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Niederlassungserlaubnis; Rechte aus Art. 7 ARB 1/80; Erlöschen; Ausreise aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde; Flucht vor Strafverfolgung; "Ausbildung" bei PKK; Ablehnung der Verlängerung der Gültigkeit eines Visums; Abschiebungsandrohung; Vorlage beim EuGH (keine)


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 11. Senat Entscheidungsdatum 01.03.2012
Aktenzeichen OVG 11 S 1.12 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 4 Abs 1 S 1 AufenthG, § 51 Abs 1 Nr 6 AufenthG, § 51 Abs 1 Nr 7 AufenthG, § 58 Abs 2 S 2 AufenthG, § 84 Abs 1 Nr 1 AufenthG, Art 7 EWGAssRBes 1/80

Tenor

Soweit der Antragsteller den Antrag zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 31. Januar 2011 ist insoweit mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung wirkungslos. Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 31. Januar 2011 zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens, soweit es eingestellt wurde, sowie die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsteller.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der am Juli 1985 in der Türkei geborene türkische Antragsteller reiste am 5. Februar 1999 zusammen mit zwei Geschwistern und seiner türkischen Mutter im Wege des Familiennachzuges zu seinem Vater, der mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, nach Deutschland ein. Der Antragsgegner erteilte ihm in der Folge jeweils befristete Aufenthaltserlaubnisse und am 25. Juli 2005 eine Niederlassungserlaubnis.

Am 12. Juli 2007 erließ das Amtsgericht Dortmund im Zusammenhang mit Brandanschlägen der PKK in Deutschland Haftbefehl gegen ihn. Nach einem gescheiterten Festnahmeversuch reiste der Antragsteller aus Deutschland aus, um sich der Strafverfolgung zu entziehen. Nach seinen Angaben habe er sich nur bis September 2007 in Deutschland, in den letzten Monaten des Jahres 2007 in anderen europäischen Ländern und nur noch „sporadisch“ in Deutschland aufgehalten. Im Januar 2008 sei er in den Irak gereist, um an einer militärisch-politischen „Grundausbildung“ in einem Lager der PKK teilzunehmen. Nach Abschluss der „Ausbildung“ sei er einer Militäreinheit der PKK zugeteilt worden. Nach einem gescheiterten Fluchtversuch habe er in einem PKK-internen „Gerichtsverfahren“ seine Bereitschaft erneuert, der PKK zu dienen. Im Juli 2008 sei er geflohen und in die Hände der Peschmerga gelangt, die ihn bis Februar 2009 im Nordirak gefangen gehalten hätten. Er sei nach Syrien gereist, von wo aus er mit einem gefälschten Pass erfolglos versucht habe, nach Deutschland zu reisen. Sodann habe er sich der türkischen Botschaft als ehemaliger Anhänger der PKK gestellt. Syrien habe ihn nach 5 Tagen Gefangenschaft an die Türkei ausgeliefert. Während des Strafverfahrens wegen Mitgliedschaft in der PKK, das später in einem Freispruch endete, befand er sich vom 17. Februar 2009 bis 15. Oktober 2009 im Gefängnis von Adana. Am 25. November 2009 beantragte der Antragsteller die Ausstellung eines Passes und unter Angabe eines falschen Ausreisedatums bei dem deutschen Generalkonsulat in Istanbul die Erteilung eines Visums nach § 6 Abs. 4 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG), das ihm mit einer Gültigkeit vom 4. Februar 2010 bis 4. Mai 2010 erteilt wurde. Am 9. Februar 2010 reiste er wieder nach Deutschland ein. Am 30. April 2010 beantragte der Antragsteller beim Antragsgegner festzustellen, dass die Niederlassungserlaubnis nicht erloschen sei, diese in den Pass zu übertragen sowie vorsorglich, das Visum unbefristet zu verlängern.

Mit Bescheid vom 26. August 2010 sprach der Antragsgegner unter 1. die Verpflichtung des Antragstellers aus, das Bundesgebiet zu verlassen, lehnte 2. dessen Antrag auf Verlängerung der Gültigkeit des Visums ab und drohte ihm 3. die Abschiebung an. Die am 26. September 2010 erhobene Klage VG 16 K 257.10 ist beim Verwaltungsgericht anhängig.

Die Anträge des Antragstellers festzustellen, dass seine Klage gegen Ziffer 1. des Bescheides aufschiebende Wirkung hat, hilfsweise, die aufschiebende Wirkung gegen Ziffer 1. des Bescheides anzuordnen sowie die aufschiebende Wirkung gegen Ziffer 2. und 3. des Bescheides anzuordnen, hilfsweise den Antragsgegner zu verpflichten, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verwaltungsrechtsstreites von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen, hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 31. Januar 2011, der ihm am 7. Februar 2011 zugestellt wurde, abgelehnt. Dagegen wendet sich die am 16. Februar 2011 erhobene und am 7. März 2011 begründete Beschwerde. Den letztgenannten Hilfsantrag hat der Antragsteller insoweit zurückgenommen, als dieser die Erteilung einer Duldung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens betrifft.

  II.

Soweit der Antragsteller den Antrag zurückgenommen hat, war das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen und der erstinstanzliche Beschluss für wirkungslos zu erklären (analog § 173 VwGO in Verbindung mit § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO).

Im Übrigen hat die fristgerecht erhobene und begründete Beschwerde des Antragstellers gegen den verwaltungsgerichtlichen Beschluss vom 31. Januar 2011 keinen Erfolg. Die mit der Beschwerde vorgetragenen Gründe, die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO hier allein zu prüfen sind, rechtfertigen keine Änderung der angefochtenen Entscheidung.

Das Vorbringen des Antragstellers, das Verwaltungsgericht habe den Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage zu Unrecht abgelehnt, da es verkannt habe, dass der Ausspruch des Antragsgegners unter Ziffer 1. des Bescheides ein Verwaltungsakt sei, der eine verbindliche Regelung hinsichtlich des Bestehens seines Aufenthaltstitels treffe, was bis dahin streitig gewesen sei, übersieht, dass der Antragsteller unabhängig von der Frage einer Regelungswirkung der Ziffer 1. (und ihrer Vollziehbarkeit) bereits kraft Gesetzes vollziehbar ausreisepflichtig ist, weil seine Niederlassungserlaubnis kraft Gesetzes erloschen ist und er auch kein Aufenthaltsrecht aus dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Tükei (nachfolgend: ARB 1/80) besitzt.

Soweit der Antragsteller meint, das Verwaltungsgericht habe fehlerhaft das Erlöschen der Niederlassungserlaubnis nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG angenommen, greift dies nicht. Das Verwaltungsgericht hat seine Einschätzung in Bezug auf § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG darauf gestützt, dass der Antragsteller aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde aus dem Bundesgebiet ausgereist sei und zur Begründung ausgeführt, dass die Zwecke der Ausreise, nämlich die Ausbildung bei der PKK und die Flucht vor der Strafverfolgung, nicht auf einen überschaubaren Zeitraum bezogen, sondern auf unbestimmte Zeit angelegt gewesen seien. Dem tritt die Beschwerde nicht erfolgreich entgegen, wenn sie ausführt, der Antragsteller habe die Vorstellung gehabt, nach dem Ende der „militärisch-politischen Grundausbildung“ wieder nach Deutschland zurückzukehren. Insoweit stellt sich zunächst schon die Frage, welchem Zweck diese „Ausbildung“ überhaupt dienen sollte. In Betracht kommen dürfte dabei nur, sich entweder vor Ort der PKK anzuschließen oder - was der Antragsteller aber gerade nicht für sich in Anspruch nimmt - in Deutschland erneut Anschläge für die PKK begehen zu wollen. Seine Ausführungen, die „Ausbildung“ dauere in der Regel nur wenige Wochen, aber es sei ja gerichtsbekannt, dass es nicht so einfach möglich sei, die PKK wieder zu verlassen, ist schon im Hinblick auf die objektiv zu erwartende Aufenthaltsdauer bei der PKK in sich widersprüchlich und macht die - zudem auch nicht glaubhaft gemachte - Behauptung nicht plausibler, dem Antragsteller sei erst nach seiner Ankunft, als ihm seine Papiere und sein Geld abgenommen worden seien, klargeworden, dass die weiteren Entscheidungen vom Gutdünken der Organisation abhängig gewesen seien. Ob ihm seine Papiere tatsächlich nach seiner Ankunft von der PKK abgenommen wurden, ist angesichts seiner Ausführungen im Schriftsatz vom 14. Juli 2010, sein Pass sei ihm „im Laufe seiner Odyssee“ abhandengekommen, ohnehin zweifelhaft.

Im Übrigen gelingt es der Beschwerde nicht, die weitere Begründung des Verwaltungsgerichts erfolgreich in Frage zu stellen, dass der Antragsteller auch ausgereist sei, um sich der Strafverfolgung zu entziehen. Insoweit reicht es nicht aus anzuführen, der Antragsteller habe zum Zeitpunkt seiner Ausreise nicht davon ausgehen können bzw. müssen, zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt zu werden. Denn der Haftbefehl und die erwartete Bestrafung haben ausgereicht, ihn zur Flucht außer Landes zu veranlassen. Die Beschwerde irrt auch, soweit sie den rechtlichen Ansatz des Verwaltungsgerichts kritisiert, wonach es nicht mehr darauf ankomme, dass sich die ursprüngliche Absicht des Antragstellers nachträglich geändert habe. Denn die Vorschrift des § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG greift schon, wenn der seiner Natur nach nicht vorübergehende Grund im Zeitpunkt der Ausreise vorlag (BVerwG, Urteil vom 30. April 2009 - 1 C 6/08 -, juris Rz. 21).

Trägt die Argumentation der Beschwerde im Hinblick auf § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG nicht, kommt es auf die Ausführungen zu § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG nicht mehr an, da das Verwaltungsgericht das Erlöschen der Niederlassungserlaubnis alternativ auf beide Tatbestände gestützt hat.

Auch soweit die Beschwerde die Ausführungen des Verwaltungsgerichts betreffend das Erlöschen der Rechte aus Art. 7 ARB 1/80 kritisiert, trägt sie nicht. Dabei kann offen bleiben, ob das - in erster Linie den erstinstanzlichen Vortrag wiederholende, sich nicht mit der verwaltungsgerichtlichen Würdigung auseinandersetzende und im Übrigen im Wesentlichen aus Rechtsprechungs- und Kommentarzitaten ohne konkreten Fallbezug bestehende - Vorbringen den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO genügt. Denn der Antragsteller hat die Bundesrepublik Deutschland seinerzeit für einen im Sinne der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 7 ARB 1/80 nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 -, juris Rz. 24).

Von der Ausreise des Antragstellers im September 2007 bis zur Beantragung des Visums im November 2009 (und erst recht bis zu seiner Wiedereinreise im Februar 2010) sind mehr als zwei aufeinanderfolgende Jahre und damit ein unter Berücksichtigung des Besserstellungsverbots aus Art. 59 ZP gegenüber Unionsbürgern relevanter Zeitraum (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 30. April 2009, a.a.O., Rz. 27) vergangen, der geeignet ist, die Integration eines türkischen Familienangehörigen im Bundesgebiet grundlegend in Frage zu stellen. Soweit die Beschwerde rügt, die Ausreise aus Deutschland sei nicht schon im September 2007, sondern erst im Januar 2008 erfolgt, verkennt sie, dass ein - im Übrigen weder substantiiert geltend, noch glaubhaft gemachter - „sporadischer“ Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet während dieses Zeitraums nichts daran ändern würde, dass er Deutschland im September 2007 nicht nur vorübergehend verlassen hat. Maßgeblich ist dabei, dass der Antragsteller nur kurzfristig in das Bundesgebiet zurückgekehrt und danach zur Verfolgung desselben Zwecks wie zuvor wieder ausgereist ist (vgl. zu § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG bei Ferienaufenthalten einer ins Ausland verzogenen Schülerin in Deutschland: Urteil des Senats vom 28. September 2010 - OVG 11 B 14.10 -, juris Rz. 22 m.w.N.).

Bei der maßgeblichen Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls kommt es für die Frage, ob das Hoheitsgebiet eines Staates nur für einen unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen worden ist, zudem keineswegs nur auf den inneren Willen des Ausländers an. Von Bedeutung ist vielmehr auch, ob der Zweck des Auslandsaufenthalts Ausdruck mangelnder Integration ist und ob sich ein bewusst eingegangenes Risiko, ggf. für längere Zeit - etwa wegen Inhaftierung - nicht mehr zurückkehren zu können, realisiert hat (vgl. auch dazu BVerwG, Urteil vom 30. April 2009, a.a.O., Rz. 29 f.). Das ist vorliegend der Fall.

Der Antragsteller hat sich im Ausland von der PKK „ausbilden“ lassen, was Ausdruck mangelnder Integration im Bundesgebiet ist und dem Anliegen der Vorschriften des ARB 1/80 in hohem Maße widerspricht. Hat sich - wie hier - das damit eingegangene Risiko einer Indienstnahme durch die PKK vor Ort nach deren „Ausbildung“ und sich daraus weiter ergebende Risiken einer Gefangennahme bzw. einer Inhaftierung realisiert, kann der Antragsteller nicht geltend machen, er habe den Wohnsitz im Aufnahmemitgliedstaat nicht in Frage stellen wollen und der Auslandsaufenthalt sei nicht von seinem Willen abhängig gewesen. Denn die Erwartung, nach einer „militärisch-politischen Grundausbildung“ der PKK von dieser nicht in Dienst genommen zu werden und auch nicht das Risiko einer Inhaftierung einzugehen, erweist sich nicht schutzwürdig. Sie stellt den auf eigenem Willen beruhenden Tatentschluss nicht in Frage.

Steht dem Antragsteller somit kein Aufenthaltsrecht aus seiner früheren Niederlassungserlaubnis und auch nicht aus Art. 7 ARB 1/80 zu, kann auch der hilfsweise gestellte Antrag zu 2. keinen Erfolg haben.

Soweit es die (Hilfs-)Anträge mit der Nr. 3 und 4 betrifft, fehlt es der Beschwerde an einer fristgerechten Begründung gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO, die über die bereits erörterten Aspekte hinausgeht.

Auch der Antrag des Antragstellers, das Verfahren dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen, hat keinen Erfolg. Er ist weder begründet worden, noch ist ersichtlich, zu welchem Zweck eine Vorlage erforderlich sein sollte. Es besteht darüber hinaus - wie das Verwaltungsgericht ausgeführt hat - in Eilverfahren grundsätzlich keine Vorlagepflicht, wenn in absehbarer Zeit ein Hauptsacheverfahren zu erwarten ist, in dessen Rahmen eine etwaige Frage dann im Wege einer Vorlage geklärt werden kann (vgl. Beschluss des Senats vom 30. Juni 2010 - OVG 11 S 28.10 -, juris Rz. 6 m.w.N.). Letzteres ist der Fall.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 155 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).