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Familienleistungsausgleich


Metadaten

Gericht FG Berlin-Brandenburg 10. Senat Entscheidungsdatum 07.03.2013
Aktenzeichen 10 K 10353/08 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Der Bescheid vom 12. Juni 2008 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 8. August 2008 wird aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für die Tochter der Klägerin für das Jahr 2006 zu Recht aufgehoben hat.

Die Klägerin ist die Mutter des Kindes B…, geboren am 7. Juli 1981. Der Vater von B… verstarb im Januar 1997. B… ist Mutter der am 5. November 2004 geborenen D….

Jedenfalls mit Bescheid vom 28. April 2005 setzte die Beklagte für B… vor dem Streitzeitraum laufendes Kindergeld fest.

Ausweislich vorgelegter Studienbescheinigungen war B… jedenfalls von Wintersemester 2005/2006 bis Wintersemester 2006/2007 ordnungsgemäß an der Universität E… immatrikuliert und nicht beurlaubt.

Laut Lohnsteuerbescheinigung für 2006 erzielte B… in diesem Jahr einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 2.939,50 €. Ein Bescheid der Deutschen Rentenversicherung vom 3. April 2006 weist für April 2006 bis einschließlich September 2006 eine monatliche Rente in Höhe von 150,07 € aus.

Mit Bescheid vom 12. Januar 2008 hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung zu Gunsten der Klägerin für B… für den Zeitraum Januar 2006 bis Dezember 2006 auf und verlangte die Rückzahlung des für diesen Zeitraum gezahlten Kindergeldes in Höhe von 1.848 €. B… lebe mit dem Kindesvater in einem gemeinsamen Haushalt. Da dieser über ein hohes Einkommen verfüge, entfalle die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber B… und damit auch deren Kindergeldanspruch. Zudem habe B… in 2006 über Einkünfte und Bezüge verfügt, welche den maßgeblichen Grenzbetrag bei weitem überschritten hätten. Es sei zu unterstellen, dass sich die Kindeseltern das zur Verfügung stehende Einkommen geteilt hätten, weshalb B… als Unterhaltsleistungen des Kindesvaters 17.757,39 € zuzurechnen seien. Auf die Anlage zur Grenzbetragsberechnung wird ergänzend Bezug genommen,

Ihren gegen diesen Bescheid eingelegten Einspruch begründete die Klägerin damit, B… sei nicht durch die Betreuung von D… an der Ausübung einer Erwerbstätigkeit gehindert worden, sondern durch die Weiterführung ihres Studiums. Die Voraussetzungen für eine Unterhaltspflicht des Kindesvaters gegenüber B… während der Dauer ihrer Ausbildung lägen ebenfalls nicht vor.

Mit Einspruchsentscheidung vom 8. August 2008 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Nach § 1615I Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erwerbe eine mit dem Vater ihres Kindes nicht verheiratete Frau aus Anlass der Geburt ihres Kindes einen Unterhaltsanspruch gegen den Kindesvater. Sofern der Kindesvater leistungsfähig sei, trete der gesetzliche Unterhaltanspruch der Eltern der Kindesmutter - hier B… - zurück. Wie bei verheirateten Kindern entfalle dabei mangels vorrangiger Unterhaltspflicht der Kindergeldanspruch.

Mit ihrer Klage vertritt die Klägerin die Auffassung, sie sei B… auch in 2006 zum Unterhalt verpflichtet gewesen, da B… sich in ihrer ersten Berufsausbildung befunden und eigenes Einkommen zur Deckung des Unterhaltsbedarfs B… nicht in ausreichender Höhe zur Verfügung gestanden habe. Andere Personen seien nicht vorrangig zum Unterhalt von B… verpflichtet gewesen. Einkommen und Bezüge von B… überschritten nicht den maßgeblichen Grenzbetrag von 7.680 €. Tatsächlich habe B… in 2006 lediglich Einnahmen in Höhe von 4.740,34 € erzielt, nämlich

Geringfügige Beschäftigung netto

2.939,50 €

Halbwaisenrente

1.800,84 €

Gesamtsumme

4,740,39 €

Fiktive Unterhaltsleistungen des Kindesvaters von D… seien nicht anzurechnen. Die gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 1615l BGB für einen Unterhaltsanspruch gegen den Kindesvater seien nicht erfüllt gewesen. B… habe für N Betreuungsleistungen nur in einem solchen Umfang erbracht, dass ihr eine vollschichtige Erwerbstätigkeit daneben noch möglich gewesen sei. Im Übrigen sei die Betreuung durch den Kindesvater übernommen worden. Für D… habe ein Kindertagesstättenplatz im Umfang von täglich acht Stunden zur Verfügung gestanden. In der Regel sei dieser von 9.00 Uhr bis 16.00 Uhr genutzt worden.

B… sei auch in 2006 ihrem Hochschulstudium in Vollzeit nachgegangen. Der Kindesvater habe als selbstständiger Unternehmer eine Gaststätte, „F…“, in E… betrieben. Morgens habe B… D… betreut und in den Kindergarten gebracht. Nachmittags sei D… meist von dem Kindesvater aus der Kita abgeholt worden. Die Abendbetreuung D…s sei im Hinblick auf die Erfordernisse des Gewerbes des Kindesvaters regelmäßig von B… übernommen worden. Soweit ein- bis zweimal je Semester an der Universität Blockseminare als Pflichtveranstaltungen an den Wochenenden von 9.00 bis 17.00 Uhr täglich von B… zu besuchen gewesen seien, habe ebenfalls der Kindesvater in Abwesenheit von B… die Kindsbetreuung übernommen gehabt. Ihre Nebentätigkeit als Servierkraft im „F…“ habe B… mit maximal 15 Stunden wöchentlich in denjenigen Zeiträumen ausgeübt, in denen der Kindesvater dienstfrei gehabt habe. Gegebenenfalls sei auch die Mutter des Kindesvaters, die auf dem gleichen Grundstück gewohnt habe, eingesprungen.

Vorsorglich sei einzuwenden, dass die Beklagte einen etwaigen Unterhaltsanspruch unzutreffend berechnet habe. Ein Unterhaltsanspruch habe monatlich allenfalls in Höhe von 770 €, im gesamten Jahr also 9.240 €, bestanden, da B… schon vor der Geburt von D… studiert und dieses Studium fortgesetzt habe. Anzurechnen auf diesen Unterhaltsanspruch sei zur Hälfte das Nettoeinkommen aus der Erwerbstätigkeit von B… in Höhe von 1.469,75 €. Anzurechnen sei weiterhin die Halbwaisenrente von 1.800,84 €. Danach verbleibe allenfalls noch ein Unterhaltsanspruch in Höhe von 5.969,41 €. Insgesamt stelle sich das Rechenwerk wie folgt dar:

Einkünfte aus Erwerbstätigkeit

2.939,50 €

        

abzügl. pauschal

920,00 €

        
                

2.019,50 €

Bezug Halbwaisenrente

1.989,84 €

        

abzügl. Sozialversicherungsbeiträge

189,00 €

        

abzügl. Kostenpauschale

180,00 €

        
                

1.620,84 €

Fiktive Unterhaltsleistungen von Kindesvater

        

5.969,41 €

Zwischensumme

        

9.609,75 €

                        

abzügl. Pauschale Unterhaltsaufwendungen für eigenes Kind

1.980,00 €

        

abzügl. besondere Ausbildungskosten für Sommersemester

265,00 €

        

abzügl. besondere Ausbildungskosten für das Wintersemester 2006/2007

265,00 €

        

abzügl. besondere Ausbildungskosten für Fahrten zw. Wohnung und Universität E… an 240 Tagen, 12 km Entfernung und 0,30 €/km

864,00 €

        
                

./. 3.374,00 €

Anzurechnende Einkünfte und Bezüge

        

6.235,75 €

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 12. Juni 2008 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 8. August 2008 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, B… sei durch ihr Studium derart stark ausgelastet gewesen, dass von ihr eine Berufstätigkeit/Erwerbstätigkeit nicht zu erwarten gewesen sei. Studiengebühren seien nicht als besondere Ausbildungskosten anzuerkennen. Die Grenzbetragsberechnung sehe deshalb folgendermaßen aus:

Einkünfte

                        

Einkünfte aus geringfüg. Beschäftigung

2.939,50 €

                

abzügl. WK

./. 920,00 €

                

Zwischensumme

        

2.019,50 €

        
                                

Bezüge

                        

Halbwaisenrente

1.989,84 €

                

abzügl. Pauschale

./. 180,00 €

                

abzügl. Sozialvers.

./. 189,00 €

                

Zwischensumme

        

1.620,84 €

        
                                

Abzug Unterhaltspauschale für eigenes Kind

        

./. 1.980,00 €

        
                                

Eigenes zurechenbares Einkommen von B…

                

1.660,34 €

                                

Berechnung anrechenbares Einkommen Kindesvater 2006

                        

Bruttoeinkommen (lt. ESt-Bescheid, 135 Kindergeldakte)

39.062,00 €

                

abzügl. Steuern

./. 7.155,38 €

                

abzügl. Sozialversicherungsbeiträge nicht feststellbar

                        

abzügl. Unterhaltspauschale eig. Kind

./. 1.980,00 €

                

Zwischensumme

        

29.926,62 €

        

abzügl. Einkünfte/Bezüge B…

        

./. 1.660,34 €

        

Zwischensumme

        

28.266,28 €

        
                                

Davon Hälfte B… zuzurechnen

                

14.133,14 €

                                

Zu berücksichtigende Einkünfte und Bezüge B…

                

15.793,48 €

Jahresgrenzbetrag

                

7.680,00 €

Überschreitung um

                

8.113,48 €

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen B… und C…. Wegen der Einzelheiten der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Die Klägerin wird durch den Bescheid vom 12. Januar 2008 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 8. August 2008 in ihren Rechten verletzt, da dieser Bescheid rechtswidrig ist, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Klägerin hat auch für das Jahr 2006 einen Anspruch auf Kindergeld für B…, da sich B… in diesem Jahr in einer Berufsausbildung befand und im gesamten Kalenderjahr 2006 jedenfalls geringere Einkünfte und Bezüge als 7.680 € hatte.

Ein Kind, welches, wie B…, im Streitzeitraum das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hatte, ist u.a. bei der Kindergeldzahlung zu berücksichtigen, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird und im Streitjahr über keine höheren Einkünfte und Bezüge verfügt als 7.680 €, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a und Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) in der im Streitzeitraum geltenden Fassung.

Die erste Voraussetzung erfüllte B… in 2006, weil sie einem Studium an der Universität nachging, was auch die Beklagte nicht in Zweifel zieht.

Daneben verfügte B… in 2006 auch über keine höheren Einkünfte und Bezüge als 7.680 €, welche zur Bestreitung des Unterhaltes oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet waren. Ihr ist insbesondere nicht als Bezug im Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ein Unterhaltsanspruch gegen den Vater von D… zuzurechnen, jedenfalls nicht in einer Höhe, dass der in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG festgelegte Jahresgrenzbetrag von 7.680 € überstiegen würde.

Es besteht zwischen den Beteiligten Einigkeit darüber, dass B… in 2006 über 2.019,50 € Einkünfte aus eigener Erwerbstätigkeit und 1.620,84 € Bezüge aus Halbwaisenrente verfügte, insgesamt also 3.640,34 €, und dass für D… 1.980,00 € pauschal als Unterhaltsaufwendungen mindernd zu berücksichtigen sind. Umstritten ist, ob der sich daraus errechnende Betrag in Höhe von 1.660.34 € um Bezüge in Höhe von 14.133,14 € aufgrund eines entsprechenden Unterhaltsanspruchs von B… gegenüber dem Kindesvater von D… zu erhöhen ist.

Dies ist nicht der Fall. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1615l BGB, auf den die Beklagte eine solche Zurechnung stützt, sind nicht erfüllt, denn B… hat D… nicht allein betreut. Die Betreuung von D… ist vielmehr durch die Kindeseltern gemeinsam zu etwa gleichen Teilen wahrgenommen worden.

Nach § 1615l Abs. 2 Satz 1 BGB in Verbindung mit § 1615l Abs. 1 Satz 1 BGB ist der Kindesvater auch bei nicht miteinander verheirateten Eltern verpflichtet, der Kindesmutter über den Zeitraum von acht Wochen nach der Geburt Unterhalt zu gewähren, wenn die Mutter einer Erwerbstätigkeit nicht nachgeht, weil sie infolge der Schwangerschaft oder einer durch die Schwangerschaft oder die Entbindung verursachten Krankheit dazu außerstande ist. Gleiches gilt nach § 1615l Abs. 2 Satz 2 BGB, soweit von der Mutter wegen der Pflege oder Erziehung des Kindes eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann. Diese Unterhaltspflicht endet regelmäßig drei Jahre nach der Geburt des Kindes. Nach § 1615l Abs. 3 Satz 2 BGB geht die Unterhaltspflicht des Kindesvaters der der Eltern der Kindesmutter vor. Im Übrigen steht nach § 1615l Abs. 4 BGB dem Vater des Kindes der Anspruch nach § 1615 Abs. 2 Satz 2 BGB gegen die Mutter zu, wenn er das Kind betreut. § 1615l Abs. 3 BGB gilt in diesem Falle entsprechend.

Im vorliegenden Streitfall sind die Voraussetzungen für einen Unterhaltsanspruch von B… gegen den Kindesvater nach § 1615l BGB nicht erfüllt.

Hinsichtlich eines Anspruchs nach § 1615l Abs. 2 Satz 1 BGB ist dies angesichts des Alters von D… im Streitzeitraum offensichtlich.

Aber auch nach § 1615l Abs. 2 Satz 2 BGB besteht kein Unterhaltsanspruch. Zwar trifft nach wohl herrschender Meinung die das Kind betreuende Mutter einschränkungslos keine Erwerbsobliegenheit und es kommt auch nicht darauf an, dass die Kindesbetreuung alleinige Ursache für eine Nichterwerbstätigkeit ist, sodass auch ein Unterhaltsanspruch besteht, wenn die Mutter zuvor erwerbslos war oder ein anderes Kind betreute, welches sie ebenfalls an einer Erwerbstätigkeit hinderte (vgl. Bundesgerichtshof - BGH -, Urteil 21. Januar 1998 XII ZR 85/96, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1998, 1309; Brudermüller in Palandt, Kommentar zum BGB, 72. Auflage 2013, § 1615l BGB Rz10; Viefhues in jurisPK-BGB, Band 4, 6. Auflage 2012, § 1615l BGB Rz 22).

Eine pauschale dreijährige Unterhaltspflicht des Kindesvaters lässt sich § 1615l Abs. 2 Satz 2 BGB gleichwohl nicht entnehmen. Dies folgt aus dem Zweck der Unterhaltsregelung. Durch § 1615l Abs. 2 Satz 2 BGB sollte die soziale und wirtschaftliche Ausgangslage des nichtehelichen Kindes dadurch verbessert werden, dass die Kindesmutter nicht mehr nachweisen muss, dass sie mangels anderweitiger Versorgungsmöglichkeiten des Kindes nicht erwerbstätig sein kann. Der Kindesvater sollte mehr in die Verantwortung dafür einbezogen werden, dass sein Kind in den ersten drei Lebensjahren in den Genuss der persönlichen Betreuung durch die Kindesmutter kommt, die dafür durch den Unterhaltsanspruch sichergestellt wird (vgl. BGH, Urteil 21. Januar 1998 XII ZR 85/96, a.a.O.). Entscheidend für den Gesetzgeber war die Sicherstellung der Vollbetreuung des Kindes durch die Mutter (vgl. Drucksache des Deutschen Bundestages - BT-Drucksache - 13/1850, Seite 24, Zu Artikel 6).

Maßgeblich ist danach, dass das Kind in den ersten drei Lebensjahren tatsächlich in den Genuss der persönlichen Betreuung durch die Kindesmutter kommt (vgl. Niedersächsisches FG, Urteil vom 27. Juni 2011 16 K 123/11, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2011, 1909; FG Münster, Urteil vom 17. Juni 2010 11 K 2790/09 Kg, EFG 2010, 1522). Bestätigung findet diese Auslegung in § 1615l Abs. 4 BGB, wonach dem Vater umgekehrt der Unterhaltsanspruch gegen die Mutter zusteht, wenn er das Kind tatsächlich betreut (vgl. a. Brudermüller in Palandt, Kommentar zum BGB, 72. Auflage 2013, § 1615l BGB Rz 33).

Vor diesem Hintergrund vermag sich der Senat nicht der wohl abweichenden Auffassung anderer Finanzgerichte anzuschließen, wonach es zur Erfüllung der Kindesbetreuung durch die Mutter ausreiche, wenn diese die Betreuung durch Dritte sicherstelle bzw. eine von ihr weiterbetriebene Ausbildung zeitlich „strecke“, um (auch) Zeit zur Betreuung ihres Kindes zu haben (vgl. etwa Thüringer FG, Urteil vom 23. November 2011 3 K 371/09, StE 2013, 57). Letzteres erscheint dem Senat ohnehin als unerheblich, da § 1615l Abs. 2 Satz 2 BGB mit der „Erwerbstätigkeit“ den Maßstab vorgibt, anhand dessen das Erwartbare zu prüfen ist. Soweit der Gesetzgeber darauf abstellt, dass ausnahmslos keinem Elternteil eine Erwerbstätigkeit zugemutet werde (vgl. Thüringer FG, Urteil vom 23. November 2011 3 K 371/09, a.a.O. unter Hinweis auf BT-Drucksache 16/6980, Seite 10, Zu Buchstabe e), ist nicht erkennbar, dass damit vom Erfordernis der tatsächlichen Betreuung Abstand genommen wird.

Auch die Entscheidung des FG Mecklenburg-Vorpommern vom 27. September 2012 (2 K 34/11, juris) steht jedenfalls für den zu entscheidenden Streitfall der oben vertretenen Rechtsauffassung nicht entgegen. Zwar betont sie ebenfalls, dass maßgeblich sei, dass eine Erwerbstätigkeit von der Kindesmutter generell nicht erwartet werden könne, befasst sich jedoch nicht mit der Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Kindesmutter tatsächlich die Betreuung und Pflege des Kindes wahrgenommen hatte. Zudem gehen sowohl die Entscheidung des Thüringer FG wie auch die des FG Mecklenburg-Vorpommern noch von einer erforderlichen typischen Unterhaltssituation aus, einem Merkmal, welches der Bundesfinanzhof - BFH - in seiner neueren Rechtsprechung ausdrücklich hat fallen lassen unter Hinweis darauf, dass allein maßgeblich die Erfüllung der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen für das Bestehen eines Kindergeldanspruchs sei (BFH, Urteil vom 17. Juni 2010 III R 34/09, Bundessteuerblatt - BStBl - II 2010, 982).

Kommt es danach darauf an, wer von den Kindeseltern D… tatsächlich betreut hat, ist nach dem bisherigen Sach- und Streitstand und dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen, dass sich B… und der Kindesvater auf eine gemeinschaftliche Kinderbetreuung geeinigt und dies auch so durchgeführt haben. Dies haben die Kindeseltern von D… bei ihrer zeugenschaftlichen Vernehmung in für den Senat überzeugender Weise im Ergebnis übereinstimmend bekundet. Dass dabei B… die Zeitanteile der tatsächlich von den Kindeseltern übernommenen Kindesbetreuung mit 50:50, der Kindesvater dagegen mit einem tendenziell eher überwiegenden Anteil von B… eingeschätzt hat, erscheint dem Senat angesichts der Schwierigkeit einer derartigen zeitlichen Abschätzung und im Hinblick auf den Zeitablauf als unbedenklich. Der Senat sieht beide Zeugen als glaubwürdig und ihre Aussagen als glaubhaft an, wobei er einerseits den einer besseren Erinnerung der Zeugen entgegen stehenden Zeitablauf berücksichtigt und andererseits den Umstand, dass es keine genauen Aufzeichnungen über die jeweils von den Zeugen erbrachten Betreuungsleistungen gibt. Im Übrigen entsprechen die Angaben im Wesentlichen dem, wie sich Lebenspartner mit einem gemeinsamen Kind bei beiderseitiger beruflicher Beanspruchung nach der Lebenserfahrung regelmäßig verhalten. Die jeweils notwendig zu erbringenden Betreuungsleistungen werden nach zur Verfügung stehender Zeit von den Kindeseltern entweder nach bestimmten Regeln oder nach Absprache übernommen, wobei auch von Regelmäßigkeiten abgewichen wird, wenn dies die Umstände erfordern. So wurde D… beispielsweise abwechselnd von B… oder vom Kindesvater in die Kita gebracht. Das Frühstückmachen oder das Insbettbringen von D… haben sich die Zeugen ebenso geteilt wie das Abholen aus der Kita. Umgekehrt ist es für den Senat auch nachvollziehbar, wenn nach den übereinstimmenden Bekundungen der Zeugen die Betreuung Ns auch danach stattfand, wer von den Zeugen zu welchen Tageszeiten zwingend für berufliche Verrichtungen zur Verfügung stehen musste und hier der Kindesvater eher am Tag Zeit hatte als B….

Im Falle einer gemeinschaftlichen Kinderbetreuung durch die nicht miteinander verheirateten Kindeseltern sieht das Gesetz keine gegenseitige Unterhaltsverpflichtung vor, da erkennbar darauf abgestellt wird, dass die Kinderbetreuung nur durch einen Elternteil erfolgt.

Ohne Berücksichtigung eines fiktiven Unterhalts als Bezug übersteigen die Einkünfte und Bezüge von B… in keinem Falle den Jahresgrenzbetrag, sodass für 2006 weiterhin Kindergeld zu zahlen ist.

Lediglich hilfsweise sei deshalb ausgeführt, dass selbst bei Zugrundelegung der Rechtsansicht der Beklagten, B… habe einen Betreuungsunterhaltsanspruch nach § 1615l Abs. 2 BGB gegen den Kindesvater keinesfalls der Jahresgrenzbetrag von 7.680 € überschritten würde. Denn die Höhe eines B… nach § 1615l Abs. 2 Satz 2 BGB zustehenden Betreuungsunterhaltes richtete sich nach ihrer Lebensstellung, §§ 1615l Abs. 3 Satz 1, 1610 Abs. 1 BGB.

War die Mutter im Falle des § 1615l Abs. 2 Satz 2 BGB vor der Geburt des Kindes erwerbstätig, ist ihr früheres, bis zur Geburt nachhaltig erzieltes Einkommen für ihren jetzigen Unterhalt maßgebend, soweit dabei dem Unterhaltsberechtigten nicht mehr als dem Unterhaltsverpflichteten verbleibt. Ist dies der Fall, so ist der Unterhaltsbedarf zusätzlich durch den Grundsatz der Halbteilung beschränkt. Nicht maßgebend für die Höhe des Unterhaltes sind jedenfalls die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Unterhaltsverpflichteten oder der Standard in der nichtehelichen Lebensgemeinschaft (vgl. insgesamt BGH, Urteil vom 16. Juli 2008 XII ZR 109/05, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 2008, 3125; Brudermüller in Palandt, a.a.O., § 1615l BGB Rz 21). Anspruch auf Betreuungsunterhalt besteht aber jedenfalls in Höhe des so genannten Mindestbedarfs, der sich am Existenzminimum orientiert und für den Streitzeitraum 770 € monatlich beträgt (vgl. BGH, Urteil vom 16. Dezember 2009 XII ZR 50/08, NJW 2010, 937). Abzusetzen davon ist derjenige Betrag, den die unterhaltsberechtigte Person selbst verdient (vgl. Viefhues in jurisPK-BGB, a.a.O., § 1615l BGB Rz 175).

Abzulehnen ist vor diesem Hintergrund die vom Beklagten vertretene Berechnungsweise, die Hälfte der - bereinigten - Einkünfte des Kindesvaters seien B… im Wege der Schätzung zuzurechnen (vgl. FG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 27. September 2012 2 K 34/11, juris).

Ausweislich der Angaben der Klägerin in der beigezogenen Kindergeldakte hatte B… in 2002 Arbeitseinkommen in Höhe von 8.393,81 € und in 2003 in Höhe von 4.007,25 €. In 2004 belief es sich nur noch auf 2.349,75 €, wobei B… auch noch 580,50 € „BAföG“-Leistungen und 915,92 € Mutterschaftsgeld bezog. Damit erreichte B… den Mindestbedarfssatz von 770 € monatlich bei Weitem nicht, weshalb diese 770 € monatlich im Streitjahr anzusetzen wären.

Außerdem wären noch verschiedene Beträge als besondere Ausbildungskosten abzusetzen.

Dies betrifft zunächst die Fahrten von B… zur Universität im Rahmen ihres Studiums. Ebenso erscheinen die von der Klägerin nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG in Ansatz gebrachten 0,30 € je Entfernungskilometer als unproblematisch. Für die 240 Tage, an denen B… zur Universität gefahren sein will, gibt es allerdings keinen Nachweis. Nicht zweifelhaft für den Senat wie auch für die Beklagte ist, dass B… in erheblichem Umfang die Universität aufgesucht haben muss. Der Beklagten wie auch dem Gericht erscheinen im Wege der Schätzung ein Ansatz von 180 Tagen als angemessen, aber auch ausreichend angesichts mehrmonatiger Semesterferien und dem Umstand, dass von B… ein Kind mit zu betreuen war und B… nach der Lebenserfahrungen die Fahrten zur Universität auf das unbedingt Notwendige beschränkt haben wird. 240 Tage im Jahr würden immerhin beinahe fünf Fahrten wöchentlich bedeuten, was dem Senat angesichts der aufgezeigten Umstände als zu viel erscheint, zumal B… auch noch nebenher als Servicekraft gearbeitet hat.

Bei den zweimal 265 €, welche die Klägerin als besondere Ausbildungskosten geltend macht, handelt es sich nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung um zwingend zu bezahlende Semestergebühren, ohne die B… das Studium nicht hätte fortsetzen können, und damit um ausbildungsbedingte Mehraufwendungen gemäß § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG (vgl. BFH, Urteil vom 22. September 2011 III R 38/08, BStBl II 2012, 338). Vor diesem Hintergrund wären diese 2x265 € ebenfalls in voller Höhe die Einkünfte und Bezüge mindernd zu berücksichtigen.

Es ergäbe sich damit folgende Grenzbetragsberechnung hinsichtlich der Einkünfte und Bezüge von B… gemäß § 32 Abs. 4 EStG:

Einkünfte

                        

Einkünfte aus geringfüg. Beschäftigung

2.939,50 €

                

abzügl. Werbungskosten pauschal

 920,00 €

                

Zwischensumme

        

2.019,50 €

        
                                

Bezüge

                        

Halbwaisenrente

1.989,84 €

                

abzügl. Pauschale

180,00 €

                

abzügl. Sozialversicherung

189,00 €

                

Zwischensumme

        

1.620,84 €

        
                                

Abzug Unterhaltspauschale für eigenes Kind D…

        

1.980,00 €

        
                                

Eigenes zurechenbares Einkommen von B…

                

1.660,34 €

                                

Berechnung Unterhaltsanspruch gegenüber Kindesvater

                        

Monatlicher Mindestbedarf

770,00 €

                

Jahresbetrag

        

9.240,00 €

        

abzüglich eigene Nettoeinkünfte B…

2.019,50 €

                

abzüglich eigene Bezüge B…

1.620,84 €

                

Gesamtbetrag eigene Nettoeinnahmen B…

        

3.640,34 €

        

Zwischensumme

                

5.599,66 €

                                

Abzusetzende besondere Ausbildungskosten

                        

Semestergebühr

        

265,00 €

        

Semestergebühr

        

265,00 €

        

Fahrten Wohnung - Universität 180 Tage, 12 km, 0,30 €/Entfernungskm

        

684,00 €

        

Zwischensumme

                

1.178,00 €

                                

Zu berücksichtigende Einkünfte und Bezüge von B…

                

6.082,00 €

Jahresgrenzbetrag

                

7.680,00 €

Unterschreitung um

                

1.598,00 €

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zugelassen. Soweit ersichtlich ist die Frage, ob bei gemeinsamer gleichwertiger Kindbetreuung in einer nichtehelichten Lebensgemeinschaft für einen Elternteil Betreuungsunterhalt als Bezug anzurechnen ist und gegebenenfalls in welcher Höhe, bisher höchstrichterlich noch nicht entschieden. Zudem weicht die in dieser Entscheidung vorgenommene Berechnung eines etwaigen Betreuungsunterhaltes von derjenigen in der Entscheidung des Thüringer FG vom 23. November 2011, Az. 3 K 371/09, und des FG Mecklenburg-Vorpommern vom 27. September 2009, Az. 2 K 34/11, ab.