diese Frage stellt sich vorliegend nicht. Das wäre nur dann der Fall, wenn der Sachverhalt insoweit nicht aufklärbar gewesen wäre (sog. non liquet) und deshalb eine Entscheidung nach der materiellen Beweislast hätte getroffen werden müssen. Hier war der Sachverhalt aus den unter 1. dargelegten Gründen dagegen hinreichend geklärt. Aus denselben Gründen folgt zugleich, dass es auch im Übrigen zur Klärung der im vorliegenden Rechtsstreit aufgeworfenen Rechts- und Tatsachenfragen nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).