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Asyl; Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 und Abs. 2-7 AufenthG; Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung


Metadaten

Gericht VG Cottbus 7. Kammer Entscheidungsdatum 13.07.2012
Aktenzeichen 7 K 276/11.A ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 60 Abs 1 AufenthG, § 60 Abs 7 S 1 AufenthG

Leitsatz

- Asyl
- Abschiebeschutz gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG
- Irak
- Yezide
- Alkoholverkauf
- keine Gruppenverfolgung

Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung von Ziffer 3 und 4 des Bescheides des vom 24. Februar 2011 verpflichtet, für den Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes festzustellen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Den Beteiligten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages anzuwenden, wenn nicht der jeweils andere vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der am .... ... 1967 geborene Kläger, nach seinen Angaben irakischer Staatsbürger kurdischer Volkszugehörigkeit und yezidischer Religion aus D. begehrt seine Anerkennung als Asylberechtigter, hilfsweise subsidiären Abschiebeschutz.

Der Kläger beantragte am 22. September 2010 bei der Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge seine Anerkennung als Asylberechtigter. Zur Begründung trug er bei seiner Anhörung am 29. Oktober 2010 im Wesentlichen vor, in Mosul im Laden eines Christen Alkohol verkauft zu haben, als eines Tages zwei maskierte Männer gekommen seien und ihn aufgefordert hätten, den Laden binnen drei bis vier Tagen zu verlassen. Zwei Tage später, am 3. Juli 2010, seien wieder maskierte Männer gekommen, hätten ihn gefesselt und die Augen verbunden und ihn mit einem Pkw zu einem verlassenen Ort gebracht. Dort sei er geschlagen und mit dem Tod bedroht worden. Die Entführer hätten seinen Bruder angerufen und die Zahlung von 10.000 Dollar gefordert. Nachdem dieser das Geld bezahlt habe, sei er freigelassen worden. Er sei zu Fuß in die Türkei geflüchtet und von dort aus mit einem Lkw in die Bundesrepublik eingereist.

Diesen Antrag lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 24. Februar 2011 ab. Gleichzeitig stellte es fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vorliegen und verneinte Abschiebeverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Es forderte den Kläger zur Ausreise auf und drohte seine Abschiebung in den Irak an. Der Bescheid wurde dem Kläger am 22. März 2011 zugestellt.

Am 1. April 2011 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.

Er trägt im Wesentlichen vor, dass im Irak nach wie vor Bombenattentate, Entführungen und sonstige Verfolgungshandlungen stattfänden, die das Leben dort kaum erträglich erscheinen ließen. Zudem sei er als Yezide selbst Opfer von Verfolgungsmaßnahmen geworden, die sein Leben in höchste Gefahr gebracht hätten. Die Beklagte habe in ihrem bescheid selbst eingeräumt, dass die Sicherheitslage im Irak sehr instabil sei.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 24. Februar 2011 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, hilfsweise

2. für ihn festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz vorliegen, hilfsweise

3. festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 7 Aufenthaltsgesetz vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die Gründe des angefochtenen Bescheides.

In der mündlichen Verhandlung vom 13. Juli 2012 wurde der Kläger persönlich angehört. Wegen seiner Ausführungen wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorganges (1 Heft) ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG), insoweit war der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes aufzuheben und die entsprechende Verpflichtung auszusprechen. Im Übrigen ist der Bescheid rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO.

1. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, gemäß Art. 16 a Abs. 1 des Grundgesetzes als Asylberechtigter anerkannt zu werden. Insoweit wird gemäß § 77 Abs. 2 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) auf die diesbezüglich zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen.

2. Die Beklagte ist auch nicht zu der Feststellung verpflichtet, dass die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen.

Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung des Abkommens vom 28. Juni 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist, wobei eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe nach § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG auch dann vorliegen kann, wenn die Bedrohung allein an das Geschlecht anknüpft.

Eine Verfolgung in diesem Sinne kann nach § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. a bis c AufenthG von dem Staat (a), Parteien oder Organisationen, die dem Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen (b) oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die unter a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (c), es sei denn, es besteht eine inländische Fluchtalternative.

Macht ein Flüchtling dagegen Nachteile geltend, die ihm allein aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Heimatstaat drohen, wie Hunger, Naturkatastrophen, aber auch allgemeine Auswirkungen von Unruhen, Revolutionen und Kriegen, liegt keine für die Gewährung von Abschiebeschutz gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG relevante Verfolgung vor.

Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie QRL) ergänzend anzuwenden. Schutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG kann danach derjenige beanspruchen, der eine Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat. Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden (Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2004/83/EG). Widerlegt werden kann diese Vermutung nur, wenn stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 5/09 -, zitiert nach juris, dort Rdn. 23).

Die Glaubhaftmachung der Asylgründe setzt eine schlüssige, nachprüfbare Darlegung voraus. Der Schutzsuchende muss unter Angaben genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich - als wahr unterstellt - ergibt, dass ihm bei verständiger Würdigung politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Jedenfalls in Bezug auf die in seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse und persönlichen Erlebnisse hat er eine Schilderung abzugeben, die geeignet ist, seinen Anspruch lückenlos zu tragen (vgl. zum Ganzen VG Ansbach, Urteil vom 1. Dezember 2010 – AN 11 K 10.30384 -, zitiert nach juris, dort Rdn. 16 m. w. N. aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts).

Hier hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht, den Irak aufgrund bestehender oder ihm unmittelbar drohender politischer und dem Staat oder anderen zurechenbarer Verfolgungsmaßnahmen gezwungenermaßen verlassen zu haben.

Eine individuelle Verfolgung ist nicht festzustellen. Der Vortrag des Klägers hinsichtlich seiner Entführung durch private Dritte erfüllt keinen Verfolgungsgrund nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, da es insoweit an einer Anknüpfung an ein asylerhebliches Merkmal im Sinne dieser Vorschrift fehlt. Insbesondere erlitt der Kläger keine Verfolgung aufgrund seiner Religionszugehörigkeit.

Wie der Kläger angegeben hat, kam es zu seiner Entführung, weil er in einem Laden in Mosul Alkohol verkauft hat, wobei es den Entführern einerseits darum ging, den Handel mit Alkoholika zu unterbinden, andererseits aber auch darum, Geld zu erpressen. Auch wenn der Verkauf von Alkohol den Muslimen untersagt ist und deshalb im Irak maßgeblich durch Christen und Yeziden erfolgt, handelt es sich dabei nicht um eine Tätigkeit, die Ausdruck der religiösen Überzeugung des Klägers oder gar religiöse Betätigung wäre. Seine Entführung knüpfte deshalb ersichtlich lediglich an die von ihm ausgeübte berufliche Tätigkeit, nicht aber an seine Religionszugehörigkeit an (vgl. ebenso Verwaltungsgericht Bremen, Urteil vom 26. Januar 2012 – 5 K 2029/10.A -, zitiert nach juris, dort Rdn. 29).

Der Kläger ist im Distrikt Mosul der Provinz Ninive als Yezide auch nicht der Gefahr einer Gruppenverfolgung ausgesetzt. Gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG beurteilt sich dies nach den im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichtes dort herrschenden Verhältnisse. Auf diese schließt die Kammer anhand der zur Verfügung stehenden Erkenntnisse.

Gemäß Art. 7 Abs. 1 b QRL ist von einer sozialen Gruppe u. a. auszugehen, wenn die Mitglieder dieser Gruppe eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen ist, dass der Betreffende nicht gezwungen werden soll, auf sie zu verzichten, und wenn die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Dies ist für die Yeziden im Irak bzw. in der Provinz Ninive der Fall, wobei aufgrund der Angaben des Klägers in seiner Anhörung vor dem Bundesamt keine Zweifel an seiner yezidischer Religionszugehörigkeit bestehen. Die Gefahr eigener Verfolgung kann sich aus gegen Dritte gerichtete Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das der Betroffene mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet.

Die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung liegen hier nicht vor. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigt. Zur Ermittlung der Verfolgungsdichte muss die Gesamtzahl der Angehörigen der von den Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungshandlungen gegen die betroffene Gruppe festgestellt werden, die an ein oder mehrere Merkmale im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG anknüpfen. Alle danach gleich gearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen dann zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden. Die für die Gruppenverfolgung entwickelten Maßstäbe sind auch unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie anwendbar und übertragbar auf die Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure i. S. d. § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21. April 2009 – 10 C 11.08 -, zitiert nach juris, dort Rdn. 14 ff.).

Um eine Gruppenverfolgung zu bejahen, müssen die Verfolgungshandlungen im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale entsteht (Verwaltungsgericht Bremen, Urteil vom 26. Januar 2012 – 5 K 2029/10.A -, a. a. O., dort Rdn. 32).

Unter Anwendung dieser Grundsätze besteht kein begründeter Anhaltspunkt dafür, derzeit von einer Gruppenverfolgung der Yeziden im Distrikt Mosul der Provinz Ninive auszugehen.

Nach den jüngsten Angaben des Auswärtigen Amtes vom 26. März 2012 leben derzeit etwa 450.000 bis 500.000 Yeziden im Irak, wobei die Zahlen stark schwanken (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, Stand: Februar 2012 (im Folgenden: Lagebericht), Seite 24; im Lagebericht vom 28. November 2010 war die Zahl noch mit 200.000 angegeben (Seite 27)). Die schwersten Übergriffe auf Yeziden waren im Jahr 2007 zu verzeichnen, als es zu insgesamt etwa 1000 Anschlägen kam. Seit dem ist ein – regional unterschiedlich ausgeprägter – Rückgang der Gewalt zu verzeichnen. Der religiös-ethnisch gemischte Distrikt Mosul, aus dem der Kläger stammt, gehört zu den offiziell von der Kurdischen Regionalregierung beanspruchten Gebieten und ist (lediglich) de facto kurdisch kontrolliert (vgl. Stellungnahme des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien vom 17. Februar 2010, Seite 11 f). Die de facto kurdische Verwaltung in den genannten Gebieten erfolgt Erkenntnissen des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien zufolge zumindest teilweise in Absprache mit der irakischen Zentralregierung. Für die Sicherheit in dem Distrikt sind in erster Linie die kurdischen Peshmerga-Milizen verantwortlich. Wie aus der Stellungnahme des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien vom 17. Februar 2010 (Seite 28 ff.) weiter folgt, ist die Sicherheitslage im Distrikt Mosul deutlich fragiler als etwa in Schekhan, al-Schekhan oder Til Kef, was unter anderem mit der geographischen Nähe zur Stadt Mosul zusammenhängt, einem Zentrum sunnitischer Aufständiger und für Yeziden nach wie vor eine no-go-area. Insgesamt sei die Situation als instabil einzuschätzen, wenn auch nicht so prekär wie in der Stadt Mosul selbst oder im Distrikt Sindjar. In den Jahren 2008 und 2009 habe es jedoch keinen größeren Anschlag gegen Yeziden im Distrikt Mosul gegeben. Derartiges lässt sich auch anderen Quellen nicht entnehmen (vgl. Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Urteil vom 16. September 2011 – 3 A 446/09 -, zitiert nach juris, dort Rdn. 164). Darüber hinaus hat sich die Sicherheitslage in der Provinz Ninive seit dem Jahr 2007 kontinuierlich verbessert, so dass ein steter Rückgang der Opferzahlen zu verzeichnen ist. Insbesondere ist es nicht mehr zu Übergriffen mit mehreren hundert Toten wie im Jahr 2007 gekommen (vgl. Verwaltungsgericht Bremen, Urteil vom 26. Januar 2012 – 5 K 2029/10.A -, a. a. O., dort Rdn. 41 m. w. N.). Selbst unter Berücksichtigung einer Dunkelziffer (nach Auskunft des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien vom 17. Februar 2010 gibt es keine Gruppierung, die Berichte zu Übergriffen gegen Yeziden im Irak gezielt sammeln würde) fehlt es gegenwärtig nach allem an der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen Verfolgungsdichte.

Die Kammer verkennt nicht, dass für die Frage der Gruppenverfolgung gerade im Hinblick auf die Religionszugehörigkeit nicht allein auf die bloßen Zahlen von Anschlagstoten und Verletzten abgestellt werden kann. Darüber hinaus sind auch weitere Handlungen zu berücksichtigen, sofern sie als qualifizierte, das heißt schwerwiegende Eingriffe in die Freiheit der Religionsausübung zu werten sind (vgl. hierzu ausführlich Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Urteil vom 16. September 2011 – 3 A 446/09 -, a. a. O. dort Rdn. 213 ff., m. w. N.; Verwaltungsgericht Bremen, Urteil vom 26. Januar 2012 – 5 K 2029/10.A -, a. a. O., dort Rdn. 42).

Für die Frage einer Gruppenverfolgung von Yeziden in der Herkunftsregion des Klägers folgt hieraus jedoch nichts anderes. Über die vorgenannten Opferzahlen an Toten und Verletzten hinausgehende, i. S. d. § 60 Abs. 1 AufenthG i. V. m. den Art. 9. 10 der Richtlinie 2004/83/EG relevante Eingriffe in die Religionsfreiheit können für die Herkunftsregion desKlägers als zumutbaren Rückkehrort nicht festgestellt werden. Zwar ist ausweislich des Lageberichtes des Auswärtigen Amtes vom 26. März 2012 (Seite 6) davon auszugehen, dass Yeziden – wie andere Minderheiten im Irak auch – im täglichen Leben erheblich benachteiligt und einem spezifischen Verfolgungs- und Vertreibungsdruck ausgesetzt sind. Gezielte, in die freie Religionsausübung als solche eingreifende Handlungen sind in der erforderlichen Gefahrendichte aber jedenfalls für die yezidischen Siedlungsgebiete außerhalb Bagdads und Mosuls nicht festzustellen (vgl. ebenso die Stellungnahme des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien vom 17. Februar 2010). Eine Verletzung des religiösen Existenzminimums von Yeziden im Distrikt Mosul kann demnach nicht festgestellt werden (vgl. ebenso Verwaltungsgericht Bremen, Urteil vom 26. Januar 2012 – 5 K 2029/10.A -, a. a. O., dort Rdn. 46).

3. Auch die Voraussetzungen der geltend gemachten Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG liegen nicht vor, insbesondere hat der Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 des am 8. Juni 1977 abgeschlossenen Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (ZP II) erfüllt, d.h. wenn bewaffnete Konflikte im Hoheitsgebiet eines Staates zwischen dessen Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebietes des Staates ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll (ZP II) anzuwenden vermögen (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 4.09 -, zitiert nach juris, dort Rdn. 23). Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinn von Art. 15 lit. c der Richtlinie 2004/83/EG nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Kriminelle Gewalt dürfte bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird. Das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c der Richtlinie 2004/83/EG setzt nicht zwingend voraus, dass die Konfliktparteien einen so hohen Organisationsgrad erreicht haben müssen, wie er für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 und für den Einsatz des Internationalen Roten Kreuzes erforderlich ist (vgl. Art. 1 Abs. 1 ZP II). Vielmehr kann es bei einer Gesamtwürdigung der Umstände auch genügen, dass die Konfliktparteien in der Lage sind, anhaltende und koordinierte Kampfhandlungen von solcher Intensität und Dauerhaftigkeit durchzuführen, dass die Zivilbevölkerung davon typischerweise erheblich in Mitleidenschaft gezogen wird. Entsprechendes dürfte auch für das Erfordernis gelten, dass die den staatlichen Streitkräften gegenüberstehende Konfliktpartei eine effektive Kontrolle über einen Teil des Staatsgebietes ausüben muss. Das bedeutet allerdings nicht, dass das Vorliegen eines dieser Merkmale bei der Gesamtwürdigung nicht als Indiz für die Intensität und Dauerhaftigkeit des Konflikts von Bedeutung sein kann (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 4.09 -, a. a. O., dort Rdn. 23; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 14. Dezember 2010 – 13a B 10.30084 -, zitiert nach juris, dort Rn. 32).

In Anwendung dieser Grundsätze kommt das Gericht zu der Überzeugung, dass die derzeitige Situation im Irak insgesamt und auch im Großraum um Mosul nicht bereits die Annahme eines Bürgerkriegs und damit eines landesweit oder auch nur regional bestehenden bewaffneten Konflikts im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zu rechtfertigen vermag (vgl. ebenso Verwaltungsgericht Bremen, Urteil vom 26. Januar 2012 – 5 K 2029/10.A -, a. a. O., dort Rdn. 52 m. w. N.). Die Sicherheitslage im Irak bleibt zwar noch weiter bedrückend (Lagebericht vom 26. März 2012, Seite 6), hat sich aber im Vergleich zu den Vorjahren erheblich verbessert. Trotz Bildung einer neuen Regierung Ende 2010 bestehen die sich überlagernden inneren Konflikte des Irak weiter fort, zumal die Koalitionsregierung seit Mitte 2011 zunehmend zerstritten ist, was das Regierungshandeln lähmt und die Gewalt begünstigt. Auch befindet sich das Sicherheitsumfeld im Irak im Umbruch, nachdem am 19. August 2010 alle US-Kampfverbände und am 18. Dezember 2011 auch alle Ausbildungs- und Unterstützungseinheiten der US-Truppen das Land verlassen haben. Dennoch kam es bislang zu keinem Wiederaufflammen konfessioneller Spannungen oder einer Eskalation des kurdisch-arabischen sowie sunnitisch-schiitischen Konfliktes. Seit dem Frühsommer 2007 die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Irak um ca. 80% abgenommen, auch wenn sie seit etwa zwei Jahren auf einem noch immer inakzeptabel hohen Niveau stagniert. Dies gilt insbesondere auch für die außerhalb der Region Kurdistan-Irak liegenden Gebiete des Nordirak, in denen die Zahl der Anschläge und Todesopfer noch immer als hoch zu bezeichnen ist. Besonders prekär ist die Lage u. a. in der Provinz Ninive mit der Hauptstadt Mosul, ein offener ethnischer Konflikt ist bisher aber nicht ausgebrochen (Lagebericht vom 26. März 2012, Seite 15). Das Gericht geht nach den vorliegenden Erkenntnissen deshalb davon aus, dass derzeit weder ein landesweiter noch in der Herkunftsregion des Klägers ein regionaler innerstaatlicher oder internationaler bewaffneter Konflikt festgestellt werden kann. Die zweifelsohne angespannte Sicherheitslage resultiert vielmehr aus inneren Unruhen und Spannungen sowie vereinzelt auftretenden Gewalttaten, die allerdings nicht die Intensität und Dauerhaftigkeit eines Bürgerkrieges aufweisen. Trotz der nicht unerheblichen Zahl von Anschlägen mit verheerenden Folgen und der weiterhin äußerst angespannten Sicherheitslage, die als instabil zu charakterisieren ist, zeigen die Auseinandersetzungen im Irak nicht eine solche Größenordnung, dass der Anwendungsbereich von Art. 15 lit. c der Richtlinie 2004/83/EG (vgl. nunmehr auch Art. 15 lit. c der Richtlinie 2011/95/EU) und mithin des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG eröffnet wäre.

Allerdings besteht ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche, konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.

Zwar sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, schon bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen, doch liegt im Falle des Klägers darüber hinaus eine individuelle Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor, die nicht schon von einem etwaigen Erlass in diesem Sinne erfasst wird. Da der Kläger bereits einmal entführt und dabei körperlich misshandelt und mit dem Leben bedroht worden und ihm mit seiner beruflichen Tätigkeit auch seine wirtschaftliche Lebensgrundlage streitig gemacht worden ist, besteht die konkrete Gefahr, dass er erneut Opfer von Leib und Leben gefährdenden Gewalttätigkeiten wird. Diese Gefahr weist lediglich nicht die Qualität einer Verfolgung nach § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG auf. Im Gegensatz zu den genannten Regelungen ist für ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausreichend, dass eine konkrete Gefahr besteht, unabhängig davon, woraus sich diese ergibt. Vorliegend erscheint dabei für die Erheblichkeit der dem Kläger drohenden Gefahr bezeichnend, dass dieser nach nur zwei Monaten Tätigkeit in dem Laden bereits bedroht und entführt worden ist, was die besonders prekäre Sicherheitslage in Mosul veranschaulicht.

Eine ihn treffende erhebliche, konkrete Gefahr für Leib und Leben hat der Kläger glaubhaft dargelegt. Bereits bei der Anhörung vor dem Bundesamt hat er dargestellt, dass er wegen des Verkaufs von Alkohol entführt, körperlich misshandelt und mit dem Tode bedroht worden sei. Der Kläger konnte hierfür zwar keine Nachweise vorlegen, jedoch hat er in der mündlichen Verhandlung einen glaubwürdigen Eindruck gemacht.

Der Kläger vermittelte in der mündlichen Verhandlung den Eindruck eines ernsthaften, stillen und nicht zu Übertreibungen neigenden Mannes, der den Irak aufgrund einer von ihm als traumatisch empfundenen und für ihn ausweglosen Notlage verlassen musste. Die Art und Weise seines Vortrages wirkte weder aufgesetzt noch einstudiert, sondern von einem tatsächlich erlittenen Schicksal getragen. So konnte er nachvollziehbar und authentisch Gefühlslagen schildern, etwa den Prozess seines Begreifens, dass er die Entführung überlebt hatte, vermochte zunächst allgemein gehaltene Aussagen auf Nachfrage mit weiteren, einander stimmig ergänzenden Einzelheiten belegen und die ihm gestellten Fragen in Kernpunkten ohne Widersprüche beantworten. Auch beschränkte sich seine Darstellung plausibel auf das, was er tatsächlich hatte wahrnehmen können. Dabei machte er stets kenntlich, wenn seine Antworten auf Fragen des Gerichtes auf Vermutungen oder unsicherer Erinnerung basierten, wobei er glaubhaft darlegte, aufgrund der psychisch belastenden Folgen des Erlebten teilweise Probleme zu haben, sich den damaligen Geschehnissen erneut gedanklich auszusetzen. Dies wurde insbesondere deutlich, als der Kläger durch das Gericht gebeten wurde, näher auszuführen, welcher Art die von ihm erlittenen körperlichen Misshandlungen gewesen seien. Dem bis dahin eher beherrscht wirkenden Kläger versagte bei dem Versuch einer Antwort plötzlich die Sprache, während ihm zugleich die Tränen kamen. Sichtlich rang er einige Zeit um Beherrschung, ehe er mühsam und leise berichten konnte, mit Autokabeln geschlagen worden zu sein. Dabei entstand zu keiner Zeit der Eindruck eines übertriebenen oder aufgesetzten Betragens.

Detailreich und schlüssig legte der Kläger dar, dass er seine ursprüngliche berufliche Tätigkeit als Bauarbeiter wegen aufgetretener Rückenbeschwerden hatte aufgeben müssen und sodann über Freunde von der Arbeitsstelle in dem Laden erfahren hat. Er konnte einzelne der dort verkauften Alkoholika ebenso benennen wie die genauen Öffnungszeiten des Ladens. Die frühe Schließzeit am Nachmittag begründete er ebenso wie den Umstand, dass er jeden Tag mit dem Pkw des Ladenbesitzers aus seinem Dorf abgeholt und wieder zurück gebracht wurde, plausibel mit der prekären Sicherheitslage insbesondere in Mosul, wie sie durch die vorliegenden Erkenntnisse Bestätigung findet. Den Verlauf seiner Entführung schilderte er detailliert und lebensnah, ohne sich in wesentliche Widersprüche zu seinem Vorbringen vor dem Bundesamt zu setzen. Dabei wertet das Gericht kleinere Abweichungen eher als Beleg dafür, dass der Kläger sich bei seinem Vortrag erneut an einen nunmehr bereits zwei Jahre zurück liegendes Erlebnis erinnern muss und nicht etwa eine zurecht gelegte und auswendig gelernte Geschichte wiedergibt.

Ebenso hat der Kläger schließlich nachvollziehbar erklärt, weshalb er keine polizeiliche Hilfe gesucht hat. Sein Hinweis, dass die irakische Polizei selbst immer wieder Ziel von Anschlägen, Tötungen und Entführungen sei und sich deshalb mehr um sich selbst kümmere und nicht in der Lage sei, Leuten wie ihm zu helfen, stimmt mit dem vorliegenden Erkenntnissen überein, wonach gerade auch Polizisten besonders gefährdet sind, Opfer von Repressalien terroristischer Gruppen zu werden, und vielerorts – unter anderem auch in Mosul – weder in der Lage noch willens sind, die Bürger vor derartigen Repressionen zu schützen und für Recht und Ordnung zu sorgen (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2012, Seite 21).

Dem Kläger ist schließlich auch in den – insoweit einzig in Betracht kommenden - de jure kurdisch verwalteten Provinzen im Nordirak keine innerstaatliche Fluchtalternative eröffnet. Für ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG gilt ebenfalls, dass es mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Asyl- und Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn die Gefahr im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine innerstaatliche/inländische Fluchtalternative besteht, die im Falle einer drohenden Rückkehrverfolgung vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss. Die kurdischen Provinzen stellen nur dann eine Fluchtalternative dar, wenn der Kläger dort zum einen mangels politischer Exponiertheit vor dem Zugriff des zentralirakischen Staates ausreichend sicher ist und zum anderen aufgrund familiärer Verbindungen das wirtschaftliche Existenzminimum gesichert ist. Eine Zuwanderung bzw. Rückkehr in den kurdisch verwalteten Nordirak ist nach ständiger Rechtsprechung Irakern allenfalls dann zumutbar möglich, wenn sie von dort stammen und ihre Großfamilie/Sippe dort ansässig ist (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 14. November 2007 - 23 B 07.30500 -, zitiert nach juris, dort Rdn. 40 ff.).

Yeziden aus der Region um Mosul stoßen in den drei unter kurdischer Verwaltung stehenden Provinzen auf erhebliche Schwierigkeiten bei der Erlangung physischen Schutzes, beim Zugang zu Wohnraum und Beschäftigung sowie anderen Dienstleistungen, wie nicht zuletzt ihr Status als Bürger zweiter Klasse verdeutlicht (vgl. Stellungnahme des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien vom 17. Februar 2010, Seite 24 f). Eine Umsiedlung auch aus den de facto unter kurdischer Verwaltung stehenden Gebieten in den Nordirak ermöglicht den Betroffenen nicht, ein normales Leben ohne unzumutbare Härten zu führen. Die schlecht bzw. nicht ausgebildeten Familienoberhäupter erhalten nur schlecht bezahlte Arbeitsstellen, so dass sich die aus den yezidischen Dörfern stammenden Familien das Leben in Kurdistan-Irak schlicht nicht leisten können. Insbesondere sind sie nicht in der Lage, Wohnraum zu zahlen. Zudem wird den Yeziden aus den sog. umstrittenen Gebieten, zu denen auch der Distrikt Mosul gehört, die Registrierung und damit der Bezug subventionierter Lebensmittelrationen in der de jure kurdisch verwalteten Region verweigert (vgl. Stellungnahme des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien vom 17. Februar 2010, Seite 30). Seit 2005 wächst die Unzufriedenheit der einheimischen Bevölkerung mit der kurdischen Verwaltung und deren Fähigkeit, die Bereitstellung grundlegender Versorgungsdienste, insbesondere der Wasser-, Brennstoff- und Energieversorgung zu verbessern. Zusätzliche Belastungen erwachsen den ohnehin nur eingeschränkt funktionsfähigen Versorgungssystemen durch die große Anzahl der Binnenvertriebenen in den drei nördlichen Provinzen, wodurch wiederum die Aufnahmekapazitäten in dieser Region drastisch begrenzt werden (vgl. Verwaltungsgericht München, Urteil vom 17. Juli 2010 – M 16 K 10.30622 -, zitiert nach juris, dort Rdn. 33 f). Ohnehin haben die kurdischen Parteien kein Interesse daran, dass Kurden – und zu diesen gehörig auch die Yeziden – die sog. umstrittenen Gebiete verlassen. Vielmehr soll der Anteil an Kurden dort so hoch wie möglich gehalten werden, um im Falle eines Referendums eine Stimmenmehrheit für die Zuordnung dieser Gebiete zur kurdischen Region zu erlangen (vgl. Stellungnahme des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien vom 17. Februar 2010, Seite 30).

Demgemäß ist dem Kläger ein Ausweichen in den Nordirak nicht zumutbar. Obwohl er in der Nähe von D. geboren wurde und zur Schule gegangen ist, verfügt er über keine familiäre oder andere Beziehungen mehr in Kurdistan-Irak. Insoweit hat er glaubhaft dargelegt, dass sein Geburtsort bereits 1987 zerstört worden ist und seine Familie deshalb nach D. verzogen ist. Es ist deshalb anzunehmen, dass er in den kurdisch verwalteten Provinzen im Nordirak das notwendige Existenzminimum nicht finden kann.

Die Kostenentscheidung in dem nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfreien Verfahren beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.