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Vollziehung - Vollstreckung


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 20. Senat Entscheidungsdatum 31.01.2013
Aktenzeichen L 20 AS 47/13 B ER ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 199 Abs 2 SGG, § 86b Abs 1 S 2 SGG

Tenor

Auf Antrag des Beschwerdeführers wird die Vollstreckung aus dem zweiten Satz des Beschlusses des Sozialgerichts Berlin vom 20. Dezember 2012 – Aktenzeichen S 78 AS 31355/12 ER – bis zur Erledigung des Rechtsstreits in der Beschwerdeinstanz ausgesetzt (§ 199 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Anordnung ist unanfechtbar; sie kann jederzeit aufgehoben werden (§ 199 Abs. 2 Satz 3 SGG).

Gründe

Der Antrag des Beschwerdeführers, die Vollziehung des Beschlusses auszusetzen, ist soweit er den zweiten Satz des Tenors des Sozialgerichts Berlin im Beschluss vom 20. Dezember 2012 betrifft zulässig und begründet. Soweit er sich auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung selbst bezieht, ist der Antrag unzulässig und deshalb abzulehnen.

Mit Bescheid vom 09. November 2012 hat der Beschwerdeführer für den Zeitraum vom 01. Dezember 2012 bis 2. Februar 2013 den vollständigen Wegfall des Arbeitslosengeldes II des Antragstellers verfügt. Über den hiergegen erhobenen Widerspruch ist noch nicht entschieden. Der Antragsteller hat am 05. Dezember 2012 bei dem Sozialgericht Berlin einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 09. Dezember 2012 gestellt.

Mit Beschluss vom 20. Dezember 2012 hat das Sozialgericht Berlin die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 09. November 2012 angeordnet und darüber hinaus die Aufhebung der Vollziehung angeordnet, soweit der Bescheid bereits vollzogen sei. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, dass Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Sanktionsbescheides bestünden. Ausführungen zur Aufhebung der Vollziehung enthält der Beschluss nicht.

Gegen den Beschluss richtet sich die am 09. Januar 2013 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg erhobene Beschwerde des Beschwerdeführers und der damit verbundene Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung.

Der Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung ist nur soweit er sich gegen die Anordnung der Aufhebung der Vollziehung durch das Sozialgericht im angefochtenen Beschluss richtet zulässig. Nach §199 Abs. 2 Satz 1 SGG kann der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen, soweit ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat. Über den Antrag nach § 199 Abs. 2 Satz 1 SGG entscheidet demnach der Vorsitzende des Rechtsmittelgerichtes.

§ 199 Abs. 2 SGG findet vorliegend allein hinsichtlich der Anordnung der Aufhebung der Vollziehung Anwendung. Die Vorschrift regelt die Aussetzung der Zwangsvollstreckung aus einem vollstreckbaren Titel. Vollstreckungstitel sind nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 SGG unter anderem auch einstweilige Anordnungen. Die im ersten Satz des Beschlusses des Sozialgerichts Berlin vom 20. Dezember 2012 angeordnete aufschiebenden Wirkung des Widerspruches nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG hat rechtsgestaltenden Charakter und ist daher kein vollstreckbarer Titel im Sinne der genannten Vorschrift. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs bindet die Beteiligten bis zur Unanfechtbarkeit des Hauptsacheverfahrens. Nur dem Gericht der Hauptsache steht eine Änderungsbefugnis nach § 86 b Abs. 1 Satz 4 SGG zu. Damit scheidet auch eine entsprechende Anwendung des § 199 Abs. 2 SGG im Sinne einer aufschiebenden Wirkung der Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 20. Dezember 2012 aus (vgl. zum Ganzen LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 30. August 2011, L 6 AS 402/11 B ER).

Soweit das Sozialgericht jedoch die Aufhebung der Vollziehung angeordnet hat, ist die gerichtliche Entscheidung einer Vollstreckung fähig. Hat das Gericht die aufschiebende Wirkung angeordnet, können nach § 86 b Abs. 1 Satz 2 SGG bereits durchgeführte Vollzugsmaßnahmen rückgängig gemacht werden. Die Vorschrift ermöglicht als unselbständiger Folgenbeseitigungsanspruch (dazu Beschluss des Senats vom 24. September 2009 – L 20 AS 1061/09 B) die prozessuale Durchsetzung der sich aus der – vom Sozialgericht angenommen – Rechtswidrigkeit ergebenden Pflicht zur Rückgängigmachung (etwa der Auszahlung einer durch den angefochtenen Verwaltungsakt aufgehobenen zuvor bewilligten Leistung). Diese Pflicht zur Rückgängigmachung ist im Wege der Vollstreckung durchsetzbar und deshalb wiederum der Aussetzung der Vollstreckung nach § 199 Abs. 2 Satz 1 SGG zugänglich.

Der Antrag des Beschwerdeführers auf Aussetzung der Vollstreckung ist auch begründet. Die Voraussetzungen des § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG für die Aufhebung der Vollziehung dürften nicht vorgelegen haben.

Dabei kann hier dahingestellt bleiben, ob die durch das Sozialgericht ohne Antrag erfolgte Anordnung der Aufhebung der Vollziehung bereits deshalb rechtswidrig ist, weil die Anordnung von Amts wegen erfolgt ist. Liegen die Voraussetzungen des § 86 b Abs. 1 Satz 2 SGG vor, „kann“ das Sozialgericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen (vgl. Beck’scher Onlinekommentar/Gersdorf, VwGO § 80 Rn. 155; anderer Ansicht Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Aufl., Rn. 179). Da die Behörde ihrer Pflicht zur Folgenbeseitigung aufgrund ihrer Gesetzesbindung in der Regel ohne gerichtlichen Anspruch nachkommen wird, bedarf es eines auf Rückgängigmachung gerichteten Verfahrens nach § 86 b Abs. 1 Satz 2 SGG regelmäßig nicht (vgl. BVerwG 06.07.1994 – 1 VR 20/93 NVwZ 1995, 590; OVG Nordrhein-Westfalen 29.05.2001 – 1 B 46/01 NVwZ-RR 2002, 520; VG Dresden 04.09.2000 – 4 K 972/00, NVwZ-RR 2001, 582; Hintz/Lowe, SGG, § 86 b Rn. 66). Schon gar nicht hat das Gericht die Rückgängigmachung von Amts wegen auszusprechen oder einen Antrag auf Feststellung der aufschiebenen Wirkung quasi automatisch als Antrag auf Rückgängigmachung auszulegen.

Dies kann letztlich dahinstehen, da auch bei einer auf Antrag erfolgten Anordnung der Aufhebung der Vollziehung eine solche in der Sache abzulehnen gewesen wäre.

Bei der Entscheidung, ob eine bereits erfolgte Vollziehung aufzuheben ist und z. B. Leistungen für die Vergangenheit auszuzahlen sind, ist das öffentliche Interesse an dem Fortbestand des Vollzuges gegen das Interesse des Antragstellers an der Aufhebung der Vollziehung abzuwägen (LSG Berlin-Brandenburg 10.03.2009 – L 20 AS 47/09 B ER; 27.07.2009 – L 29 AS 375/09 B ER). Insoweit hat eine gesonderte Abwägung zu erfolgen, da die Aufhebung der Vollziehung dem effektiven Schutz subjektiver Rechte des durch die Vollziehung betroffenen dient, nicht hingegen der Durchsetzung der verfahrensrechtlichen Positionen, in der sich der Widersprechende kraft der gesetzlich eintretenden aufschiebenden Wirkung seines Widerspruches befindet. Nur in Ausnahmefällen, wenn es zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes erforderlich ist, kann deshalb im Wege der Aufhebung der Vollziehung ein Wiederherstellungsanspruch bestehen und eine Maßnahme angeordnet werden, die nur schwer rückgängig zu machen ist bzw. die Hauptsache vorweg nimmt (VG Düsseldorf 03.12.2007 – 20 L 1587/07; Kopp/Schenke, VwGO §80 Rn. 176). Dies gilt auch für Leistungen zur Grundsicherung als Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums für abgelaufene Zeiträume (anderer Ansicht wohl: LSG Berlin-Brandenburg 12.01.2011 – L 26 AS 2321/10 B ER).

Eine solche gesonderte Abwägung hat das Sozialgericht nicht vorgenommen. Es sind auch keine Gründe ersichtlich, weshalb hier Leistungen für Zeiträume vor Erlass des Beschlusses des Sozialgerichts Berlin vom 20. Dezember 2012 dringend nachgezahlt werden müssten. Nicht einmal vom Antragsteller sind diesbezüglich Gründe vorgetragen worden. Für den gegenwärtigen Zeitraum ist der Antragsteller durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ausreichend geschützt. Die Anordnung der Aufhebung der Vollziehung durch das Sozialgericht Berlin im Beschluss vom 20. Dezember 2012 erweist sich damit wohl als rechtswidrig weshalb die Aussetzung der Vollstreckung aus dieser Anordnung anzuordnen war.

Eine Kostenentscheidung hatte nicht zu ergehen, da das Verfahren nach § 199 Abs. 2 SGG ein unselbständiges Zwischen- oder Nebenverfahren im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens darstellt und einer gesonderten Kostenentscheidung nicht zugänglich ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg vom 18. Mai 2005, L 20 AS 1664/08 ER; Rohwer-Kahlmann, SGG, § 199 Rn. 19; Zeihe, SGG, § 199 Rn. 11c).