Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 8. Senat | Entscheidungsdatum | 12.02.2013 | |
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Aktenzeichen | L 8 R 1214/09 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | Anl 6 AAÜG, § 259b SGB 6 |
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 2. November 2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
I.
Streitig ist die Höhe einer Witwenrente.
Die Klägerin - die eine eigene Versichertenrente wegen Alters aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht - ist die Witwe des 1932 geborenen und 2008 verstorbenen G B (im Folgenden: Versicherter). Der Versicherte war ab 1. Juli 1955 in das Sonderversorgungssystem des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (im Folgenden: MfS) einbezogen, dem er durchgehend angehörte, bis ihm - nach vorangegangener Krankheit - ab 1. Dezember 1986 eine Invalidenrente nach der Versorgungsordnung des MfS bewilligt wurde (Bescheid des Ministerrats der Deutschen Demokratischen Republik vom 15. November 1986; Zahlbetrag 1.875,-- Mark).
Der Zahlbetrag der Invalidenrente wurde ab 1. Juli 1990 auf 990,-- DM und ab 1. August 1991 (Inkrafttreten des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes [AAÜG]) auf 802,-- DM begrenzt.
Im Rahmen eines Verfahrens auf Neufeststellung der Rente, die ab 1. Januar 1992 von der Beklagten als Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung ausgezahlt wurde, stellte zunächst das Bundesverwaltungsamt als Träger der Sonderversorgung im Oktober 1995 Daten nach dem AAÜG fest. Gegen den darauf beruhenden Bescheid der Beklagten über die Neuberechnung vom 12. August 1996 legte der Versicherte Widerspruch ein. Während des laufenden Widerspruchsverfahrens, das wegen der damals beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits anhängigen Verfahren (unter anderem) zur Verfassungsmäßigkeit der besonderen Beitragsbemessungsgrenze und der Zahlbetragsbegrenzungen ruhte, bewilligte die Beklagte dem Versicherten auf seinen Antrag hin ab 1. Februar 1997 Regelaltersrente (unveränderter Zahlbetrag im Vergleich zur Rente wegen Erwerbsunfähigkeit).
Als Folge von geänderten Feststellungen des Versorgungsträgers und gesetzlicher Änderungen nach Entscheidungen des BVerfG stellte die Beklagte zunächst die Altersrente ab Beginn (Bescheid vom 23. August 2000; Nachzahlungsbetrag 17.916,41 DM), dann die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. Juli 1990 (Bescheid vom 19. Dezember 2001; Nachzahlungsbetrag 25.972,75 DM) und dann nochmals die Altersrente ab Beginn (Bescheid vom 25. Januar 2002; Nachzahlungsbetrag 2.214,80 Euro) neu fest.
Der Versicherte hielt in der Folgezeit seinen Widerspruch mit der Begründung aufrecht, dass der besitzgeschützte Zahlbetrag in Höhe von 990,-- DM ab 1. Januar 1992 an die Lohn- und Einkommensentwicklung im Beitrittsgebiet anzupassen sei. Das Widerspruchsverfahren ruhte daraufhin wegen anhängiger „Musterverfahren“ erneut. Nach deren Abschluss (Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 15. September 2006 - 1 BvR 799/98 - SozR 4-2600 § 307b Nr. 7 zur Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Bundessozialgerichts [BSG] vom 3. August 1998 - B 4 RA 24/98 R - SozR 3-2600 § 307b Nr. 8) teilte der Versicherte mit, dass er sich nunmehr noch gegen die Anwendung der besonderen Beitragsbemessungsgrenze des § 7 AAÜG wende. Die vom BVerfG in Aussicht gestellte Überprüfung der Vorschrift, nachdem die Ergebnisse der vollständigen Klärung der Einkommensverhältnisse vorlägen, sei abzuwarten. Das Widerspruchsverfahren ruhte daraufhin zunächst erneut; währenddessen verstarb der Versicherte.
Auf Antrag der Klägerin gewährte ihr die Beklagte durch Bescheid vom 11. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2009 große Witwenrente ab dem 1. November 2008. Wie bei den Renten für Lebzeiten des Versicherten berechnete sie den monatlichen Höchstwert des Rechts auf Rente unter Anwendung der besonderen Beitragsbemessungsgrenze nach § 7 i. V. mit Anlage 6 AAÜG (letztere in der Fassung des 2. AAÜG-Änderungsgesetzes; im folgenden ohne Zusatz zitiert) auf die Entgelte, die der Versicherte in der Zeit vom 1. Juli 1955 bis zum 14. April 1986 tatsächlich erzielt hatte.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin - wie bereits im Widerspruchsverfahren - die Verfassungswidrigkeit des § 7 AAÜG i. V. mit Anlage 6 zum AAÜG gerügt und sich auf ein Gutachten des Brandenburgischen Institutes für Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsentwicklung e.V. (Prof. Dr. W und Dr. M) bezogen. Die gesetzliche Regelung verstoße gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Es treffe zwar zu, dass die Durchschnittseinkommen im Bereich des MfS über denen des zivilen Sektors lägen (im Jahr 1988 um 59 %). Über dem Niveau der Volkswirtschaft liegende Einkommen seien aber für den gesamten militärischen Bereich typisch. Außerdem lägen die Zuwachsraten der Einkommen in der Volkswirtschaft im Zeitraum 1965 bis 1988 mit 193 % erheblich über denen im MfS mit 173 %. Unter den militärischen Diensten wiesen die Einkommen bei der NVA die höchsten Steigerungsraten auf, entsprechend habe sich der Abstand zu den Einkommen beim MfS verringert. Politisch gesetzte Disparitäten fänden sich auch im zivilen Sektor der Volkswirtschaft wie die unterdurchschnittlichen Einkommen in der Textilindustrie (im Vergleich zur Industrie insgesamt) oder des produzierenden Handwerks (im Vergleich zur Volkswirtschaft insgesamt) zeigten. Es gebe keinen Beleg für eine Selbstprivilegierung des MfS. Die gesetzliche Regelung verletze aber auch das Grundrecht auf Eigentum (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG), weil es in Ansprüche und Anwartschaften eingreife, die als Rechtsposition in der gesamtdeutschen Rechtsordnung anerkannt worden seien.
Die Beklagte hat die anzuwendenden Vorschriften als verfassungsgemäß angesehen. Verfassungsbeschwerden seien mehrfach vom BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen worden. Das von der Klägerin zur Unterstützung ihrer Auffassung herangezogene Gutachten verändere nicht die Grundlagen, welche den bisherigen Entscheidungen des BVerfG zugrunde gelegen hätten.
Durch Urteil vom 2. November 2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die anzuwendenden Vorschriften des einfachen Rechts seien mit dem Grundgesetz vereinbar. Das BVerfG habe 1999 lediglich die Begrenzung der berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelte auf 70 % des jeweiligen Durchschnittsentgelts im Beitrittsgebiet als mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 GG nicht vereinbar angesehen. Im Übrigen habe es bindend entschieden, dass eine Absenkung auf die Durchschnittsentgelte Grundrechte nicht verletze. Der Gesetzgeber habe berechtigt annehmen können, dass die Entgelte für Mitarbeiter des MfS deutlich überhöht gewesen seien. In dem Beschluss vom 22. Juni 2004 - 1 BvR 1070/02 (SozR 4-8570 § 7 Nr. 2) habe das BVerfG eine erneute verfassungsrechtliche Prüfung des § 7 AAÜG i. V. mit Anlage 6 zum AAÜG nur als zulässig angesehen, sofern neue rechtserhebliche Tatsachen gegen die tragenden Feststellungen seiner früheren Entscheidung vorlägen. Das von der Klägerin zu ihren Gunsten herangezogene Gutachten führe nicht zu diesem Ergebnis. Es fehle bereits an einer Datengrundlage aufgrund neuerer Erkenntnisse. Die Gutachter selbst machten insoweit zahlreiche Einschränkungen. Das Gutachten bestätige außerdem, dass das Durchschnittseinkommen im MfS von 1950 bis 1988 deutlich über dem in der Volkswirtschaft gelegen habe. Die von den Gutachtern hierfür genannten Ursachen überzeugten nicht. Vielmehr bestätige sich, dass die Einkommensdifferenzierungen auf einer politischen Grundsatzentscheidung beruhten. Eine Verfassungswidrigkeit ergebe sich selbst bei einem Vergleich innerhalb des sogenannten „X-Bereichs“ (MfS, Ministerium des Innern und NVA) nicht. Es fehle zum einen auch insoweit an einer validen Datengrundlage. Zum anderen bestätige das Gutachten selbst auf der vorhandenen Datenbasis, dass die Verdienste beim MfS aufgrund einer politisch gewollten Differenzierung weit überdurchschnittlich gewesen seien.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Anliegen mit der Begründung aus dem erstinstanzlichen Verfahren weiter. Sie beantragt der Sache nach
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 2. November 2009 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 11. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2009 zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, den monatlichen Höchstwert des Rechts auf Witwenrente ab dem 1. November 2008 betreffend die Zeit vom 1. Juli 1955 bis zum 14. April 1988 auf der Grundlage der vom Versicherten nach den Feststellungen des Trägers der Sonderversorgung tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte, vervielfältigt mit den Werten der Anlage 10 zum Sechsten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VI), bis höchstens zur allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze (§ 260 SGB VI) zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung und ihre Bescheide für zutreffend.
Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.
II.
Der Senat konnte über die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Er hält das Rechtsmittel einstimmig für unbegründet. Eine mündliche Verhandlung sieht er nicht als erforderlich an, weil der entscheidungserhebliche Sachverhalt nicht weiter aufklärungsbedürftig und der Inhalt der anzuwendenden Rechtsnormen, soweit er sich nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt, durch die Rechtsprechung des BSG und des BVerfG geklärt ist.
Von den Verfügungssätzen des angefochtenen Bescheides der Beklagten vom 11. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2009 ist lediglich der zur Festsetzung des monatlichen Höchstwertes des Rechts auf Rente („Rentenhöhe“) angegriffen.
Der nach dem Rechtszustand vom 1. November 2008 festzustellende monatliche Höchstwert des Rechts auf große Witwenrente (§ 46 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch [SGB VI]) berechnet sich - da sie ausschließlich auf Versicherungszeiten des Versicherten im Beitrittsgebiet beruht -, indem für den Zeitpunkt des Rentenbeginns die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors (§ 77 SGB VI) ermittelten persönlichen Entgeltpunkte Ost (§§ 66, 254d SGB VI), der Rentenartfaktor (§ 67 SGB VI) und der aktuelle Rentenwert Ost (§ 255a SGB VI) mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden (§§ 63 Abs. 6, 64 SGB VI). Bei der Ermittlung der Entgeltpunkte (Ost) hat die Beklagte dabei gemäß § 259b Abs. 1 SGB VI die besonderen Beitragsbemessungsgrenzen nach § 7 AAÜG i. V. mit Anlage 6 zum AAÜG anzuwenden, soweit die tatsächlichen Voraussetzungen für deren Vorliegen vom Träger der Sonderversorgung - wie hier - (bestandskräftig) festgestellt worden sind (s. stellvertretend BSG, Urteil vom 14. Dezember 2011 - B 5 R 2/10 R - SozR 4-8570 § 7 Nr. 3 m.w.Nachw.).
Die Beklagte hat diese sogenannte Rentenformel zutreffend angewendet, was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist. Eine für die Klägerin günstige Entscheidung auf der Grundlage des einfachen Rechts kommt danach nicht in Betracht. Die Gerichte sind von Verfassungs wegen an Recht und Gesetz gebunden (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz [GG]). Sie müssen deshalb grundsätzlich auf der Grundlage des geltenden einfachen Gesetzesrechts - gegebenenfalls nach Auslegung nach anerkannten Methoden der Rechtswissenschaft - entscheiden. Lediglich dann, wenn das Gericht von der Verfassungswidrigkeit einer anzuwendenden Rechtsvorschrift überzeugt ist, muss es das Verfahren aussetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einholen (Art. 100 Abs. 1 GG). Weil § 7 AAÜG i. V. mit Anlage 6 zum AAÜG in der hier anzuwendenden Fassung die Vorgaben des BVerfG aus dem für das Gericht bindenden Urteil vom 28. April 1999 - 1 BvL 11/94 u. a. - BVerfGE 100, 138 - keine Begrenzung der berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelte auf niedrigere Werte als die Durchschnittseinkünfte im Beitrittsgebiet - einhält, ist eine erneute Vorlage nur dann zulässig, wenn sie ausgehend von der Begründung der früheren Entscheidung tatsächliche oder rechtliche Veränderungen darlegt, die die Grundlage der früheren Entscheidung berühren und deren Überprüfung nahelegen (s. auch BSG SozR 4-8570 § 7 Nr. 3).
Der Senat hat nach diesem Maßstab keinen Anlass, eine Vorlage an das BVerfG nochmals ernsthaft zu prüfen. Um Wiederholungen zu vermeiden, nimmt er auf die Ausführungen des Sozialgerichts in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG) sowie ergänzend auf die Begründung des BSG in SozR 4-8570 § 7 Nr. 3. Abschließend weist er darauf hin, dass das BVerfG bereits im Jahr 2010 (Beschluss vom 6. Juli 2010 - 1 BvR 9/06 u. a. - BVerfGE 126, 233) einschränkungslos wiederholt hatte, dass „der Gesetzgeber im Bestreben, überhöhte Anwartschaften abzubauen, wegen der Sonderstellung des MfS die Mitarbeiter der Staatssicherheit mit der Begrenzungsregelung des § 7 AAÜG unterschiedslos ohne Differenzierung nach der ausgeübten Tätigkeit erfassen konnte“ (Abs. 71 der Gründe; zu den Folgen für die Verfassungsmäßigkeit des § 6 Abs. 2 AAÜG in der Fassung des 1. AAÜG-Änderungsgesetzes Abs. 68ff der Gründe).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.