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Türkei; Abschiebungsschutz; Deutschehe; Risikoschwangerschaft; PTBS; Teilstattgabe


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 7. Senat Entscheidungsdatum 18.11.2013
Aktenzeichen OVG 7 S 92.13 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 28 Abs 1 S 1 Nr 1 AufenthG, Art 2 Abs 2 S 1 GG, Art 6 GG, § 6 Abs 1 MuSchG, § 123 VwGO, § 146 Abs 4 VwGO

Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 23. September 2013 wird unter Aufhebung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung geändert, soweit hierin die Erteilung einer Duldung im Wege einstweiliger Anordnung vollumfänglich abgelehnt wird.

Der Antragsgegner wird im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller bis zum Ablauf von acht Wochen nach dem Ende der Schwangerschaft seiner Ehefrau eine Duldung zu erteilen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens trägt der Antragsteller drei Viertel und der Antragsgegner ein Viertel. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen der Antragsteller und der Antragsgegner je zur Hälfte.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Auf der Grundlage der den Umfang der Überprüfung durch das Oberverwaltungsgericht bestimmenden Darlegungen in der Beschwerdebegründung und der hierbei erfolgten Glaubhaftmachung ist dem Antragsteller gemäß § 123 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 60a Abs. 2 AufenthG Abschiebungsschutz bis zum Ablauf von acht Wochen nach dem Ende der Schwangerschaft seiner Ehefrau zu gewähren.

Angesichts der nunmehr durch fachärztliche Bescheinigung vom 30. September 2013 substantiiert belegten Risikoschwangerschaft seiner deutschen Ehefrau, die durch die nicht überzeugenden Ausführungen des Antragsgegners im Rahmen seiner Beschwerdeerwiderung nicht ernstlich in Frage gestellt wird, ferner des in knapp vier Monaten zeitnah bevorstehenden Geburtstermins und des Inhalts der eidesstattlichen Versicherung der Ehefrau vom 23. Oktober 2013, wonach die Eheleute schon vor der Eheschließung und seither ständig zusammenleben und der Antragsteller ihr innerhalb und außerhalb ihrer Wohnung vielfältige, teils unerlässliche Hilfe leiste, ist ein rechtliches Abschiebungshindernis im Beschwerdeverfahren hinreichend glaubhaft gemacht. Dieses ergibt sich aus den aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen zum Schutz von Familie und Gesundheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 1 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 3. September 2012 - OVG 11 S 40.12 -, juris Rz. 23, vom 23. Februar 2012 - OVG 2 S 94.11/2 M 70.11 -, juris Rz. 3 ff. und vom 21. Juli 2011 - OVG 12 S 41.11 -, juris Rz. 3 ff.). Dass eine Ausreise des Antragstellers zur Nachholung des Visumsverfahrens in dieser Situation derzeit nicht zumutbar ist, ergibt sich vorliegend auch daraus, dass seine hierdurch begründete Abwesenheit voraussichtlich nicht nur ganz kurzzeitig andauern würde, zumal er, wie mit der Beschwerde geltend gemacht, bei einer Rückkehr in der Türkei mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit zum dortigen Wehrdienst herangezogen werden würde. Soweit das Verwaltungsgericht ausführt, es sei nicht glaubhaft gemacht, dass er diesen dort noch nicht geleistet habe und er mit seiner Einberufung rechnen müsse, rechtfertigt das vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller im maßgeblichen wehrdienstfähigen Alter ist und schon im Rahmen seines Asylbegehrens am 28. September 2010 vorgetragen hatte, er habe sich nach der Schulzeit zunächst drei Jahre vom Militärdienst zurückstellen lassen und sei auch anschließend nicht bereit gewesen, diesen in der Türkei abzuleisten, keine andere Beurteilung.

Der Abschiebungsschutz ist in Anlehnung an § 6 Abs. 1 MuSchG auf den Zeitraum von acht Wochen nach dem Ende der Schwangerschaft der Ehefrau des Antragstellers zu begrenzen. Soweit dieser darüber hinausgehend die Untersagung der Abschiebung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 22. Oktober 2012 begehrt, ist ein Anordnungsgrund nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht.

Seine zukünftige familiäre Situation bzw. die Notwendigkeit zeitlich ununterbrochener Anwesenheit zum Schutz seiner Familie lässt sich für die anschließende Zeit gegenwärtig noch nicht hinreichend sicher beurteilen. Dass die Nachholung eines Visumsverfahrens auch vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Schutzes von Ehe und Familie aus Art. 6 GG grundsätzlich zumutbar und rechtlich nicht zu beanstanden ist, hat das Verwaltungsgericht unter Verweis auf die ständige obergerichtliche Rechtsprechung zutreffend festgestellt.

Hinsichtlich der vom Antragsteller behaupteten eigenen gesundheitlichen Gefahren im Falle seiner Abschiebung in die Türkei wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) hat das Verwaltungsgericht umfassend dargelegt, dass und warum ein Abschiebungshindernis nicht hinreichend glaubhaft gemacht sei. Hiermit setzt sich die Beschwerde nicht, wie gemäß § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO geboten, hinreichend auseinander, wenn hiermit lediglich erneut auf die vom Verwaltungsgericht bereits berücksichtigten Atteste verwiesen und fehlende gerichtliche Sachkunde geltend gemacht wird. Auf eine solche Sachkunde kommt es nämlich hier nicht an. Denn der angegriffene Beschluss begründet seine Auffassung detailliert mit der teilweise fehlenden Aussagekraft der vorgelegten Schreiben und Atteste, ferner der nicht ersichtlichen kritischen Hinterfragung der Behauptungen des Antragstellers sowie den Widersprüchen und Steigerungen in seinem Vorbringen, die die Grundlage der attestierten PTBS entfallen ließen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO und berücksichtigt, dass der Antragsteller die Duldung weitergehend bis zur rechtskräftigen Entscheidung über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis begehrt und erstinstanzlich zusätzlich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs beantragt hat.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).