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Witwenrente - Versorgungsabsicht


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 22. Senat Entscheidungsdatum 03.05.2012
Aktenzeichen L 22 R 984/10 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 46 Abs 2a SGB 6

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13.September 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten hat die Beklagte der Klägerin auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Im Streit ist die Gewährung einer Witwenrente.

Die 1947 geborene Klägerin stellte am 20. März 2008 bei der Beklagten eingehend einen Antrag auf Hinterbliebenenrente. Sie ist die Witwe des 1948 geborenen und am 09. Januar 2008 verstorbenen G (Versicherter). Die Klägerin und der Versicherte hatten am 19. Dezember 2007 ein zweites Mal die Ehe geschlossen, nachdem sie bereits am 14. Mai 1975 erstmals geheiratet hatten und am 29. November 1991 rechtskräftig geschieden worden waren. Aus der der Ehe ging die 1980 geborene Tochter P hervor. Ab Mai 1995 war das gemeinsame Zusammenleben wieder aufgenommen worden.

Ab 02. Februar 2007 war der Versicherte arbeitsunfähig aufgrund einer Erkrankung an einem cerebral metastasierten biphasischen pulmonalen Blastom, das im Februar 2007 erstmals diagnostiziert worden war. Nach einer Hämatomausräumung am 02. Februar 2007 erfolgte vom 14. März bis 24. März 2007 eine palliative Strahlentherapie und chemotherapeutische Behandlung. Er wurde in der C vom 29. März bis 04. April 2007, in der Zeit vom 31. Mai 2007 bis 04. Juni 2007 und vom 28. August bis 31. August 2007 behandelt.

Am 26. Februar 2007 wurde die Tochter des Versicherten zu seiner Betreuerin bestellt mit dem Aufgabenkreis „Aufenthaltsbestimmung zwecks Heilbehandlung und Pflege, Gesundheitssorge, Vermögenssorge einschließlich Vertretung vor Behörden und Versicherungsträgern“.

Außerhalb der Zeit der Krankenhausaufenthalte lebte der Versicherte in seiner häuslichen Umgebung, in der er von der Klägerin, seiner Tochter und der Schwester der Klägerin gepflegt wurde.

Mit Bescheid vom 25. April 2008 lehnte die Beklagte einen Antrag der Klägerin auf Witwenrente aus der Versicherung des Versicherten ab. Nach § 46 Abs. 2 a SGB VI i. V. m. § 242 a Abs. 3 SGB VI seien bei Ehen, die nach dem 31. Dezember 2001 geschlossen wurden, ein Anspruch auf Witwenrente ausgeschlossen, wenn eine so genannte Versorgungsehe vorliege. Die gesetzliche Vermutung wurde als nicht widerlegt erachtet. Den dagegen eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin über ihren damaligen Prozessbevollmächtigten damit, der Tod des Versicherten sei objektiv nicht vorhersehbar gewesen. Der Verlauf der Erkrankung habe bei sachgerechter Behandlung eine lange unbestimmte Lebenserwartung annehmen lassen. Es habe dem Wunsch des Versicherten entsprochen, das langjährige Zusammenleben mit seiner früheren Ehefrau wieder in der Form der Ehe fortzusetzen. Die Vorschrift des § 46 Abs. 2 SGB VI solle dem Missbrauch der Eheschließung zum Zweck des Erwerbs einer Versorgung vorbeugen. Davon könne nicht ausgegangen werden, denn die Klägerin habe schon bei Durchführung des Scheidungsverfahrens einen erheblichen Teil der Versorgungsanwartschaft erhalten aus der Zeit der vollen Erwerbstätigkeit des Versicherten. Damit sei die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe widerlegt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Mit der am 30. März 2009 beim Sozialgericht (SG) eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihren Anspruch auf Witwenrente weiter. Zur Begründung wurde getragen, die gesetzlichen Voraussetzungen einer großen Witwenrente seien erfüllt. Die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2 SGB VI sei widerlegt. Es lägen erwiesene Umstände vor, die belegten, dass die erneute Heirat weder allein noch überwiegend bezweckt habe, eine Witwenrente zu erlangen. Zu den besonderen Umständen, die die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe widerlegten, gehörten die lange Dauer der der zweiten Heirat am 19. Dezember 2007 vorangegangenen Lebensgemeinschaft und die gemeinsame Tochter. Die Aussicht auf Heilung des Versicherten habe wohl nicht bestanden, aber die Erkrankung sei nach der Operation und der Strahlen- und Chemotherapie stabil verlaufen und habe Dank der Pflege die Erwartung zugelassen, der Versicherte werde nach der zweiten Heirat noch viele Monate, ein Jahr oder noch länger leben. Auf einen tödlichen Verlauf der Erkrankung hinzuweisen, begründe allein nicht die Befürchtung eines baldigen Ablebens nach der zweiten Heirat.

Die Klägerin hat in erstinstanzlich in der mündlichen Verhandlung beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25. April 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 2009 zu verurteilen, ihr ab Februar 2008 Witwenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, es habe eine schwerste Erkrankung vorgelegen mit sehr kurzer Lebenserwartung. Eine Fünf-Jahres-Überlebensrate sei bereits zum Zeitpunkt der Erstdiagnose im Februar 2007 (Tumor-metastasierend) äußerst unwahrscheinlich gewesen. Die 2007 durchgeführten medizinischen Maßnahmen hätten keinen kurativen Ansatz sondern pallitativen Charakter gehabt.

Das Sozialgericht zog die Patientenakte des behandelnden Arztes H bei.

In der öffentlichen Sitzung vom 13. September 2010 wurde die Klägerin angehört.

Das SG hat mit dem am 13. September 2010 verkündeten Urteil die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25. April 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 2009 verurteilt, der Klägerin Witwenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Das SG erachtete die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2 a SGB VI für widerlegt. Zwar sei die Kammer überzeugt davon, dass der Klägerin und dem Versicherten bereits im Zeitpunkt der Hochzeit bewusst gewesen sei, dass die Erkrankung mit hoher Wahrscheinlichkeit zum baldigen Tod führen würde. Die Ausführungen der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung sprächen aber gegen eine überwiegende Versorgungsabsicht.

Gegen das der Beklagten am 27. September 2010 zugestellte Urteil richtet sich die am 26. Oktober 2010 beim Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg eingegangene Berufung der Beklagten. Zur Begründung wird insbesondere vorgetragen, die Umstände, die gegen die Versorgungsehe sprechen, müssten um so gewichtiger sein, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit bei Eheschließung gewesen sei. Mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit einer Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit steige der Grad des Zweifels an den zu beweisenden besonderen Umständen (Bezugnahme auf das Urteil des Bundessozialgerichts – BSG – vom 05. Mai 2009 – B 13 R 55/08 Rz. 27). Seit 1995 habe die Möglichkeit bestanden, den durch die Scheidung 1991 unterbrochenen Kreis der Ehe wieder zu schließen. Dies stelle keinen besonderen Umstand dar, der die Annahme der Versorgungsehe widerlege. Zweifelhaft erschienen die aufgeführten Beweggründe insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Tochter die Betreuungsaufgaben für den Versicherten wahrgenommen habe, da bei einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft im Allgemeinen die gegenseitige Fürsorge auch die Wahrnehmung der Betreuung beinhalte. Es könne unter Berücksichtigung des Urteils des LSG Hessen vom 17. November 2006 nicht nachvollzogen werden, aus welchen Gründen das SG Berlin den Wunsch der gemeinsamen Tochter zur erneuten Heirat der Eltern so gewichtig werte, da die Tochter bereits volljährig sei. Nicht bekannt sei, ob und in welcher Höhe die Klägerin tatsächlich Ansprüche aus der berufsständischen Versorgung herleiten könne. Dass sie zukünftig über eine ausreichende eigene Altersversorgung verfüge, sei lediglich Mutmaßung. Daneben sei die Tatsache, dass Hinterbliebene durchaus in der Lage seien, ihren Lebensunterhalt allein zu bestreiten, für die Frage der Versorgungsehe unerheblich. In diesem Zusammenhang sei allein entscheidend, dass die Eheschließung den Anspruch auf die Witwenrente zum Ziel habe. Anderenfalls wäre eine gut situierte Hinterbliebene bevorzugt bzw. finanziell benachteiligte Hinterbliebene schlechter gestellt (Hinweis auf Urteile des LSG Hessen – L 5 R 19/06 und des LSG Baden-Württemberg vom 15. Dezember 2006 – L 4 R 3352/05). § 46 Abs. 2 a SGB VI gelte nicht nur in Fällen des offenkundigen Versorgungsbedarfs.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. September 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin trägt insbesondere vor, das SG sei den Maßstäben des Bundessozialgerichts gefolgt und habe die Klägerin deshalb in der mündlichen Verhandlung ausführlich zu den Indizien für die Beweggründe der Heirat insbesondere nach dem persönlichen familiären Kontext der Heirat befragt. Einzelne Umstände seien nicht isoliert zu betrachten und aus dem Kontext der Umstände zu lösen.

Die Klägerin reichte beim Gericht Bescheide über Einkommensteuer für die Jahre 2007 und 2008 ein mit dem Vortrag, die als Apothekerin tätige Klägerin trage mit den Einkünften aus ihrer Apotheke seit vielen Jahren zum gemeinsamen Lebensunterhalt bei. Die Klägerin überreichte Bescheinigung des Versorgungswerkes der Apotheker vom 6. Januar 2012.

Auf gerichtliche Nachfrage wurden als Zeugen, die etwas zu den Motiven der Eheschließung sagen könnten, die Tochter der Klägerin und die Schwester der Klägerin D R benannt. Sie wurden in der nichtöffentlichen Sitzung des 22. Senats vom 18. April 2011 vernommen.

Beigezogen wurden die Pflegeakten vom J Sozialstation G und Pflegeakten der TKK, Techniker Krankenkasse, Pflegeversicherung, des Versicherten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten und den der Pflegeakten, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe

Die zulässige und im Übrigen statthafte Berufung ist unbegründet.

Das SG hat die angefochtenen Bescheide zu Recht aufgehoben. Sie sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf die große Witwenrente.

Nach § 46 Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tode des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, u. a. dann Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie das 47. Lebensjahr vollendet habe. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Klägerin ist die Witwe des am 09. Januar 2008 verstorbenen Versicherten, sie hatte im Zeitpunkt des Todes das 47. Lebensjahr vollendet und hat nicht wieder geheiratet, auch ist die allgemeine Wartezeit erfüllt.

Gemäß § 50 Abs. 1 SGB S 2 Nr. 2 VI gilt die allgemeine Wartezeit als erfüllt für einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn der verstorbene Versicherte bis zum Tode eine Rente bezogen hat. Dies ist der Fall, da ihm mit Bescheid vom 26. Oktober 2007 beginnend mit dem 1. Juli 2007 Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt wurde.

Der Anspruch ist nicht nach § 46 Abs. 2 a SGB VI ausgeschlossen.

Nach dieser Vorschrift, die mit Wirkung vom 01. Januar 2002 eingeführt worden ist und für alle seit dem 01. Januar 2002 geschlossenen Ehen gilt (§ 242 a Abs. 3 SGB VI) ist der Anspruch auf Witwenrente ausgeschlossen, wenn die Ehe mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

Der Leistungsausschlussgrund des § 46 Abs. 2 a SGB VI liegt bei der Klägerin nicht vor. Die zweite hier maßgebliche Ehe hatte zwar nicht mindestens ein Jahr gedauert, nämlich vom 19. Dezember 2007 bis zu seinem Tode, dem 09. Januar 2008, aber die Klägerin erfüllt den Ausnahmetatbestand, „dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen“.

Die Vermutung ist widerlegt, denn die Abwägung aller zur Eheschließung führenden Motive beider Ehegatten ergibt, dass es insgesamt nicht der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, der Klägerin eine Versorgung zu verschaffen.

Die Folge mit dem Ausschluss des Anspruchs auf Witwenrente tritt auch dann nicht ein, wenn besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer trotz der kurzen Ehedauer die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen (§ 46 Abs. 2 a Halbsatz 2 SGB VI).

Besondere Umstände liegen hier vor. Der Begriff der „besonderen Umstände“ dieser Vorschrift ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der von den Rentenversicherungsträgern und den Sozialgerichten mit einem bestimmten Inhalt ausgefüllt werden muss und dessen Beurteilungsspielraum der vollen richterlichen Kontrolle unterliegt (Urteil des Bundessozialgerichts vom 05. Mai 2009 – B 13 R 55/08 R). Das BSG hat in dieser Entscheidung ausgeführt, nach § 46 Abs. 2 a SGB VI ergebe sich nicht ohne weiteres, was unter den besonderen Umständen des Falles zu verstehen sei, die geeignet seien, die Annahme einer Versorgungsehe zu entkräften. Da § 46 Abs. 2 a SGB VI jedoch vom Gesetzgeber bewusst den entsprechenden Vorschriften in der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 65 Abs. 6 des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch) nachgebildet sei, könne an die bisherige Rechtsprechung des BSG zum Begriff der besonderen Umstände in diesen Bestimmungen angeknüpft werden.

Als besondere Umstände im Sinne der Vorschrift seien daher alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalls anzusehen, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Heirat schließen ließen. Dabei komme es auf die (gegebenenfalls auch voneinander abweichenden) Beweggründe (Motive, Zielvorstellungen) beider Ehegatten an, es sei denn, dass der hinterbliebene Ehegatte den Versicherten beispielsweise durch Ausnutzung einer Notlage oder Willensschwäche zur Eheschließung veranlasst habe. Die Annahme des Anspruchsausschließenden Vorliegens einer Versorgungsehe bei kurzer Ehedauer von nicht mindestens einem Jahr sei nach dem Ausnahmetatbestand der Vorschrift nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die Gesamtbetrachtung und Abwägung der Beweggründe beider Ehegatten für die Heirat ergibt, dass die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe insgesamt gesehen den Versorgungszweck überwiegen oder – da der Wortlaut auf den „alleinigen oder überwiegenden Zweck der Heirat“ abhebe – zumindest gleichwertig seien. Es sei daher auch nicht zwingend, dass bei beiden Ehegatten andere Beweggründe als Versorgungsgesichtspunkte für die Eheschließung ausschlaggebend gewesen seien. Vielmehr seien die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe in ihrer Gesamtbetrachtung auch dann noch als zumindest gleichwertig anzusehen, wenn nachweislich für einen der Ehegatten der Versorgungsgedanke bei der Eheschließung keine Rolle gespielt habe.

Die Vorschrift des § 46 Abs. 2 a SGB VI zwinge den Hinterbliebenen aber nicht, seine inneren Gründe für die Eheschließung oder die des verstorbenen Ehegatten zu offenbaren. Der hinterbliebene Ehegatte könne sich auch auf die Darlegung von äußeren (objektiv nach außen tretenden Umständen) beschränken, die seiner Ansicht nach auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Heirat schließen ließen. Ebenso bleibe es ihm unbenommen, keinerlei Auskünfte über „dem Zweck der Heirat“ zu geben. Es solle nicht gegen seinen Willen zu einem Eingriff in seine Intimsphäre kommen, in dem der Hinterbliebene genötigt werde, auch seine aller persönlichsten, innersten Gedanken und Motive für die Eheschließung mit dem verstorbenen Versicherten mitzuteilen. Denn die gesetztechnische Ausgestaltung des § 46 Abs. 2 a SGB VI als Regel-/Ausnahmetatbestand verfolge gerade den Zweck, die Träger der Rentenversicherung und die Sozialgerichte von der Ausforschung im Bereich der privaten Lebensführung zu entbinden. Dies bedeute aber nicht, dass es dem hinterbliebenen Ehegatten untersagt sei, seine höchstpersönlichen Gründe und die des verstorbenen Versicherten für die Eheschließung darzulegen. Vielmehr könne er selbst abwägen, ob er derartige private Details preisgeben wolle, um die gesetzliche Annnahme einer Versorgungsehe bei der Ehedauer von nicht mindestens einem Jahr zu entkräften. Mache der Hinterbliebene von sich aus oder auf Befragen entsprechende Angaben und seien diese glaubhaft, so seien auch diese persönlichen Gründe in die (abschließende) unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände des Falls zu würdigen. Eine Beschränkung auf objektiv nach außen tretende Umstände bei der „Ermittlung der Beweggründe für die Heirat“ bzw. des „Zwecks der Heirat“ würde jedenfalls in einem solchen Fall die Möglichkeiten des hinterbliebenen Ehegatten, die gesetzliche Annahme einer Versorgungsehe zu entkräften, in unzulässiger Weise beschneiden. Lediglich wenn der Hinterbliebene keine – glaubhaften – Angaben über die inneren Umstände mache, dürfe sich die Ermittlung, welche Gründe für die Eheschließung ausschlaggebend waren und die Prüfung, ob es sich dabei um (anspruchsbegründende) besondere Umstände im Sinne des § 46 Abs. 2 a Halbsatz 2 SGB VI handele, auf nach außen tretende objektive Tatsachen beschränken. Maßgeblich seien jedenfalls die Umstände des konkreten Einzelfalls. Die vom hinterbliebenen Ehegatten behaupteten inneren Umstände für die Heirat seien zudem nicht nur für sich – isoliert – zu betrachten, sondern vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt der jeweiligen Eheschließung bestehenden äußeren Umstände in die Gesamtwürdigung, ob die Ehe mit dem Ziel der Erlangung einer Hinterbliebenenversorgung geschlossen worden ist, mit einzubeziehen. Eine gewichtige Bedeutung komme hierbei stets dem Gesundheits- bzw. Krankheitszustand des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung zu. Ein gegen die gesetzliche Annahme einer Versorgungsehe sprechender besonderer äußerer Umstand im Sinne der Vorschrift sei insbesondere dann anzunehmen, wenn der Tod des Versicherten, hinsichtlich dessen bisher kein gesundheitliches Risiko eines bevorstehenden Ablebens bekannt war, unvermittelt („plötzlich unerwartet“) eingetreten sei. Unvermittelt eingetreten in diesem Sinne sei der Tod aber auch bei einem Verbrechen oder bei einer Erkrankung, die plötzlich aufgetreten sei und schnell zum Tode geführt habe (z. B. Infektionskrankheit oder Herzinfarkt bei unbekannter Herzerkrankung). Hingegen sei bei Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten in der Regel der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs. 2 a Halbsatz 2 SGB VI nicht erfüllt. Jedoch sei auch bei einer nach objektiven Maßstäben schweren Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose und entsprechender Kenntnis der Ehegatten der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet (überwiegend oder zumindest gleichwertig) aus anderen als aus Versorgungsgründen geheiratet worden sei. Allerdings müssten dann bei der abschließenden Gesamtbewertung diejenigen besonderen (inneren und äußeren) Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, um so gewichtiger sein, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit eines Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen sei. Dementsprechend steige mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit einer Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit zugleich der Grad des Zweifels an dem Vorliegen solcher vom hinterbliebenen Ehegatten zu beweisenden besonderen Umstände, die von diesem für die Widerlegung der gesetzlichen Annahme (Vermutung) einer Versorgungsehe bei einem Versterben des versicherten Ehegatten innerhalb eines Jahres nach Eheschließung angeführt sind.

Der Ausnahmetatbestand der Vorschrift werde nur erfüllt, wenn insoweit nach § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 292 der Zivilprozessordnung der volle Beweis erbracht werde. Dieser erfordere zumindest einen der Gewissheit nahe kommenden Grad der Wahrscheinlichkeit. Die nur denkbare Möglichkeit reiche nicht aus. Eine Tatsache sei dann nachgewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich sei, dass alle Umstände des Falls nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet seien, die volle richterliche Überzeugung zu begründen.

Ausgehend von diesen rechtlichen Gesichtspunkten ist zur Überzeugung des Senats die Vermutung einer Versorgungsehe widerlegt worden.

Die Heirat sprach nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens dem Wunsch des Versicherten, „die äußere rechtliche Ordnung wiederherstellen“ und verheiratet zu sein. Die Klägerin war diesem Wunsch nachgekommen. Dies hat die Klägerin glaubhaft dargelegt. Das Ergebnis der Beweisaufnahme hat dies bestätigt.

Dem entspricht die Aussage ihrer Tochter, der Zeugin Z. Wenn sich die Zeugin auch an keine konkreten Gespräche erinnern konnte, so hat sie doch ausgesagt, es habe das Bedürfnis der Familie bestanden, „sich wieder zueinander zu bekennen“. Dies habe jeder von ihnen geäußert und habe durch den symbolischen Akt der Trauung dokumentiert werden sollen. Dieser Gedanke an eine Wiederheirat sei nach der Erkrankung im Februar 2007 aufgetaucht. Die Zeugin hat weiter ausgesagt, der Gedanke der Versorgung der Klägerin habe im Fall des Todes des Versicherten durch die Heirat keine Rolle gespielt, an so etwas sei nicht gedacht worden. Ihre Mutter sei versorgt. Die Heirat sei aus ihrer Sicht das Symbol der Verbundenheit ihrer Eltern gewesen, die sich schon ab der 1. Schulklasse gekannt hätten. Die Frage, warum ihre Eltern gerade nach der Erkrankung wieder an Heirat gedacht hatten, beantwortete sie nachvollziehbar damit, dass es sich um eine Ausnahmesituation wegen der Krankheit ihres Vaters gehandelt habe. In dieser Situation seien symbolische Handlungen bedeutsamer als sie es vorher gewesen seien. Damit wird nachvollziehbar, dass gerade nach der Erkrankung wieder an eine Heirat gedacht worden sei und nicht vorher.

Die Aussage der Zeugin R widerspricht der Darstellung der Klägerin nicht. Nach ihrer Aussage war der Wunsch zu Heiraten vom Versicherten geäußert worden. Den Anlass hierfür kannte sie nicht. Der Versicherte habe die Klägerin „unglaublich geliebt“. Die Zeugin hatte Kontakt mit dem Versicherten, da sie ihn freitags betreut hatte. So hatte die Zeugin von der bevorstehenden Heirat erfahren.

Die Schwere der Erkrankung des Versicherten weckt an dem Motiv der Herstellung der rechtlichen Ordnung zur Heirat keine Zweifel. Nach Auffassung des Senats ist das Anliegen, die „äußere rechtliche Ordnung wiederherstellen“ bzw. sich zueinander zu bekennen, gerade in Ansehung der Erkrankung als gewichtig zu bewerten.

Jedenfalls im Zeitpunkt der Entscheidung zur Wiederheirat hatten die Eheleute mit dem aktuell bevorstehenden tödlichen Verlauf der Erkrankung nicht gerechnet. Selbst wenn der tatsächlich eingetretene Ablauf für die Klägerin und den Versicherten erkennbar gewesen sein sollte, änderte dies nichts an der Überzeugung des Senats vom bewiesenen Motiv des Versicherten und der Klägerin. Aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme folgt, dass der Versicherte im Zeitpunkt der gemeinsamen Entscheidung, wieder zu heiraten davon ausging, nach der Heirat selbst noch in der „äußere rechtliche Ordnung“ leben zu können.

Dies ist nachvollziehbar.

Die Zeugin Zhat bekundet, sie hätten damit gerechnet, dass er ein Jahr oder noch länger zu leben gehabt hätte. Als der Entschluss zur Heirat gefasst wurde, seien sie davon ausgegangen, dass dies „in den nächsten Monaten“ erfolgen würde. Die Zeugin R hat ausgesagt, „das Thema Heirat“ sei im Sommer 2007 aktuell geworden. Dies war bereits vor einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Versicherten, die durch den Antrag auf Höherstufung der Pflegestufe vom 3. September 2007 zum Ausdruck kommt. Zu der Zeit der Entscheidung zur Eheschließung waren nach Aussage der Zeugin R noch Fahrten im Auto und Besuche gemacht worden. Sie hat des weiteren ausgesagt, der Tod sei für sie alle überraschend gekommen, sie habe nicht den Eindruck gehabt, dass der Versicherte „so stark abgebaut“ hatte, dass es „dem Ende zugegangen sei“. Es sei auch von Reisen gesprochen worden, die im Frühjahr 2008 stattfinden sollten. Der Versicherte habe sogar davon gesprochen, im Frühjahr 2008 das Boot zu Wasser zu lassen oder wieder Auto zu fahren.

Hieran mag der Versicherte durchaus geglaubt haben: Im Gutachten zur Pflegebedürftigkeit wird nach Befunderhebung am 20. November 2007 „Realitätsverlust mit Selbstüberschätzung“ festgestellt. Im Übrigen steht das Gutachten nicht der Einschätzung entgegen, dass der Tod überraschend erfolgte.

Im Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach Befunderhebung am 20. November 2007 u. a. mitgeteilt, dass sich die Situation „ schleichend verschlechtert“ habe nach Angaben des Versicherten und Pflegeperson mit zunehmender allgemeiner körperlicher, überwiegender Bettlägerigkeit. Trotz dieser Verschlechterung bieten die vorliegenden Unterlagen keinen Hinweis auf den unmittelbar bevorstehenden Tod.

Der Versicherte litt an einem biphasischen zentralen Blastom mit Gehirnmetastase und war hinsichtlich der Grunderkrankung erfolgreich behandelt worden, auch wenn er ab der Begutachtung im November 2007 die Pflegestufe III hatte. Die Grunderkrankung war zunächst erfolgreich therapiert. Dies war insoweit objektiviert, als sich auch im CT eine Regredienz gezeigt hatte. Trotz Einschränkungen und Behinderungen durch die neurologische Symptomatik war der Verlauf stabil. Der Versicherte verstarb nach der ärztlichen Bescheinigung des Arztes H vom 08. Dezember 2008 an einem pulmonal und kardial bedingten Kreislaufversagen als Folge einer durch den Verlauf anzunehmen Lungenarterienembolie und Versagen des zentralen Nervensystems, ohne dass zum Zeitpunkt der Entscheidung zur Eheschließung mit dem Todeseintritt sei akut zu rechnen gewesen war.

Im Arztbrief vom 03. Juni 2007 wird aus der C berichtet, das CT zeige einen „weiter regredienten Befund“. Der Facharzt für Innere Medizin und Hausärztliche Versorgung Hass berichtete am 08. Dezember 2008, der Versicherte sei vom 11. Oktober 2007 bis 08. Januar 2008 von seiner Praxis durch den palliativmedizinisch-onkologischen Dienst im Rahmen des Berliner Home-Care-Programms ärztlich zu Hause versorgt worden. Als unmittelbare Todesursache sei ein pulmonal und kardial bedingtes Kreislaufversagen infolge einer durch den Verlauf anzunehmenden Lungenarterienembolie und Versagen des zentralen Nervensystems mit Lähmung des Atemzentrums anzusehen. Nach zunächst durch Chemotherapie, neurochirurgische Intervention und Radiatio erfolgreicher Therapie der Grunderkrankung habe sich bei resultierenden Einschränkungen und Behinderungen durch die neurologische Symptomatik ein sehr stabiler Verlauf der Erkrankung ergeben. Es sei aus seiner ärztlichen Sicht die Todesursache im Ergebnis nicht notwendig eine absehbare, tödliche Folge der Erkrankung. Zum tatsächlichen Zeitpunkt des Todeseintritts sei mit dem Versterben nicht akut zu rechnen gewesen.

Dies entspricht dem Pflegebericht. Erst im Verlauf des Monats Dezember 2008 zeichnet sich danach eine wesentliche Verschlechterung ab.

Anfang Dezember 2007 hielt sich der Versicherte noch außerhalb des Bettes auf.

In den Pflegeakten wird unter dem Datum des 07. Dezember 2007 mitgeteilt:

Der Versicherte zum Essen am Tisch.

Dies verschlechterte sich im weiteren Verlauf des Monats.

Am 17. Dezember 2007 ist eingetragen:

Körperpflege im Bett, Patient wollte im Rollstuhl am Tisch bleiben und wollte nicht auf der Terrasse draußen stehen bleiben.

Am 24. Dezember 2007 wird vermerkt:

Körperpflege nur im Bett möglich. Herr Z. konnte nicht an der Bettkante sitzen, fiel immer wieder um, hat en ausdrücklichen Wunsch geäußert, im Bett zu bleiben und zu frühstücken.

Am 31. Dezember 2007 ist vermerkt:

… war sehr schwach, fühlt sich nach eigener Aussage schlapp. Körperpflege im Bett.

Am 07. Januar 2008 ist vermerkt:

… ist heute in einem sehr schlechten körperlichen Zustand, war kaum ansprechbar.

Soweit die Beklagte meint, die Tatsache, dass die Tochter des Versicherten zu dessen Betreuerin bestellt wurde, spreche gegen den Vortrag der Klägerin, ist dies dem Senat nicht nachvollziehbar. Die Klägerin war während der Zeit der Erkrankung des Versicherten als Apothekerin berufstätig und hat im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch die Pflege des Versicherten nach den vorliegenden Pflegeakten geführt. Sie trug zu Lebzeiten des Versicherten zum gemeinsamen Lebensunterhalt bei. Dies ist auf aufgrund der aktenkundigen Umstände nachvollziehbar. Der Versicherte war zwar von Beruf Diplomingenieur für Elektrotechnik, bis 1994 Vertriebsleiter. Allerdings war er ab 01. April 2000 geringfügig beschäftigt als Hausmeister nach Zeiten der Arbeitslosigkeit. Er bezog von der Beklagten Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01. Juli 2007 in Höhe von 1.096,15 Euro.

Die Zeugin Z. konnte hingegen ihr Studium wegen der Pflege zurückstellen.

Die wirtschaftliche Lage der Klägerin steht der Beurteilung, dass die Ehe nicht aus Versorgungsabsicht erfolgte, nicht entgegen. Die vorgelegten Einkommensteuerbescheide und die Bescheinigung des Versorgungswerks der Apotheker lassen erkennen, dass die Klägerin der Rente des Versicherten nicht bedurfte, um weiterhin standesgemäß leben zu können

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.