Gericht | FG Berlin-Brandenburg 9. Senat | Entscheidungsdatum | 09.03.2011 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | 9 K 9141/09 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 69 S 2 AO, § 240 AO |
Anders als hinsichtlich der Lohnsteuer selbst haftet ein GmbH-Geschäftsführer für Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Entstehung von Säumniszuschlägen zur Lohnsteuer nicht zu 100 v. H., sondern nur nach Maßgabe der sog. Tilgungsquote.
Die Haftungssumme in dem Haftungsbescheid vom 9. Juni 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. April 2009 wird auf … EUR herabgesetzt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu 76 v. H. und der Beklagte zu 24 v. H. zu tragen.
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob das Finanzamt … den Kläger als ehemaliges Vorstandsmitglied der 1990 gegründeten Gesellschaft mit beschränkter Haftung „A.“ mit Sitz in B (Republik …) sowie Geschäftsführer von deren inländischer Zweigniederlassung in C für rückständige Lohnsteuern etc. der Gesellschaft persönlich in Haftung nehmen darf.
Die deutsche Zweigniederlassung der A mit Sitz in C wurde am … 1992 in das Handelsregister des Amtsgerichts D (Bundesland …) eingetragen. Als Geschäftsführer dieser Niederlassung wurde gleichzeitig der … geborene Kläger, von Beruf …, eingetragen. Satzungsmäßiger Unternehmensgegenstand der am … 1990 in B (Republik …) gegründeten A war u. a. die Durchführung von Bauarbeiten.
In der Zeit von Oktober 1992 bis zum … 2009 (dem Tag, an dem der Kläger namens der A an deren Verwaltungssitz in … Insolvenz anmeldete) hatte der Kläger außerdem das Amt eines Vorstandsmitgliedes der A inne.
Bereits zwei Jahre vor ihrer handelsregisterlichen Eintragung, ab dem ... Juli 1990, war die deutsche Zweigniederlassung der A im Inland als Subunternehmerin einer E mit Sitz in F tätig, deren Mehrheitsgesellschafter der Kläger war. Zumindest in den Jahren 2001 und 2002 war der Kläger und/oder seine Ehefrau ebenfalls Mehrheitsgesellschafter der A (vgl. Schreiben des Finanzamts D vom 10. Mai 2005).
Nach den Angaben in ihren Lohnsteueranmeldungen im Streitjahr 2006 beschäftigte die deutsche Zweigniederlassung der A im Inland Arbeitnehmer und zahlte an diese Arbeitslöhne aus. Die Lohnsteueranmeldungen für die Monate Januar und Februar 2006 gingen rechtzeitig beim Beklagten ein; die darin angemeldeten Beträge wurden jedoch nicht oder nicht vollständig entrichtet. Die Lohnsteueranmeldung für den Monat März 2006 ging verspätet beim o. g. Finanzamt ein. Die sich daraus ergebenden Zahlungsbeträge wurden nicht entrichtet. Für die Monate April bis Dezember 2006 wurden zunächst Lohnsteuerbeträge angemeldet, jedoch nicht beglichen. Im April 2007 wurden für die Monate April bis einschließlich Dezember 2006 berichtigte Lohnsteueranmeldungen über jeweils 0,00 EUR eingereicht. Aufgrund der Nichtzahlung bzw. verspäteten Zahlung der vorgenannten Abgabenverbindlichkeiten wurden Säumniszuschläge verwirkt, die ebenfalls nicht entrichtet wurden.
Der Beklagte erließ daraufhin am …, am … und am … 2006 Pfändungs- und Einziehungsverfügungen gegenüber mutmaßlichen Drittschuldnern (… sowie …), die jedoch weitgehend fruchtlos blieben. Dies gilt auch für seine Vollstreckungsersuchen an das FA D vom … 2006 und vom an die … Finanzverwaltung vom … 2008 (unter Berufung auf Art. 7 der sog. Beitreibungsrichtlinie der Europäischen Union 76/308/EWG).
Mit auf § 69 i. V. m. § 34 der Abgabenordnung (AO 1977) gestütztem Haftungsbescheid vom 9. Juni 2008 nahm der Beklagte den Kläger wegen rückständiger Lohnsteuern nebst Solidaritätszuschlägen hierzu sowie Lohnkirchensteuern einschließlich der zu den vorgenannten Abgabenverbindlichkeiten verwirkten Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt … EUR persönlich in Haftung. Der hiergegen gerichtete Einspruch des Klägers blieb erfolglos und wurde vom Beklagten mit Einspruchsentscheidung vom 24. April 2009 als unbegründet zurückgewiesen.
Zur Begründung seiner Entscheidung führte der Beklagte im Wesentlichen aus, der Kläger habe grob fahrlässig nicht dafür gesorgt, dass die deutsche Zweigniederlassung der A die von ihr selbst angemeldeten Lohnsteuern fristgerecht an ihn abgeführt habe.
Mit seiner hiergegen gerichteten Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass er als Vorstandsmitglied der A und Geschäftsführer ihrer inländischen Zweigniederlassung keine grob fahrlässige Pflichtverletzung i. S. von § 69 i. V. m. § 34 AO begangen habe. Der Zweigniederlassung hätten im Haftungszeitraum schlicht keine finanziellen Mittel zur Verfügung gestanden, um die streitgegenständlichen Abgabenverbindlichkeiten entrichten zu können.
Ende März 2006 hätten die Arbeitnehmer der A die Baustelle „…“ verlassen müssen, weil Rechnungen nicht bezahlt worden seien. Deshalb habe die Zweigniederlassung ihre Kosten nicht decken und auch keine Arbeitslöhne auszahlen können. Auch der eingesetzte Steuerberater habe mangels Honorierung seine Tätigkeit eingestellt. Er, der Kläger, habe dies allein abwickeln müssen, obwohl er schon damals an einer schweren … …krankheit gelitten habe.
Die A sei nicht in der Lage gewesen, der deutschen Zweigniederlassung Geld zu überweisen, weil sie selbst noch voll in der Abwicklung eines durch den Konkurs der G im Jahr 2000 entstandenen Finanzlochs gesteckt habe. Es seien aber die rückständigen Löhne der aus Deutschland zurückkehrenden Bauarbeiter von ihr bezahlt worden.
Der Kläger beantragt,
den Haftungsbescheid vom 9. Juni 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. April 2009 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist im Wesentlichen auf seine Ausführungen in der angefochtenen Einspruchsentscheidung. Ergänzend führt er aus, dass - entgegen den Ausführungen des 9. Senats des FG Berlin-Brandenburg in dessen Beschluss vom 20. April 2010 über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe - die Grundsätze über die anteilige Tilgung von Betriebssteuern nicht auch für die hier streitgegenständlichen Säumniszuschläge zu den rückständigen Lohnsteuern geltend würden. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten der Begründung wird auf den Schriftsatz des Beklagten vom 17. Juni 2010 verwiesen.
Dem Gericht haben bei seiner Entscheidung fünf Bände Haftungs-, Vollstreckungs- und Steuerakten betr. die A (StNr.: …) vorgelegen, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Beteiligtenvorbringens Bezug genommen wird.
Die Klage ist nur zum Teil begründet.
1. Der Kläger hat sowohl den objektiven als auch den subjektiven Tatbestand des § 69 i. V. m. § 34 AO 1977 in mehrfacher Hinsicht verwirklicht.
a.) Nach § 69 Satz 1 AO 1977 haftet der GmbH-Geschäftsführer, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihm auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Die Haftungsvorschrift umfasst demnach als selbständige Möglichkeiten der Tatbestandsverwirklichung die Nichtfestsetzung, die nicht rechtzeitige Festsetzung, die Nichterfüllung und die nicht rechtzeitige Erfüllung der Steueransprüche.
b.) Die von den Arbeitslöhnen der Arbeitnehmer der deutschen Zweigniederlassung einzubehaltende Lohnsteuer nebst Solidaritätszuschlägen hierzu sowie Lohnkirchensteuer war von der A spätestens am zehnten Tag nach Ablauf des Lohnsteueranmeldungszeitraums dem Beklagten anzumelden und an diesen abzuführen (§ 41 a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Die steuerliche Verpflichtung der Gesellschaft zur Einbehaltung, Anmeldung und Abführung der vorgenannten Abgabenverbindlichkeiten hatte innerhalb der Zweigniederlassung der Kläger als deren Geschäftsführer und innerhalb der nach dem sog. Rechtstypenvergleich (vgl. dazu allgemein nur BFH-Urteil vom 6. November 1980, Bundessteuerblatt - BStBl - II 1981, 220) mit einer deutschen GmbH vergleichbaren, nach … Recht gegründeten A ebenfalls der Kläger als deren (Mit-)Vorstandsmitglied zu erfüllen (§ 34 Abs. 1 AO 1977 i. V. m. § 35 Abs. 1 des Gesetzes betr. die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG -). Der Kläger hatte insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet wurden, die er verwaltete (§ 34 Abs. 1 Satz 2 AO 1977).
c.) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH darf ein GmbH-Geschäftsführer während einer finanziellen Krise der Gesellschaft die Löhne ggf. nur gekürzt als Vorschuss oder Teilbetrag auszahlen, so dass er aus den dann übrig bleibenden Mitteln die entsprechende Lohnsteuer an das Finanzamt abführen kann. Wenn der Geschäftsführer dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist und darauf vertraut hat, er werde die Steuerrückstände später nach Behebung der Liquiditätsschwierigkeiten ausgleichen können, so ist er damit bewusst das Haftungsrisiko eingegangen, und die Nichtrealisierung dieser Erwartungen liegt in seiner Risikosphäre (vgl. nur Beschluss vom 6. Juli 2005 VII B 296/04, BFH/NV 2005, 1753 m. w. N.).
Im vorliegenden Fall sind die streitgegenständlichen Arbeitslöhne für die Monate Januar bis einschließlich März 2006, bezüglich derer die deutsche Zweigniederlassung der A Abgabenverbindlichkeiten beim Beklagten angemeldet hat, nach eigenem Bekunden des Klägers entweder von der deutschen Zweigniederlassung oder von der A unmittelbar an die Arbeitnehmer ausgezahlt worden, ohne dass ein Lohnsteuereinbehalt durchgeführt worden ist. Damit haftet der Kläger für den daraus resultierenden Abgabenausfall des Fiskus, denn er hätte dafür sorgen müssen, dass nach den oben dargestellten Regeln verfahren wird. Wenn er sich mit dieser Auffassung innerhalb der A nicht hat durchsetzen können, hätte es ihm zur Vermeidung einer Haftungsinanspruchnahme nach der ständigen BFH-Rechtsprechung oblegen, sein Vorstandsamt sowie sein Geschäftsführeramt in der inländischen Zweigniederlassung sofort niederzulegen (vgl. nur Beschluss vom 13. Februar 1996 VII B 245/95, BFH/NV 1996, 657 m. w. N.), was er - ebenfalls grob fahrlässig - unterlassen hat.
d.) Einwendungen des Klägers gegen Grund und Höhe der streitgegenständlichen Lohnsteuern wären gemäß § 166 AO 1977 nicht ausgeschlossen, da es sich dabei um Steueranmeldungen handelt, die kraft Gesetzes unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gestanden haben (vgl. § 168 Satz 1 AO 1977), und der Kläger nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand nicht während des gesamten vierjährigen Zeitraums, in dem eine Änderung dieser Lohnsteueranmeldungen nach § 164 Abs. 2 AO 1977 hätte beantragt werden können, noch Vorstandsmitglied der A gewesen ist (am … 2009 hat er in … einen Insolvenzantrag gestellt, vgl. dazu allgemein BFH-Beschluss in BFH/NV 2001, 1217 m. w. N.). Allerdings hat er solche Einwendungen in concreto nicht erhoben. Da die streitgegenständlichen Lohnsteuerverbindlichkeiten auf eigenen Anmeldungen der deutschen Zweigniederlassung der A beruhen, hat das Gericht auch unter Berücksichtigung des gesamten Akteninhalts und Beteiligtenvorbringens keine Anhaltspunkte für eine inhaltliche Unrichtigkeit der Lohnsteuerforderungen des Beklagten.
e.) Auch bezüglich der streitgegenständlichen Säumniszuschläge für die Monate Januar bis einschließlich Dezember 2006 haftet der Kläger nach § 69 Satz 2 i. V. m. § 34 AO 1977 dem Grunde nach, weil die deutsche Zweigniederlassung der A die betreffenden Lohnsteueranmeldungen verspätet beim Beklagten eingereicht und die sich ergebenden Lohnsteuern nicht entrichtet hat. Allerdings beschränkt sich hier die Haftung des Klägers - entgegen der Ansicht des Beklagten - nach ständiger Rechtsprechung des BFH auf den Betrag, der sich nach dem Grundsatz der anteiligen Tilgung ergibt (vgl. dazu nur BFH-Urteil vom 1. August 2000 VII R 110/99, Bundessteuerblatt - BStBl - II 2001, 271 sowie Loose, in: Tipke/Kruse, 16. Aufl., § 69 AO Rz. 36; Jatzke, in: Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 69 AO Rz. 64; Nacke, Die Haftung für Steuerschulden, 2. Aufl., Rz. 95; Rüsken, in: Klein, AO, 10. Aufl., § 69 Rz. 15; der Umstand, dass sich der BFH mit diesem Aspekt seiner bisherigen, eigenen Rechtsprechung trotz Entscheidungserheblichkeit in seinem Urteil vom 5. Juni 2007 VII R 30706, BFH/NV 2008, 1 ff. nicht auseinandergesetzt hat, vermag hieran nichts zu ändern, zumal die senatsangehörigen Richter am BFH Jatzke und Rüsken die vorgenannte Rechtsprechung a. a. O. als nach wie vor geltend darstellen). Ab dem Zeitpunkt der Insolvenzreife einer GmbH i. S. von § 17 Abs. 2 der Insolvenzordnung - InsO - haftet ein GmbH-Geschäftsführer ohnehin nur für maximal 50 v. H. der ab diesem Zeitpunkt verwirkten Säumniszuschläge (vgl. dazu nur BFH-Urteil vom 19. Dezember 2000 VII R 63/99, BStBl II 2001, 217 sowie Rüsken, a.a.O., § 69 Rz. 15). Nach der Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 24. Mai 2005 IX ZR 123/04, Der Betrieb - DB - 2005, 1787 liegt „Zahlungsunfähigkeit“ i. S. von § 17 Abs. 2 InsO vor, wenn eine GmbH nicht in der Lage ist, innerhalb von drei Wochen mindestens 90 v. H. ihrer fälligen Verbindlichkeiten zu tilgen.
Aus der Vollstreckungsakte betr. die A ergibt sich, dass die betreffende Gesellschaft sich bereits seit dem 17. April 2003 mehrfach in Vollstreckung befunden hat. Nach den vom Beklagten nicht bestrittenen Angaben des Klägers befand sich die A seit dem G - Konkurs im Jahre 2000, bei welchem sie mit einer Teilforderung in Höhe von über … DM ausgefallen ist, in einem permanenten finanziellen Engpass. Insbesondere hat sich der Tagessaldo auf den Geschäftskonten der deutschen Zweigniederlassung ab Anfang 2006 andauernd im Minus befunden, so dass ab April 2006 auch fällige Lohnzahlungen an Mitarbeiter in Deutschland rückständig geblieben sind. Aus diesen Umständen ist die Schlussfolgerung zu ziehen, dass die Voraussetzungen einer Insolvenzreife der A i. S. von § 17 Abs. 2 InsO nach Maßgabe der Auslegung durch den BGH bereits Anfang 2006 erfüllt gewesen sind.
Das Gericht schätzt die sog. Tilgungsquote für die deshalb nur noch anzusetzenden 50 v. H. der streitgegenständlichen Säumniszuschläge mangels konkreter Angaben des Klägers zum tatsächlichen Zahlungsverhalten der A im Haftungszeitraum (... März 2006 bis … 2009 = Tag der Insolvenzantragstellung in …) auf 30 v. H., so dass sich folgende Neuberechnung der Haftungssumme ergibt:
Hauptschulden (wie bisher): | … EUR |
30 v. H. der Hälfte der ursprünglichen Säumniszuschläge: | … EUR |
Gesamtbetrag: | … EUR |
f.) Wegen der weiteren Begründung der Entscheidung wird zur Entlastung des Gerichts gemäß § 105 Abs. 5 der Finanzgerichtsordnung - FGO - auf die zutreffenden Ausführungen des Beklagten in der angefochtenen Einspruchsentscheidung verwiesen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.