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Unfallhilfe - Zuständigkeit - Berufsgenossenschaft - Unfallkasse


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 2. Senat Entscheidungsdatum 07.02.2012
Aktenzeichen L 2 U 230/11 B ER ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 128 Abs 1 Nr 6 SGB 7, § 185 Abs 2 S 1 SGB 7

Leitsatz

Bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zur möglichen summarischen Prüfung ist keine Rechtsgrundlage ersichtlich, nach der ein Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand (Unfallkassen) Beiträge für im Unfallhilfebereich Beschäftigte eines Trägers der freien Wohlfahrtspflege erheben kann.

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners und Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 05. September 2011 wird zurückgewiesen. Der Antragsgegner und Beschwerdeführer trägt auch die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 21.515,68 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gegen einen Beitragsbescheid des Antragsgegners, mit dem dieser für 415 entgeltlich Beschäftigte des Antragstellers, die im Unfallhilfebereich tätig sind, Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung in Höhe von 43.031,35 Euro erhebt. Das Sozialgericht Berlin hat im angefochtenen Beschluss vom 5. September 2011 dem Antrag stattgegeben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 21. April 2011 gegen den angefochtenen Beitragsbescheid vom 13. April 2011 angeordnet.

Die hiergegen vom Antragsgegner zulässig (§ 172 SGG) erhobene Beschwerde ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den angefochtenen Beitragsbescheid zu Recht angeordnet, da dieser offensichtlich rechtswidrig ist. Denn so schwierig zu beurteilen die Frage auch sein mag, bei welchem Unfallversicherungsträger die entgeltlich im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch/Siebtes Buch (SGB VII) beschäftigten Arbeitnehmer des Antragstellers im Unfallhilfebereich gesetzlich unfallversichert sind, nämlich bei der Antragsgegnerin oder der fachlich zuständigen gewerblichen Berufsgenossenschaft, so eindeutig ist die Rechtslage im Hinblick darauf, dass der Antragsgegner in keinem Fall Beiträge für die entgeltlich Beschäftigten des Antragstellers im Unfallhilfebereich erheben darf. Denn ist er für diesen Personenkreis zuständig, so ergibt sich die Beitragsfreiheit eindeutig aus § 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VII i.V.m. § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII. Ist der Antragsgegner für diesen Personenkreis nicht zuständig, weil dieser – Fragen der Katasterstetigkeit außer Acht gelassen – materiell-rechtlich bei der fachlich zuständigen gewerblichen Berufsgenossenschaft versichert ist, so ist eine Beitragserhebung durch den Antragsgegner für diesen Personenkreis ebenfalls rechtswidrig.

Der nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG gestellte Antrag des Antragstellers ist statthaft, da der mit Schreiben vom 21. April 2011 gegen den Beitragsbescheid vom 13. April 2011 erhobene Widerspruch keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Denn die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage nach § 86 a Abs. 1 Satz 1 SGG entfällt nach Abs. 2 Nr. 1 der Vorschrift bei der Entscheidung über Beitragspflichten. Darum geht es bei der hier streitigen Erhebung von Beiträgen.

Zu treffen ist eine gerichtliche Abwägungsentscheidung, die in den Fällen des § 86 a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Konzept des Gesetzgebers in § 86 a Abs. 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen hat (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage § 86 b Rdnr. 12 b). Nach § 86 a Abs. 3 Satz 2 SGG soll in den Fällen des Abs. 2 Nr. 1 die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- und Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes liegen vor, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlicher ist als der Misserfolg (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 86 a Rdnr. 27 a). Sind diese Voraussetzungen gegeben, überwiegt das private Interesse an der Aussetzung das öffentliche Interesse am Sofortvollzug, denn an der Vollziehung rechtswidriger Bescheide kann kein öffentliches Interesse bestehen. Sind die Erfolgsaussichten nicht in diesem Sinne abschätzbar, bleibt eine allgemeine Interessenabwägung, wobei der Grad der Aussichten des Hauptsacheverfahrens mitberücksichtigt werden kann (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 86 b Rdnr. 12 f.).

Die Abwägung der widerstreitenden Interessen nach den dargestellten Grundsätzen ergibt, dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den angegriffenen Beitragsbescheid anzuordnen ist, wie bereits das Sozialgericht zu Recht erkannt hat.

Rechtsgrundlage der vom Antragsteller in Anspruch genommenen Beitragsfreiheit für seine entgeltlich Beschäftigten im Unfallhilfebereich kann nur § 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VII sein. Danach werden für Versicherte nach § 128 Abs. 1 Nr. 2 bis 9 und 11 SGG Beiträge nicht erhoben. Nach dieser Vorschrift wird der Versicherte, für den keine Beiträge erhoben werden, nicht nach den die Versicherungspflicht begründenden Vorschriften der §§ 2 ff. SGB VII definiert, sondern nach der zuständigkeitsbegründenden Norm der Unfallversicherungsträger im Landesbereich, hier § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII. Nach § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII ist der Antragsgegener damit zuständig für Personen, die in Einrichtungen zur Hilfe bei Unglücksfällen tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen dieser Einrichtungen teilnehmen. Soweit sich die Zuständigkeit des Antragsgegners für eine Person nach dieser Norm richtet, folgt daraus zwingend zugleich die Beitragsfreiheit. Dies ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut der Norm des § 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VII. Damit steht fest, dass für die Personen, für die der Antragsgegner nach § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII zuständig ist, keine Beiträge zu erheben sind.

Damit steht fest, dass der vorliegend angefochtene Beitragsbescheid in jedem Fall rechtswidrig ist, ohne dass es darauf ankommt, ob die entgeltlich Beschäftigten des Antragstellers im Unfallhilfebereich tatsächlich in die Zuständigkeit des Antragsgegners fallen. Denn wenn dies der Fall ist, ergibt sich – wie oben dargestellt – zwingend deren Beitragsfreiheit. Ist der Antragsgegner allerdings nicht für die entgeltlich Beschäftigten des Antragstellers im Unfallhilfebereich tätig, weil dieser Personenkreis gemäß §§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 122 SGB VII in den Zuständigkeitsbereich der fachlich zuständigen Berufsgenossenschaft fällt, ist der Beitragsbescheid deshalb rechtswidrig.

Der Senat vermag keine Vorschrift zu erkennen, nach der es möglich wäre, dass der Antragsgegner für die im Unfallhilfebereich tätigen Beschäftigten Beiträge erheben dürfte.

So spricht einiges dafür, dass die entgeltlich Beschäftigten des Antragstellers im Unfallhilfebereich nicht in die Zuständigkeit des Antragsgegners fallen, weil sie gemäß § 122 SGB VII in die Zuständigkeit der gewerblichen Berufsgenossenschaft gehören und dort Beiträge zu zahlen sind. Zwar hat das Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 28. November 2006 (B 2 U 33/05 R zitiert nach juris) die Hilfe bei Unglücksfällen als eine der staatlichen Gemeinschaft obliegende Aufgabe bezeichnet, für die deshalb beitragsfreier Versicherungsschutz bestehe, und in diesem Zusammenhang haupt- und ehrenamtlich Tätige erwähnt. Dies bedeutet aber nach Auffassung des Senats noch nicht zwingend, dass auch die hauptamtlich und entgeltlich im Unfallhilfebereich bei dem Antragsteller Beschäftigten beim Antragsgegner versichert sind. Denn eine Begründung für seine Auffassung hat das BSG nicht gegeben, was angesichts des Streitgegenstandes im damaligen Verfahren auch nicht veranlasst war.

Bei summarischer Prüfung spricht auch einiges dafür, dass § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII nur die Zuständigkeit für die Personen begründen sollte, die in Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen oder im Zivilschutz unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich tätig sind. Es handelte sich dann um eine die Zuständigkeit allein für die Versicherten nach § 2 Abs. 1 Nr. 12 SGB VII begründende Norm. Denn für alle übrigen Beschäftigten im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII bestünde ohnehin Unfallversicherungsschutz durch die fachlich zuständige Berufsgenossenschaft nach § 122 SGB VII. Die Notwendigkeit, eine besondere Zuständigkeitsregelung zu schaffen, ergab sich nur für die Versicherten der so genannten unechten Unfallversicherung, die ohne die Spezialnorm des § 2 Abs. 1 Nr. 12 SGB VII nicht unfallversichert wären und für die somit auch keine gewerbliche Berufsgenossenschaft zuständig gewesen wäre.

Das Argument des Antragstellers, die Tätigkeit im Unfallhilfebereich liege im öffentlichen Interesse, so dass der Gesetzgeber deshalb die Beitragsfreiheit aller Beschäftigten, also auch der entgeltlich Beschäftigten, in § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII angeordnet habe, überzeugt nicht ohne weiteres, auch wenn der Wortlaut des zitierten BSG-Urteils diese Auffassung zu stützen scheint. Denn es gibt eine Vielzahl von Tätigkeiten, die im öffentlichen Interesse liegen oder sich als Aufgabe der staatlichen Gemeinschaft darstellen und die dennoch beitragspflichtig bei einer gewerblichen Berufsgenossenschaft versichert sind. So räumt selbst der Antragsteller ein, dass seine sonstigen Beschäftigten außerhalb der Unfallhilfe im Bereich der Wohlfahrt über die fachlich zuständige gewerbliche Berufsgenossenschaft versichert sind. So ist die Sicherstellung des Versorgungsauftrags der gesetzlichen Krankenversicherung sicher eine Aufgabe der staatlichen Gemeinschaft. Dennoch sind die Mitarbeiter in gemeinnützigen Krankenhäusern nicht schon deshalb beitragsfrei unfallversichert. Folglich kann weder aus dem Argument der „Gemeinnützigkeit“ noch dem des „öffentlichen Interesses“ der zwingende Schluss gezogen werden, solche Tätigkeiten seien im Hinblick auf die Beitragspflicht privilegiert.

Die Frage, ob der Personenkreis der entgeltlich Beschäftigten im Unfallhilfebereich möglicherweise aus Gründen der Katasterstetigkeit weiter beitragsfrei bei dem Antragsgegner versichert ist, weil dies nach den unwidersprochenen Angaben des Antragstellers seit 1952 so gehandhabt wurde, ist vorliegend nicht zu entscheiden. Denn eine Beitragspflicht würde sich daraus gerade nicht ergeben.

Nichts anderes ergäbe sich, wenn der Senat eine Interessenabwägung unter Außerachtlassung der Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren anstellte. Der Antragsgegner kann im Rahmen der Abwägung nicht mit dem Argument gehört werden, dass er Leistungen an den fraglichen Personenkreis zu erbringen habe und deshalb auch einen Beitragsanspruch realisieren müsse. Denn es wurde vom Antragsteller unwidersprochen vorgetragen, dass die Unfallversicherung für den streitigen Personenkreis seit 1952 beitragsfrei durch die Unfallkassen gewährleistet wurde. Jedenfalls bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen ist zu berücksichtigen, dass die Abwicklung des beitragsfreien Versicherungsschutzes für den streitigen Personenkreis bis zum Jahre 2011 offenbar kein Problem dargestellt hat. Allein der Umstand, dass der Antragsgegner ab 2011 seine Auffassung zur Erhebung von Beiträgen geändert hat, ohne dass dem eine eindeutige Gesetzesänderung zugrunde lag, vermag bei Abwägung der widerstreitenden Interessen den Sofortvollzug nicht zu begründen.

Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung des § 197 a SGG.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Gerichtskostengesetz (GKG). In einstweiligen Rechtsschutzverfahren setzt der Senat wegen der Vorläufigkeit des Verfahrens die Hälfte der streitigen Beiträge als Streitwert fest.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG und § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).