Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 9. Senat | Entscheidungsdatum | 17.12.2014 | |
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Aktenzeichen | L 9 KR 303/12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 109 Abs 4 SGB 5 |
Die zutreffende OPS-Kodierung einer stationären Krankenhausbehandlung durch den abrechnenden Krankenhausträger ist gerichtlich voll überprüfbar; wie bei Leistungsbestimmungen des EBM hat die Auslegung von OPS-Kodierungen eng an deren Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang zu erfolgen.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 15. Mai 2012 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.832,96 Euro nebst 2 Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 9. Januar 2008 zu zahlen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten je zur Hälfte.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung; die Klägerin begehrt die Zahlung weiterer 1.832,96 Euro.
Das für die Behandlung Versicherter zugelassene Krankenhaus der klagenden Krankenhausträgerin in T behandelte die 1970 geborene, bei der Beklagten krankenversicherte L (im Folgenden: die Versicherte) vollstationär vom 31. August 2007 bis zum 8. September 2007 in seiner Klinik für internistische Rheumatologie. Im Entlassungsbericht vom 18. Februar 2008 sind folgende Diagnosen genannt:
1. Sjögren-Syndrom (gesichert anhand der Vitali-Kriterien) M 35.0
> ANA 1 : 1000, ENA: SSA- und SSB-Antikörper positiv
> Rheumafaktor hochtitrig positiv .
> subjektive und objektivierbare orale und okuläre Sicca-Symptomatik
> unzweifelhafter histologischer Befund der Lippenspeicheldrüsen-PE
2. Ausschluss auf das Vorliegen eines systemischen Lupus erythematodes
3. Chronische kompensierte Niereninsuffizienz im Stadium II
> unauffällige Nierenfunktionsszintigraphie im Januar 2007
4. Osteopenie M 81.80
> aktuelle Knochendichte in der DXA-Messung:, T-Score über
L2 bis L4 - 1,7 und T-Score - 1,5 über der linken Gesamthüfte.
Die stationäre Aufnahme der Versicherten erfolgte laut Entlassungsbericht zur differenzialdiagnostischen Bewertung von seit einigen Jahren bestehender okulärer und oraler Sicca-Symtomatik (Sicca-Syndrom [auch Sjögren-Syndrom]: chronische Entzündung der Speicheldrüsen bzw. serösenDrüsen des Kopf- und Halsbereiches).
Im Rahmen eines Eingriffs am 4. September 2007 wurde im Bereich der Lippe der Versicherten Gewebe entnommen, um eine histologische Untersuchung vornehmen zu können. In dem „OP-Bericht“ heißt es zu dem Eingriff:
OP-Bericht
Diagnose: Systemischer Lupus erythematodes
Therapie: Biopsie an der Lippe durch Inzision.
Umklappen der Lippe und Umspritzen eines zirka 3 x 3 cm großen Areals mit Xylocain 1 %-ig. Nach Eintreten der Anästhesie Umschneidung der Lippendrüse wetzsteinförmig zirka 2 x 2 cm mit dem Skalpell. Inzision der umschnittenen Drüse. Subtile Blutstillung und Verschluss durch resorbierbares Nahtmaterial (Vicryl rapid 4.0).
Zur „OP-Zeit“ ist angegeben:
Einschleusen
Anästh.-Beginn
Schnitt:
Ausschleusen:
Anästh.-Ende
Naht:10:25
10:35
10:40
00:00
10:55
10:50
Außerdem kam es während des stationären Aufenthalts u.a. zu Laboruntersuchungen einschließlich histologischer Befunderhebung, einem EKG, einer Röntgenuntersuchung des Thorax, einer Osteodensitometrie, einer Farbdopp-lerechokardiographie und einer Abdomensonographie.
Mit Rechnung vom 12. September 2007 stellte die Klägerin der Beklagten hierfür die Fallpauschale (DRG) 902Z (nicht ausgedehnte OR-Prozedur ohne Bezug zur Hauptdiagnose; kodiert mit Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) 1-540 [Kapitel 1, Diagnostische Maßnahmen, Biopsie an der Lippe durch Inzision], insgesamt 4.603,17 Euro) in Rechnung.
Am 9. Oktober 2007 übersandte die Beklagte die Unterlagen dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e. V. (MDK) zur Vornahme einer Einzelfallbeurteilung.
Mit Schreiben vom 11. Oktober 2007 zeigte der MDK der Klägerin die Prüfung an. Ebenfalls am 11. Oktober 2007 führte die MDK-Gutachterin Dr. K im Rahmen der Einzelfallbegutachtung aus, die Abrechnungs-DRG 902Z sei medizinisch nicht sachgerecht. Zwar sei die vom Krankenhaus kodierte Hauptdiagnose M35.0 medizinisch plausibel, doch ein medizinischer Sachverhalt, der eine Kodierung der Prozedur 1-540 rechtfertige, sei aus den vorliegenden Daten nicht ableitbar. Abrechenbar sei daher nicht die DRG 902Z sondern die DRG I66D (andere Erkrankungen des Bindegewerbes, mehr als ein Belegungstag ohne hochkomplexe Diagnose […]).Seiner Kodierung legte der MDK die OPS 1-420.0 (Kapitel 1, Diagnostische Maßnahmen, Biopsie ohne Inzision an Mund und Mundhöhle: Lippe) zugrunde.
Mit Schreiben vom 3. Januar 2008 teilte die Beklagte der Klägerin daraufhin mit, dass die Kodierung nicht richtlinienkonform erfolgt sei und für den Behandlungsfall nur die DRG I66D abrechenbar sei. Der Differenzbetrag zu dem unter Vorbehalt gezahlten Rechnungsbetrag werde maschinell verrechnet. Danach sah die Beklagte für die Krankenhaus-Behandlung der Versicherten bei der Klägerin lediglich einen Betrag in Höhe von 2.724,84 Euro als zahlbar an; die Differenz zum von der Klägerin berechneten Rechnungsbetrag behielt sie in der Folgezeit im Wege der Verrechnung (Verrechnungsdatum: 9. Januar 2008) ein, so dass sich zu Lasten der Klägerin ein nicht beglichener Differenzbetrag von 1.832,96 Euro ergab.
Mit ihrer am 30. April 2008 erhobenen Klage hat die Klägerin zunächst die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 1.832,96 Euro begehrt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen vorgebracht: Schon das vom MDK durchgeführte Prüfverfahren sei fehlerhaft gewesen, denn er habe seine Begutachtung im Wesentlichen auf die so genannten § 301-Daten gestützt und sei nicht mit einer Anforderung der Patientenunterlagen an das Krankenhaus herangetreten. Davon abgesehen sei die Heranziehung der DRG 902Z in der Rechnung vom 12. September 2007 nicht zu beanstanden; diese sei immer dann zu verwenden, wenn die durchgeführte Prozedur keinen Bezug zur Hauptdiagnose des Patienten aufweise.
Die ursprünglich von der Klägerin kodierte Prozedur OPS 1-540 (Kapitel 1 der OPS-Version 2007, Diagnostische Maßnahmen, Biopsie an der Lippe durch Inzision) fiel mit Wirkung vom 1. Januar 2010 fort und war in der OPS-Version 2010 nicht mehr enthalten. Hintergrund dieser Änderung war der anhaltende Streit um die zutreffende Kodierung einer Lippenbiopsie.
Am 7. April 2010 hat die Klägerin für die streitige Behandlung der Versicherten eine neue Rechnung über insgesamt 5.939,42 Euro erstellt. Diese Rechnung berücksichtigt DRG 901D („Fehler-DRG“, „ausgedehnte OR-Prozedur ohne Bezug zur Hauptdiagnose“), basierend auf OPS 5-273.5 (auch schon in der OPS-Version 2007 enthalten; dort Kapitel 5, Operationen; Operationen an Mundhöhle und Gesicht, Inzision, Exzision und Destruktion in der Mundhöhle; Exzision, lokal, Lippe).
Diese Rechnung hat die Klägerin zum Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gemacht, die Klage am 9. April 2010 erweitert und bei dem Sozialgericht nunmehr die Zahlung weiterer 3.169,21 Euro als Differenz zur von der Beklagten bereits geleisteten Zahlung begehrt.
Zur Frage der Kodierung der durchgeführten Prozedur und der daraus resultierenden DRG hat das Sozialgericht Potsdam Beweis erhoben durch ein Sachverständigengutachten der Fachärztin für Innere Medizin Dr. H, das diese am 23. Februar 2010 vorgelegt hat. Die Gutachterin hat im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe eine falsche DRG abgerechnet. Die korrekte Prozedur laute OPS I-420.0, welche die allein durch die Hauptdiagnose schon zu erreichende DRG I66D nicht mehr verändere. Durchgeführt worden sei eine Biopsie mittels Einschneidung, aber ohne Inzision im technischen Sinne, zur Materialgewinnung. Eine Inzision im Sinne der OPS I-540 liege nicht vor, weil hier die Bereitung eines weiteren operativen Zugangsweges vor der eigentlichen Probenentnahme nicht notwendig gewesen sei; hier habe die Einschneidung unmittelbar zur Materialentnahme geführt.
In seine Entscheidungsfindung hat das Sozialgericht Potsdam außerdem u.a. einbezogen:
- von der Beklagten vorgelegtes Gutachten des MDK Berlin-Brandenburg nach § 275 SGB V, Dr. K, vom 27. Oktober 2008 (Kodierung mit OPS 1-420 zutreffend);
- von der Beklagten vorgelegtes Gutachten des MDK Berlin-Brandenburg nach § 275 SGB V, G, vom 7. März 2011 (Kodierung mit OPS 5-273.5 und Abrechnung mit DRG 901D sei sachgerecht);
- von der Beklagten vorgelegtes Gutachten des MDK Berlin-Brandenburg nach § 275 SGB V, U, vom 10. Juni 2011 (Änderung des Begutachtungsergebnisses vom 7. März 2011; OPS 5-273.5 nicht einschlägig; zutreffend sei OPS 1-420.0);
- von der Klägerin vorgelegtes Gutachten des MDK Berlin-Brandenburg nach § 275 SGB V, Dr. A U, vom 14. März 2012 (Kodierung mit OPS 5-273.5 und Abrechnung mit DRG 901D sei medizinisch sachgerecht; Änderung der OPS komme nicht in Betracht, da bei der Lippenbiopsie eine chirurgische Exzision eines Schleimhautarelas der Lippe stattgefunden habe);
- aus dem Parallelverfahren mit denselben Beteiligten S 3 KR 159/08 (klageabweisendes Urteil vom 22. Mai 2014, nunmehr L 9 KR 237/14):
• Gutachten von Dr. D vom 9. November 2009, Bereichsleiter für Medizin-Controlling der SAG sowie Mitarbeiter im Fachausschuss für ordnungsgemäße Kodierung und Abrechnung (FOKA) der Deutschen Gesellschaft für Medizincontrolling (bei Lippenbiopsie sei OPS 1-540 unzulässig; OPS 1-420.0 bilde die Entnahme des Bioptats nicht ab; OPS 5-273.5 bilde die wetzsteinförmige Umschneidung des Lippendrüsenareals mit späterem Verschluss der Wundnaht am besten ab);
• Stellungnahme Dr. E (MDK Baden-Württemberg) vom 6. November 2009 (korrekte Verschlüsselung einer Lippenbiopsie ab 2010 nur nach 1-420.0; dem trage auch die Kodierempfehlung der MDK-Gemeinschaft vom 18. Dezember 2007 Rechnung);
• Stellungnahme des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), Dr. K, vom 10. November 2009 (Code 5-273.5 treffe zu; Code 1-420.0 treffe nicht zu, denn es sei zu einer Exzision von Gewebe gekommen; Code 1-420.0 betreffe andere Verfahren zur Gewebegewinnung, z.B. Nadel- oder Stanzbiopsie);
• Antwort des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), Dr. K, auf Nachfrage des Sozialgerichts, vom 12. April 2010 (keine Biopsie ohne Inzision [1-420.0]; richtig: Code 5-273.5).
• Schreiben Dr. E (MDK Baden-Württemberg) vom 5. Dezember 2011 an die Beklagte (Festhalten an der Kodierung 1-420.0).
Mit Urteil vom 15. Mai 2012 hat das Sozialgericht Potsdam die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die im Laufe des Verfahrens vorgenommene Klageerweiterung auf Grundlage der neu erstellten Rechnung vom 7. April 2010 sei zulässig. Die Klage sei jedoch unbegründet, denn die Klägerin habe auf Grundlage keiner der beiden erstellten Rechnungen einen Anspruch auf weitere Zahlungen seitens der Beklagten für die Behandlung der Versicherten. Das Prüfverfahren sei ordnungsgemäß durchgeführt worden. Die Sechs-Wochen-Frist aus § 275 Abs. 1c SGB V habe die Beklagte eingehalten. Die Daten nach § 301 Abs. 1 SGB V seien für die zu erstellende gutachterliche Stellungnahme des MDK grundsätzlich ausreichend gewesen. Allein dem MDK und nicht der Beklagten obliege die Entscheidung, ob weitere Unterlagen für die Beurteilung des Abrechnungsfalles benötigt würden. Weil die medizinische Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung der Versicherten zwischen den Beteiligten unstreitig sei, habe die Klägerin auch grundsätzlich einen Vergütungsanspruch. Der geltend gemachte Zahlungsanspruch bestehe jedoch nicht, weil die den beiden Rechnungen zugrunde liegenden Kodierungen mit OPS 1-540 bzw. OPS 5-273.5 im Rechnungsjahr 2007 nicht als rechtmäßig anzusehen seien. Im Jahr 2007 habe der durchgeführten Behandlung die Prozedur OPS 1-420 zugrunde gelegt werden müssen, was im Ergebnis zur DRG I66D führe. Anhand des OP-Berichts gehe die Kammer davon aus, dass weder eine Inzision noch eine Exzision erfolgt sei, vielmehr sei lediglich eine Gewebeprobe entnommen worden. Durchgeführt worden sei eine operative Biopsie mittels Skalpell. Eine Inzision sei nicht erfolgt, denn diese erfordere die Legung eines Zuganges, um das Biopsat zu entnehmen. Nach dem Operationsbericht sei zu keinem Zeitpunkt eine Inzision im Sinne einer Durchtrennung körpereigenen Gewebes zur Freilegung des zu entnehmenden Gewebes erfolgt. Die zu entnehmende Lippendrüse sei umschnitten und dann entnommen worden.
Gegen das ihr am 26. Juni 2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 19. Juli 2012 Berufung eingelegt. Mit ihr hat sie zunächst die Zahlung weiterer 3.169,21 Euro verfolgt (basierend auf der Kodierung mit OPS 5-273.5 und DRG 901D, Rechnung vom 7. April 2010), im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Senat aber ihr Begehren auf die Zahlung weiterer 1.832,96 Euro beschränkt (basierend auf Kodierung mit OPS 1-540 und DRG 902Z, Rechnung vom 12. September 2007). Zu ihrer Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Das Sozialgericht habe die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der MDK habe den Behandlungsfall auf der Grundlage unzureichenden Datenmaterials bewertet. Das Prüfverfahren auf Basis der Daten nach § 301 SGB V sei ausschließlich bei einer positiven Entscheidung des MDK akzeptabel. Weitergehendes Datenmaterial habe der MDK nicht angefordert, so dass die Beklagte nach Treu und Glauben mit medizinischen Einwendungen gegen die berichtigte Forderung ausgeschlossen sei. Die Form der vorgenommenen MDK-Begutachtung stelle eine gravierende Verletzung des gesetzlichen Prüfverfahrens im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Einwendungsausschluss dar. Unabhängig davon habe das Gericht ohne eigenen medizinischen Sachverstand eine komplexe medizinische Fragestellung entschieden. Die von dem Gericht vorgenommene Beweiswürdigung sei unzutreffend. Die zugrunde gelegte Definition des Begriffs der Inzision sei nicht tragfähig.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 15. Mai 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.832,96 Euro nebst 2 Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 9. Januar 2008 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und trägt ergänzend vor: Zu Unrecht halte die Klägerin das Prüfverfahren für unzureichend, denn der MDK betreibe das Prüfverfahren selbständig und lege die Prüftiefe eigenständig fest. Eine Einmischung durch die Krankenkasse verbiete sich. Die Beklagte habe das Prüfverfahren vielmehr fristgerecht eingeleitet und der MDK habe die Prüfung fristgerecht angezeigt. Weitere Verpflichtungen der Beklagten ergäben sich weder aus dem Gesetz noch aus landesvertraglichen Regelungen.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte, des Verwaltungsvorgangs der Beklagten, der Patientenakte der Versicherten sowie der Akte S 3 KR 159/08 bzw. L 9 KR 237/14 Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Sie hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 1.832,96 Euro.
I. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 Satz 3 Sozialgesetzbuch / Fünftes Buch (SGB V) i.V.m. § 7 Satz 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG). Nach § 109 Abs. 4 SGB V wird mit einem Versorgungsvertrag nach Absatz 1 das Krankenhaus für die Dauer des Vertrages zur Krankenhaus-Behandlung der Versicherten zugelassen. Das zugelassene Krankenhaus ist im Rahmen seines Versorgungsauftrags zur Krankenhaus-Behandlung (§ 39 SGB V) der Versicherten verpflichtet. Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus (§ 108 SGB V), wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Wird die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt und ist sie erforderlich im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V, entsteht die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse – unabhängig von einer Kostenzusage – unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten. Dies gilt auch bei der Vergütung der Krankenhaus-Behandlung durch Fallpauschalen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 1. Juli 2014, B 1 KR 62/12 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 10).
II. Auf dieser Grundlage hat die Klägerin gegen die Beklagte aufgrund der stationären Behandlung der Versicherten im Zeitraum 31. August 2007 bis 8. September 2007 einen Anspruch auf Zahlung von insgesamt 4.603,17 Euro, denn zu Recht hat die Klägerin die Behandlung der Versicherten mit OPS 1-540 (diagnostische Maßnahmen, Biopsie an der Lippe durch Inzision) kodiert, was zur Abrechenbarkeit der DRG 902Z führte, so wie die Klägerin es in ihrer Rechnung vom 12. September 2007 niederlegte. Zu Unrecht hat die Beklagte daher im Januar 2008 den im Berufungsverfahren noch streitigen Betrag von 1.832,96 Euro verrechnet; mit OPS 1-420.0 (Diagnostische Maßnahmen, Biopsie ohne Inzision an Mund und Mundhöhle: Lippe; Folge: DRG I66D) ist die durchgeführte stationäre Behandlung zur Überzeugung des Senats unzutreffend kodiert. Den nachträglich einbehaltenen Rechnungsteil in Höhe von 1.832,96 Euro hat die Beklagte an die Klägerin auszuzahlen.
1. Zu Recht ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass der Klägerin aufgrund der Behandlung anderer Versicherter zunächst Anspruch auf die dort abgerechnete Vergütung zustand; eine nähere Prüfung des Senats erübrigt sich insoweit (vgl. zur Zulässigkeit dieses Vorgehens Bundessozialgericht, Urteil vom 1. Juli 2014, B 1 KR 24/13 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 8).
2. Der Vergütungsanspruch für eine Krankenhausbehandlung anderer Versicherter erlosch nicht durch Aufrechnung in Höhe von 1.832,96 Euro. Zwar darf eine Krankenkasse grundsätzlich mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wegen Überzahlung von Vergütung für die Krankenhausbehandlung Versicherter analog § 387 BGB aufrechnen. Allerdings stand der Beklagten kein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu, denn die Rechnung der Klägerin vom 12. September 2007 über 4.603,17 Euro wurde zu Recht (und nicht ohne Rechtsgrund) in voller Höhe beglichen, weil die Klägerin einen Vergütungsanspruch in dieser Höhe besaß.
a) Unerheblich ist danach, ob die Klägerin das vom MDK durchgeführte Prüfverfahren zu Recht beanstandet. Allerdings schließt der Senat sich insoweit den Darstellungen des Sozialgerichts in der erstinstanzlichen Entscheidung an (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG], Bl. 7 bis 9 des Urteilsumdrucks); gegen die Verfahrensweise des MDK ist rechtlich nichts zu erinnern (vgl. insoweit auch Bundessozialgericht, Urteil vom 14. Oktober 2014, B 1 KR 34/12 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 20 bis 26).
b) An der Notwendigkeit der stationären Krankenhausbehandlung der Versicherten haben sich keine substantiellen Zweifel gezeigt. Der Senat hatte diese Frage zu erwägen, weil der Anspruch eines Krankenhauses auf Vergütung stationärer Behandlung eines Versicherten die medizinische Notwendigkeit gerade stationärer Behandlung voraussetzt. Denn der Zahlungsanspruch des Krankenhauses korrespondiert in aller Regel mit dem Anspruch des Versicherten auf Krankenhausbehandlung. Demgemäß müssen beim Versicherten bei der Aufnahme in das Krankenhaus grundsätzlich alle allgemeinen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Leistungen der GKV sowie speziell von Krankenhausbehandlung, insbesondere deren Erforderlichkeit, vorliegen. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die zur Krankenbehandlung gehörende Krankenhausbehandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V) wird gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V vollstationär, teilstationär, vor- und nachstationär sowie ambulant erbracht. Der Anspruch ist gerichtet auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus (§ 108 SGB V), wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nach-stationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 16. Dezember 2008, B 1 KN 3/08 KR R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 16). Vorliegend hatten die bei der Versicherten im Rahmen des acht Tage währenden Krankenhausaufenthalts durchgeführten Maßnahmen sämtlich diagnostischen Charakter; der Eingriff an der Lippe dauerte vom Einschleusen in den OP bis zum Setzen der Naht nur 25 Minuten. Weil indessen zwischen den Beteiligten – auch auf Seiten des MDK – Einigkeit über die Notwendigkeit der Inanspruchnahme gerade stationärer Mittel für die Durchführung einer Vielzahl diagnostischer Maßnahmen im Laufe einer Woche besteht, sieht auch der Senat den Aspekt der „Notwendigkeit“ stationärer Behandlung der Versicherten als hinreichend belegt an.
c) aa) Krankenhausvergütung wird unter einer Vielzahl von Implikationen rechnergestützt ermittelt (vgl. dazu Bundessozialgericht, Urteil vom 8. November 2011, B 1 KR 8/11 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 9ff. und Urteil vom 14. Oktober 2014, B 1 KR 25/13 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 8ff.). Ein (hier einzig streitiges) Berechnungselement ist die Wahl einer fallgerechten OPS-Kodierung. Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren nur noch darum, ob die stationäre Behandlung der Versicherten mit DRG 902Z (Kodierung: OPS 1-540, Biopsie an der Lippe durch Inzision, so die Klägerin) oder mit DRG I66D (Kodierung: OPS 1-420.0, Biopsie ohne Inzision an Mund und Mundhöhle, so die Beklagte) abrechenbar ist. Diese Frage ist gerichtlich voll überprüfbar (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 8. November 2011, B 1 KR 8/11 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 25ff.). Die beiden in Betracht kommenden OPS-Kodierungen sind eng nach ihrem Wortlaut und (allenfalls) ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen.
Insoweit gleicht die begrenzte die Auslegbarkeit von OPS-Kodierungen der Auslegung von Leistungsbestimmungen des einheitlichen Bewertungsmaßstabes nach § 87 Abs. 1 SGB V (EBM): Auch dort ist in erster Linie der Wortlaut der Regelungen maßgeblich. Dies gründet sich zum einen darauf, dass das vertragliche Regelwerk dem Ausgleich der unterschiedlichen Interessen von Ärzten und Krankenkassen dient und es vorrangig Aufgabe des Normgebers, des Bewertungsausschusses, selbst ist, Unklarheiten zu beseitigen. Zum anderen entspricht die primäre Bindung an den Wortlaut dem Gesamtkonzept des EBM als einer abschließenden Regelung, die keine Ergänzung oder Lückenfüllung durch Rückgriff auf andere Leistungsverzeichnisse bzw. Gebührenordnungen oder durch analoge Anwendung zulässt. Nur soweit der Wortlaut eines Leistungstatbestandes zweifelhaft ist und es seiner Klarstellung dient, ist Raum für eine systematische Interpretation im Sinne einer Gesamtschau der in innerem Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Gebührenregelungen. Leistungsbeschreibungen dürfen weder ausdehnend ausgelegt noch analog angewendet werden (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 28. April 2004, B 6 KA 19/03 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 18; Urteil des Senats vom 26. September 2012, L 7 KA 150/09, zitiert nach juris, dort Rdnr. 63).
Zur Überzeugung des Senats kam es bei dem am 4. September 2007 durchgeführten operativen Eingriff zu einer Inzision der Lippe, weshalb die am 12. September 2007 von der Klägerin erstellte Rechnung, die aufgrund der Kodierung mit OPS 1-540 die DRG 902Z ansetzte, nicht zu beanstanden ist.
bb) Die von der Beklagten gewählte Kodierung der durchgeführten Maßnahmen mit OPS 1-420.0 ist nicht tragfähig, weil die durchgeführte Biopsie keine solche „ohne Inzision“ darstellt.
Der bei der Versicherten am 4. September 2007 vorgenommene Eingriff diente der Entnahme einer Lippendrüse, um diese zu diagnostischen Zwecken histologisch untersuchen zu können („Biopsie“). Nach dem OP-Bericht kam es unter Einsatz eines Skalpells zu einer Umschneidung eines vier Quadratzentimeter großen Areals der Mundschleimhaut und einer „Inzision der umschnittenen Drüse“ mit anschließender Gewebeentnahme. Mit anderen Worten: Mit einem Skalpell als Werkzeug wurde die Mundschleimhaut durchtrennt; dabei kam es zur Entnahme von Gewebe in Gestalt einer submuskulös und somit unter der (Schleim-)Haut der Lippe liegenden Drüse.
Hierin liegt eine „Inzision“ im Sinne des OPS. Dies ergibt sich schon aus einer schlichten Wortlautinterpretation. „Inzision“ bedeutet „operativer Einschnitt“ (vgl. http://www.duden.de/rechtschreibung/Inzision). Das Wort Inzision strammt aus dem Lateinischen und geht auf das Verb incidere zurück, das „einschneiden, Einschnitte in etwas machen“ bedeutet (vgl. http://de.pons.com/übersetzung?q= incidere&l=dela&in=&lf=de). Dementsprechend erklärte auch die im Verhandlungstermin vor dem Senat anwesende MDK-Ärztin H lapidar, dass „alles, was man mit dem Messer macht, Inzision (heiße)“.
Dr. K vom DIMDI, an deren Sachkunde keine Zweifel bestehen, hat in ihren Stellungnahmen vom 10. November 2009 und vom 12. April 2010 hierzu ausgeführt, Code 1-420.0 treffe auf solch einen Sachverhalt nicht zu, denn dieser betreffe andere Verfahren zur Gewebegewinnung, z.B. Nadel- oder Stanzbiopsien. In dieselbe Richtung (keine Biopsie „ohne Inzision“) weisen weitere sachkundige Stellungnahmen, darunter auch zwei Gutachten des MDK Berlin-Brandenburg (vom 7. März 2011 und 14. März 2012).
Dass der an der Versicherten vorgenommene Eingriff nicht mit OPS 1-420.0 kodiert werden kann, wird schließlich auch durch die Vorbemerkungen zum Kapitel 1-40 bis 1-49 der OPS bestätigt. Inkludiert sind danach „Perkutane (Fein-) Nadelbiopsie, Stanzbiopsie, durch bildgebende Verfahren gesteuerte perkutane Biopsie, endoskopische Biopsie, endosonographische Biopsie, arthroskopische Biopsie und Saugbiopsie“; exkludiert sind dagegen „Biopsie durch Inzision, intraoperative Biopsie“ u.a. Diese Zuordnungen verdeutlichen, dass es eine Fülle anderer Methoden zur Biopsatentnahme gibt, die sich nicht des Einschnitts durch ein Skalpell bedienen. Nur „nicht schneidende“ Methoden fallen in das Kapitel 1, OPS 1-40 bis 1-49.
cc) Scheidet damit eine Subsumtion unter OPS 1-420.0 aus, weil eine Inzision erfolgte, gebieten Wortlaut und Systematik des OPS eine Zuordnung der durchgeführten Prozedur zu OPS 1-540. Die OPS 1-50 bis 1-58 inkludieren „intraoperative Biopsie, Biopsie bei diagnostischer Endoskopie durch Inzision und intraoperativ“, exkludieren hingegen „Biopsie ohne Inzision“ u.a. Die redaktionelle Vorbemerkung enthält insoweit den Hinweis, die Bezeichnung „durch Inzision“ beziehe sich auf die Art des Zugangs. Hieran gemessen und nach obigen Ausführungen ist die Zuordnung der durchgeführten Prozedur bei OPS 1-540 schlüssig. Denn die „Art des Zugangs“ bestand im Falle der Versicherten in einem Einschnitt in die Mundschleimhaut bzw. in einer Durchtrennung derselben, um eine Lippendrüse als Biopsat entnehmen zu können.
Zugleich – ohne dass dies entscheidungserheblich ist – erscheint eine Zuordnung der durchgeführten Lippenbiopsie zu Kapitel 5 des OPS („Operationen“), gemessen an der bis 31. Dezember 2009 gegebenen Systematik dieses Regelwerks, unrichtig, denn dieses Kapitel beschreibt ausschließlich kurative operative Eingriffe, während diagnostische Eingriffe bei Kapitel 1 verortet sind. Ob die Zuordnung einer Lippenbiopsie, wie sie bei der Versicherten durchgeführt wurde, bei OPS 5-273.5 (Exzision, lokal, Lippe) tragfähig ist, nachdem OPS 1-540 mit Wirkung vom 1. Januar 2010 gestrichen ist, muss der Senat nicht entscheiden.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung und berücksichtigt, dass die Klägerin im Laufe des Berufungsverfahrens von der 1.832,96 Euro übersteigenden Klageforderung Abstand genommen hat. Gründe für die Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG); bei der OPS 1-540, auf der die streitige Rechnung vom 12. September 2007 und die Klageforderung beruhen, handelt es sich um ausgelaufenes Recht.