Gericht | VG Potsdam 2. Kammer | Entscheidungsdatum | 26.09.2012 | |
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Aktenzeichen | VG 2 K 1777/10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | BeurtVV 2008, § 66 Abs 1 S 2 aF BG BB, § 14 Abs 1 LbV BB, § 9 RPflG |
Der Beklagte wird unter Aufhebung der Dienstlichen Beurteilung der Direktorin des Amtsgerichts ... für den Beurteilungszeitraum vom 21. April 2005 bis 1. September 2008 in der Fassung ihres Bescheides vom 12. Mai 2010 - Gz.: ... - und des Widerspruchsbescheides des Präsidenten des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 20. August 2010 - Gz.: ... - verurteilt, der Klägerin für den vorgenannten Zeitraum eine neue Dienstliche Beurteilung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Hinzuziehung des Bevollmächtigten der Klägerin im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern die Klägerin vor der Vollstreckung nicht Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Klägerin begehrt ihre erneute dienstliche Beurteilung für den Beurteilungszeit-raum vom 21. April 2005 bis 1. September 2008.
Die 1973 geborene Klägerin wurde nach dem Ablegen der Laufbahnprüfung als Rechtspflegerin mit Wirkung vom 10. Dezember 2002 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zur Justizinspektorin zur Anstellung ernannt; mit Urkunde vom 9. Juni 2005 erfolgte ihre Ernennung zur Justizinspektorin unter Verleihung der Eigenschaft einer Beamtin auf Lebenszeit.
Die Klägerin wurde zunächst als Rechtspflegerin am Amtsgericht ... verwendet; in der Zeit vom 1. April 2007 bis 1. September 2008 war ihr eine Teilzeitbeschäftigung im Umfang von 32 Stunden wöchentlich bewilligt worden. Vom 1. November 2007 bis zum 29. Juli 2008 war sie an das Amtsgericht ... abgeordnet. Ab dem 29. Juli 2008 bestand für die Klägerin ein Beschäftigungsverbot infolge Mutterschutzes; nach der Geburt ihres Sohnes war sie bis zum 4. November 2009 im Erziehungsurlaub. Zum 31. Dezember 2009 erfolgte ihre Versetzung an das Amtsgericht ... und damit in den Dienst des Landes Berlin.
Vor der hier streitigen Beurteilung wurde die Klägerin aus Anlass des Ablaufs der Probezeit am 20. April 2005 (Beurteilungszeitraum 3. Dezember 2002 bis 20. April 2005) mit dem Gesamturteil 4 Punkte (den Anforderungen entsprechend) beurteilt. Eine Anlassbeurteilung wegen Beförderung vom 24. April 2006 endete ebenfalls mit dem Gesamturteil 4 Punkte.
Unter dem 8. März 2010, zuvor war der Klägerin offenbar bereits ein Entwurf vom 18. Dezember 2009 zugeleitet worden, erstellte die Direktorin des Amtsgerichts ... für die Klägerin eine dienstliche Regelbeurteilung für den Beurteilungszeitraum vom 21. April 2005 bis 1. September 2008. Diese Beurteilung weist ein Gesamturteil von 4 Punkten (entspricht den Anforderungen) aus. Der Beurteilung ist die Vorbemerkung beigegeben, dass aufgrund der zum 1. Juli 2008 in Kraft getretenen neuen Verwaltungsvorschrift des Ministeriums des Inneren über die Beurteilung der Beamten im Landesdienst (BeurtVV) vom 28. März 2008 und der Beurteilungskonferenz im Ministerium der Justiz vom 30. Juli 2008 ein neuer Beurteilungsmaßstab und ein Orientierungsrahmen festgelegt worden seien, die in der Ordentlichen Gerichtsbarkeit des Landes zu einer deutlichen Herabsetzung des allgemeinen Notenniveaus bei allen Beamtinnen und Beamten geführt habe. Die neue Beurteilung könne daher nicht ohne eine nähere Vergleichsbetrachtung mit den vorangegangenen Beurteilungen in Beziehung gesetzt werden. Bei der Erstellung der Beurteilung lagen der Direktorin des Amtsgerichts ... ein von ihr für die Klägerin unter dem 18. November 2008 aus Anlass der Bewilligung der Elternzeit erstellter Beurteilungsbeitrag für den Beurteilungszeitraum vom 16. Juli 2006 bis zum 31. Oktober 2007 und ein von der Direktorin des Amtsgerichts ... unter dem 7. November 2008 gefertigter Beurteilungsbeitrag für die Zeit der Abordnung der Klägerin an jenes Gericht vom 1. November 2007 bis 29. Juli 2008 vor.
Gegen die dienstliche Beurteilung vom 8. März 2010 wandte die Klägerin mit Schreiben vom 31. März 2010 – wobei als Gegenstand allerdings eine Beurteilung vom 18. Dezember 2009 benannt wurde – ein, dass es an der Angabe des zugrunde gelegten Anforderungsprofils fehle, zudem habe sie Leistungen erbracht, die mindestens mit 6 Punkten zu bewerten seien. Die Vorbemerkung zur Beurteilungskonferenz stelle sich als beurteilungsrechtlicher Fremdkörper dar.
Mit Bescheid vom 12. Mai 2010 teilte ihr hierauf die Direktorin des Amtsgerichts ... mit, dass sie keine Veranlassung habe, von der Beurteilung abzuweichen. Das Anforderungsprofil sei nachzuvollziehen, da in dem Beurteilungsformular die Beschreibung der von der Klägerin wahrgenommenen Aufgaben wiedergegeben sei. Hierdurch und durch die Definition der Punktwerte und die Umschreibung der Beurteilungsmerkmale entsprechend der Anlage zur BeurtVV sei auch der für die Bewertung der Vergleichsgruppe nach dem Statusamt anzulegende Maßstabes festgelegt. Die von der Klägerin in der Anlassbeurteilung vom 24. Juli 2006 erreichte Bewertung mit 4 Punkten entsprechend der bislang geltenden BeurteilungsVV sei in 4 Punkte nach der aktuellen BeurtVV übergeleitet worden. Auch unter Einbeziehung der Beurteilungsbeiträge vom 7. November 2008 und 18. November 2008 sei der Klägerin für den Beurteilungszeitraum keine Leistungsentwicklung zu bescheinigen, die eine bessere Note rechtfertige. Die Leistungen hätten sich nicht verschlechtert, es sei aber auch kein wesentlich gesteigertes Leistungsvermögen erkennbar. Die Vorbemerkung sei einheitlich in allen Beurteilungen entsprechend der Festlegung der Beurteilungskonferenz vom 30. September 2008 aufgenommen worden.
Den dagegen unter dem 11. Juni 2010 erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 20. August 2010 – zugestellt am 4. September 2010 − zurück.
Mit ihrer am 1. Oktober 2010 erhobenen Klage vertieft die Klägerin ihre Einwendungen wie folgt: Sie, die Klägerin, müsse als Rechtspflegerin nach besonderen Richtlinien beurteilt werden. Der Beklagte habe nicht vortragen können, warum Rechtspfleger anders als Richter und Staatsanwälte der BeurtVV unterlägen, zumal Rechtspfleger anders als weisungsgebundene Staatsanwälte die sachliche Unabhängigkeit des § 9 RpflG genießen würden. Insbesondere die Kriterien Arbeitsmenge, zeitgerechte Erledigung, Wirtschaftlichkeit des Handelns/Arbeits-ökonomie, Selbständigkeit, Initiative, Flexibilität und Veränderungsbereitschaft, Selbstreflexion, Konfliktbereitschaft, Dienstleistungsorientierung erlaubten im Zusammenspiel mit der vergebenen Note eine unstatthafte Einflussnahme auf die Arbeit von Rechtspflegern. Sie, die Klägerin, fühle sich durch die Vergabe der Noten bei den Einzelmerkmalen Arbeitsleistung und Eignung/Befähigung stillschweigend angehalten, ihr dienstliches Verhalten und ihre Leistungen den Vorstellungen der Beurteilerin anzupassen, um bei der nächsten Beurteilung eine bessere Benotung zu erfahren. Zudem sei nicht erkennbar, wie die Anforderungen bemessen seien; der abstrakte Vergleichsmaßstab im Hinblick auf das statusrechtliche Amt fehle. Auch der Abfall der Gesamtnote auf den Punktwert 4 hätte einer besonderen Begründung bedurft. Es werde auch bestritten, dass sie lediglich derart zu bewertende Leistungen erbracht habe. Die Beurteilung berücksichtige auch nicht hinreichend, dass sie im Gegensatz zu einigen ihrer Kollegen Aufgaben mit Publikumsverkehr und bereits bestehende Rückstände ohne Möglichkeit der Einarbeitung habe bewältigen müssen. Sie, die Klägerin, sei z. B. auch in ihrem Jahresurlaub so gut wie nicht vertreten worden; dies habe zu erheblichen Rückständen geführt.
Die Klägerin beantragt,
1. den Beklagten unter Aufhebung der Dienstlichen Beurteilung der Direktorin des Amtsgerichts ... vom 18. Dezember 2009 in der Fassung ihres Bescheides vom 12. Mai 2010 - Gz.: ... - und des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 20. August 2010 - Gz.: ... - zu verpflichten, ihr für den Zeitraum 21. April 2005 bis 1. September 2008 eine neue Dienstliche Beurteilung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen;
2. die Hinzuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf die Gründe der angegriffenen Bescheide und trägt weiter vor: Die Beurteilung sei aufgrund des neuen Beurteilungssystems erstellt worden; hierauf weise auch die Vorbemerkung in der Beurteilung zur Vermeidung von Missverständnissen hin. Ein Vergleich des alten Systems mit dem neuen könne nicht zu einer Änderung der Beurteilung führen. Beide Verwaltungsvorschriften stellten in sich geschlossene Systeme dar, die nicht deckungsgleich und nicht vergleichbar seien.
Bei der Beurteilung der Rechtspfleger sei die Allgemeine Verfügung des Staatssekretärs im Ministerium der Justiz vom 25. September 2008 – dort IV − beachtet worden. Hiernach sei die Beurteilung so zu fassen, dass sie nicht eine unzulässige Wertung einer selbstständig getroffenen Entscheidung im Einzelfall oder in bestimmten Fällen enthalte. Bereits jeder Anschein einer Einflussnahme auf künftige in sachlicher Unabhängigkeit zu treffende Entscheidungen sei zu vermeiden. Eine allgemeine Bewertung der Leistungen (z. B. hinsichtlich der Rechtskenntnisse und der Rechtsanwendungstechnik) sei jedoch auch in diesem Bereich zulässig und geboten. Im Übrigen sei dies auch bei der Beurteilung von Richtern zulässig.
Das Pensum der Klägerin habe seit Mitte 2006 Nachlass- und Zivilsachen und seit April 2007 (Beginn der Arbeitszeitverkürzung der Klägerin) nur noch Nachlasssachen umfasst. Seit dem 1. Juni 2007 sei sie zudem für Pflegschaften für Volljährige zuständig gewesen. Insoweit sei zutreffend, dass die Klägerin – wie auch im Jahr 2006 − Mischpensen zu bearbeiten gehabt habe. Die Klägerin habe stets Aktenbestände gehabt. Den Bereich Nachlass habe sie bereits 2006 übernommen und sei hier seit dem 8. Juni 2007 entlastet worden. In dieser Zeit habe sie erhebliche Bestände zu verzeichnen gehabt, die im Jahr 2007 zwischen 34 und 124 Verfahren betragen hätten. Die Arbeitsleistung der Klägerin habe sich wechselseitig gestaltet, ohne dass hierfür signifikante Gründe erkennbar gewesen seien. Die Tatsache, dass sie etwa die Zahl der rückständigen Verfahren nach ihrem Urlaub in kurzer Zeit wieder abgearbeitet habe, lasse auf ihr Potenzial schließen, ändere aber nichts an der Einschätzung in der Regelbeurteilung. Auch im Jahr 2006 habe sich die Arbeitsleistung der Klägerin wechselhaft gestaltet. Die Bearbeitung eines Mischpensums mit Publikumsverkehr stelle für Rechtspfleger auch keine Ausnahme oder Besonderheit dar.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Die Klage ist als Leistungsklage zulässig und begründet. Die für die Klägerin erstellte dienstliche Beurteilung der Direktorin des Amtsgerichts ... vom 8. März 2010 in der Fassung des Bescheides vom 12. Mai 2010 − Gz.: ... − und des Widerspruchbescheides des Präsidenten des Brandenburgischen Oberlandesge-richts vom 20. August 2010 ist rechtswidrig. Die Klägerin hat daher Anspruch auf erneute Beurteilung für den Beurteilungszeitraum vom 21. April 2005 bis 1. September 2008.
Rechtsgrundlage der angegriffenen dienstlichen Beurteilung sind § 66 Abs. 1 Satz 2 des Landesbeamtengesetzes (LBG) in der Fassung der Bekanntmachung vom
8. Oktober 1999 (GVBl I S. 446) und § 14 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Laufbahnen der Beamten des Landes Brandenburg vom 25. Februar 1997 (GVBl. II S. 58) - LVO -. Danach sind Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Beamten in regelmäßigen Zeitabständen zu beurteilen. Die nähere Ausgestaltung der dienstlichen Beurteilungen erfolgt nach § 156 LBG i. V. m. § 14 Abs. 2 LVO durch Verwaltungsvorschriften. In Rede steht hier damit die vom Ministerium des Innern erlassene und am 1. Juli 2008 in Kraft getretene Verwaltungsvorschrift über die dienstliche Beurteilung der Beamten im Landesdienst vom 28. März 2008 (BeurtVV, Amtsbl. S. 1073).
Dienstliche Beurteilungen sind nach ständiger Rechtsprechung von den Verwaltungsgerichten nur beschränkt nachprüfbar. Ausschließlich der Dienstherr oder der für ihn handelnde jeweilige Vorgesetzte soll nach dem erkennbaren Sinn der Regelungen über die dienstliche Beurteilung ein persönlichkeitsbedingtes Werturteil darüber abgeben, ob und inwieweit der Beamte den − ebenfalls grundsätzlich vom Dienstherrn zu bestimmenden − zahlreichen sachlichen und persönlichen Anforderungen seines Amtes und seiner Laufbahn entspricht. Die verwaltungsgerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle hat sich darauf zu beschränken, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat oder ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat. Soweit der Dienstherr Richtlinien für die Abgabe dienstlicher Beurteilungen erlassen hat, ist er aufgrund des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG) zu ihrer Beachtung verpflichtet. Vom Gericht ist auch zu prüfen, ob die Richtlinien eingehalten sind und ob sie mit den im Gesetz und den in der Laufbahnverordnung enthaltenen Vorgaben zur dienstlichen Beurteilung im Einklang stehen,
zu allem vgl. z. B. BVerwG, Urteile vom 2. März 2000 - BVerwG 2 C 7.99 -, Buchholz 237.8 § 18 RhPLBG Nr. 1, m. w. N., und vom 27. Februar 2003 - BVerwG 2 C 16.02 -, Buchholz 237.6 § 8 NdsLBG Nr. 10.
In Anwendung dieser Maßstäbe hat die Klage Erfolg.
Entgegen der Auffassung der Klägerin folgt dies allerdings nicht daraus, dass die streitige Beurteilung in Anwendung der Verwaltungsvorschrift des Ministeriums des Innern über die dienstliche Beurteilung der Beamten im Landesdienst vom 28. März 2008 erstellt wurde. Die Kammer hat zu den hierzu von der Klägerin aufgeworfenen Fragen, namentlich hinsichtlich eines darin besorgten Eingriffs in die sachliche Unabhängigkeit des Rechtspflegers, in den Urteilen vom 4. Juli 2012 - VG 2 K 1308/09 u.a. - ausgeführt:
„Aus der Anwendung dieser genannten Verwaltungsvorschrift des Ministeriums des Innern bei der Beurteilung folgt auch kein Eingriff in die der Klägerin als Rechtspflegerin zukommende sachliche Unabhängigkeit. Zwar muss der Beklagte die durch die (eingeschränkte) sachliche Unabhängigkeit der Rechtspfleger gezogene Grenze bei der Beurteilung ihrer dienstlichen Leistungen beachten. Wenngleich Rechtspfleger keine rechtsprechende Gewalt ausüben und sich deshalb nicht auf die richterliche Unabhängigkeit berufen können,
vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Januar 2000 - 1 BvR 321/96 -, juris,
garantiert § 9 des Rechtspflegergesetzes (RPflG) die sachliche Unabhängigkeit des Rechtspflegers dahingehend, dass der Rechtspfleger bei der Erledigung der gemäß § 3 RPflG übertragenen Geschäfte keinen Weisungen unterliegt und insoweit von der für Beamte geltenden Gehorsamspflicht (vgl. § 58 Satz 2 LBG a. F.) entbunden ist. Weder eine Weisung im Einzelfall noch eine allgemeine Dienstvorschrift dürfen dem Rechtspfleger vorschreiben, auf welche Weise er seine rechtsanwendende Tätigkeit auszuüben und welche Entscheidungen er zu treffen hat.
Der Status des Rechtspflegers ist jedoch von dem des Richters deutlich unterschieden. Der Rechtspfleger ist Beamter des gehobenen Dienstes; seine Aufgabe ist eine Funktion und keine Amtsbezeichnung. Aufgaben nach dem Rechtspflegergesetz werden ihm nicht vom Präsidium des Gerichts zugewiesen, das seinerseits richterliche Unabhängigkeit genießt, sondern vom Präsidenten des Amtsgerichts als Behördenchef. Dieser kann die Geschäfte nach Bedarf verteilen und - anders als das Präsidium im Hinblick auf die richterlichen Geschäfte (§ 21e Abs. 3 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes - GVG) - diese Verteilung jederzeit ändern,
vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 2003 - 2 BvR 281/00 -, BVerfGK 1, 55, Rn. 4; BVerwG, Urteil vom 9. Juli 1964 - 2 C 201.61 -, BVerwGE 19, 112 <116>).
Auch der dienstrechtliche Anspruch des Rechtspflegers auf amtsangemessene Beschäftigung umfasst nicht den Anspruch, mit Geschäften betraut zu werden, die nach dem Rechtspflegergesetz dem Rechtspfleger übertragen sind. Vielmehr steht er nach dem organisatorischen Ermessen des Leiters des Amtsgerichts auch für andere Dienstgeschäfte einschließlich der Geschäfte des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zur Verfügung (§ 27 Abs. 1 RPflG). Der Gerichtspräsident kann dem Rechtspfleger auch bei der Erledigung von Aufgaben nach dem RPflG Weisungen erteilen, bestimmten Geschäften - etwa Grundbuchsachen - Vorrang einzuräumen und andere Aufgaben zurückzustellen. Art. 92 und 97 GG, aus denen nach der Rechtsprechung sowohl des Bundesverwaltungsgerichts als auch des Bundesgerichtshofs unmittelbar von Verfassungs wegen die Freiheit der Richter von der Geltung arbeitszeitlicher Regelungen als Bestandteil der richterlichen Unabhängigkeit abzuleiten ist, sind auf Rechtspfleger nicht anwendbar; diese sind keine Richter, sondern Beamte und üben keine rechtsprechende Gewalt i. S. von Art. 92 GG aus. Dem entspricht, dass er nicht mit richterlicher Unabhängigkeit gemäß Art. 97 Abs. 1 und 2 GG ausgestattet ist.
BVerwG, Urteil vom 30. März 2006 - 2 C 41.04 -, juris, ohne Rn.
Hiervon ausgehend ist nichts dafür ersichtlich, warum die für Beurteilung der Beamten des Landes maßgebliche Verwaltungsvorschrift für „verbeamtete“ Rechtspfleger nicht anwendbar sein dürfe. In der Anwendung der BeurtVV an sich ist ein Eingriff in die sachliche Unabhängigkeit nicht zu erkennen. Ob durch die Beurteilung gleichwohl eine Verletzung der sachlichen Unabhängigkeit der rechtspflegerischen Tätigkeit der Klägerin erfolgt, ist vielmehr stets eine Frage des Einzelfalls bzw. der für die konkrete Bewertung eines Merkmals gegebenen Begründung. Nichts anderes folgt aus dem Umstand, dass die als Beamte im Dienst des beklagten Landes stehenden Staatsanwälte nicht nach der hier in Rede stehenden Verwaltungsvorschrift des Ministeriums des Innern über die dienstliche Beurteilung der Beamten im Landesdienst vom 28. März 2008 sondern nach der Gemeinsamen Allgemeinen Verfügung der Ministerin der Justiz und der Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie über die Dienstliche Beurteilung der Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte vom 20. Juni 2005, zuletzt geändert durch AV des Ministers der Justiz vom 29. August 2011, beurteilt werden. Bereits die Zuordnung von Rechtspflegern und Staatsanwälten zu verschiedenen Laufbahngruppen rechtfertigt angesichts des dem Beklagten insoweit zukommenden Ermessens die Heranziehung unterschiedlicher Beurteilungsrichtlinien.“
Hieran ist festzuhalten. Des Weiteren ist auch für den vorliegenden Fall nicht erkennbar, dass mit der hier streitigen Beurteilung ein Eingriff in den Bereich der der Klägerin zukommenden sachlichen Unabhängigkeit erfolgt ist. In der Beurteilung durften insbesondere die Merkmale „Arbeitsmenge", „zeitgerechte Erledigung", „Wirtschaftlichkeit des Handelns/Arbeitsökonomie“, „Selbständigkeit, Initiative“, „Flexibilität und Veränderungsbereitschaft“, „Selbstreflexion“, „Konfliktverhalten“ und „Dienstleistungsorientierung“ einer Bewertung unterzogen werden. Soweit Merkmale wie „Arbeitsmenge“ und „zeitgerechte Erledigung“ bewertet werden, ist der Dienstherr hieran durch die sachliche Unabhängigkeit nicht gehindert. Selbst im richterlichen Bereich sind die Erörterung von Erledigungszahlen und der Vergleich mit Erledigungen anderer Richter zulässig. Auch die richterliche Amtsführung unterliegt der Dienstaufsicht und damit auch der dienstlichen Beurteilung, als es um die Sicherung eines ordnungsgemäßen Geschäftsablaufs, die äußere Form der Erledigung oder um solche Fragen geht, die dem Kernbereich der Rechtsprechungstätigkeit so weit entrückt sind, dass sie nur noch als zur äußeren Ordnung gehörig anzusehen sind. Hinsichtlich der Bewertung der dienstlichen Beurteilung von Rechtspflegern gilt jedenfalls nichts Weitergehendes. Im Falle der Klägerin ergibt sich, dass sie hinsichtlich des Merkmals an einem „Pensum“ gemessen wird, dem eine von Rechtspflegern typischerweise zu erfüllende Arbeitsmenge zugrunde liegt. Die Bewertung der Einhaltung eines solchen Pensums bedeutet keinen Eingriff in die sachliche Unabhängigkeit.
Vgl. BGH, Dienstgericht des Bundes, Urteil vom 16. September 1987 - RiZ (R) 4/87 -, juris, Rn. 16.; Urteil Verwaltungsgericht Braunschweig, Urteil vom 27. April 2004 - 7 A 14/04 -, juris, Rn. 36.
Auch die weiteren genannten Kriterien sind in Anwendung dieser Grundsätze der dienstlichen Beurteilung nicht aus Gründen der sachlichen Unabhängigkeit gemäß § 9 RPflG entzogen. Insoweit stehen Merkmale in Rede, die die „handwerkliche“ Bearbeitung abbilden und keinen (mittelbaren) Einfluss auf das Arbeitsergebnis nehmen. Wenn die Klägerin vorträgt, sich durch die Beurteilung genötigt zu fühlen, zum Erhalt einer besseren Note zukünftig den Erwartungen ihrer Beurteilerin nachzukommen, ergibt das jedenfalls keinen Rückschluss auf eine durch eine konkrete Benotung erfolgte Verletzung des klägerischen Anspruchs auf sachliche Unabhängigkeit. Denn dass insoweit die allein geschützte Art und Weise der Erledigung der rechtsanwendenden Tätigkeit oder des Treffens der Entscheidungen bewertet wird, ist nicht ersichtlich. Der Beurteilung ist in keiner Weise zu entnehmen, dass durch die Dienstvorgesetzte in einer die sachliche Entscheidungsfreiheit der Klägerin beeinträchtigenden Weise versucht worden ist, die Klägerin etwa auf eine bestimmte Art der Bearbeitung festzulegen. Dass sie sich in der Art ihrer Entscheidungsfindung gemaßregelt oder beeinflusst fühlt, trägt auch die Klägerin selbst nicht vor.
Die angegriffene Beurteilung erweist sich jedoch deshalb als rechtswidrig, weil die hier streitige Beurteilung unter Verletzung wesentlicher und für das Beurteilungsergebnis relevanter Vorgaben der hier maßgeblichen Verwaltungsvor-schrift des Ministeriums des Innern über die dienstliche Beurteilung der Beamten im Landesdienst vom 28. März 2008 (BeurtVV, Amtsbl. S. 1073) erstellt worden ist.
Zwar sind die Beurteilungsrichtlinien unter Berücksichtigung der von ihrem Urheber gebilligten oder geduldeten tatsächlichen Verwaltungspraxis auszulegen,
vgl. BVerwG, Urteil vom 30. April 1981 - BVerwG 2 C 8.79 -, Buchholz 232.1 § 40 BLV Nr. 1.
Der Beamte kann aber eine nicht durch die Besonderheiten des Einzelfalls zu rechtfertigende Abweichung von den Beurteilungsrichtlinien mit Aussicht auf Erfolg rügen, wenn sie sich auf Form oder Inhalt der Beurteilung ausgewirkt hat oder zumindest ausgewirkt haben kann,
vgl. Schnellenbach, Die dienstliche Beurteilung der Beamten und der Richter, Stand: Mai 2011, Abschnitt B Rn. 151, m. w. N.
Hiernach muss die Klage Erfolg haben, weil jedenfalls ein nach der BeurtVV 2008 notwendiger Beurteilungsbeitrag fehlerhaft erstellt worden ist.
Gemäß Ziffer 3.6 Abs. 1 BeurtVV ist ein Beurteilungsbeitrag (Vordruck Anl. 1) u. a. zu erstellen für den Zeitraum einer Abordnung. Die Erstellung entfällt nach Abs. 4 nur, wenn der Zeitraum, auf den er sich erstrecken würde, weniger als sechs Monate beträgt. Der Beurteilungsbeitrag ist dem Beamten zur Kenntnis zu geben, bei der Sachakte aufzubewahren und bei der nächsten Regelbeurteilung zu berücksichtigen.
Dabei mag noch als heilbar angenommen werden, dass auf Seite 1 des am 8. März 2010 gezeichneten Beurteilungsformulars die Abordnung der Klägerin an das Amtsgericht ... im Zeitraum vom 1. November 2007 bis zum 29. Juli 2008 − anders als die Teilzeitbeschäftigung − in keiner Weise vermerkt ist. Lediglich der Stellungnahme der Direktorin des Amtsgerichts ... vom 12. Mai 2004 lässt sich entnehmen, dass u. a. ein Beurteilungsbeitrag vom 7. November 2008 für die Zeit der Abordnung vorgelegen habe.
Zwar ist tatsächlich ein Beurteilungsbeitrag vom 7. November 2008 von der Direktorin des Amtsgerichts ... für die neunmonatige Abordnung der Klägerin an dieses Gericht erstellt worden. Der Beurteilungsbeitrag ist indes fehlerhaft unter Anwendung der bereits mit Ablauf des 30. Juni 2008 außer Kraft getretenen Vorgaben der Verwaltungsvorschrift des Ministeriums des Innern über die dienstliche Beurteilung der Beamten im Landesdienst (BeurtVV) vom 4. August 2000 (Amtsbl. S. 627), zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschrift vom 17. März 2006 (Amtsbl. S. 295), erstellt worden. Ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen BeurtVV 2008 am 1. Juli 2008, deren Anwendung sich bestimmungsgemäß − wie dies mit Blick auf die hier fragliche Regelbeurteilung deutlich wird – auf die Beurteilung von Zeiträumen vor ihrem Inkrafttreten erstreckt, bestand nicht allein für Beurteilungen, sondern ebenso für die Erstellung von Beurteilungsbeiträgen keine Handhabe mehr, die außer Kraft getretene Verwaltungsvorschrift heranzuziehen. Für den hier unter dem 7. November 2008 erstellten Beurteilungsbeitrag liegt dies umso mehr auf der Hand, weil die den Anlass des Beurteilungsbeitrags gebende Abordnung der Klägerin erst am 29. Juli 2008 und damit nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen BeurtVV 2008 am 1. Juli 2008 endete.
Die hierin liegende Abweichung von den Vorgaben der BeurtVV 2008 für die Erstellung des Beurteilungsbeitrags können sich auf den Inhalt der Regelbeurteilung zumindest ausgewirkt haben. Der Beklagte hat selbst − wenngleich in anderem Zusammenhang − zutreffend darauf hingewiesen, dass das Beurteilungssystem der BeurtVV 2008 gegenüber dem bis dahin geltenden System eine strukturelle und inhaltliche Wandlung erfahren hat. So führt nicht nur die Anwendung der auf 10 Punkte erweiterten Skala bei Beibehaltung der (Gesamt-)Note 4 als Maßstab zu einer weiteren Differenzierung in den höheren Notenbereichen. Auch wesentliche Merkmale der Leistungs- und der bisherigen Befähigungsbeurteilung sind im Zuge der Novelle der Verwaltungsvorschrift nicht nur neu zugeordnet, sondern auch inhaltlich neu gefasst worden. Zudem waren nach den Angaben des Beklagten in der Beurteilungskonferenz im Ministerium der Justiz vom 30. Juli 2008 ein neuer Beurteilungsmaßstab und ein Orientierungsrahmen festgesetzt worden, die sich auf die neuen Merkmale bezogen. Von daher ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass die notwendige Übersetzung der nach der alten BeurtVV vorgenommenen Leistungsbeurteilung sowie namentlich auch der nach einem gänzlich anderen System, nämlich bislang in vier Ausprägungsstufen und nach teilweise anderen Merkmalen, vorgenommenen Befähigungsbeurteilung in die Punktwerte der neuen Beurteilung zumindest zum Teil zu anderen Bewertungen geführt haben kann. Auch der von der Anlassbeurteilung erfasste Zeitraum der Abordnung der Klägerin an das Amtsgericht ... vom 1. November 2007 bis 29. Juli 2008 ist gemessen an dem von der Regelbeurteilung abgebildeten Zeitraum vom 21. April 2005 bis 1. September 2008 nicht von vornherein zu vernachlässigen. Dass der in Rede stehenden Abweichung von den Vorgaben der BeurtVV Relevanz für das Beurteilungsergebnis zukommen kann, ist auch nicht etwa deshalb auszuschließen, weil nach Ziffer 3.6 Abs. 3 BeurtVV 2008 ein Beurteilungsbeitrag sogar verzichtbar sein kann, wenn eine Abstimmung zwischen vorhergehendem und neuem Beurteiler erfolgt. Hier ist jedenfalls ein Beurteilungsbeitrag erstellt worden; dass darüber hinaus eine Abstimmung zwischen den Direktorinnen der Amtsgerichte ... und ... stattgefunden hat, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
Dass in gleicher Weise der Beurteilungsbeitrag vom 18. November 2008 aus Anlass der Bewilligung der Elternzeit für den Beurteilungszeitraum vom 16. Juli 2006 bis zum 31. November 2007 auf der Grundlage der alten Beurteilungs-Verwaltungsvorschrift erstellt worden war, dürfte hingegen unschädlich sein. Da die Direktorin des Amtsgerichts ... sowohl den fraglichen Beitrag als auch die hier streitige dienstliche Regelbeurteilung verfasst hat, dürfte sich dieser Fehler in Ansehung von Ziffer 3.6 Abs. 3 BeurtVV 2008 nicht ausgewirkt haben können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.Die Zuziehung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin für das Vorverfahren wird gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung für notwendig erklärt; angesichts der inmitten stehenden vielschichtigen Fragen dienstlicher Beurteilungen war es der Klägerin aus der Sicht einer verständigen, nicht rechtskundigen Partei nicht zuzumuten, den Rechtsstreit ohne anwaltliche Hilfe zu führen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 709 der Zivilprozessordnung (ZPO).
Gründe, gemäß §§ 124 Abs. 2, 124a Abs. 1 VwGO die Berufung zuzulassen, liegen nicht vor.
B E S C H L U S S
Der Streitwert des Verfahrens wird gemäß § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes auf 5.000,- Euro festgesetzt.